(Gegenwind 265, Oktober 2010)

Benny Haerlin arbeitet für die Zukunftsstiftung Landwirtschaft und war NGO-Vertreter im Koordinationsbüro des Weltagrarberichts.
Benny Haerlin arbeitet für die Zukunftsstiftung Landwirtschaft und war NGO-Vertreter im Koordinationsbüro des Weltagrarberichts.

Eine Welt

Radikale Wende für die Landwirtschaft gefordert

Weiter wie bisher ist keine Option sagt der Weltagrarbericht. Das gilt auch für Schleswig-Holstein.

Über den Weltagrarbericht: Noch nie haben so viele Menschen auf der Welt gehungert wie heute. Gleichzeitig produziert die Landwirtschaft weltweit mehr Lebensmittel pro Kopf als je zuvor. Nach Schätzungen der Welternährungsorganisation leiden mehr als eine Milliarde Menschen an Hunger. Weitere zwei Milliarden Menschen sind fehlernährt - teils aus Mangel, teils durch ein Übermaß an Nahrung - Tendenz steigend. - Klimaveränderungen stellen die Landwirtschaft auf der ganzen Welt vor ungeheure Herausforderungen. Fast 40 % aller menschengemachten CO2-Emissionen entstehen bei der Produktion und Verarbeitung, beim Transport, Verbrauch und bei der Entsorgung von landwirtschaftlichen Gütern. Bestimmte Formen der Landwirtschaft bedrohen sauberes Wasser, fruchtbare Böden und die natürliche und kultivierte Artenvielfalt der Erde. - Landwirtschaft ist die Erwerbs- und Existenzgrundlage von rund 2,6 Milliarden Menschen, der größte Beschäftigungszweig der Welt und ein entscheidender Wirtschaftsfaktor vieler Entwicklungsländer. - Diese Tatsachen veranlassten die Weltbank und die Vereinten Nationen im Jahr 2003 einen internationalen Prozess zu initiieren: Das International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development (IAASTD), bekannt geworden als Weltagrarbericht. Über 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Kontinente und unterschiedlichster Fachrichtungen haben vier Jahre lang zusammengearbeitet, um die Frage zu beantworten: Wie können wir landwirtschaftliches Wissen, Forschung und Technologie einsetzen, um Hunger und Armut zu verringern, um ländliche Existenzen zu verbessern und um weltweit eine gerechte, ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltige Entwicklung zu fördern?

(Die Einführung wurde der Internetseite www.weltagrarbericht.de in Absprache mit Benny Haerlin entnommen.)

Gegenwind:

Können Sie uns bitte kurz ihren Arbeitsbereich beim Weltagrarbericht (International Assessment of Agricultural Knowledge, Science and Technology for Development, IAASTD) beschreiben?

Benny Haerlin:

Ich war zuerst auf Einladung der Weltbank als Vertreter von Umweltorganisationen, damals arbeitete ich noch für Greenpeace, an der Entwicklung des Vorschlages beteiligt, zusammen mit 20 Leuten aus Regierungen, Industrie, Wissenschaft und Nichtregierungsorganisationen. Wir haben öffentliche Befragungen in aller Welt organisiert und dann ein Konzept vorgelegt, das schließlich den Segen der UNO und einer Versammlung von 62 Staaten bekam, die den Bericht in Auftrag gaben. Danach habe ich fünf Jahre lang die Nichtregierungsorganisationen von Europa und Nordamerika im Aufsichtsrat vertreten, der die Fragen gestellt, gemeinsam die Autorinnen und Autoren ausgewählt und außerdem die Finanzen und das Sekretariat überwacht hat.

Gegenwind:

Welches sind die grundlegenden Schlussfolgerungen des Weltagrarberichtes?

Benny Haerlin:

Erstens: Landwirtschaft ist multifunktional. In Zeiten des Klimawandels und Artensterbens, der Überdüngung und Vergiftung von Wasser und Luft wäre es fahrlässig weiterhin lediglich auf die Erträge und deren Steigerung zu sehen. Andere Aspekte, auch die sozialen und kulturellen sind möglicherweise wichtiger als die schiere Produktion. Denn, zweitens, wir haben faktisch eine Überproduktion gemessen am Nahrungsbedarf der Menschheit, die, drittens, nicht verhindert dass wir heute mehr Hungernde auf der Welt haben als je zuvor. Die meisten von ihnen auf dem Lande. Um diese offensichtliche Fehlentwicklung umzukehren und nachhaltig ausreichendes und gesundes Essen für alle zu produzieren und so zu verteilen, dass niemand hungern aber auch niemand an Fettsucht frühzeitig sterben muss, brauchen wir eine radikale Wende. Im Zentrum dieser Wende zur Nachhaltigkeit müssen, viertens, die Kleinbäuerinnen dieser Welt und ihre Männer stehen. Wenn sie Zugang zu Land, Wasser und Wissen und angepasstem Saatgut und agrarökologischen Anbautechnologien haben, dann haben wir eine Chance, die gewaltige Herausforderung der kommenden Jahrzehnte zu meistern: Mit etwa 80% weniger Einsatz an fossilen Energien knapp 30% mehr Menschen als heute nachhaltig zu ernähren; und dabei zu guter Letzt auch noch die Auswirkungen des Klimawandels, die wir nicht mehr verhindern können, entsprechend abzufedern. Und dann sagt der Weltagrarbericht noch sehr, sehr deutlich: Hütet euch vor jeder Art von Patentrezepten und Wundertechnologien. Das Gebot der Stunde ist, dass die Wissenschaftler von den Bäuerinnen und Bauern lernen. Erst dann können sie zu wirklich brauchbaren und wirksamen Innovationen beitragen, von unten nach oben also, statt von oben nach unten.

Gegenwind:

Welche Aussagen macht der Weltagrarberichtes zur Gentechnik und wie hat sich die Gentechnikindustrie im Verlauf der Beratungen verhalten?

Benny Haerlin:

Das Ziel der Weltbank war ja ein Konsens zum Einsatz der Gentechnik in der Landwirtschaft und die Agrarkonzerne hatten den damaligen Chef, Herrn Wolfowiz, regelrecht aufgefordert dies durch eine entsprechende Initiative voranzutreiben. Sie waren deshalb anfangs auch sehr aktiv beteiligt. Monsanto ist allerdings schon ausgestiegen als das Konzept fertig war. Herr Horsch, der damalige Vize-Chef von Monsanto, der heute den Agrarbereich der Bill Gates Stiftung leitet, erkannte schon an der Fragestellung, dass die Antworten kaum in seinem Sinne ausfallen würden. Syngenta dagegen hat bis kurz vor der Verabschiedung sehr aktiv mitgemacht, auch BASF war beteiligt. Aber als der letzte Entwurf der Wissenschaftler fertig war, zogen sie sich unter Protest zurück: Die Gentechnik spielt in dem Weltagrarbericht tatsächlich eher eine untergeordnete Rolle. Über die Gefahren, sagen die Wissenschaftler, sei man sich nicht einig. Über die Gefahren von Großtechnologien mit abschreckend grossem Kaptialaufwand und vor allem der fortschreitenden Patentierung von Leben waren sie sich durchaus einig. Gentechnik, heißt es, werde bei der Bekämpfung des Hungers kaum eine Rolle spielen. Deshalb versucht die Industrie den Bericht jetzt natürlich herunterzuspielen und stellt ihn als "ideologisch" dar. Die Ideologen sind allerdings eher sie.

Gegenwind:

Warum hat Deutschland den Weltagrarbericht nicht unterzeichnet, unsere Nachbarländer Großbritannien, Frankreich und die Schweiz aber schon?

Benny Haerlin:

Das hatte teilweise persönliche Gründe. Der zuständige Referatsleiter im Entwicklungsministerium sah ihn als Konkurrenz zu einer von ihm stark unterstützten Initiative namens GFAR (1, Anm. d. Red.). Aber es hatte auch politische Gründe: Dem Landwirtschaftsministerium passte von Anfang an die ganze Richtung nicht. Als Heidemarie Wizcoreck-Zeul 2009 vorschlug, den Bericht wenigstens im Nachhinein zu unterzeichnen, wurde das vom Agrarministerium abgeblockt. Aber auch innerhalb ihres eigenen Ministeriums gab es Leute, die doch stark an die Errungenschaften der so genannten grünen Revolution glauben. Die haben natürlich heute unter Herrn Niebel erst richtig Oberwasser bekommen. Er will ja zusammen mit Frau Schavan ein regelrechtes Gentechnikforschungsprogramm für die Dritte Welt auflegen. Vielleicht hat es auch damit zu tun, dass Länder wie Großbritannien und Frankreich, die aus ihrer Kolonialzeit eine ganz andere Tradition und auch Kompetenz in Bezug etwa auf tropische Landwirtschaft haben, daraus kritischere Schlüsse in Bezug auf die Wohltaten der Agrarindustrie für die Ernährung der Welt ziehen als unsere deutsche Entwicklungszusammenarbeit, deren Tradition bei aller Nachhaltigkeitsfreude ja eher im Export von Maschinen, Anlagen und nicht zuletzt von Chemie liegt. Für Exportweltmeister, auch von subventionierter Trockenmilch sind die Ratschläge des Weltagrarberichts nicht gerade eine Bestätigung.

Gegenwind:

Wie müsste Deutschland oder konkret SH im Sinne des Weltagrarberichtes Landwirtschaft betreiben? Würde die landwirtschaftliche Fläche dann ausreichen um uns zu ernähren?

Benny Haerlin:

Selbstverständlich würden sie ausreichen. Allerdings leben wir derzeit von Billigimporten, die auf Millionen von Hektar in der Dritten Welt wachsen und dort nicht von armen Kleinbauern, sondern besonders pestizid-, dünger- und energieintensiven Agroindustriellen in Monokulturen hergestellt werden, die sowohl die Umwelt als auch die ländliche Entwicklung in den betroffenen Regionen ruinieren. Auch unsere eigene Getreideproduktion geht ja nur noch zu 20% direkt in Lebensmittel. Wir sollten also zuerst einmal unsere Tiere mit heimischen Pflanzen füttern und auch nicht mehr Tiere halten als die eigenen Flächen nachhaltig ernähren können. Abschied vom Exportwahn und Billigimporten an Rohstoffen, besonders jetzt auch für so genannten Biosprit ist also das erste Gebot. Der Ausstieg aus dem Einsatz von Pestiziden und die drastische Reduzierung unseres Kunstdüngereinsatzes, sind weitere dringende Schritte. Und nicht zuletzt auch der Schutz der noch überlebenden kleinen und mittelständischen, bäuerlichen Betriebe hier bei uns. Das Bauernsterben geht ja in Deutschland noch immer munter weiter. Wachse oder weiche muss endlich der Vergangenheit angehören. Und je direkter die Bürgerinnen und Bürger sich als Verbraucher damit auseinandersetzen und Verantwortung übernehmen, desto besser. Jeder Einkauf im Supermarkt, das sollten wir uns immer wieder klar machen, gibt Aufträge an unsere Landwirtschaft: Billig und Masse oder den ganzen Preis im Auge und Qualität?

Gegenwind:

Was können wir in SH dazu beitragen die Forderungen des Weltagrarberichtes umzusetzten?

Benny Haerlin:

Aktuell ist wohl das Wichtigste, uns einzumischen in die Diskussion um die Europäische Agrarreform, die im kommenden Jahr von den Regierungen, aber auch dem Europäischen Parlament verabschiedet werden soll. Da werden die Weichen gestellt. Übrigens auch in Bezug auf den Einsatz der Gentechnik in Europa. Noch können wir diesen Unfug verhindern, noch sind wir nicht von wenigen Saatgutkonzernen abhängig wie die Bauern in Amerika. Biolandwirtschaft stärken ist dabei sicherlich ein ganz wichtiger Aspekt; aber auch darauf zu achten, dass sie nicht genauso wie die konventionelle Landwirtschaft zu einem industriellen Prozess wird, bei dem nur noch die Größten überleben. Die regionale Produktion auch regional wert zu schätzen und zu stärken, ist deshalb ebenso bedeutend.

Schleswig-Holstein hat viel Grünland. Das gilt es vor Agarsprit-Begehrlichkeiten zu schützen. Und es ist ein wichtiges Rapsanbaugebiet: Der sollte nicht in die Dieselproduktion gehen und erst recht nicht gentechnisch manipuliert werden. Denn gerade bei Raps gilt, wie in Kanada zu besichtigen: Wenn man erst einmal mit Gentechnik angefangen hat, gibt es kein Zurück mehr.

Interview: Wiebke Freudenberg
von der BI für ein gentechnikfreies SH, anlässlich des Vortrages von Benny Haerlin zum Weltagrarbericht am 30. August 2010 in Rendsburg.
Die Veranstaltung organisierten die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, Bioland und BUND.

(Anm. 1) GFAR: Global Forum on Agricultural Research, Weltforum für landwirtschaftliche Forschung

Bei Fragen und zur Vernetzung: wiebke.freudenberg@t-online.de und www.gentechnikfrei-sh.de

Eine leicht und verständlich lesbare Zusammenfassung des Weltagrarberichtes gibt es im Internet und als Broschüre zu bestellen unter: www.weltagrarbericht.de/

Bilder von Rini Templeton: www.riniart.org

Kommentar

Der Weltagrarbericht verdient es gelesen und umgesetzt zu werden, er stellt unsere westliche Landwirtschaft grundlegend in Frage und wird deshalb von der Politik und Chemieindustrie totgeschwiegen. Wir werden für eine wirklich zukunftsfähige Landwirtschaft gegen die Lobby aus Schweigen und Verunglimpfen kämpfen müssen. Und wer weiß schon etwas über die EU-Agrarreform? Agrarthemen gehen an uns Normalmenschen schlicht vorbei, dabei ist die Landwirtschaft unumstößlich immer noch unsere Lebensgrundlage. Unsere Landesregierung und die Landwirtschaftskammer gehören zu den Verfechtern der chemieintensiven Landwirtschaft und werden nicht müde die Gentechnik zu preisen. Unsere BI möchte deshalb im nächsten Jahr die schleswig-holsteinischen Bauern unterstützen sich zu gentechnikfreien Zonen zusammenzuschließen und damit ein Zeichen zu setzen.

Um uns mit dem Kampf für eine selbstbestimmte Landwirtschaft weltweit zu solidarisieren habe ich die Bilder von Rini Templeton herausgesucht. Sie dokumentierte die Bauernkämpfe in Nord- und v.a. Südamerika.

Wiebke Freudenberg

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