(Gegenwind 265, Oktober 2010)
Keine drei Monate ist es her, dass die ersten Informationen von der Flutkatastrophe in Pakistan in Deutschland eintrafen. Tagelang bestimmten Bilder von obdachlosen Menschen, zerstörten, lehmüberschwemmten Dörfern und anlaufenden internationalen Hilfsmaßnahmen die Nachrichten. Inzwischen hat sich der Fokus der allgemeinen Aufmerksamkeit anderen Themen zugewendet. Den interessierten Leser informieren die kontinuierlich erfolgenden Berichte der Reporter und Hilfsorganisationen jedoch weiterhin über die Folgen der heftigen Monsun-Regenfälle in Pakistan.
"Es ist die Katastrophe der Katastrophe; die Entwicklungsländer werden von den Folgen des Klimawandels besonders betroffen sein", sagt Mojib Latif. "Ein großer Teil der Bevölkerung in Pakistan ist bitterarm und die Verwüstungen durch die Überschwemmungen haben die Entwicklung des Landes um Jahre zurückgeworfen", sagt der Kieler Meteorologe, dessen Verwandtschaft zum Teil in Pakistan lebt.
Keinen Zweifel lässt der Wissenschaftler an der Tatsache einer allgemeinen Erderwärmung aufkommen, die künftig sowohl in Pakistan als auch in Ostdeutschland mehr heftige Regenfälle verursachen werde. "Wir können wissenschaftlich berechnen, wie viele fossile Brennstoffe im 20. Jahrhundert verfeuert wurden. Wir können ebenfalls berechnen, wie viel Prozent des »Klimaanheizers« Kohlendioxid, das dabei entstand, jeweils von der Atmosphäre, vom Meer und von der Vegetation aufgenommen wurde. Das ist eine einfache Bilanz, die in wissenschaftlichen Experimenten bestätigt wurde." Auch wer die Bedeutung des weltweiten Kohlendioxid-Ausstoßes, der mit rund 60 Prozent aller klimaschädlichen Emissionen zu Buche schlage, nicht anerkennen wolle, müsse sich fragen, wie sich neben Extremwetterlagen weitere Indikatoren des Klimawandels erklären ließen. Warum schmelze das Eis auf der Erde? Warum versauerten die Meere? Warum sei der Meeresspiegel im 20. Jahrhundert um knapp 20 Zentimeter angestiegen?
Neben der wissenschaftlichen Analyse treibt Mojib Latif der Wunsch nach der Etablierung einer nachhaltigen Klimapolitik um. "Es ist unsozial, dass die Industrieländer, die den Klimawandel verursacht haben, die Folgen nicht so stark zu spüren bekommen wie die Entwicklungs- und Schwellenländer." Diesen Aspekt könnten vor allem die Eine-Welt-Akteure in der Klimadebatte glaubhaft betonen. Es könne nicht sein, dass die Industrienationen, die 80 Prozent der nicht aus natürlichen Quellen stammenden Kohlendioxidemissionen verantworteten, auf das Engagement der Schwellenländer warteten. "Die Industrieländer können nicht sagen: 'Wir tun nur etwas, wenn Ihr was tut'", plädiert Mojib Latif für eine ethisch motivierte Klimapolitik, die sich am Grundsatz der Nachhaltigkeit orientiere. Diese Politik müsse sich emanzipieren von einer Gesellschaft, die alle Werte ökonomisiere, fordert Latif und wünscht sich eine Einbeziehung der Geisteswissenschaften in die Klimadebatte. Auch sicherheitspolitische und ökonomische Argumente führt Latif ins Feld, der einige Semester Wirtschaftswissenschaften studierte bevor er zur Meteorologie wechselte. "Die Nord-Süd-Gegensätze, die durch den Klimawandel noch verschärft werden, gefährden die Weltsicherheit", fürchtet er. Ebenso sei bei einer weiteren weltweiten Konzentration auf fossile Brennstoffe in rund zwanzig Jahren mit einer Energiekrise zu rechnen, die explodierende Energiepreise mit einer wirtschaftlichen und politischen Destabilisierung nach sich ziehen könne.
"Deutschland ist bei all den Problemen, die es hier gibt, ein so unglaublich reiches Land und die Welt guckt auf uns", streicht Latif den Handlungsspielraum und den Vorbildcharakter deutscher Wirtschaftspolitik heraus. "Bislang ist die Politik nicht mutig genug, schmerzhafte Schritte zu gehen. Es würde nämlich bedeuten, dass die Verbraucher höhere Energiepreise bezahlen müssten." Eine Politik, welche die Konzerne zu angemessenen Investitionen in die Entwicklung zur Nutzung erneuerbarer Energien und zum Ausbau der Stromnetze veranlasse, wünscht er sich.
Keine Verständnis hat Latif für die weitere Nutzung der Atomkraft. "Wir wissen nicht, was wir mit dem Abfall machen sollen. Außerdem wird die Atomkraft in der globalen Energieversorgung über ein paar Prozent nicht hinauskommen: Sie spielt also energiepolitisch keine Rolle." Schwerwiegender sei, dass die Entscheidung für oder gegen die Atomkraft für andere Länder beispielhaften Charakter habe. "Wenn Deutschland sagt, auf Atomkraft können wir nicht verzichten, hat diese Entscheidung weltweit wegweisende Bedeutung." Wegweisende positive Effekte sieht Latif beim weiteren Ausbau der Windenergie in Schleswig-Holstein. "In diesem Bereich liegt das Bundesland weit vorne und kann Partnerschaften mit Ländern des Südens eingehen - zum wirtschaftlichen Nutzen beider Partner."
Keinen substantiellen Fortschritt erhofft sich Latif vom nächsten UNO-Klimagipfel in Mexiko, der am 29 November beginnt. Es bedürfe der Bereitschaft, Verantwortung für die Probleme zu übernehmen und mit beispielhaftem Charakter voranzugehen. Anders stelle sich die akute Problembewältigung in Pakistan dar. "Die Pakistaner wenden sich den Menschen zu, die ihnen helfen", nennt Latif zunächst einen sicherheitspolitischen Grund für langfristige Hilfsmaßnahmen und fügt dann hinzu: "Wir sollten dort bedingungslos helfen - aus Nächstenliebe!"
Nicole Gifhorn
Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein / BEI