(Gegenwind 265, Oktober 2010)
Maria Herman ist Dolmetscherin für Polnisch und Romanes in Lübeck. Im Juli nahm sie an einem Kulturfestival für Roma im Kosovo teil.
Gegenwind:
Du warst jetzt im Sommer im Kosovo. Warst Du zum ersten Mal da?
Maria Herman:
Ja, ich war zum ersten Mal da. Ich bin dort hin geflogen, weil dort ein Workshop stattfand, zu dem ich durch den Gegenwind eingeladen worden bin. Und die Themen interessierten mich sehr.
Gegenwind:
Was waren denn die Themen?
Maria Herman:
Das wurde von Sami Mustafa, Charlotte Bohl und Clara Guillard veranstaltet, es ging um jugendliche Roma aus Frankreich, Deutschland und Kosovo. In dem Projekt sollte die Kraft der Kultur widergespiegelt und bestätigt werden. Es ging also auch darum, die Zusammenarbeit zwischen jugendlichen Roma in ganz Europa zu festigen.
Das gesamte Festival wurde von RomArt & Zones IMAGelN'AIR organisiert, insgesamt haben ungefähr 950 Menschen teilgenommen.
Gegenwind:
Und was hast Du mit jugendlichen Roma zu tun?
Maria Herman:
Das ist Teil meiner Identität und Teil meines Lebens. Das ist nichts Besonderes. Ich bin selbst in Polen geboren, und meine Familie ist sehr gemischt. Aber Roma spielen in meiner Familie eine große Rolle, deshalb bin ich da auch hingefahren. Ich möchte da aktiv sein. Meine Mutter ist polnisch, aber mit vielen bulgarischen und osmanischen Wurzeln. Zu meinem Vater habe ich keinen Kontakt, aber er ist polnischer Roma. Es gibt keinen gemeinsamen Grundbegriff für meine Herkunft, wenn Du das meinst.
Gegenwind:
Welche Sprachen sprichst Du?
Maria Herman:
Ich spreche deutsch, polnisch, romanes, englisch, aus der Schule französisch, dann etwas türkisch, russisch - es reicht, sich zu verständigen. Ich interessiere mich für viele Sprachen.
Gegenwind:
Kannst Du von dem Workshop im Kosovo erzählen, an dem Du während des Festivals teilgenommen hast?
Maria Herman:
Wir waren 12 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Frankreich, Deutschland und dem Kosovo. Wir haben zuerst diskutiert, was wir überhaupt machen wollen, was unser Ziel ist. Wir haben uns schnell darauf geeinigt, dass wir ein Theaterstück entwickeln und aufführen wollen. Unter denen, die für den Workshop zuständig waren, war auch Nejo Osman dabei, der uns viel beigebracht und die ganze Arbeit an unserem Projekt und der Theateraufführung geleistet hat.
Der Titel unseres Theaterstücks wurde dann "Romano Suno", das heißt "Roma-Träume". Dazu haben alle ihren persönlichen Traum aufgeschrieben, und aus diesen Träumen haben wir das Theaterstück zusammen gesetzt.
Mein Traum war, dass alle Menschen auf unserer einen großen Welt ihre Kultur und ihr Leben, ihre Traditionen und ihre Art gegenseitig kennen lernen, sich gegenseitig zeigen - aber nicht mit Worten, sondern mit Musik und Tanz.
Veronika hatte den Traum, dass es einen Plural von "Heimat" gibt, dass jeder Mensch nicht nur eine Heimat hat oder sich auf einen Ort festlegen muss, der die eigene Heimat ist, sondern sich an vielen Orten zu Hause fühlen kann.
Kafu erzählte, dass er im Traum in einer schwarzen Box saß, in der es nur ganz oben ein ganz kleines Loch gibt, durch das Licht hineinscheint. Er träumte davon, dass jeder Mensch zu diesem kleinen Licht kommen kann, es erreichen kann.
Ich kann jetzt gar nicht mehr alle 12 Träume beschreiben, sie waren auch sehr ähnlich. Alle träumen von Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit, davon sich entfalten zu können.
Gegenwind:
Und wie habt Ihr daraus eine Theateraufführung gemacht?
Maria Herman:
Wir haben uns jeden Tag im Theater getroffen. Erst haben alle ihren Traum aufgeschrieben, dann haben wir uns unsere Träume gegenseitig vorgelesen und auch übersetzt, damit alle die Träume kennen und verstehen.
Dann kam die Aufgabe für Nedjo. Er hat dann daran gearbeitet, dass alle Träume zu einem Traum werden und theatralisch dargestellt werden. Er hat einiges gefragt, ergänzt oder gekürzt, dass unsere aufgeschriebenen Träume ungefähr gleich lang waren. Und dann sollten wir einfach auf die Bühne, spontan, und unsere Träume durch Bewegung oder Tanz, durch den Ausdruck des Körpers deutlich machen. Dabei konnte er auch beobachten, wer sich wie bewegen kann. Er hat uns dann zu Paaren eingeteilt.
Gegenwind:
Konntet Ihr Euch das aussuchen? Oder klappte es so?
Maria Herman:
Es klappte einfach. Irgendwann hatte es schon mal Salsa-Musik gegeben, und ich hatte einfach angefangen zu tanzen und andere aufgefordert, mit zu tanzen. Und es gab Mirsad, einen Drummer oder auch Schlagzeuger, der hat sowieso zu allem immer einen Rhythmus gehabt. Wir wurden als Paar eingeteilt, und das passte auch für dieses Theater.
Aber wir haben uns sehr gut vertragen, jeder konnte mit jedem und jeder zusammen arbeiten, es gab überhaupt keine Probleme zwischen uns oder in unserer Gruppe.
Wir hatten auch Kafu dabei, der sich mit Rhythmus und Bewegung beschäftigte und uns viele Tipps und Hilfestellungen geben konnte. Driton hatte eine Gitarre dabei, und Veronika hatte eine Querflöte mitgebracht, die hat unsere Roma-Hymne gespielt.
Gegenwind:
Ist das eine europäische Hymne?
Maria Herman:
Ich weiß das nicht genau. Es gibt sie in vielen verschiedenen Ländern, der Text wird etwas unterschiedlich gesungen. Ich weiß aber, dass die türkischen Roma sie nicht kennen, und die Sintis hier auch nicht.
Gegenwind:
Und wie lange hat es gedauert, aus dem Traum ein Theaterstück zu machen?
Maria Herman:
Einen Tag haben wir an den Texten gearbeitet, bis alles fertig war. Und dann haben wir uns Montag, Dienstag und Mittwoch im Theater getroffen und alles geübt. Wir haben vormittags und nachmittags gearbeitet, ungefähr fünf Stunden pro Tag. Und am Donnerstag morgen hatten wir die Generalprobe, und dann war die Aufführung.
Gegenwind:
Wart Ihr da mit dem Stück fertig?
Maria Herman:
Ja, wir waren fertig. Wir hätten aber auch noch wochenlang weiter machen können und es immer wieder verändert, aber wir konnten es Donnerstag aufführen.
Gegenwind:
Hast Du etwas über Diskriminierung von Roma im Kosovo mitbekommen, was solche Theatergruppen oder Aufführungen betrifft?
Maria Herman:
Wenn jemand eine Bühne zur Verfügung hat und die entsprechenden Menschen, etwas aufzuführen, dann ist es kein Problem. Dann sind sogar viele Menschen sehr neugierig, was dort los ist und was dort gezeigt wird. Aber sonst ist es schwierig, Aufmerksamkeit zu bekommen.
Gegenwind:
Hast Du Roma außerhalb des Workshops kennen gelernt, die dort leben.
Maria Herman:
Ja, das habe ich. Wir haben eine Mahalla besucht, ein Roma-Viertel im Kosovo, und zwar in Gjilan, wo auch der Workshop stattfand. Die Menschen leben dort so, wie man es auch von Fotos kennt, in sehr armen Verhältnissen, sehr einfach. Aber sie leben miteinander. Ich habe mich gefühlt, als ob ich von einem anderen Planeten komme, und ich wurde auch so angeguckt. Es war eine andere Welt. Die, die dort leben, kommen in dieser Welt klar, aber für mich ist es eine sehr traurige Welt, ich könnte in solchen Verhältnissen nicht leben. Aber die Menschen sind sehr herzlich miteinander, und auch zu mir aus Deutschland.
Gegenwind:
Was habt Ihr sonst noch in diesen Tagen gemacht?
Maria Herman:
Wir waren oft in der Stadt, die Stadt wurde uns gezeigt, der Markt, ein See, die Seitenstraßen. Es gab auch, was ich befürchtet hatte, "Kriegsüberreste". Da gab es einen umzäunten Platz, wo ein Panzer stand. Abends waren wir oft weg, haben die Zeit genossen. Wir waren oft essen, weil es unglaublich lecker und sehr billig war. Wir brauchten keine Unterhaltung, weder ein Kino noch eine größere Stadt, uns hat völlig gereicht, die Straßen in der Umgebung kennen zu lernen. Am Haus selbst hatten wir auch einen Garten und eine Terrasse, wir haben viel zusammen gesessen, wir haben gesungen und musiziert, es war immer eine Gitarre und ein Tamborin da.
Gegenwind:
Hast Du hier in Lübeck auch Kontakte zu jugendlichen Roma?
Maria Herman:
Ja, habe ich. So etwas könnte hier auch stattfinden, aber es müsste jemanden geben, der alles organisiert. Ich habe schon bei vielen Sachen mitgemacht, aber dieser Workshop im Kosovo war wirklich toll organisiert, wie sonst bisher nirgends. Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Man muss sich gut fühlen bei den Sachen, die man macht. Wenn es solche Möglichkeiten hier auch gibt, klappt das hier auch.
Gegenwind:
Rechnest Du Dir hier als Dolmetscherin für Romanes Chancen aus? Oder eher als Dolmetscherin für Polnisch?
Maria Herman:
Eher als Dolmetscherin für Polnisch. Die Menschen aus Polen, die Romanes sprechen, sprechen auch Polnisch. Bei uns ist es selten, dass jemand nur Romanes spricht. Das könnten nur einzelne Leute sein, die sehr isoliert leben. Und für Roma aus Bulgarien oder Rumänien würde ich nur im Notfall dolmetschen, das ist nicht das Romanes, das ich spreche.
Gegenwind:
Wie groß sind die Unterschiede? Hattest Du im Kosovo Probleme?
Maria Herman:
Die Unterschiede liegen in Kleinigkeiten, ein Laut ist verändert, etwas wird weggelassen oder verändert. Wenn man es aufschreiben würde, würde man es sofort sehen, aber man versteht es eben nicht sofort. Das war auch das Problem, ich habe 60 Prozent sicher verstanden, aber nicht alles. Es gibt viele Wörter aus dem Serbischen, die ich nur verstehe, wenn es ähnliche Wörter im Polnischen gibt.
Von meiner Mutter kann ich Polnisch, Romanes habe ich von anderen aus der Familie gelernt. Ich kann das Romanes der Lübecker Sinti verstehen, aber nur, weil ich als Kind hergekommen bin. Die Sinti hier sprechen ganz anders. Aber wenn ich jetzt frisch aus Polen gekommen wäre, könnte ich weder die Sinti noch die Roma hier auf Anhieb verstehen. Im Kosovo war auch eine Manush-Zigeunerin beim Workshop, die konnte sich mit Melanie aus Berlin, einer Sintiza, viel besser verständigen als mit mir. Mit spanischen oder rumänischen Roma habe ich mich auch schon unterhalten, aber wir wechseln dann oft ins Englisch oder in andere Sprachen. Das ist dann sicherer und bequemer.
Gegenwind:
Gleichzeitig gab es ja auch ein Filmfestival. Erzählst Du davon?
Maria Herman:
Ja. Jeder Tag hatte sein Thema, zum Beispiel hieß ein Tag "Essen und Kochen", und dazu gab es Rezepte und auch Kurzfilme aus verschiedenen Ländern. Abends wurden dann immer die Filme zum Thema präsentiert, und der Organisator unserer Workshops hat auch am Filmfestival teilgenommen, und er dreht auch noch einen Film, in dem unser Workshop vorkommt. Und an dem Tag, Donnerstag, als Sami seine Filme vorführte, haben wir auch unser Theater vorgeführt, und da sind ganz ganz viele Leute gekommen. Es war ganz unerwartet, viel mehr als an den anderen Tagen.
Gegenwind:
Sind nur Roma gekommen? Oder Albaner? Oder Serben?
Maria Herman:
Es waren alles Leute, die da leben. Ich weiß gar nicht, ob es Serben oder Albaner waren, aber es waren auch viele Roma dabei. Es gab auch noch eine andere Theateraufführung, von einer Roma-Theatergruppe aus einer anderen Stadt im Kosovo, aus Prizren. "Romano Avazo" heißt die Theatergruppe, das einzige Roma-Theater im Kosovo. Es waren jedenfalls viele Leute, viele verschiedene Leute, und das war schön. Es sind auch Leute aus Deutschland, Polen, Frankreich und auch den USA da gewesen.
Gegenwind:
Soll es weiter gehen?
Maria Herman:
Ja. Als Projekt war das sicherlich eine kleine Sache. Aber wir wollen uns natürlich alle wiedersehen. Und wenn der Kontakt bleibt und es eine Fortsetzung gibt, dann kann das schon größere Auswirkungen haben.
Gegenwind:
Fahren nächstes Mal mehr jugendliche Roma aus Schleswig-Holstein hin?
Maria Herman:
Das könnte sein. Ich kenne nicht viele, aber einige weiß ich schon, denen das gefallen würde. Das ist eine Möglichkeit zu zeigen was man kann. Es war nicht die Frage, was man weiß oder wie viele Bücher man gelesen hat. Sondern es ging darum, wofür man sich begeistert, was man liebt. Und da kenne ich viele, für die das eine gute Möglichkeit ist. Da können viele zeigen, was sie können.
Interview: Reinhard Pohl