(Gegenwind 265, Oktober 2010)
Im Gegenwind 263 (Seite 52) berichteten wir von der gewaltsamen Abschiebung einer alleinerziehenden Mutter mit ihrem behinderten Kind. Die Umstände der Abschiebung gingen breit durch die Presse, am 25. August beschäftigten sie auch den Innen- und Rechtsausschuss des Landtages. Der Ausschuss hatte Justizminister Emil Schmalfuß vorgeladen, die ZBBS hatte zum Tagesordnungspunkt eine Dokumentation der Abschiebung vorgelegt.
Minister Emil Schmalfuß wies zunächst darauf hin, dass einige Informationen der ZBBS falsch wären. Rechtlich sei die Abschiebung im Schengener Durchführungsabkommen (Schengen II) begründet. Das sehe vor, dass ein Asylverfahren nur in einem Land durchgeführt werde, hier Schweden, und dann Asylanträge im zweiten Land nicht bearbeitet würden, sondern die Betroffenen innerhalb von sechs Monaten zurückgeschoben würden. Über den "Selbsteintritt", die freiwillig Übernahme des Asylverfahrens, entscheide das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Nürnberg), das liege nicht in der Kompetenz eines Bundeslandes.
Konkret sei von Ende Dezember, also der Ankunft von Mutter und Tochter, bis Ende Juni die Bundespolizei zuständig gewesen, danach die örtliche Ausländerbehörde in Kiel. Der Asylantrag vom 12. Januar sei am 25. Januar abgewiesen worden (keine Zuständigkeit, weil Schweden zuständig sei). Wegen der Behinderung der Tochter habe die Bundespolitzei die beiden nicht direkt abgeschoben, sondern ihnen Ende Januar schriftlich mitgeteilt, dass die Abschiebung für Anfang Februar geplant sei. Das habe, ungewöhnlich für solche Fälle, dem Anwalt der Betroffenen Gelegenheit gegeben, am 11. Februar gegen die geplante Abschiebung zu klagen. Das Verwaltungsgericht habe aber den Abschiebeschutz abgelehnt, weil Schweden zuständig sei und dort alle Rechte gewährleistet würden.
Die für Februar geplante Abschiebung habe nicht stattfinden können, weil das Kind im Krankenhaus war. Auch die nächste, für März geplante Abschiebung scheiterte, weil das Kind in Behandlung und nicht transportfähig war. Erst Anfang Juni habe die Uniklinik Kiel das Kind für transportfähig erklärt. Der geplante Abschiebetermin wurde aber absichtlich jetzt nicht mitgeteilt, um die Abschiebung reibungslos durchführen zu können.
An der Abschiebung selbst hätten lediglich drei Polizisten (genauer: eine Polizistin, zwei Polizisten) teilgenommen, nicht 13 wie die "Kieler Nachrichten" gemeldet hatten. Die Mutter hätte sich auf das Kind geworfen und es nicht loslassen wollen, deshalb habe sie gefesselt werden müssen. Auf Nachfrage meinte der Minister, es seien keine Handschellen, sondern Plastikfesseln (Kabelbinder) verwendet worden. Es seien Mitarbeiter vom Landesamt für Ausländerangelegenheiten, der Ausländerbehörde, Ärzte und Sanitäter sowie eine Dolmetscherin dabei gewesen.
Das Kind wäre in einem Rettungswagen, die Mutter im folgenden Kleinbus des Landesamtes nach Travemünde gebracht worden. Die Medikamente, die das Kind ständig benötigt, wären gleich mitgenommen worden - nicht erst nachträglich, wie die ZBBS behauptet hatte. Die Fesselung der Mutter wäre nötig gewesen, weil sie anders von ihrem Kind nicht zu trennen war, im Rettungswagen sei zu wenig Platz für Mutter und Kind gewesen. Am nächsten Tag wäre die Frist zur Rückübernahme durch Schweden abgelaufen, man habe die letzte Fähre innerhalb der 6-Monats-Frist erreichen wollen (bzw. müssen).
Der Minister fasste zusammen, man habe verantwortlich gehandelt. Die Umsetzung des Schengen-II-Abkommens verlangte dieses Vorgehen, das wäre deshalb nicht zu vermeiden gewesen. Die zuständige Abteilung war die ganze Zeit mit dem Fall befasst und habe richtig entschieden, er selbst habe allerdings von der Abschiebung und den Umständen erst nachträglich aus der Presse erfahren. Öffentlich kritisierte der Minister die Kommunikation innerhalb des Ministeriums und kündigte an, entsprechende Absprachen zu treffen, dass er in Zukunft über solche Vorgänge unterrichtet werde.
Auf mehrere Nachfragen erklärte der Minister noch, in Schweden drohe (anders als von der ZBBS behauptet) keine Abschiebung in den Irak, da Schweden nur Kriminelle abschiebe. Das habe er als Auskunft vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erhalten. Ein Härtefall sei nicht erkennbar, da die Härtefallkommission nur gut integrierte Flüchtlinge nach mindestens fünf Jahre Aufenthalt hier begutachte.
Die ZBBS hat nach der Ausschuss-Sitzung am 9. September mit Hilfe einer Dolmetscherin lange mit der in Schweden lebenden Mutter gesprochen und sich noch einmal die Abschiebung ausführlich schildern lassen.
Danach standen am 13. Juli, dem Tag der Abschiebung, sechs Personen vor der Tür - einer im weißen Anzug, der war Arzt, ein Sanitäter, zwei Polizisten in Zivil und zwei Polizisten in Uniform.
Drei Personen haben sie direkt festgehalten, nachdem sie aufgefordert wurde mitzuwirken, die Dolmetscherin war mit da und hat ihr gedolmetscht, dass sie da sind um sie mitzunehmen, sie müsse Deutschland verlassen. "Ich habe sie angefleht, dies zu verschieben, da ich am nächsten Tag eine Untersuchung mit meiner Tochter Tabarek im Krankenhaus hatte. Erklärungen wollten sie nicht hören. Begründung: Das kann in Schweden gemacht werden. Die Behandlung in Schweden wäre besser. Ich habe es abgelehnt mit Ihnen zu gehen und sie immer wieder gefragt, warum sie das machen. Sie haben nicht reagiert und haben meine Tochter mit dem Rollstuhl einfach mitgenommen. Sie haben mich aufgefordert die Medikamente für meine Tochter zu geben. Ich habe das abgelehnt, da ich ihr ihre Dosis schon gegeben hatte. Sie wollten sie dennoch unbedingt haben. Sie haben allein die Medikamente genommen. Ich hatte nur ein einfaches T-Shirt und eine Schlafhose und Badelatschen an. Da fing ich an zu weinen und zu schreien. Ich hab sie aufgefordert meine Tochter zurückzugeben und habe geschrien. Dann wurde ich von mehreren Personen auf den Boden geworfen und mit Füßen auf meinen Rücken und meinen Kopf gedrückt. Ich wurde mit Metallhandschellen hinter meinem Rücken gefesselt und festgenommen. Ich habe geschrien und gebeten, meinen Kopf frei zu lassen." (Wir geben hier das Telefonat so wörtlich wie möglich auf Deutsch wider.)
Ihr wurde gesagt, Sie hätte keine andere Möglichkeit, sie müsse zusammenarbeiten. Sie solle behilflich sein, die Sachen zusammenzupacken. Sie wurde mit immer stärkerer Gewalt festgehalten, da sie nur noch geschrien habe. Sie hatte Schmerzen. Ihre Forderungen wurden ignoriert. Später wurde sie gefragt, ob sie eine Kopfschmerztablette haben möchte. Sie hat es abgelehnt. Stattdessen habe sie die Polizisten darum gebeten, sie von den Handschellen zu befreien, damit sie die Sachen einpacken könne. Das wurde abgelehnt. Die Sachen wurden von den Polizisten (oder den Leuten) eingepackt.
"Ich bat sie herzlich, den Ersatz für die Badewanne mitzunehmen. Dann wurde ich so wie ich war nach unten in das Auto gezerrt. Ich bat sie mehrmals darum, zu meiner Tochter gelassen zu werden, die im Krankenwagen war. Ich habe sie von außen gesehen, sie lag wie ein Brett, steif und starr im Krankenwagen und hat mich gehört. Sie hat ebenfalls laut geschrien und geweint."
Die Mutter wurde nicht in den Krankenwagen gelassen. Sie wurde in ein anderes Auto gezerrt. Eine Frau und ein älterer Mann in Zivilkleidung haben sie im Auto von den Handschellen befreit und diese ausgewechselt in Plastikschnüre, damit wurden ihre Handgelenke erneut auf dem Rücken zusammengebunden. Hilferufe wurden ignoriert. Die Dolmetscherin war nicht mehr anwesend, sie war nur circa eine halbe Stunde in der Wohnung dabei.
Sie fuhren vor dem Krankenwagen. "Ich beobachtete die ganze Fahrt den Krankenwagen hinter uns, und zwischendurch bat ich auf Englisch darum, die Fesseln los zu machen. Sie haben das abgelehnt. Die Fahrt dauerte eineinhalb si zwei Stunden. Ich hatte keine Uhr um. Während der Fahrt habe ich die Polizisten angefleht nur kurz meine Tochter zu sehen. Dies wurde erneut abgelehnt. Stattdessen wurde mir eine Zigarette angeboten, die ich abgelehnt habe."
Dann hielten sie an und sie sah, wie ihre Tochter im Krankenwagen vom Arzt untersucht wurde. "Der Arzt kam dann zum Auto und sprach mit den Polizisten, ich hab sie weiter angefleht in den Krankenwagen gelassen zu werden. Der Arzt hat die Polizisten überzeugt, sie in den Krankenwagen zu lassen, gefesselt. Dann habe ich sie gebeten, mir meine Tochter zu geben." Die Tochter wurde nur auf ihren Schoß gelegt, sie hielt sie mit den Beinen und Füßen fest."Ihr Kuscheltier gab ich ihr mit meinen Mund und hielt es auch so fest. Der Arzt riss dann die Plastikbänder ab. Ich wollte meine Tochter wickeln, da sie bereits die Windeln voll hatte, aber dies wurde wieder abgelehnt mit der Begründung, dass sie das selbst übernehmen. Dann fuhren wir weiter. Als wir am Hafen ankamen, war die Windel noch nicht gewechselt. Dann wurden wir auf das Schiff gebracht. Die Zeit, in der ich meine Tochter nicht sah, dauerte insgesamt zweieinhalb bis drei Stunden. Auf dem Schiff wurden wir in ein Zimmer gebracht. Wir wurden von zwei Beamten begleitet. Jeder hat zwei Stunden Wache gehalten. Um 8 Uhr am Morgen haben wir das Schiff verlassen. Es gab keinen Dolmetscher auf dem Schiff. Diejenigen die mich gefesselt hatten, waren zwei Polizisten in Zivil und einer in Uniform. Auf dem Schiff blieb ich ungefesselt, aber bewacht.
Um 8 Uhr morgens bin ich in Schweden angekommen und ich war nicht gefesselt. Als wir vom Schiff runter wollten, hat meine Tochter sehr geschrien, und sie hatte starke Schmerzen. Ich bekam Schmerzzäpfchen vom Arzt für Tabarek. Das Bein oder der Fuß, war gebrochen."
Die Beratungsstelle ZBBS e.V. in Kiel bekam noch zusätzliche Informationen. Danach hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg die Abschiebung veranlasst. Die Zuständigkeit wurde von Bundespolizei vor dem Termin des Selbsteintritts an die Ausländerbehörde der Stadt Kiel abgegeben. Die Reisefähigkeit wurde im Zeitraum von Januar bis Juni 2010 drei Mal überprüft. Letzte Reisefähigkeitsprüfung fand Anfang Juni statt. Diese ist wohl vom behandelnden Arzt im Klinikum positiv bewertet worden, aber mit entsprechenden Auflagen versehen. Daraufhin gab es einen Kontakt zwischen dem Rechtsanwalt und der Bundespolizei, wo mitgeteilt wurde, dass diese vor dem Verhandlungstermin beim Verwaltungsgericht nicht mehr aktiv werden wollte. Der behandelnde Arzt im Klinikum wurde dann aus Neumünster (wohl vom Landesamt) noch einmal angerufen, konnte aber die Zuständigkeit nicht einordnen und hat auch die Beratungsstelle nicht noch einmal angerufen. Am Abschiebetag wurde der Arzt dann noch einmal vom Begleitarzt vor der Überfahrt um 19 Uhr kontaktiert. Er war aber nicht erreichbar, er sah nur später den Anruf mit Uhrzeit auf dem Display seines Telefons.
Nach Auskunft des Rechtsanwaltes wurde die ablehnende Entscheidung vom Verwaltungsgericht Schleswig am 11. August, also ungefähr einen Monat nach der Abschiebung, schriftlich zugestellt. Die negative Entscheidung wurde bereits am Verhandlungstag getroffen, aber dem Rechtsanwalt nicht innerhalb der Verhandlung bekannt gegeben.
Houda Adnan Ahmed kann ihre aktuelle Situation nicht genau darstellen, weil Ihr die Sprachkenntnisse fehlen. Die Abschiebung ist angeordnet, ein neuer Asylantrag eingereicht. Sie erhält reduzierte Geldleistungen und ist ein einer abgelegenen Flüchtlingsunterkunft untergebracht.
Die Krankheitssituation ihrer Tochter Tabarek bleibt sehr kritisch. Der iranische Arzt, der bereits die Not-OP am Bein vornahm (direkt nach der Abschiebung) sagt, dass zuerst die im Bein eingesetzten Platinplatten raus genommen werden müssen, das gebrochene Bein muss noch einmal per OP korrigiert werden. Aber ob diese Operation noch in Schweden vorgenommen (d.h. bezahlt) wird, ist noch nicht klar.
Ute Afane
Reinhard Pohl