(Gegenwind 264, September 2010)
Sie schleifen und malen, räumen und streichen. Sie sortieren und ordnen, rupfen und putzen. 15 junge Leute aus Russland, Weißrussland, der Ukraine, aus den USA und aus Deutschland verbringen zwei Wochen in Ahrensbök, um bei der Renovierung der Bibliothek der Gedenkstätte, bei der Pflege der Außenanlagen oder dem Ausbau des Archivs zu helfen - aber auch um mehr über deutsche Geschichte zu erfahren.
Es ist das elfte internationale Jugendsommerlager des Trägervereins der Gedenkstätte in Zusammenarbeit mit der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste. Wie in all den Jahren zuvor hat sich trotz anfänglicher Verständigungsschwierigkeiten die Gruppe schnell wie eine große Familie zusammen gefunden. Trotz russisch-englisch-deutschem Sprachgewirr arbeiten die jungen Leute Hand in Hand täglich fünf Stunden lang, um anschließend gemeinsam zu feiern.
Der evangelischer Jugenddiakon der Kirchengemeinden Curau, Ahrensbök und Gnissau, Roman Röpstorff, 33, leitet gemeinsam mit dem Studenten Dominic Egger, 24, und der Studentin Katharina Lemme, 24, beide von der Aktion Sühnezeichen/Friedendienste, das diesjährige Jugendsommerlager. Röpstorff findet es wichtig, "dass junge Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Religion und unterschiedlichem Wissensstand sich begegnen, mehr über einander und mehr von unsrer Vergangenheit erfahren".
In Ahrensbök findet eines von 22 internationalen Jugendsommerlagern statt, die von der Aktion Sühnezeichen in diesem Jahr in neun Ländern veranstaltet werden. Die Organisation, 1958 von der Synode der evangelischen Kirche eingerichtet, trägt seit Jahrzehnten in Europa, Israel und den USA praktisch dazu bei, die Folgen des Nationalsozialismus zu überwinden.
Katharina Lemme erklärt ihre Motivation, zwei Wochen freiwillig mit jungen Menschen zu arbeiten, so: "Es interessiert mich sehr, mehr über den Holocaust und seine Opfer zu erfahren. Ich lerne hier in Ahrensbök viel dazu". Dominik Egger hat bereits seinen Zivildienst mit der Aktion Sühnezeichen gemacht. Die Arbeit in Ahrensbök macht ihm Freude, "weil hier junge Menschen friedlich zusammen sind, obwohl sie aus Ländern kommen, die früher Krieg miteinander führten". Über die Gedenkstätte sagt er: "Ich bin beeindruckt, was die Bürgerinitiative erreicht hat. Hier wird die Geschichte des Nationalsozialismus gezeigt, wie sie regional stattgefunden hat".
"Es macht Spaß", meint die Studentin Julia Samolkjakowa, 19, "sich nützlich zu machen". Sie wird mit dem Gefühl zurück nach Hause fahren, "dass ich Gutes geleistet habe. Und ich habe Lust bekommen, mehr über die deutsche Geschichte zu erfahren". Ihre Freundin Hanna Rahachowa, 23, Germanistik-Studentin aus Weißrussland wie Julia, ist nach Ahrensbök gekommen, "weil ich mehr über die Deutschen und ihre Kultur erfahren will. Ich will mehr über die Geschichte zwischen 1933 und 1945 wissen".
Es war sein Französisch-Lehrer am Gymnasium im westfälischen Rheine, der Max Hollenborg, 18, den Tipp gab, am Ahrensböker Sommerlager teilzunehmen. "Ich bin sehr an Geschichte des Nationalsozialismus interessiert und ich will wissen, was passiert ist, um daraus zu lernen". Er sagt auch: "Es ist ein komisches Gefühl in einem Haus zu arbeiten mit dem Wissen, dass hier Leute (in einem frühen KZ) gefangen waren".
Erich Zinssmeister, 18, demnächst Mathematik-Student im US-Bundesstaat New Jersey, verbringt mit seiner Schwester Elise, 16, jeden Sommer in Norddeutschland bei Verwandten. Während früherer Besuche haben sie die Gedenkstätte kennen gelernt. Die beiden wollen in den Ferien ihre Deutschkenntnisse üben, Leute aus verschiedenen Ländern treffen und mehr über die deutsche Geschichte lernen als sie im Schulunterricht erfahren haben: "Ich habe hier", sagt Erich, "zum ersten Mal gehört, dass es nicht nur einen sondern viele Todesmärsche gab".
Evgeniy Shenja Korolev, 35, hatte die weiteste Anreise nach Ahrensbök. Er kommt aus dem russischen Nowosibirsk, und auch bei seiner dritten Deutschland-Reise ist er beeindruckt von der Arbeitsweise der Deutschen. Über die Gedenkarbeit in Ahrensbök sagt er: "So etwas gibt es nicht in Russland". Er hat seine Promotionsarbeit an der Uni von Nowosibirsk unterbrochen, um zwei Wochen lang in Ahrensbök "mehr von der Geschichte Russlands und Deutschlands zu erfahren".
Nun glaube niemand, dass sich die jungen Leute ausschließlich mit der dunklen Seite der deutschen Geschichte befassen. Wer in der Zeit des internationalen Jugendsommerlagers die Gedenkstätte Ahrensbök besucht wird schon von weitem lautes Gelächter und fetzige Musik hören. Neben handwerklicher und inhaltlicher Arbeit werden Ausflüge an die Ostsee, nach Lübeck, Eutin, Hamburg unternommen. Es wird gelacht, musiziert und gefeiert, wie das junge Menschen überall in der Welt machen, wenn sie zusammenkommen.
Die Gedenkstätte Ahrensbök ist jeden Sonntag von 14 bis 18 Uhr geöffnet. Mitglieder des Trägervereins führen auf Wunsch durch das Gebäude, das 1933 ein frühes KZ beherbergte, und durch die Dauerausstellung "Von Auschwitz nach Holstein". Eintritt und die Teilnahme an Sonntagsgesprächen sind frei. Spenden sind willkommen. Die Gedenkstätte liegt an der Flachsröste 16 im Ahrensböker Ortsteil Holstendorf (B 432), Telefon: 04525 - 493 060, Telefax: 04525 - 493 090.
Monika M. Metzner-Zinßmeister
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