(Gegenwind 264, September 2010)
Gegenwind:
Kannst Du Dich zunächst vorstellen?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Mein Name ist Mukhtaar Sheekh Cali, ich komme aus Somalia. Ich komme dort aus einer kleinen Stadt namens Jilib, 300 Kilometer südlich von Mogadishu. Seit 1995 lebe ich in Kiel. Hergekommen bin ich als Flüchtling, ich habe meine Heimat nicht freiwillig verlassen. Ich habe Asyl beantragt, nach sechs Jahren wurde mein Antrag teilweise anerkannt. Seit 2007 bin ich eingebürgerter Deutscher. Ich bin der einzige verfügbare Somali-Dolmetscher hier im Norden.
Gegenwind:
Wie bist Du hier in Deutschland mit der Mentalität und der Sprache zurecht gekommen?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Ich hatte immer wieder gehört, dass es Schwierigkeiten zwischen Deutschen und Zugewanderten gibt. Aber ich habe nicht viele Probleme gehabt, außer dass mit immer wieder gesagt wurde, ich müsste so schnell wie möglich deutsch lernen. Am Anfang habe ich versucht, auf Englisch mit den Leuten zu reden. Die Antwort war immer: Hier ist Deutschland, Sie müssen Deutsch lernen.
Gegenwind:
Welche Sprachen konntest Du denn, als Du herkamst?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Erst mal konnte ich natürlich meine Muttersprache Somalisch. Außerdem konnte ich - fast wie meine Muttersprache - Arabisch. Und ich konnte Englisch, weil ich in Somalia als Dolmetscher bei den UNO-Soldaten gearbeitet habe. Ich habe auch ein bisschen Niederländisch gelernt, weil ich fast ein Jahr lang in Somalia bei den belgischen Soldaten gearbeitet habe.
Gegenwind:
Wie hast Du denn dolmetschen gelernt? Hast Du es Dir selbst beigebracht? Oder hattest Du eine Ausbildung?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Ich bin in jeder Beziehung Autodidakt. Ich habe nicht mal einen Schulabschluss. Ich konnte in Somalia nur acht Jahre lang in die Schule gehen, dann fing der Krieg an, und ich hatte keine Möglichkeit dort weiter zu lernen oder zu studieren. Ich habe mir alles selbst beigebracht. Englisch habe ich bei einem NGO, einer Nicht-Regierungsorganisation aus den USA gelernt. Der NGO hieß "World Concerne", die waren als Helfer in unserem Dorf oder unserer Kleinstadt tätig.
Gegenwind:
Wann hast Du in Deutschland angefangen, als Dolmetscher zu arbeiten? Welche Gelegenheiten waren das?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Das war 2003, als die Ausländerbehörde Kiel mich entdeckt hat. Herr Seiffert rief mich an und fragte, ob ich helfen kann. Dort war ein unbegleiteter Jugendlicher aus Somalia, ein Flüchtling, der kein Englisch und kein Arabisch sprach. Seitdem bin ich als Dolmetscher tätig. Der erste Termin wurde nicht bezahlt, aber dann gab es einen zweiten Auftrag von der Bundespolizei am Schwedenkai. Drei somalische Leute, die ohne Erlaubnis nach Schweden wollten, waren dort gefasst worden. Ich habe gedolmetscht, das wurde sofort bezahlt.
Gegenwind:
Wie ist der Dolmetsch-Markt für Dich? Somalisch, Arabisch und Englisch sind ja drei sehr unterschiedliche Sprachen - Somalisch praktisch ohne Konkurrenz, Englisch mit sehr viel Konkurrenz.
Mukhtaar Sheekh Cali:
Ich kann Arabisch wie jeder andere Arabisch Dolmetscher, und mit Englisch habe ich schon in Somalia drei Jahre lang mein Geld verdient. Aber hier in Deutschland bin ich bisher nur als Somalisch-Dolmetscher tätig, für Arabisch und Englisch habe ich noch keine Aufträge bekommen. Ich denke, bei Arabisch und Englisch haben meine Auftraggeber genug andere Dolmetscher, und mit Somalisch bin ich genug gefordert.
Gegenwind:
Bei einer kleinen Sprache ist die Auslastung oft von Zufällen abhängig. Du hast zwar wenig oder keine Konkurrenz, aber nicht immer Aufträge. Wie kommst Du damit zurecht?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Für mich ist das eine Nebentätigkeit. Ich bin Unternehmer, ich habe ein Taxi-Unternehmen. Somalisch-Aufträge gibt es alle sechs oder acht Wochen.
Gegenwind:
Im Moment hast Du einen sehr großen Auftrag. Wie ist das?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Jetzt bin ich vollbeschäftigt. Ich habe überhaupt keine Zeit mehr, selbst Taxi zu fahren. Ich bin jeden Tag in Hamburg. Ein holländisches Kriegsschiff ist vor Somalia einem deutschen Frachter zu Hilfe gekommen, der von Piraten überfallen wurde. Die Marine hat zehn Piraten gefangen genommen, in die Niederlande gebracht und nach Deutschland ausgeliefert. Seit dem 10. Juni bin ich Dolmetscher für die Staatsanwaltschaft in Hamburg. Die Untersuchung läuft.
Gegenwind:
Wie ist der Kontakt mit Somaliern, die gerade erst in Deutschland angekommen sind? Sie erwarten doch sicherlich Hilfe von einem Landsmann. Kannst Du neutral bleiben?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Das ist die schwierigste Seite meiner Arbeit. Als Dolmetscher muss ich neutral bleiben, und das habe ich bisher auch immer geschafft. Nicht nur die zehn in Hamburg, auch andere Asylbewerber hoffen ja immer, dass ich ihnen auch helfe. Ich muss ihnen immer sagen, dass das nicht mein Job ist. Mein Job ist die Verständigung, sprachlich muss ich zwischen ihnen und den Behörden vermitteln.
Gegenwind:
Wie kommen normale somalische Flüchtlinge heute nach Deutschland? Was haben somalische Jugendliche durchgemacht, wenn sie hier ankommen?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Es ist unterschiedlich. Seit Anfang der 90er Jahre sind Flüchtlinge aus Somalia unterwegs. Ich war ja selbst Flüchtling. Damals gab es noch Möglichkeiten, mit dem Flugzeug nach Europa zu kommen, das habe ich ja auch geschafft. Heute kommen über 90 Prozent der Flüchtlinge mit dem Schlauchboot über das Mittelmeer.
Gegenwind:
Willst Du zusätzlich zu Deiner Arbeit als Dolmetscher diesen Flüchtlingen helfen? Du engagierst Dich ja auch politisch.
Mukhtaar Sheekh Cali:
Ich kann das gut trennen. Wenn ich als Dolmetscher unterwegs bin, bin ich Dolmetscher. Ich engagiere mich auch politisch, ich will diesen Leuten helfen, weil ich alle Probleme selbst erlebt habe. Ich engagiere mich zum Beispiel gegen das Dubliner Übereinkommen, das vielen Flüchtlingen so viele Probleme macht. Hier betrifft es vor allem junge Leute, die zuerst nach Malta oder Griechenland kamen und jetzt dorthin zurück müssen.
Gegenwind:
Du bist 1995 als Asylbewerber hergekommen. Jetzt warst Du Mitglied der Bundesversammlung und hast mit abgestimmt, wer deutscher Präsident wird. Wie ist das gekommen?
Mukhtaar Sheekh Cali:
Das hängt damit zusammen, dass ich hier in Kiel politisch aktiv bin. Ich bin Mitglied bei Bündnis 90 / Die Grünen. Für mich war das eine große Überraschung, aber letztlich war es für mich eine Bestätigung, dass diese Partei es ernst meint mit der politischen Teilhabe. Von den Grünen aus Schleswig-Holstein durften drei zur Bundesversammlung hinfahren, das war Robert Habeck, der Fraktionsvorsitzende im Landtag. Dann war es Marlene Löhr, die Landesvorsitzende der Partei, und eben ich. Für mich war es eine große Erfahrung. Die Absicht der Grünen war auch zu demonstrieren, dass Einwanderer mit entscheiden.
Interview: Reinhard Pohl