(Gegenwind 263, August 2010)
Seit die schwarz-gelbe Landesregierung Schleswig-Holsteins ein landeseigenes Sparpaket verkündete, häufen sich die Proteste - auch bei der dänischen Minderheit.
"Landesvater" Peter Harry Carstensen wird nicht müde zu zeigen, wie ein Großbauer im Land zwischen den Meeren mit seinem Personal umzugehen gedenkt. Bevor er Ministerpräsident wurde, residierte er auf einem großen Hof auf der Halbinsel Eiderstedt und konnte ansagen, wo es langgeht. Nun muss er sich von der Opposition Kritik anhören: "Wenn Ministerpräsident Carstensen es wirklich ernst meint, dass Dänemark ein Premiumpartner Schleswig-Holsteins ist, dann sollte er langsam auf Empfang umstellen, statt nur die immer selbe Botschaft zu senden", so die Fraktionsvorsitzende Anke Spoorendonk vom Südschleswigschen Wählerverband, SSW. Die sonst recht freundliche Abgeordnete im Kieler Landtag versuchte, eine Drohkulisse aufzubauen, um Carstensen zum Umdenken zu bewegen: "Nicht nur die Minderheit sondern auch das Verhältnis zu Dänemark wird dauerhaft Schaden leiden, wenn die Regierung nicht bereit ist, in Alternativen zu den Einsparungsvorschlägen der Haushaltsstrukturkommission zu denken." Der SSW als politische Vertretung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein ist eigentlich auf Verständigung mit der Landesregierung aus, trotz seiner eher linksliberalen Programmatik. Aber jetzt wird auf der Straße und online protestiert.
Zweisprachig wird ein Sparschwein im Internet gewarnt: "Hold trynen væk!" - "Klauen weg!" Mit einer Unterschriften-Aktion kämpft der SSW so für den Erhalt der Universität Flensburg. Dabei geht es um lokale Standortpolitik, aber auch um die bedrohte Kooperation mit dänischen Einrichtungen: Flensburgs Uni-Chef Lutz Reuter schrieb in einem offenen Brief. die Uni steigere "das Fachkräfteangebot, zieht Unternehmen an" und mit jeder Einschreibung "fließen pro Jahr rund 7.000 Euro an den Standort". Es gibt Angebote wie "International Management" in Zusammenarbeit mit der dänischen Syddansk Universitet in Sønderborg.
Ende Juni gab es neben den Protestdemos gegen die Sparpaket in Kiel auch in den größeren Städten des ehemals zu Dänemark gehörenden Landesteils nördlich der Landeshauptstadt ungewohnte Demonstrationen: Wesentlich größer als die Mai-Demos des DGB, und überall wehte der Dannebrog, die dänische Fahne. Mit selbstredend zweisprachigen Parolen wie "Ohne Schulfinanzierung stirbt die Minderheit aus", hat die dänische Minderheit gegen die Sparpläne der Landesregierung in Kiel protestiert. Diese plant, die Zuschüsse für dänische Schulen stärker zu kürzen als für deutsche. "Sparen muss sein, aber wir werden nicht hinnehmen, dass unsere Schulen ein Sonderopfer für die Sparpolitik leisten müssen", sagte die SSW-Landtagsabgeordnete Silke Hinrichsen am 26. Juni in Flensburg auf der größten Kundgebung vor rund 4000 Teilnehmenden. "Sparen muss mit Verstand geschehen. Es entsteht der Eindruck, in Kiel ist der Blick nach Norden völlig verstellt", betonte Flensburgs parteiloser Bürgermeister Jochen Barckmann. Im Sparpaket der Landesregierung ist geplant, dass der Dänische Schulverein künftig pro Kind lediglich 85 Prozent dessen erhalten soll, was die Schulträger der öffentlichen deutschen Schulen für ein Kind bekommen. Dies bedeutet für die dänischen Schulen ein Minus von rund 4,7 Millionen Euro pro Jahr. Dagegen hat der Dansk Skoleforening, der Dänische Schulverein, eine Kampagne gestartet, die an den 47 Dänischen Schulen und 55 børnehaver, Kindergärten auf große Resonanz stößt: "Vore børn er også 100% værd!", Unsere Kinder sind auch 100 Prozent wert. In Flensburg betonte Silke Hinrichsen vom SSW: "Wir werden nicht hinnehmen, dass unsere Kinder dem Land weniger wert sein sollen, als die Kinder an öffentlichen Schulen." Dem dänischen Schulverein zufolge sind wegen der geplanten Einsparungen rund 20 vor allem ländlich gelegene Schulen von der Schließung bedroht. Hinrichsen äußerte die Befürchtung, "dass mit den kleinen Schulen auch noch die Existenzgrundlage der Minderheit im ländlichen Raum zerschlagen wird."
Svend Johannsen, Leiter der dänischen Gesamtschule Leck, zeigte kein Verständnis dafür, "dass Kinder im Allgemeinen und Kinder der Minderheit insbesondere für die politischen Versäumnisse einer Landesregierung bezahlen müssen".
Der Regionsbürgermeister bzw. Vorsitzende der dänischen Region Syddanmark, Carl Holst, kritisierte bei einem kurzfristig vereinbarten Treffen mit dem Ministerpräsidenten, dass die dänischen Schulen in Schleswig-Holstein bei geplanten Kürzungen deutlich schlechter wegkommen als die deutschen. "Das geht nicht in einer Grenzregion mit Minderheiten auf beiden Seiten", erklärte Holst und verwies auf das 2007 vereinbarte Gleichheitsgebot, das die Schulen der dänischen Minderheit bei der Finanzierung den deutschen öffentlichen Schulen gleichstellt.
Am 6. Juli wurde bekannt, dass Ministerpräsident Carstensen durch einen Anruf des dänischen Regierungschefs Lars Løkke Rasmussen erfolgreich an die Gültigkeit internationaler Vereinbarungen zum Schutz der dänischen Minderheit erinnert wurde: Schleswig-Holstein und Dänemark haben sich auf eine Arbeitsgruppe für die jeweilige dänische und deutsche Minderheit verständigt, berichtete die zweisprachige Tageszeitung Flensborg Avis.
Aber als die Regierungskoalition in Schleswig-Holstein Ende Mai ihr Sparpaket verkündete war nicht nur die dänische Minderheit empört: Monatelang hatte eine informelle "Haushaltsstrukturkommission", besetzt von den Regierungsfraktionen und dem Finanzministerium, Sparpläne ausgearbeitet um die Neuverschuldung des Landes bis 2020 auf Null zu bringen. CDU und FDP wollen dafür die Landesausgaben jährlich um etwa zehn Prozent - das entspricht 125 Millionen Euro - kürzen. "Es ist das erste Mal in der Geschichte unseres Landes, dass eine Regierung so tiefgreifende Einschnitte plant", rühmte sich Ministerpräsident Carstensen seiner bundesweiten Vorreiterrolle: Wenn seine Landesregierung jetzt nicht durchgreife, würden "griechische Verhältnisse" drohen. Wo CDU und FDP im Norden südländisches Chaos abzuwehren meinen, sieht Heinz-Werner Jezewski, Abgeordneter der Linken, ein Konzept des "Irrsinns": Die Vorschläge würden an jeder tragenden sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Säule sägen. Größere Sparposten sind die Streichung des beitragsfreien Kita-Jahres, Kürzungen beim Landesblindengeld, die Streichung der Kostenübernahme für die Schülerbeförderung. Die Frauenberatungsstellen sollen nur noch 950.000 Euro jährlich bekommen statt derzeit 1,05 Millionen. Die 16 Frauenhäuser im Land sollen von ihren 4,1 Millionen im Jahr auf 500.000 Euro verzichten. Komplett wegfallen sollen die Zuschüsse für Mädchentreffs, das Langzeitarbeitslosenprojekt Frau und Beruf oder den Landesfrauenrat. Für sie bedeuten die Sparmaßnahmen das Aus. Das Universitätsklinikum in Kiel und Lübeck, mit rund 11.000 MitarbeiterInnen größter Arbeitgeber im Norden, sollte privatisiert und das Medizinstudium in Lübeck beendet werden. Dagegen haben Beschäftigte des Uniklinikums in Lübeck erfolgreich protestiert. Sie befürchteten Personalabbau, Gehaltseinbußen und warfen der Koalition Wortbruch vor. Sie haben schon länger durch Lohnverzicht Zugeständnisse gemacht, um eine angedrohte Privatisierung zu verhindern. In der Region Lübeck protestierte das gesamte Stadtparlament, die Bürgerschaft, und die tonangebenden Lübecker Nachrichten legten eine eigene lokalpatriotische Kampagne auf. Der Protest hatte so auch bizarre Momente. Auch als Björn Thoroe, Landtagsabgeordneter der Linken, erklärte: "DIE LINKE fordert die Landesregierung auf, ihren Morgenthau-Plan ad acta zu legen und damit eine weitere Zerstörung wissenschaftlichen Potentials und der industriellen Basis dieses Landes aufzugeben." Am 8. Juli ist hier Bundesbildungsministerin Annette Schavan eingesprungen: Sie sagte dem Land Mittel von jährlich 25 Millionen Euro zu - dass entspricht der Summe, die durch die Schließung des Medizinstudiums und des Universitätsklinikums in Lübeck eingespart werden sollte. Die schwarz-gelbe Landesregierung erklärte generös: Jeder Punkt ihres Sparpaketes sei verhandelbar - aber man müsse Alternativen benennen, wo das Geld denn sonst eingespart werden könne. Da müsste schon tief in die Tasche greifen können, wer so die angedachte Privatisierung der Häfen in Tönning, Friedrichskoog, Husum und Glückstadt verhindern will, die unsozialen Einschnitte und die Benachteiligung der dänischen Minderheit.
Gaston Kirsche