(Gegenwind 261, Juni 2010)

Hamburger Innenstadt / Atomkraft nein danke / .ausgestrahlt
Hamburger Innenstadt, Foto: Josh Feitelson

Die Kettenreaktion wurde gestartet.

Nun lassen wir uns nicht mehr aufhalten.

120 km fröhlicher Protest

KettenreAktion 24.April 2010 zwischen den AKW Brunsbüttel und Krümmel

Die Nervosität war kaum zu überbieten. In den Hamburger Büros der KettenreAktion und von .ausgestrahlt standen die Telefone in den Tagen vor dem Aktionstag nicht mehr still. JournalistInnen wollten Zahlen hören: Wie viele Menschen werden am 24. April erwartet in Hamburg, wie viele in der schleswig-holsteinischen Provinz? Immer noch wurden Busse angemeldet, unentwegt fragten Menschen nach, wie sie kurzfristig an der Menschenkette teilnehmen können, an welchen Ort sie reisen sollen. Langsam wurde klar: Viele werden kommen!

Logistische Meisterleistung

Durch die monatelange Vorbereitung gestaltete sich die Anreise der DemonstrantInnen reibungslos und unproblematisch. Den BusfahrerInnen war der genaue Zielort mitgeteilt worden, so dass sich die Anreisenden ohne große Fußmärsche an ihren Standort in der Kette begeben konnten. Für DemonstrantInnen, die mit einem der Sonderzüge anreisten, gab es Shuttle-Busse, die sie an ihr Ziel brachten. Straßen wurden gesperrt und als Parkraum für die PKW ausgewiesen. Die Zusammenarbeit im Vorfeld zwischen den VeranstalterInnen, den Kreisbehörden und der Polizei verlief äußerst zufrieden stellend.

Ein großer Teil der DemonstrantInnen machte sich schon am Freitag auf den Weg quer durch die Republik nach Norden. Am frühen Samstagmorgen traf der Sonderzug aus Bayern in Elmshorn ein und die noch verschlafene Kleinstadt wurde mit blau-weißen Fahnen und der wieder zu neuer Lebendigkeit erweckten strahlenden roten Anti- Atom-Sonne überschwemmt.

Überall an den Elbdeichen hatten AktivistInnen ein Nachtlager in Zelten, Vans oder auch ihren PKW bezogen, um am Samstag rechtzeitig an den Orten des Geschehens sein zu können.

Zweifel melden sich

Am Vormittag sind die EinwohnerInnen Brokdorfs unter sich. Wie jeden Samstag zu dieser Jahreszeit werden hier und da die Gehwege gefegt, in den Vorgärten wird gejätet und geharkt, Rasenmäher tuckern.

Um 11.00Uhr versammeln sich die zahlreichen Streckenposten, die ordnend dazu beitragen sollen, dass alle ihren Platz finden, ihre letzte Zusammenkunft bevor die Gäste kommen. Alle haben ihren Platz zugewiesen bekommen auf der Strecke zwischen Brokdorf, Arentsee und dem Störsperrwerk. Über Handy sollen sie um 14.30 Uhr die Anzahl der Menschen, die ihren Standort passiert haben ins Büro der KettenreAktion nach Hamburg melden, um dort die TeilnehmerInnenzahl möglichst genau ermitteln zu können. Die Bühne direkt am Atomkraftwerk wird aufgebaut, ebenso ein Imbiss-Stand. Nur wenige Menschen tröpfeln nach und nach an den Deich. Die morgendliche Kühle verschwindet, der Wind lässt nach, der Himmel ist wolkenlos blau und die Sonne strahlt. Der Zweifel, der schon während der gesamten Vorbereitungszeit immer mal wieder auftrat, meldet sich zurück: Können wir es schaffen?

Hamburger Innenstadt / Menschenkette entlang der Straßen
Hamburger Innenstadt, Foto: Josh Feitelson
Erwartungen wurden übertroffen

Aber nach und nach wird es quirliger am Deich. Die Busse aus den Partnerregionen Braunschweig und Salzgitter treffen ein. Die FreundInnen aus der Nähe des absaufenden Salzbergwerks und Atommülllagers Asse und der Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad machen deutlich: Wir wollen euren Müll nicht haben. 50 gelbe Atommüllfässer mit der Aufschrift „Annahme verweigert, zurück an Absender!” werden vor dem Südtor des AKW aufgebaut. Und endlich strömen die Menschen auf den Deich. Um 14.30Uhr schließt sich fast überall zwischen Brunsbüttel und Krümmel über unendliche 120 Kilometer die Menschenkette.

Es wird gesungen, alte Parolen werden skandiert, eine La-Ola-Welle nach der anderen bringt die Menschen in ausgelassene Stimmung als über Lautsprecher die unglaubliche Zahl bekannt gegeben wird: 120.000 Menschen halten sich jetzt an ihren Händen. Jubel brandet auf! Es ist eine der größten Protestaktionen gegen Atomkraft in der Geschichte der Bundesrepublik!

Es gibt neue Zahlen:

Die Zahlen sind beeindruckend: 147.000 Menschen sind heute in Deutschland unterwegs, um gegen Atomkraft zu demonstrieren!

Musik und Reden

Im Anschluss an den Kettenschluss gibt es auf sieben Bühnen entlang der Strecke ein vielfältiges Programm. BundespolitikerInnen von SPD, der Linken und den Grünen , die schon die Menschenkette für medienwirksame Auftritte genutzt haben, nutzen nun die Gelegenheit ihre atompolitische Position zu erklären, genauso wie LandespolitikerInnen , VertreterInnen aus den Kreistagen, RednerInnen der Gewerkschaften, der Evangelischen Kirche, Initiativen, Umweltverbänden sowie aus dem Bereich der Erneuerbaren Energien. Höhepunkt des Musikprogramms ist der Auftritt von Jan Delay vor dem Pannenreaktor Brunsbüttel. Er wirkt wie ein Magnet! Dank seiner Hilfe strömten gerade jüngere Menschen in die Dithmarscher Industriestadt um sich dort in die Kette einzureihen. Partnerregionen Brunsbüttels sind Nordfriesland und Flensburg. Viele Sonderbusse sind auf den Parkflächen zu finden.

In Brokdorf sitzen und liegen die Menschen auf dem Deich in Bühnennähe, verfolgen das Programm und genießen die Sonne.

Nach und nach machen sich die DemonstrantInnen auf den Heimweg. Die Busse Richtung Braunschweig und Salzgitter fahren ab, die Wiesen leeren sich. Es geht ans Abbauen.

Was für ein Tag!

Brunsbüttel / Menschenkette
Menschenkette Brokdorfer Elbdeich Richtung Störsperrwerk, Foto: Jutta Freybe
„Wir lassen jetzt nicht mehr locker”

so Jochen Stay von .ausgestrahlt. „Wenn die Bundesregierung an ihrem Atomkurs festhält, wird die neue Protestbewegung weiter zulegen”.

Die Menschenkette ist an erster Stelle Thema aller Nachrichtensendungen.

Es wird berichtet von einem fröhlichen Aktionstag, reibungslosen Abläufen, großartiger Koordination. Schon nach der großen Demonstration in Berlin waren die Medien beeindruckt von der neuen Protestbewegung. An der KettenreAktion beteiligten sich Menschen aus allen Bevölkerungsgruppen: Jugendliche, Senioren und Familien. Der Protest hat breitere Milieus erreicht. Das stimmt zuversichtlich für den weiteren Jahresverlauf. Bereits jetzt laufen die Planungen für einen Aktionstag, wahrscheinlich am 2.Oktober, im süddeutschen Raum. Dann wird es Zeit für einen Gegenbesuch aus Schleswig-Holstein per Sonderzug oder per Bus. Wir wissen, wie es geht. Dabei sein ist alles!

KettenreAktion

Die Idee zu der Aktion entstand im Spätherbst 2009. In einem Newsletter wurden UnterstützerInnen von .ausgestrahlt zu ihrer Meinung von einer Menschenkette befragt. Die Antworten reichten von „Ihr spinnt” über „Größenwahnsinnig” bis „Interessant, aber schwierig” und „Super, bin dabei!” Überwiegend waren die Reaktionen positiv, sogar begeistert. Vorbild für die Aktion war die Menschenkette 1983 gegen die Pershing-Atomraketen zwischen Neu-Ulm und Stuttgart.

Jutta Freybe

Folgende Organisationen gehörten dem Trägerkreis KettenreAktion an:
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