(Gegenwind 261, Juni 2010)

Henning Nielsen

20 Jahre Carl-von-Ossieztky-Buchhandlung in Flensburg

„... auch die Herzensangelegenheiten der Szene pflegen”

Gegenwind:

Wie fing es vor 20 Jahren an?

Henning Nielsen:

Vor 20 Jahren gab es in Flensburg den Buchladen „Tigerberg”, unsere Flensburger linke, alternative Buchhandlung, eine 10-jährige konstante wenn auch immer arg krisengebeutelte Institution. Der Buchladen konnte nur mit größeren Krediten u.a. vom „Netzwerk” überleben. Um diese Zeit gab es einen Wechsel im Buchladen-Kollektiv. Die neuen Leute waren junge Autonome, überwiegend Schüler. Denen war der Laden sozusagen „vor die Füße geworfen” worden, sie hatten eine Einarbeitungszeit von gerade ein, zwei Wochen. Sie stellten allerdings fest, dass sie einen Laden übernommen hatten, der völlig überschuldet war. Von Büchern hatten sie kaum Ahnung, sie wussten deshalb nicht, wie sie aus den Schulden rauskommen sollten. Als ersten Schritt haben sie im Sommer 1989 versucht, daraus einen Plattenladen zu machen. Sie merkten aber schnell, dass man mit Platten noch weniger als mit Literatur verdienen kann. Sie haben es wieder rückgängig gemacht und dann tauchte in der „taz” im Herbst 1989 die Anzeige auf: „Buchladen zu verschenken”. Ich dachte, das kann nicht angehen. Es stand sonst nichts dabei, nur die Telefonnummer kam uns allen bekannt vor.

Es gab in den Tigerberg-Jahren die Konstruktion, dass auf der einen Seite das Laden-Kollektiv die Fäden in der Hand hielt, organisiert als eingetragener Verein, und es gab einen hin und wieder tagenden „Unterstützerkreis” aus der linken Szene. Dazu gehörten verschiedene Einzelpersonen und Mitglieder aus Initiativen, usw. Aus diesen Kreisen kam die Reaktion „Nein, verschenken, das geht nun gar nicht.” Es ging auch um praktische Fragen, dass dort z.B. Anwälte ihre Fortsetzungen drüber laufen hatten und keine Lust hatten, alles umzuorganisieren. Einer von ihnen sagte mir - ich war gerade arbeitslos: „Du musst jetzt Buchhändler werden.” Ich hatte auch keine fachliche Vorbildung, gehörte „nur” zum Unterstützerkreis. Ich habe dann in Hamburg in der „Gegenwind”-Buchhandlung ein paar Wochen ein Praktikum gemacht und mir einen Grundstock von Kenntnissen angeeignet, ein Konzept mit einigen Freunden entwickelt und bin dann ins kalte Wasser gesprungen. Wir haben eine Kommandit-Gesellschaft gegründet, die den „Tigerberg” übernommen hat. Einige haben mir damals geraten, weil der Laden so verschuldet war, ihn lieber pleite gehen zu lassen. Aber dann hätten wir die Räume nicht gekriegt, und das war damals aus unserer Sicht das Wichtigste. Der Laden hatte immerhin eine Nähe zur Einkaufsstraße, er hatte vorher schon verschiedene Standorte am Burgplatz und in der Norderstraße ausprobiert, das hatte alles erheblich größere Nachteile. Wir waren froh, dass wir so dicht dran waren.

Wir wollten eigentlich eine GmbH gründen, aber das dafür nötige Geld kriegten wir am Anfang nicht zusammen. Deshalb kam es zu einer Kommanditgesellschaft, die wesentlich undemokratischere Rechtsform: Die GesellschafterInnen geben ihr Geld, sonst haben sie mit den Abläufen wenig zu tun, und der Komplementär, der „persönlich haftende Gesellschafter” ist der Alleinentscheidende. Aber er ist auch der Dumme, wenn es schief geht.

Gegenwind:

Und das warst Du dann?

Henning Nielsen:

Ja. Unser Konzept sah vor, auf der einen Seite die politischen Ansprüche des „Tigerberg” nicht fallen zu lassen. Auf der anderen Seite wollten wir uns aber auch als normale Buchhandlung etablieren, uns die Möglichkeit erarbeiten, andere Kreise anzusprechen. Wir wollten Schulen und die Universität, damals noch die PH, als Kunden gewinnen, außerdem wollten wir für ein interessiertes literarisches Publikum eine Adresse werden. Es gab viele Hindernisse, weil es schwer war, vom alten engen „Szene”-Image loszukommen. Daher waren die ersten Jahre ein Hürdenlauf, bei Institutionen war Vertrauen verloren gegangen, um es mal so zu sagen. Wir haben bei der Uni unheimlich lange gekämpft, um von dort auch Bestellungen zu bekommen. Es kam damals ein neuer PH-Professor aus Würzburg, sehr engagiert, der wollte, dass seine Bücher bei uns bestellt werden. Es gibt zum Einstieg in diesen Einrichtungen immer einen größeren Sonderetat, aber die Leiterin der Bibliothek sagte, sie müsste sich den Laden erst mal angucken bevor sie dort bestellen würde. Aber er lag nie auf ihrem Heimweg, sie hat es nie geschafft, nur einen Blick hineinzuwerfen. Prof. B. erzählte, er sei noch nie so auf Granit gestoßen wie hier in Flensburg. Aber irgendwann trudelten „versuchweise” die ersten Aufträge ein, und seitdem sind wir ein normaler Lieferant wie andere auch.

Gegenwind:

Wie viele Jahre hat es gedauert, bis Du sicher warst, der Buchladen existiert wirklich?

Henning Nielsen:

Ende der 90-er Jahre haben wir besseres Fahrwasser erreicht, aber Flensburg ist und bleibt ein schwieriges Umfeld, es gibt eine vielfache, etablierte Konkurrenz, die auch nicht schläft und irgendwelche Nischen für uns übrig lässt. Die Lage in einer Nebenstrasse war ein weiteres Handicap. Wir sind seit zwei Jahren hier in der Fußgängerzone, anfangs sah es sehr rosig aus und wir haben damit umsatzmäßig einen enormen Sprung gemacht - leider jetzt auch in den Kosten. Seitdem hier eine Mieterhöhung wirksam ist, müssen wir wieder kämpfen. Wir werden ja auch alle nicht jünger, deshalb muss es einfach gehen, weil es keine Alternative mehr gibt. Heute ist es so, dass wir das Buchhandelsgeschäft zu zweit machen. Ich bin Geschäftsführer, Andrea ist hier angestellt. Wir sind beide immer noch sehr motiviert, die Lust auf die Literatur ist geblieben!

Laden der Carl-von-Ossieztky-Buchhandlung in Flensburg von außen

Aber in Flensburg ist alles sehr zentralisiert. Das geschäftliche Leben tobt dort hinten am Holm, und hier in der Großen Straße, der Fortsetzung passiert weniger bei einem enorm hohen Mietniveau. Seit der Sanierung der Fußgängerzone vor 2 Jahren ist dieser Teil der schönere Teil der Fußgängerzone, im Sommer haben wir mehr Touristen, weil es hier die besseren, netteren Cafés gibt. Aber die Hauptkundenströme konzentrieren sich auf das Zentrum, und das liegt ein paar Hundert Meter entfernt. Und alle können alles bedienen: Wer ein Buch bestellen will, kann es überall bestellen, sie oder er muss es nicht in der „Carl-von-Ossietzky-Buchhandlung” bestellen.

Gegenwind:

Wie ist das zahlenmäßige Verhältnis zwischen Leuten aus der Szene, die bei Euch einkaufen, und Laufkundschaft oder Touristen, die zufällig hier rein geraten, wenn Du die Situation vor 20 Jahren mit heute vergleichst?

Henning Nielsen:

Wir sind aber immer der Buchladen für die alternative oder linke Szene geblieben. Wir sind auch stolz darauf, das zu sein und auch nach wie vor die Herzensangelegenheiten der Szene zu pflegen. Aber schon im Heiligengeistgang haben wir mehr von den Krimilesern gelebt als von denen, die politische Bücher haben wollten. Politik war am Umsatz immer ein verschwindender Anteil, selten über fünf Prozent. Wir haben immer weitaus mehr von literaturinteressierten Menschen gelebt und von Institutionen wie Schulen und Hochschulen. Heute haben wir durch die bessere Lage zusätzlich mehr Laufkundschaft. Es entdecken mehr Literaturinteressierte, dass wir das anspruchsvollere Programm anbieten. Und wir haben jetzt wie die Meldorfer seit zwei Jahren ein „Sommergeschäft” mit Touristen, das ist eine sehr erfreuliche, notwendige Entwicklung.

Gegenwind:

Welche Rolle spielen heute die Unterstützer der Buchhandlung?

Henning Nielsen:

Die sind zum großen Teil Gesellschafter geworden, aber das schon seit Jahren. Wir sind sehr froh, dass uns fast alle die Treue halten. Nur ganz wenige sind aus persönlichen Gründen ausgeschieden oder sind weggezogen. Unser nächstes Umfeld, unser Stammpublikum ist uns enorm wichtig, weil das unser Standbein ist, ohne die geht es nicht.

Gegenwind:

Aber die Gesellschafter sind politische Anteilseigner, also legen ihr Geld nicht wegen der Rendite an?

Henning Nielsen:

Genau sie haben ihr Geld hier angelegt, damit das Projekt existiert. Die Rendite hängt vom Jahresergebnis ab und da haben sie über die 20 Jahre eher zugesetzt.

Gegenwind:

Was macht die Buchhandlung denn außer Bücher zu verkaufen?

Henning Nielsen:

Nach wie vor organisieren wir Lesungen. Es hängt allerdings davon ab, was einem angeboten wird, welche Möglichkeiten sich ergeben. Lesungen sind für uns eine Werbemaßnahme, wir setzen dabei zu. Es gibt nur ganz wenige Veranstaltungen, aus denen wir plusminus Null herausgekommen sind, zum Beispiel früher mit Rafik Schami oder Dorothee Sölle, also mit bekannteren Autorinnen und Autoren. Zum Umzug haben wir vielleicht etwas zu anspruchsvolle literarische, politische Veranstaltungen mit Clemens Meyer und anderen gemacht. Die waren inhaltlich sehr gut, aber schlecht besucht. Auch eine politische Veranstaltung wie zum Beispiel mit Karl-Heinz Delwo ist kein Selbstgänger: Eine wunderbare Veranstaltung, aber leider kamen nur 10 Leute.

In den letzten Jahren fällt auf: Wir können nicht einfach nur eine Lesung machen, wir müssen daraus ein richtiges Event zelebrieren. Wir müssen etwas Unterhaltsames drum herum organisieren, es reicht für ein größeres Publikum nicht, wenn jemand „nur” liest.

Unser letztes Highlight war eine Lesung mit Edgar Hilsenrath. Wir hatten ihn bereits im Gründungsjahr 1990 ins „Volksbad” eingeladen, und 2008, ein halbes Jahr nach dem Umzug, haben wir ihn zusammen mit seinem Verleger wieder eingeladen. Er ist inzwischen sehr alt, aber sehr hellsichtig und sehr klar. Mit leiser Stimme, aber trotzdem sehr bestimmt hat er aus seinen jüngsten Werken vorgetragen. Diesmal hatten wir einen Sponsor gefunden, da sind wir finanziell solide ' rausgekommen, aber das ist die Ausnahme. Wir möchten gerne das machen, wozu wir auch Lust haben, aber das finanzielle Risiko ist nur schwer zu (er-)tragen: Zu unserem Jubiläum machen wir eine szenische Lesung mit zwei guten Schauspielern über das Leben von Erika und Klaus Mann, ich bin sicher das wird eine wunderbare Veranstaltung, aber ich fürchte auch: ein finanzielles Desaster.

Gegenwind:

Worin besteht heute das Politische am Laden?

Henning Nielsen:

Auf der einen Seite haben wir nach wie vor einen großen Bereich von aktueller politischer Literatur, also z.B. zur Finanzkrise, zur belasteten deutschen Vergangenheit, zum Thema Umwelt, zur Migration - alles was aktuell interessiert. Darüber hinaus haben wir Ansprüche an die „schöne Literatur”, die Romanen und Erzählungen. Wir führen natürlich auch „leichtere” Literatur, wobei die Bemessungsgrenze bei jedem anders ist. Der eine findet dieses unter Niveau, die andere jenes. Für einige sind schon Krimis an sich unter Niveau, das ist natürlich immer relativ. Wir sehen schon zu, dass unsere politischen Interessen sich auch in der Belletristik wieder finden lassen.

Gegenwind:

Gibt es spezielle Kontakte zu anderen Buchläden in Schleswig-Holstein, zum Beispiel Meldorf und Kiel?

Henning Nielsen:

Das ist alles eingeschlafen. Man kennt sich persönlich, aber es gibt keine speziellen Kontakte mehr, vielleicht liegt das auch daran, dass wir alle spezifische Bedingungen vor Ort haben, die sich nicht einfach vergleichen lassen. Wenn ich da bin, gucke ich gerne rein, aber das gilt generell für alle kleineren oder spezielleren Buchhandlungen.

Gegenwind:

Wie sind die Kontakte zu anderen Buchhandlungen in Flensburg? Seid Ihr Außenseiter oder seid Ihr als Kollegen akzeptiert?

Henning Nielsen:

Da gibt es keine Probleme. Überall haben Generationswechsel stattgefunden. Kontakte zu großen Häusern wie Weiland gibt es kaum, zu einzelnen Angestellten vielleicht und bei den alteingesessenen Läden kennt man sich gut.

Gegenwind:

Welche Bedeutung hat dieser Buchladen für die Szene?

Henning Nielsen:

Bei Aktionen ist dies natürlich die erste Anlaufadresse. Jetzt bei der Menschenkette von Krümmel nach Brunsbüttel gab es hier wie auch in den Bio-Läden die Busfahrkarten, aber die meisten Karten wurden hier verkauft. Auch bei Antifa-Demos, mit der Fördebande oder Antifa-Bündnissen, sind wir immer der Anlaufpunkt, wo die Busfahrkarten angeboten werden, zuletzt bei der Fahrt nach Dresden.

Gegenwind:

Wie sieht die Zukunft aus?

Henning Nielsen:

Je mehr die gegenwärtige Krise in den Alltag vorrückt, desto mehr berührt sie uns auch. Die Leute sind vorsichtiger, auch wenn sie aus meiner Sicht vielleicht das Geld hätten, gehen sie sorgfältiger mit ihrem Geld um. Man hört wieder öfter „Ich warte auf die Taschenbuch-Ausgabe.” Auch die öffentlichen Einrichtungen sind ein Problem. Studenten kaufen immer weniger Bücher, sie leben heute von „Skripten”, zusammenkopierten Readern und vom Internet. Und die Technik-Bereiche von der FH sind an uns schon immer vorbei gegangen, die haben die großen Buchhandlung schon immer besser bevorratet. Und dass eine Studentin, ein Student ein grundlegendes Buch zur Erziehungswissenschaft kauft, ist leider eher die Ausnahme geworden.

Gerade weil wir inzwischen gute Kontakte zur Zentralen Hochschulbibliothek haben, hat es für uns eine immense Bedeutung, wenn die neue Landesregierung die Uni zur PH zurückstufen würde.

Es gibt keine sichere Bank für die Zukunft. Und wie der Markt sich entwickelt, kann man auch nicht vorhersagen. Es bleibt schwierig.

Interview: Reinhard Pohl

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