(Gegenwind 261, Juni 2010)

Katja Urbatsch

Interview mit Katja Urbatsch

ArbeiterKind.de

Kernstück der Initiative Arbeiterkind.de ist ein Netzwerk von ehrenamtlich tätigen Mentoren, die Schüler nicht-akademischer Herkunft zum Studium ermutigen und bis zum erfolgreichen Studienabschluss unterstützen. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gibt es derartige Mentorenprogramme bereits in Kiel, Lübeck, Rostock und Greifswald.

Die Interviewpartnerin Katja Urbatsch ist Gründerin und Geschäftsführerin der Initiative ArbeiterKind.de. Sie studierte Nordamerikastudien, Betriebswirtschaftslehre sowie Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der Freien Universität Berlin und der Boston University. Derzeit promoviert sie an der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Gegenwind:

Was ist das „Arbeiterkind-Projekt”, was bezweckt es?

Katja Urbatsch:

Mit ArbeiterKind.de möchten wir Schülerinnen und Schüler aus nicht-akademischen Familien zum Studium ermutigen und auf dem Weg vom Studieneinstieg bis zum erfolgreichen Studienabschluss unterstützen. Auf unserer Internetseite können sich die Schüler zum Beispiel über die Vorteile eines Studiums und die hervorragenden Berufsperspektiven für Akademiker informieren. Außerdem werden verschiedene Möglichkeiten aufgezeigt, wie sich ein Studium finanzieren lässt. Neben dem BAföG werden auch Studierende nicht akademischer Herkunft vorgestellt, die sich erfolgreich um Stipendien beworben haben.

Über das Internetportal hinaus bauen wir ein bundesweites Netzwerk von Mentoren auf, die Schülern und Studierenden als Ansprechpartner mit Rat und Tat zur Seite stehen. Innerhalb von zwei Jahren konnten wir bereits über 1.300 ehrenamtliche Mentoren gewinnen, die sich in circa 70 lokalen Gruppen engagieren und beispielsweise Informationsveranstaltungen in Schulen durchführen. Eigentlich sind wir in allen größeren Hochschulstädten vertreten. Von dort aus versuchen wir dann auch immer mehr in den ländlichen Bereich vorzudringen. Erfreulicherweise melden sich täglich neue Mentoren an, daher sehe ich da noch viel Potenzial.

Mentoren bei Vorstellung des Projekts
Das sind drei Bochumer Mentoren bei einer Informations-veranstaltung in einer Bochumer Schule: (von links) Izabela Kolankowska, Christin Gerber, Oliver Klatt

Gegenwind:

In welchen Städten gibt es in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern bereits Mentoren?

Katja Urbatsch:

Dort sind wir bereits in Kiel, Lübeck, Rostock und Greifswald vertreten. Die Kieler Gruppe ist mit circa 20 Mentoren die größte, die anderen liegen jeweils so bei 5. Wir können dort also noch ordentlich Verstärkung gebrauchen.

Gegenwind:

Wie kamst Du auf die Idee, dieses Projekt zu starten?

Katja Urbatsch:

Mein Bruder und ich sind selbst die Ersten in meiner Familie, die studiert haben. Daher weiß ich aus eigener Erfahrung, welche Probleme und Gefühlslagen das sowohl in der Familie als auch an der Uni mit sich bringt. Bereits während meiner Studienzeit habe ich immer versucht, anderen Studenten Mut zu machen und zu unterstützen, zum Beispiel bei Stipendienbewerbungen oder Haus- und Abschlussarbeiten. Zum Ende meines Studiums kam ich dann auf die Idee, dass dieses Wissen mal auf eine Internetseite müsste.

Schüler bei einer Veranstaltung von ArbeiterKind.de
Schüler bei einer Veranstaltung von ArbeiterKind.de: Foto aus einer Hamburger Gesamtschule, wo ArbeiterKind.de das Projekt "Yes, You Can!", gefördert von der Körber-Stiftung, durchgeführt hat

Gegenwind:

Ist der Name dieses Projekts nicht etwas problematisch? Gibt es überhaupt noch den klassischen „Arbeiter”? Unterstellt er nicht zudem, dass Arbeiter generell bildungsfern sind und verkennt der Name nicht, dass Kinder von Arbeitslosen die meisten Aufstiegsschwierigkeiten haben und nicht Arbeiterkinder?

Katja Urbatsch:

Unsere Initiative richtet sich an alle Nicht-Akademikerkinder, unabhängig vom sozialen Hintergrund. Ich habe einfach ein anderes und vor allem positives Wort für „Nicht-Akademikerkind” gesucht und bin auf ArbeiterKind gekommen. Denn wie auch erneut die aktuelle Sozialerhebung des Studentenwerks zeigt, ist die Tatsache, ob die eigenen Eltern studiert haben, bei der Entscheidung für oder gegen ein Studium ausschlaggebend. Von 100 Akademikerkindern nehmen 71 ein Studium auf, von 100 Nicht-Akademikerkindern sind es aber nur 24, obwohl doppelt so viele das Abitur erreichen. Wir haben festgestellt und unsere Arbeit bestätigt dies, dass die Grundproblematik nicht vom finanziellen Hintergrund abhängt, sondern von der Tatsache, ob in der Familie schon jemand studiert hat oder nicht. Ist dies nicht der Fall, empfiehlt das Umfeld häufig eine Ausbildung, ist sehr unsicher und skeptisch bezüglich der Berufschancen von Akademikern und viele wissen nicht, wie BAföG ganz genau funktioniert und, dass es Stipendien gibt - inzwischen sogar speziell für Nicht-Akademikerkinder. Viele können sich das nicht vorstellen, aber auch in der Mittelschicht ist es nicht selbstverständlich, ein Studium aufzunehmen, wenn man die oder der Erste ist - auch, wenn es finanziell eigentlich machbar wäre. Das weiß ich aus eigener Erfahrung und deshalb habe ich ArbeiterKind.de gegründet.

Mentorenprogramm

Um möglichst viele Schüler zum Studium ermutigen und Studierenden zur Seite stehen zu können, sucht ArbeiterKind.de bundesweit weitere MentorInnen, die Schüler und Studierende auf dem Weg zu ihrem erfolgreichen Studienabschluss unterstützen. Ob Nicht-Akademikerkind oder Akademikerkind, ob Student, Doktorand oder im universitären oder außeruniversitären Bereich beruflich tätig, alle Mentoren sind herzlich willkommen und können sich engagieren. Darüber hinaus freut sich die Initiative über Einladungen von Schulen, um lokale Informationsveranstaltungen durchführen zu können. Interessenten können Mitglied im ArbeiterKind.de-Netzwerk werden oder eine E-Mail an urbatsch@arbeiterkind.de schreiben.

Gegenwind:

Glaubst Du, dass in Deutschland das zivilgesellschaftliche Engagement eine immer größere Rolle spielen wird und auch muss?

Katja Urbatsch:

Von der großen positiven Resonanz auf ArbeiterKind.de und den vielen Ehrenamtlichen, die bei uns mitmachen, bin ich immer noch überwältigt. Ich denke bürgerschaftliches Engagement ist sehr wichtig und trägt dazu bei, über den eigenen Tellerrand zu schauen, andere Lebenswirklichkeiten kennen zu lernen und gesellschaftliche Probleme zu erkennen und schließlich zu gesellschaftlichem Wandel beizutragen.

Gegenwind:

Was war das positivste Ereignis, das Du im Rahmen dieses Projekts bis jetzt erlebt hast

Katja Urbatsch:

Ein Ereignis kann ich da gar nicht herausgreifen. Auch nach zwei Jahren bin ich immer noch überwältigt, dass sich so viele wunderbare und hochmotivierte Menschen melden und einfach mitmachen und ArbeiterKind.de in ganz Deutschland mit so viel Leben erfüllen. Ich freue mich immer über Mails von Mentoren oder Schülern und Studenten, die sich für unsere Hilfe bedanken. Außerdem begleite ich selbst seit einem Jahr eine Studentin und das macht mir sehr viel Spaß.

Interview: Fiete Kalscheuer

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum