(Gegenwind 260, Mai 2010)

Hanna Poddig
Hanna Poddig / Quelle: Rothbuch-Verlag

Interview mit Hanna Poddig:

„... verantwortlich, was mit den Panzern passiert...”

Gegenwind:

Hanna, Du stehst in Husum und Flensburg, demnächst auch in Schleswig vor Gericht. Was hast Du getan?

Hanna Poddig:

Ich habe gemeinsam mit weiteren Aktivist_innen im Februar 2008 einen Transportzug der Bundeswehr gestoppt. Er war auf dem Weg, Material zu einem Manöver zu transportieren. Ich habe mich bei Ohrstedt in der Nähe von Husum an das Gleis gekettet. Es ging mir darum, in den normalen Ablauf des Militärs einzugreifen. Widerstand ist dann wirksam, wenn er Sand im Getriebe ist - einem Getriebe, das sonst reibungslos läuft. Ich habe damit auch Erfahrungen aus der Anti-AKW-Bewegung übertragen. Wir wissen, dass Transporte die Achillesferse in solchen Abläufen sind, Transporte sind angreifbar.

Gegenwind:

Ging es um einen bestimmten Transport? Oder ging es darum, eine Aktion gegen die Bundeswehr allgemein zu unternehmen?

Hanna Poddig:

Blockaden der Bundeswehr sind in meinen Augen immer sinnvoll. Das bloße Vorhandensein einer Organisation streng hierarchisch organisierter, bewaffneter Uniformierter, die mit Gewalt eine zutiefst ungerechte Weltwirtschaftsordnung verteidigen reicht als Grund für Widerstand schon vollkommen. Bei unserer Aktion 2008 ging es zudem um ein spezielles Manöver. Einheiten aus Husum und Stadum sollten in die „NATO Responce Force” aufgenommen werden, also Teil einer speziellen Einheit werden, die weltweit agieren soll. Sie versteckt sich nicht hinter der Behauptung, sie würden Schulen bauen oder Nahrungsmittel zu Kindern bringen, sondern es ist eine explizit militärische Einheit, die weltweit autark agieren können soll. Solch eine Übung ist eine Art Qualifizierung, also auch die Voraussetzung für die Aufnahme in diese militärische Einheit. Oder einfacher gesagt: Krieg fängt mit Üben an. Für dieses konkrete Manöver wurde eine Woche lang, immer nachts, Material transportiert. Wir haben diesen Transport gestoppt, und dadurch fiel der in der nächsten Nacht gleich mit aus.

Gegenwind:

Wie funktioniert eine solche Blockade technisch?

Hanna Poddig:

Ich liege auf den Schienen und unter diesen liegt ein Stahlrohr. In diesem Stahlrohr stecken meine Hände, die Handgelenke sind aneinander gekettet. So kann ich nicht ohne weiteres losgemacht werden. Das Ganze hat in der Nähe einer Weiche stattgefunden, an der der Transportzug ohnehin halten musste. Ich habe meine Hände nachdem der Zug hielt in das Stahlrohr gesteckt und mich angekettet, und andere haben dem Lokführer Bescheid gesagt, dass direkt vor ihm jemand auf den Schienen liegt. Die Leute, die den Zug begleitet haben, haben dann die Strecke gesperrt.

Es gibt auch noch deutlich aufwändigere Ankettkonstruktionen, mit denen Züge noch länger als bei unserer Aktion aufgehalten werden können, es hat z.B. auch schon Ankettaktionen an Betonblöcken unter den Schienen gegeben. Und natürlich ist es nicht nur an Schienen möglich, mit Ankettaktionen Abläufe zu stören und Widerstand zu leisten - auch Bäume, die gefällt werden sollten oder Felder auf denen Gentechnik angebaut werden sollte sind schon Anlass für Ankettaktionen gewesen. Ankettaktionen sind also ein Werkzeug, um Blockaden und Besetzungen schwerer räumbar und damit effektiver zu machen.

Gegenwind:

Wie ging es dann bei euch weiter?

Hanna Poddig:

Die Polizei ist gekommen, war aber offensichtlich überfordert. Zunächst meinten sie, sie hätten ja einen Bolzenschneider im Streifenwagen, in einigen Minuten wäre die Blockade zu Ende. Sie hatten offenbar noch keine solche Blockade erlebt. Dann kam immer mehr Polizei, Feuerwehr, Technisches Hilfswerk. Sie wussten aber auch nicht, was zu tun wäre. Schließlich kamen sie auf die Idee, die Schienen vor und hinter mir zu durchtrennen. Nachdem die Schienen durchgeflext waren, wurde ich mitsamt der Schiene hochgehoben und ausgefädelt. Die Polizei hat mich dann mit den zusammengeketteten Händen im Stahlrohr zur Wache gebracht und dort wurde das Stahlrohr aufgeflext.

In den Tagen nach der Aktion haben wir dann Infostände in der Innenstadt von Husum gemacht und da es in der Lokalzeitung einen großen Artikel gab, hatten auch viele Leute von der Aktion gehört und waren interessiert daran mit uns zu diskutieren. Wobei unsere Erfahrung ist, dass die meisten Menschen der Propaganda zum Thema Bundeswehr doch leider recht unkritisch glauben. Um an diesem Bild einer Armee, hinter der die Menschen geschlossen stehen, etwas zu rütteln, war unsere Aktion auf jeden Fall gut.

Hanna Poddig
Hanna Poddig / Quelle: Rothbuch-Verlag

Gegenwind:

Jetzt ist das erste Gerichtsverfahren in Flensburg zu Ende gegangen. Worum ging es?

Hanna Poddig:

Das war ein Zivilverfahren der Bahn. Sie hat von mir die Kosten der Schienenreparatur zurück verlangt, ungefähr 12.000 Euro. Die NOB, die auch diese Strecke benutzt, hat von mir die Kosten für den Schienenersatzverkehr, ungefähr 1000 Euro, verlangt, das ist aber vor Gericht noch nicht verhandelt. Solch ein Schadenersatzverfahren vor dem Landgericht ist relativ langweilig, weil die wichtigsten Punkte schriftlich abgewickelt werden. Die Bahn begründet, warum sie Geld haben will, ich widerspreche, und dann gehen Zettel hin und her. Es gab einen Verhandlungstag und einen Tag für die Urteilsverkündung.

Wir haben aber trotzdem viele Aktionen rundherum gemacht, ein Straßentheater, dann eine alternative Urteilsverkündung. Außerdem ist ein „Freundeskreis Bundeswehr” dort aufgetreten, der mit Sekt gefeiert hat, dass das Landgericht endlich für freie Bahn für Militär und Waffentransporte sorgt. Diese Aktion hat nochmals die Rolle der Justiz als schützende Instanz für militärisches Handeln aufgezeigt. Solch ein Zivilprozess ist sehr berechenbar: Der Richter hatte schon meinen Antrag auf Prozesskostenhilfe abgelehnt, und zwar mit der Begründung, ich hätte sowieso keine Chance. Da es der gleiche Richter ist, der auch das Urteil schreibt, ist der Ausgang dann klar und so überraschte es mich nicht, dass der Richter mich verurteilte.

Gegenwind:

Wie willst Du damit weiter umgehen?

Hanna Poddig:

Ich habe Rechtsmittel eingelegt, es wird also eine neue Verhandlung vor dem Oberlandesgericht in Schleswig geben. Ich werde versuchen, im Rahmen dieser Verfahren immer wieder auf die Rolle der Bahn als von Kriegen profitierender Dienstleister für das Militär einzugehen. Unternehmen sind verantwortlich für das, was sie tun, die Bahn ist also mitverantwortlich für das, was mit den Panzern passiert, die sie transportiert.

Die Verurteilung haben wir zum Anlass genommen, zu einem bundesweiten Aktionstag gegen die Politik der Bahn aufzurufen. In zahlreichen Städten hat es am Tag nach der Urteilsverkündung Aktionen an Bahnhöfen und in Zügen gegeben, um eine bessere Bahnpolitik zu fordern. Dabei ging es nicht nur um die Rolle der Bahn als Militärdienstleister, sondern auch um Atomtransporte, Privatisierungspläne und verfehlte Fahrpreispolitik.

Gegenwind:

Es gibt ja nicht nur diese Zivilverfahren, sondern auch Strafverfahren in Husum. Was wird Dir und Euch vorgeworfen?

Hanna Poddig:

Insgesamt gibt es zur Zeit Verfahren gegen vier Personen. Es ging ein bisschen hin und her, weil die Staatsanwaltschaft nicht sofort wusste, was sie anklagen will. Es gab einen Knallkörper auf den Gleisen, deshalb wurde auch ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz erwogen. Aber letztlich geht es jetzt um Nötigung und Störung öffentlicher Betriebe, zumindest bei mir, bei den drei anderen um Beihilfe dazu.

Im Dezember 2009 gab es einen Verhandlungstag vor dem Amtsgericht Husum, aber offensichtlich wusste der Richter nicht so genau, was da auf ihn zukommen würde. Wir haben eine ganze Aktionswoche rund um den Tag organisiert, also eine antimilitaristische Fahrradtour, Straßentheater, Kundgebungen und so weiter. Erfreulicherweise kam es in der gesamten Husumer Innenstadt im Vorfeld bereits zu vielen solidarischen Aktionen, die sich auf den Prozess bezogen. Es gab Banner an Häusern und Bäumen, Plakate und Adbustings, also veränderte Werbeplakate - das hat mir sehr geholfen, selbstbewusst in die Verhandlung zu starten.

Mit der dadurch mobilisierten Öffentlichkeit und mit Konfetti und Luftballons im Gerichtssaal war der Richter so überfordert, dass er in der Mittagspause Polizei anforderte. Die war dann da, wusste aber auch nicht, was sie genau machen sollte. Wir haben beantragt, dass die Polizei ohne Waffen teilnimmt, das wurde abgelehnt. Zur Begründung sagte der Richter, er könnte auf unsere Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen. Meine Anwälte könnten ja gehen, wenn sie damit Probleme hätten. Damit gab er meines Erachtens zu erkennen, dass er kein Interesse an einer fairen Verteidigung hat, deshalb habe ich dann einen Befangenheitsantrag formuliert. Daraufhin wurde die Verhandlung erstmal ausgesetzt, das war kurz vor Weihnachten. Es war absehbar, dass die Pause dann zu lang wird, um den Prozess fortzusetzen, weshalb er nun komplett wiederholt wird.

Es wird am 26.5, 28.5. und 3.6. jeweils um 9.00 Uhr erneut verhandelt werden. Wir freuen uns, wenn wieder jede Menge kreative und aufmüpfige Menschen teilnehmen.

Gegenwind:

Was erwartest du von den Prozessen?

Hanna Poddig:

Gerichte produzieren Urteile wie am Fließband. Dieser Versuch ist bei mir gescheitert und ich möchte es der Justiz auch in Zukunft möglichst schwer machen, mich zu verurteilen. Ich mache mir aber keine Illusionen, was die Rolle der Gerichte angeht. Die Justiz ist dazu da, dafür zu sorgen dass alles so bleibt wie es ist. Als Institution sind Gerichte dazu da, das Verhalten einiger privilegierter Menschen zu decken und vor wirksamer Kritik und das System vor Veränderung zu bewahren. Somit ist Justiz alles andere als neutral und weil ich mit meinen Aktionen ja für Veränderung eintrete, komme ich nahezu automatisch in Konflikt mit Gerichten. Ich erwarte keine Gerechtigkeit, sondern sehe vielmehr in den Prozessen die Chance, die Rolle von Gerichten in dieser Gesellschaft zu beleuchten und in die Öffentlichkeit zu zerren. Selbst wenn dann am Ende eine Verurteilung steht, gehe ich politisch als Siegerin aus den Prozessen - das ist mir wichtig. Repression soll schließlich einschüchtern und Menschen vereinzeln - wenn das also bei mir nicht klappt, hat die Justiz ihr Ziel nicht erreicht.

Blockade 2008
Blockade 2008

Gegenwind:

Kannst Du einschätzen, wie erfolgreich eure Aktion war oder ist?

Hanna Poddig:

Es ist immer schwer, solch einen Erfolg zu messen. 2008 war das Interesse der Medien eher gering. Heute wird häufiger in den Zeitungen über deutsche Soldaten in Afghanistan berichtet, über afghanische Tote und tote deutsche Soldaten. Insgesamt hat die kritische Berichterstattung und auch die öffentliche Debatte um die Rolle der Bundeswehr sowie das Interesse an Protesten wie unserem zugenommen. Das ist ein Erfolg antimilitaristischen Widerstands wozu natürlich auch noch viele andere Aktionen zählen: Totalverweigerer wie Jan-Patrick aus Flensburg, Störungen von öffentlichen Gelöbnissen, kritische Begleitung von Propagandakonzerten, Sabotage an Kriegsmaterial, Go-in-Aktionen auf Militärgelände z.B. in Büchel etc. Die Vielfalt an Aktionsmöglichkeiten zeigt Menschen, dass es möglich ist, aus der Passivität auszubrechen. Wenn ich von Aktionen andernorts höre, stärkt das auch meine Motivation, aktiv zu werden und ich hoffe eben, dass es anderen Menschen durch unsere Aktion ähnlich ging.

Gegenwind:

Siehst du dich in deiner politischen Arbeit also primär als Antimilitaristin?

Hanna Poddig:

Ich bin über Ökologiethemen politisiert worden. Kämpfe gegen Autobahnen, Atomkraftwerke und Gentechnik haben mich relativ früh geprägt. Heute bin ich zu vielen Themen aktiv und Antimilitarsimus ist eben eines davon. Das verbindende Element all dieser Aktivitäten ist ein emanzipatorischer Ansatz, also der Kampf für eine Welt, die den Bedürfnissen der darauf lebenden Individuen entspricht und wo Abläufe von freien Menschen in freien Vereinbarungen immer wieder neu ausgehandelt werden. Da passen herrschaftsförmige Gewaltapparate, Staaten und andere Zwangskollektive schlicht nicht hinein. Ich wende mich mit meinen Aktionen also auch nicht appellierend an die Politik, sondern versuche in die Vorgänge, die mich stören, direkt einzugreifen. Weil ich Menschen befähigen möchte, möglichst selbstbestimmt zu agieren, verbringe ich neben der Auseinandersetzung mit Gentechnik, Justiz, Atomkraft und Militär auch Zeit damit, Workshops und Trainings zu geben, um mein Aktionstechnik-Wissen an andere weiterzugeben.

Gegenwind:

Welche konkreten Möglichkeiten, aktiv zu werden gibt es für Menschen, die sich nicht gleich an Schienen ketten wollen?

Hanna Poddig:

Aktionen entfalten dann besonders große Wirkung, wenn möglichst viele, verschiedene Aktionsformen gemischt werden. Und weil gerade die Mischung so effektiv ist, gibt es sicherlich auch für alle Menschen, die etwas tun wollen eine passende Aktionsform. Flugblätter verteilen und verstecktes Theater spielen, Leserbriefe schreiben, Kriegsdenkmäler rosa anmalen, Propaganda-Werbung verändern und enttarnen, Militäreinrichtungen blockieren, Gelöbnisse stören, Werbeveranstaltungen an Schulen und Arbeitsämtern angreifen, direkte Sabotage an Kriegsmaterial - der Kreativität sind an dieser Stelle keine Grenzen gesetzt.

Interview: Reinhard Pohl

Kontakt zu Hanna Poddig: redaktion-husuma@gmx.de
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