(Gegenwind 256, Januar 2010)

Robert Habeck

LANDTAG Schleswig-Holstein

"Ich rechne damit, dass die neues Landesregierung noch schlechter sein wird als die alte."

Robert Habeck ist der Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90 / Die Grünen im Landtag. Die Fraktion ist von vier auf zwölf Abgeordnete gewachsen.

Gegenwind:

Die Grünen sind jetzt als Landtagsfraktion dreimal so groß wie vor den Wahlen. Was ändert sich dadurch?

Robert Habeck:

Spürbar ist, dass wir eine größere Außenwirkung haben. Wir können viel mehr Termine wahrnehmen und auch zu Verbänden gehen, die wir vorher einfach nicht besuchen konnten. Das fängt bei kommunalpolitischen Vereinigungen und Gemeindetagen auf kommunaler Ebene an und hört bei Treffen am Hamburger Rand oder mit den Kirchen auf. Innerhalb der Fraktion ist es so, dass die Arbeitsbereiche noch intensiver ausgefüllt werden. Das bedeutet natürlich auch, dass alle Sitzungen länger dauern und die Koordinationsarbeit des Vorsitzenden ein Stück komplizierter ist. Aber das wird gerne in Kauf genommen, weil sich die politische Arbeit ja auch mindestens um den Faktor drei erhöht hat.

Gegenwind:

Die Fraktion ist ja nicht nur ein Gremium aus 12 Abgeordneten, sondern mit den Angestellten eine richtige Firma. Wie groß ist die Fraktion als Betrieb? Und wie lange dauert es, bis der Betrieb funktioniert?

Robert Habeck:

Zu den zwölf Abgeordneten kommt ungefähr die doppelte Anzahl an Referentinnen und Referenten, Pressesprecherin und so weiter hinzu. Es schwankt ein bisschen, weil wir auch studentische Hilfskräfte haben, und da sind mal mehr und mal weniger da. Das war in der Einspielphase sehr zeitintensiv, bis alle sich gefunden haben. Wir haben innerhalb des Landeshauses auch die Räume gewechselt, das musste alles eingerichtet werden. Hier musste man die Kaffeemaschine erst mal suchen, vorher wusste man, wo sie stand. Es gab eine neue fachliche Aufteilung, und einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben jetzt zwei oder drei Abgeordnete, denen sie zuarbeiten. Das hat viele Gespräche gebraucht, aber seit Mitte November sind wir voll im Gange.

Gegenwind:

Wie sind die Unterschiede bezogen auf das Parlament? Wir hatten die letzten vier Jahre eine große Koalition, und es entstand manchmal der Eindruck, dass viele Abgeordnete im Parlament Entscheidungen der Regierung nur noch abnickten. Jetzt ist die Regierung kleiner und knapper, was die Zahl der Abgeordneten der Regierungsparteien betrifft. Erhöht das die Bedeutung des Parlaments?

Robert Habeck:

Vor allem ist die Regierung jetzt eine schwarz-gelbe, und dadurch verschiebt sich die politische Gewichtung zu Ungunsten einer progressiven, aufklärerischen, emanzipativen Politik. Es ist eine Regierung, die die Mehrheit nicht hätte bekommen sollen, und sie ja eigentlich auch nicht hat. Aber auffällig ist tatsächlich, dass das Parlament jetzt eine starke Opposition hat, die Linke ist neu dazu gekommen, die kleinen Parteien sind stärker geworden. Dadurch gibt es eine lebhaftere Debatte und eine neue Streitkultur. Ich war in der letzten Periode nicht dabei, aber ich höre überall, endlich ist mal wieder Stimmung im Haus. Es sind eben zwei ungefähr gleich starke Gruppen, die sich gegenüber sitzen. Die eigentlich spannende Frage, die eigentliche Dynamik ist aber gar nicht "linker Block - rechter Block", sondern was passiert zwischen den Blöcken. Was passiert zwischen FDP und CDU oder innerhalb der CDU? Wo stimmen die Grünen nicht mit der SPD überein oder der SSW nicht mit den Linken? Es gibt die eine Dynamik schwarz-gelb gegen alle anderen, das ist offensichtlich. Aber spannend ist für mich auch, was sich auf der Oppositionsseite tut. Noch spannender, weil es da auch zu Irritationen kommen wird, was ich erwarte: Was tut sich auf schwarz-gelber Seite innerhalb des Regierungsbündnisses?

Gegenwind:

Du sagst Schwarz-Gelb gegen alle anderen: In welchen Positionen könnte es dazu kommen, dass auch alle anderen gegen Schwarz-Gelb stehen? Ist eine Koalition in der Opposition zumindest in einigen Punkten denkbar und planbar?

Robert Habeck:

Das hat die letzte Landtagssitzung schon gezeigt. Alle Fraktionen arbeiten für sich, das ist so. Auch die letzte Legislatur hallt nach. Da haben die Grünen mit der FDP in Finanzfragen, z.B. bei der HSH Nordbank gut zusammengearbeitet. Es gab teilweise die Erwartung, dass es so weiter geht. Da sind wir enttäuscht worden, die FDP ist regierungstragend und damit auch HSH-Nordbank-tragend geworden. Natürlich gab es auch ein Fremdeln gegenüber der von der SPD mitverantworteten Politik aus der letzten Legislatur. In Brunsbüttel wurden die Flächen für die geplanten Kohlekraftwerke verkauft, beim Straßenbau gab es falsche Beschlüsse - es gibt Punkte, in denen keine Koalition in der Opposition möglich ist. Gleichwohl ist es so, dass es in der politischen Ausgangsformation vier linke Parteien gibt. Wenn die grobe gesellschaftliche Schlachtlinie für oder gegen Privatisierung und Rückzug aus der Gemeinverantwortung des Staates, dann gibt es vier Parteien, die das nicht bejahen, und die sitzen links von der Regierung. Deshalb sehe ich auch die Gemeinsamkeit bei den sozialen, gesundheitspolitischen und wahrscheinlich auch Bildungsfragen.. Da sehe ich wenig Differenzen auf der linken Seite des Parlaments.

Gegenwind:

Wenn wir uns die Haushaltslage angucken und die darüber schwebende HSH-Nordbank, die jederzeit runterfallen kann - welche Möglichkeiten gibt es überhaupt? Worüber kann man sich realistischerweise streiten?

Robert Habeck:

Ich halte es für unmöglich, dass das Land allein durch Sparen oder auch durch Politik-Verzicht den Haushalt sanieren könnte. Wir haben es nachgerechnet: Weder durch Stellenabbau, schon gar nicht durch Kürzungen bei Vereinen und Verbänden ist der Haushalt zu sanieren. Letztlich muss man sich eingestehen, dass das nur bundespolitische Instrumente können. Das heißt, wir müssen von den Altschulden runter. Das ist die einzige Lösung für das Land. Wenn wir die Altschulden nicht hätten, müssten wir nicht jedes Jahr eine Milliarde an Zinsen bezahlen. Wir haben ein strukturelles Defizit, das vor der Weltwirtschaftskrise 800 Millionen Euro im Jahr betrug, ohne diese eine Milliarde Schuldendienst hätten wir nicht üppig Geld, aber wir könnten frei atmen. Wir müssen also die Schulden loswerden, und dazu müssen wir mit dem Bund verhandeln. Was man bei den Banken gemacht hat, das muss für das Land auch gelten. Mit diesen Mittelstreichungen bei Vereinen und Verbänden gefährdet man den sozialen Frieden und hat doch keinen Effekt im Haushalt. Es ist lächerlich zu glauben, dass man bei Frauenhäusern und Umweltverbänden das Geld holen kann, das man dann für große Projekte und falsche Strukturen raushaut.

Gegenwind:

Was können jetzt denn die verschiedenen Bewegungen - Umweltverbände, Frauenhäuser, Flüchtlingshilfe - von den Grünen erwarten? Was erwartest Du von der Regierung in diesem Bereich? Können die Grünen etwas retten, was die Regierung streichen will?

Robert Habeck:

Wir würden das gerne, und wir kämpfen für die Einsicht, dass man bei den Kürzungen für die Verbände keine relevanten Summen zusammen bekommt. Alle Zuschüsse für Vereine und Verbände sind ja jetzt schon auf Kante genäht, wenn man da nur 10 Prozent wegnimmt, sind die praktisch nicht mehr handlungsfähig. Und für das Land bringt es ganz wenig. Das muss man der Regierung klarmachen, dass sie nicht immer an den kleinen Schrauben rumfingern, sondern endlich einmal das große Rad drehen soll. Das große Rad drehen, das habe ich eben schon beschrieben, bedeutet von den Altschulden runterzukommen. Bei dem Abwehrkampf, die Umweltverbände und die kleineren Vereine zu schützen, mache ich mir nicht viele Illusionen. Natürlich wollen wir das gerne, wir werden im Parlament dafür kämpfen, und auch die Partei wird das sicherlich öffentlich und auf der Straße machen. Aber weil die schwarz-gelbe Regierung ja gesagt hat, sie sei die einzige, die sparen könne, sie es aber in Wahrheit nicht können - auch die Bundesregierung schießt ihnen ja vieles kaputt -, befürchte ich, dass sie als Symbolpolitik genau das Kläglichste machen. Sie werden Blut, Schweiß und Tränen auf niedrigstem Niveau verkünden und dann stark in die Verbände und Vereine, in die kulturelle Szene reingreifen. Das ist allein die Simulation von Politik und Entschlossenheit.

Gegenwind:

Was sollen die Schwerpunkte der Grünen in den nächsten fünf Jahren sein? Vor zehn oder fünfzehn Jahren haben die Grünen alleine gefordert, hundert Prozent der Energie soll regenerativ erzeugt werden, jetzt steht das im Koalitionsvertrag der Regierung drin. Bleibt für die Grünen noch was übrig?

Robert Habeck:

Da muss man sauber lesen, was sie geschrieben haben. Sie sagen hundert Prozent des in Schleswig-Holstein verbrauchten Stroms, das heißt nicht den Verzicht auf fossile oder Atomenergie. Das heißt, der regenerative Strom soll oben drauf kommen, das Land soll sich nicht selbst aus regenerativer Energie versorgen. Das wäre schön, das wäre auch anspruchsvoll, aber die Formulierung im Koalitionsvertrag ist im Grunde genommen nur die Ankündigung, die Offshore-Energie anzuschließen, und dann will man noch die Windmühlen repowern, aber damit hat man natürlich keinen Strukturwandel. Sie wollen ja Brunsbüttel ausbauen mit vier großen Kohlekraftwerken. Die AKW sollen weiter laufen, wenn ich die schwarz-gelben Bundespläne richtig interpretiere. In der Energiepolitik haben die zurzeit alle Kreide gefressen, aber wir werden ein Roll-back erleben, und wir werden eine Renaissance der Klimabewegung brauchen. Wir erleben das jetzt anlässlich der Konferenz in Kopenhagen. Ich finde die Mobilisierung enorm, und die muss danach weitergehen, sonst werden wir den Kampf verlieren.

Der zweite Bereich, in dem wir einen Schwerpunkt setzen, ist die Bildungspolitik. Das strahlt auch aus in den Bereich der sozialen Gerechtigkeit. Die Schulreform der großen Koalition war nicht überall wirklich gut, war auch widersprüchlich, wenn ich an die Profiloberstufe denke oder G8, aber was da jetzt zwischen den Zeilen zu lesen ist, ist ein komplettes Zurückdrehen und das Verlassen der Idee vom längeren gemeinsamen Lernen. Man hätte es schneller, besser und mutiger anpacken können, aber immerhin hat man sich ein bisschen nach vorne bewegt. Und jetzt versucht man es abzuwickeln. Man will nicht nur eine Zweigliedrigkeit erreichen, sondern eine Achtgliedrigkeit. Wir müssen deutlich machen, dass es keinen Leistungsverzicht bedeutet, wenn man Schülerinnen und Schüler länger gemeinsam lernen lässt, sondern dass es eine bessere, eine solidarischere Form von Leistungserwerb ist.

Gegenwind:

Rechnest Du damit, dass die Regierung jetzt versucht, die Bildungsreform zurück zu drehen?

Robert Habeck:

Ja. Ich bin mir nicht sicher, ob sie die Realschule wieder eingeführt bekommt, die Unterschriftensammlung läuft schleppend. Außerdem bedeutet das ja, dass auch die Hauptschule wieder eingeführt wird. Die Bildungslandschaft würde völlig heterogen gestaltet. Ich denke aber, die FDP hat im Wahlkampf den Mund zu voll genommen und allen alles versprochen, vermutlich glaubt sie an diese Rückentwicklung dabei selber gar nicht. Ich befürchte aber, dass sie innerhalb der Gemeinschaftsschulen ihre Blocks und Stopper einbauen. Die Gemeinschaftsschulen werden wahrscheinlich kaum gymnasiale Oberstufen bekommen, das ist aber das, was sie brauchen, damit der Weg weiter geht nach der 10. Klasse. Die Binnendifferenzierung werden sie ablösen zugunsten einer externen Differenzierung, sie werden innerhalb der Gemeinschaftsschulen Klassen nach Leistung sortieren, verschiedene Abschlüsse einführen. Das heißt dann noch äußerlich Gemeinschaftsschule, aber mit Hauptschulabschluss, Realschulabschluss und Erschwernis für die, die Abitur machen wollen. Sie werden die Struktur beibehalten, aber sie aushöhlen.

Gegenwind:

Jetzt haben die Grünen noch zwei andere Baustellen, beide beim neuen Landesverfassungsgericht. Die Grünen beklagen die Ämterstruktur, dann die Interpretation des Wahlergebnisses. Was erwartest Du bei diesen beiden Verfahren?

Robert Habeck:

Ich bin erst mal stolz darauf, dass wir mit dem SSW zusammen als einzige Fraktionen die Rechtskonformität einiger politischer Praxen überprüfen lassen.

Was das Normenkontrollverfahren gegen die Ämter angeht, bin ich zuversichtlich, dass das Gericht so entscheiden wird, dass sie sagen, die politische Legitimation muss dort erfolgen, wo auch die politischen Entscheidungen fallen. Das ist ja der Kern der Klage. Die CDU versteckt sich hinter der Behauptung, "alles ist gut", die kommunale Basis muss so bleiben wie sie ist. Die CDU behauptet, die Grünen wollten die kommunalen Strukturen aushöhlen oder zerschlagen. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man eine kommunale Struktur hat, wo nichts mehr entschieden wird, aber dafür die Zwischenstrukturen der Ämter und Zweckverbände, die nicht direkt demokratisch legitimiert sind, wohin nur Bürgermeister entsandt werden, dann ist das intransparent. Die Gemeinderäte sind auf den Goodwill der Entscheidungsträger angewiesen, sie zu informieren. In der Regel sind die Beschlüsse schon gefasst, und danach wird berichtet. Das muss geändert werden, und ich bin mir ziemlich sicher, dass das Landesverfassungsgericht das auch so anmahnen wird. Das wird eine gewaltige Diskussion in Schleswig-Holstein nach sich ziehen, wie es auf der Verwaltungsstruktur-Ebene weitergehen wird.

Beim Landeswahlgesetz bin ich auch zuversichtlich, dass das Landesverfassungsgericht sagen wird, das Wahlrecht, nach dem ausgezählt wird, entspricht nicht den Vorgaben der Landesverfassung. Ich glaube allerdings, dass die aktuelle Wahlprüfung, das angewendete Wahlrecht, Vorrang bekommt, dass die Legitimität der Landesregierung, also der aktuellen Mehrheit, nicht in Frage gestellt wird, die aktuelle Anwendung des Wahlrechts also nachrangig behandelt wird.

Gegenwind:

Du rechnest also damit, dass die neue Regierung fünf Jahre im Amt bleibt?

Robert Habeck:

Ja, damit rechne ich. Neuwahlen wären kaum zu vermitteln. Die beiden Fraktionen und Parteien haben sich aufeinander eingeschworen. Ich rechne aber damit, wie man jetzt schon sieht, dass die neue Landesregierung noch schlechter sein wird als die alte. Und das war schon die schlechteste, die Schleswig-Holstein bis jetzt hatte. Das Grundproblem ist, dass sie glauben, sie könnten Politik so gestalten, wie es vielleicht 1980 noch möglich war. Damals gab es volle Kassen und keinen Druck, Strukturen zu verändern. Man will alles im kleinen Schleswig-Holstein belassen, die europäische, die Bundesebene, Steuergesetze und Gesundheitsfonds interessiert sie nicht. Die Verwobenheit und Dynamik im politischen System haben sie sich nicht deutlich gemacht, und deshalb werden wir eine ganz schlechte Regierung bekommen. Da sie es sich aber nicht leisten kann zu scheitern, werden sie fünf Jahre zusammen kleben.

Interview: Reinhard Pohl

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