(Gegenwind 254, November 2009)
Die Landtagswahl ging am 27. September um 18 Uhr zu Ende, die Auszählung und Feststellung des vorläufigen amtlichen Endergebnisses dauerte noch bis nach 3 Uhr nachts. Grund dafür war nicht nur die am gleichen Termin stattfindende Bundestagswahl. Es ging vor allem um die Berechnung der Landtagssitze. Das Ergebnis der Landeswahlleiterin: CDU und FDP haben zwar rund 27.000 Stimmen weniger als die vier anderen Landtagsparteien erhalten, sollen aber drei Sitze mehr haben. Schuld daran ist das Landeswahlgesetz von 1991 und dessen Interpretation. Wenn der Konflikt von den Parteien nicht gelöst wird, geht er vor Gericht.
In Schleswig-Holstein waren 2.224.100 Menschen stimmberechtigt. Von ihnen gaben 1.636.373 ihre Stimme ab (73,5 Prozent), von diesen waren 1.603.374 gültige Zweitstimmen.
Partei | 2009 | 2005 |
---|---|---|
CDU | 505.612 | 576.095 |
SPD | 407.643 | 554.879 |
FDP | 239.338 | 94.935 |
Grüne | 199.367 | 89.387 |
Linke | 95.732 | 11.392 |
SSW | 69.703 | 51.920 |
Die 69 Sitze im Landtag werden jetzt nach dem System verteilt, das d'Hondt (Belgien) entwickelt hat. Danach bekommt die Partei mit den meisten Stimmen den 1. Sitz im Landtag, danach wird ihre Stimmenzahl durch zwei geteilt. Danach bekommt die Partei mit den meisten Stimmen den 2. Sitz, deren Stimmzahl wird dann auch durch zwei geteilt. Bekommt die stärkste Partei danach wieder einen Sitz, wird ihre Stimmzahl anschließen durch drei geteilt.
Dieses System begünstigt große Parteien - schlicht und einfach, weil diese "zuerst" dran sind, einen zu verteilenden Sitz zu bekommen, während die kleineren Parteien noch gar nicht betrachtet werden.
Für die Landtagswahl 2009 bedeutet dies:
So geht es dann weiter, der 6. Sitz geht an die Grünen, der 7. an die CDU, der 8. an die SPD, der 9. wieder an die CDU.
Die Linke kommt ab dem 14. Sitz ins Spiel, der SSW erst ab dem 19. Sitz.
Nach Abschluss des Verfahrens sind die 69 Sitze dann verteilt:
CDU | 23 Sitze |
FDP | 11 Sitze |
schwarz-gelb zusammen 34 Sitze
SPD | 19 Sitze |
Grüne | 9 Sitze |
Linke | 4 Sitze |
SSW | 3 Sitze |
vier Oppositionsparteien zusammen 35 Sitze.
So weit, so gut: Der Stimmenvorsprung von rund 27.000 Stimmen wäre dann im Landtag entsprechend mit einem Sitz Mehrheit umgesetzt worden, wobei für das 69. Landtagsmandat rechnerisch 21.455 SPD-Stimmen ausschlaggebend waren.
In den 40 Wahlkreisen ist jeweils die Kandidatin oder der Kandidat gewählt, die/der die Mehrheit der Stimmen bekommen hat. Das kann durchaus knapp sein, 30 Prozent gegenüber 29 Prozent (bei zusammen 41 Prozent für alle übrigen) würde reichen.
Die SPD hat in sechs Wahlkreisen (Kiel und Lübeck) gewonnen, die CDU in 34 Wahlkreisen. Und damit haben wir ein Problem: Die CDU soll eigentlich nur 23 Abgeordnete bekommen, es sind aber 34 gewählt worden, denen ihr Mandat nicht weggenommen werden darf.
Was macht die Landeswahlleiterin? Sie guckt ins Landeswahlgesetz, § 3, Absatz 3:
"Ist die Anzahl der in den Wahlkreisen für eine Partei gewählten Bewerberinnen und Bewerber größer als ihr verhältnismäßiger Sitzanteil, so verbleiben ihr die darüber hinausgehenden Sitze (Mehrsitze). In diesem Fall sind auf die nach Absatz 3 Satz 2 und 3 noch nicht berücksichtigten nächstfolgenden Höchstzahlen so lange weitere Sitze zu verteilen und nach Absatz 3 zu besetzen, bis der letzte Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Sitzanteil gedeckt ist. Die Anzahl der weiteren Sitze darf dabei jedoch das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze nicht übersteigen. Ist die nach den Sätzen 1 bis 3 erhöhte Gesamtsitzzahl eine gerade Zahl, so wird auf die noch nicht berücksichtigte nächstfolgende Höchstzahl ein zusätzlicher Sitz vergeben."Die CDU hat 11 Sitze mehr als ihr zustehen. Also werden nach d'Hondt noch mal 22 Sitze verteilt. Nach der regulären Verteilung der 69 Sitze blieben übrig:
CDU | 21.067 Stimmen (geteilt durch 24) |
SPD | 20.382 Stimmen (geteilt durch 20) |
FDP | 19.945 Stimmen (geteilt durch 12) |
Grüne | 19.937 Stimmen (geteilt durch 10) |
Linke | 19.146 Stimmen (geteilt durch 5) |
SSW | 17.426 Stimmen (geteilt durch 4) |
Wenn man jetzt 22 Sitze verteilt, ergeben sich für die CDU acht Sitze, für die SPD 6 Sitze, für die FDP 3 Sitze, für die Grünen 3 Sitze, für die Linke 1 Sitz und für den SSW 1 Sitz.
Der Landtag sieht jetzt so aus:
CDU | 31 Sitze |
FDP | 14 Sitze |
schwarz-gelb zusammen 45 Sitze
SPD | 25 Sitze |
Grüne | 12 Sitze |
Linke | 5 Sitze |
SSW | 4 Sitze |
4 Oppositionsparteien zusammen 46 Sitze.
Auch der Mehrsitzausgleich führt also dazu, dass der Vorsprung von 27.000 Stimmen einen Vorsprung von 1 Sitz im Landtag bedeutet.
Problem immer noch: Bei der CDU sind 34 Abgeordnete gewählt, aber der Partei stehen nur 31 Sitze zu.
Und jetzt sagt die Landeswahlleiterin: Die CDU behält alle 34 Sitze, ausgeglichen wird nicht mehr. Im Landeswahlgesetz steht zwar: "... bis der letzte Mehrsitz durch den verhältnismäßigen Sitzanteil gedeckt ist...". Das ist nicht der Fall, das Gesetz also nicht eingehalten. Aber es steht eben auch im Gesetz: "Die Anzahl der weiteren Sitze darf dabei jedoch das Doppelte der Anzahl der Mehrsitze nicht übersteigen." Mehrsitze sind 11, weitere Sitze 22 - also kann der erste Satz nicht eingehalten werden, weil der zweite Satz dem widerspricht.
Der Landtag sieht jetzt so aus:
CDU | 34 Sitze |
FDP | 14 Sitze |
schwarz-gelb haben zusammen 48 Sitze.
SPD | 25 Sitze |
Grüne | 12 Sitze |
Linke | 5 Sitze |
SSW | 4 Sitze |
die 4 Oppositionsparteien haben zusammen 46 Sitze, also trotz der rund 27.000 Stimmen mehr haben sie jetzt zwei Sitze weniger.
Jetzt kommt noch ein Satz aus dem Landeswahlgesetz ins Spiel: "Ist die nach den Sätzen 1 bis 3 erhöhte Gesamtsitzzahl eine gerade Zahl, so wird auf die noch nicht berücksichtigte nächstfolgende Höchstzahl ein zusätzlicher Sitz vergeben." Bisher haben wir 94 Abgeordnete im Landtag, 69 sind vorgesehen, 22 weitere Sitze sind verteilt, 3 nicht ausgeglichene Mehrsitze bleiben unausgeglichen.
Die Stimmen sehen jetzt so aus:
CDU | 15.800 (geteilt durch 32) |
SPD | 15.679 (geteilt durch 26) |
FDP | 15.956 (geteilt durch 15) |
Grüne | 15.336 (geteilt durch 13) |
Linke | 15.955 (geteilt durch 6) |
SSW | 13.941 (geteilt durch 5) |
Der 92. Landtagssitz geht also an die FDP, die in diesem Stadium der Auszählung eine Stimme Vorsprung vor der Linken hat. Hätte die Linke vier Stimmen mehr (landesweit), also 95.736, hätte sie jetzt bei Teilung durch sechs 15.956 Stimmen (und die FDP genau genommen 15.955,866 Stimmen, also weniger). Zusammen mit den drei nicht ausgeglichenen Mehrsitzen haben wir jetzt die Regierungsmehrheit von 49 gegenüber 46 Oppositionssitzen.
Würde man das Wahlgesetz anders auslegen, also alle Mehrsitze ausgleichen, auch wenn man mehr als 22 weitere Sitze verteilt, hätte das schwarz-gelbe Bündnis am Schluss 50 Sitze, die vier Oppositionsparteien zusammen 51 Sitze, im Landtag säßen 101 Abgeordnete.
Ein Blick in die Verfassung: In Artikel 10, Absatz 2 heißt es: "Ab der 16. Wahlperiode besteht der Landtag aus 69 Abgeordneten. Sie werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet. Die in Satz 1 genannte Zahl ändert sich nur, wenn Überhang- oder Ausgleichsmandate entstehen oder wenn Sitze leer bleiben. Das Nähere regelt ein Gesetz, das für den Fall des Entstehens von Überhangmandaten Ausgleichsmandate vorsehen muss." Dort steht nicht, dass die Ausgleichsmandate beschränkt sein dürfen und Überhangmandate einfach so die Mehrheit verändern. Das wird voraussichtlich das Verfassungsgericht zu klären haben.
Die echte Alternative lautet allerdings, die Zahl der Wahlkreise von 40 auf vielleicht 30 oder weniger zu reduzieren. Wenn die CDU nur 24 oder 25 Landtagsmandate direkt gewonnen hätte, wäre der Ausgleich von Mehrsitzen nicht das Problem - bei weniger drastischen Verlusten der SPD käme es gar nicht erst zu Mehrsitzen.
Wir hatten schon mal solch eine vergleichbare Wahl.
1992 bekam die SPD unter Björn Engholm 46,2 Prozent aller Stimmen.
die übrigen Parteien:
CDU | 33,8 Prozent |
DVU | 6,3 Prozent |
FDP | 5,6 Prozent |
SSW | 1,9 Prozent |
zusammen 47,6 Prozent
Da die SPD alle damals noch 45 Wahlkreise direkt gewonnen hatte, bekam sie 45 Abgeordnete. Die übrigen Parteien bekamen
CDU | 32 Sitze |
DVU | 6 Sitze |
FDP | 5 Sitze |
SSW | 1 Sitz |
zusammen 44 Sitze und damit einen Sitz weniger, obwohl sie mehr Stimmen hatten.
Da damals niemand gegen diese Sitzzuteilung klagte, hatte die Landeswahlleiterin diesmal keine andere Möglichkeit als die Sitze genauso zu verteilen.
Am 16. Oktober tagte der Landeswahlausschuss. Die Diskussionen drehten sich hauptsächlich um dieses Unstimmigkeit zwischen Wahlergebnis (Zweitstimmen) und Zusammensetzung des Landtages.
Die Landeswahlleiterin argumentierte, das Wahlgesetz sehe Erst- und Zweitstimmen vor, also eine Mischung aus Mehrheitswahl und Verhältniswahl. Und welche der beiden Wahlen den Ausschlag gibt, sei nicht festgelegt. Auf eine Diskussion über die Verfassung wollte sie sich nicht einlassen.
Die Linke brachte noch eine andere Frage auf: Das Ergebnis des Kreiswahlausschusses in Husum. Hier gab es in einem Bezirk ein sehr ungewöhnliches Auseinanderklaffen von vielen Erststimmen und nur wenigen Zweitstimmen für die Linke. Die Forderung, noch mal nachzuzählen, wurde vom Kreiswahlleiter abgelehnt. Ein ungewöhnliches Ergebnis sei kein Grund dafür anzunehmen, hier wäre falsch gezählt worden. Der Landeswahlausschuss kann Kreiswahlausschüsse in dieser Frage nicht korrigieren oder bevormunden. Angesichts der Tatsache, dass der 95. Landtagssitz bei nur vier Stimmen mehr an die Linke statt die FDP gegangen ist, ist das Misstrauen der Linken verständlich. Falls hier tatsächlich ein Fehler vorliegt, haben wenige Stimmen (die in Husum "ungültig" gewertet wurden) eine große Auswirkung.
Das Ergebnis der Aufzählung wurde von fünf der sieben Ausschussmitglieder bestätigt. Das Ergebnis der Umrechnung in Landtagsmandate fiel denkbar knapp aus: Dafür stimmten nur die Vertreter von CDU und FDP, mit der Landeswahlleiterin also drei von sieben Mitgliedern. SPD und SSW enthielten sind, Grüne und Linke stimmten mit "Nein". Die Regierungsfraktionen sind also die einzigen, die die Rechenmethode der Landeswahlleiterin anerkennen, die vier Oppositionsparteien bezweifeln sie.
Ein Eilantrag von Grünen und SSW beim Landes-Verfassungsgericht scheiterte am 15. Oktober. Die Klagen gegen die Zählmethode werden jetzt von Grünen und SSW eingereicht, während die Linke eine Klage gegen das Wahlgesetz selbst vorbereitet. Dieses setzt ihrer Meinung nach nicht das Verfassungsgebot um, Überhangmandate auszugleichen.
Die Regierung könnte also ihre Parlamentsmehrheit durch Gerichtsentscheid wieder verlieren. Allerdings ist die bisherige Erfahrung mit Verfassungsrichter, die ja zumeist durch CDU und SPD eingesetzt wurden, dass sie aktuelle Zustände ungern ändern, sondern eher Fristen beschließen, innerhalb derer verfassungswidrige Gesetze geändert werden müssen.
Reinhard Pohl
Nach dem Ergebnis der Zweitstimmen gehören CDU und FDP auf die Oppositionsbank. Weil die CDU aber 11 Überhangmandate errang, wird Schwarz/Gelb drei Abgeordnete mehr in den Landtag entsenden als die "linken" Parteien.
Insofern haben die Wahlstrategen von SPD, Grünen und Linken die Wahl vermasselt; denn sie haben ihre Wähler nicht dazu aufgefordert, ihre Erststimme für den aussichtsreichsten Kandidaten des "Linken Lagers" abzugeben. Da die Abwahl des bisherigen Ministerpräsidenten das erklärte Ziel war, ein dilettantisches Versäumnis.
Im Wahlkreis 18, Plön-Nord, errang der SPD-Direktkandidat nur 2,4 % weniger Erststimmen als der CDU-Mann. Der grüne Direktkandidat erzielte 11,8 % der Erststimmen bei 12,9 % der Zweitstimmen. Ein grüner Aufruf zum Stimmensplitting hätte der SPD das Direktmandat gesichert. Eine ähnliche Situation ergibt sich u. a. für die Wahlkreise 4 Flensburg, 14 Neumünster, 25 Elmshorn, 40 Lauenburg-Süd. Besonders krass ist die diesbezügliche Fehlleistung der Wähler der Linken, die ihre Erststimme im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Direktkandidaten verschenkt haben.
Beim absehbaren Erstarken der "kleinen" Parteien wird es immer häufiger zu vielen Überhangmandaten kommen. Daher ist es erforderlich, das Wahlgesetz in Schleswig-Holstein eindeutig zu formulieren. Darüber hinaus sind Absprachen unter Parteien, die eine Koalition anstreben, unerlässlich, damit gemeinsame Direktkandidaten aufgestellt werden.
Dr. Karsten Hinrichsen, Brokdorf