(Gegenwind 254, November 2009)
Gegenwind:
Welches Konzept, welche Idee steckt hinter "Statt-Auto"?
Hinrich Kählert:
Das "Car-Sharing" ist eine gemeinschaftliche Form der Autonutzung. Wir haben in Deutschland die Besonderheit, dass Kiel und Lübeck als einzige CarSharing Organisation eine Genossenschaft sind. Die Gesellschaft befindet sich im Eigentum der Nutzer. Wir sind also ein selbstverwalteter Betrieb, d.h. jeder der hier fährt kann auch Mitglied werden und mitbestimmen. Die (aktuell) rund 300 Mitglieder wählen den ehrenamtlichen Aufsichtsrat, der den hauptamtlichen Vorstand einstellt und kontrolliert, das ist alles basisdemokratisch. Der Vorstand führt die Geschäfte, aber nach Anweisung der Nutzer über den Aufsichtsrat. Die Autos gehören allen, die einen Anteil gezeichnet haben, und wir verwalten das Ganze möglichst effizient.
Der Gedanke beim CarSharing ist, dass ein einzelnes Auto, das einem Einzelnen gehört, nur suboptimal genutzt wird. Im Durchschnitt stehen Privatautos 23 Stunden am Tag herum, während CarSharing Autos im Schnitt 8 Stunden am Tag bewegt werden. Man kann das mit einem Maschinen-Ring in der Landwirtschaft vergleichen: Da teilen sich viele Bauern einen Mähdrescher, den einer alleine nicht sinnvoll auslasten kann. Und unter normalen Gesichtspunkten lastet ein privater Nutzer auch ein Auto nicht vernünftig aus - es sei denn, er fährt jeden Tag damit zur Arbeit und nutzt das Auto insgesamt sehr intensiv. Aber bei vielen Menschen ist die Auto-Mobilität nur eine Ergänzung, für viele Wege im Alltag braucht man das Auto nicht wirklich. Als Grundvoraussetzung, damit eine CarSharing-Teilnahme Sinn macht, sollte man nicht täglich für den Arbeitsweg auf ein Auto angewiesen sein. Wenn das CarSharing Auto acht Stunden am Tag nutzlos am Arbeitsplatz herumstehen würde, wäre der Preis zu hoch. Es geht ja gerade darum, die Standzeiten so klein wie möglich zu halten.
Gegenwind:
Für wen konkret lohnt sich die Mitgliedschaft?
Hinrich Kählert:
Das typische Mitglied fährt in der Regel mit dem Umweltverbund. Das heißt, man geht im Alltag häufig zu Fuß, fährt mit dem Fahrrad oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Arbeit anstatt mit dem eigenen Auto. Mit dem Auto fährt das typische Mitglied deutlich unter 10.000 Kilometern im Jahr. Wir haben ja ein Tarifmodell, das nach Zeit und Kilometern abrechnet. Beide Komponenten sind wichtig, aber beides sind auch Anreize, damit ökonomisch umzugehen. Das typische Mitglied nutzt das Auto nur so lange, wie es nötig ist, und fährt auch nicht mehr Kilometer, als es nötig ist.
Gegenwind:
In Kiel war das Stattauto bis vor Kurzem keine Genossenschaft, sondern eine GmbH. Was hat sich aktuell im Sommer geändert?
Hinrich Kählert:
Die Kieler GmbH war schon vorher zu hundert Prozent im Besitz der Lübecker Genossenschaft. Sie hat aber offiziell weiter als GmbH firmiert. Jetzt ist sie in der Genossenschaft aufgegangen. Für die Kunden ändert sich nichts, ihre Verträge wurden eins zu eins übernommen. Wer bisher in Kiel mit der GmbH einen Vertrag hatte, hat jetzt mit der Genossenschaft den gleichen Vertrag. Wir bieten jetzt den Kieler Nutzern zusätzlich an, ihren Kundenvertrag in einen Genossenschaftsvertrag umzuwandeln, also Mitglied zu werden. Damit binden sie sich länger, es geht also nur um diejenigen, die nicht kurzfristig aussteigen wollen. Seit Beginn des Jahres 2009 bekommen Genossenschaftsmitglieder 5 Prozent Rabatt auf die Zeitkosten. Bei einer 500-Euro-Einlage und einer durchschnittlichen Monatsrechnung von 85 Euro würde dies rechnerisch einer Verzinsung von ca. 5 Prozent entsprechen. Die Kaution der normalen Nutzer wird ja nicht verzinst, aber man bekommt sie nach einer Kündigung spätestens in sechs Wochen wieder. Ein Genossenschaftsmitglied kann nur mit einer Frist von 3 Monaten zum Jahresende kündigen und bekommt die Einlage in der Mitte des folgenden Jahres nach der Generalversammlung zurück. Jede Genossin bzw. jeder Genosse ist auf der Mitgliederversammlung stimmberechtigt. Der Genossenschaftsanteil ist Haftungskapital: Falls es der Genossenschaft einmal ganz schlecht gehen sollte, dann könnte der Anteil bei einem Austritt nicht mehr 500 Euro wert sein, sondern zum Beispiel nur noch 450 Euro.
Gegenwind:
Und wie geht es der Genossenschaft? Wie ist die Entwicklung in den letzten zwei Jahren?
Hinrich Kählert:
Für uns interessant ist die Entwicklung im laufenden Jahr. Wir haben eine Werbekampagne gestartet mit Hilfe des Umweltministeriums, und seit Mai 2009 haben wir heute, also Anfang Oktober, einen Zuwachs von ungefähr 15 Prozent, in Kiel und Lübeck. Das bezieht sich auf die Zahl der Fahrtberechtigten, also alle, die allein oder gemeinsam auf einem Kundenvertrag fahren. An jedem Kundenvertrag hängen im Schnitt eineinhalb bis zwei Nutzer. Pro Vertrag können bis zu fünf Fahrerinnen oder Fahrer angemeldet werden. Für uns ist eine Person der/die Ansprechpartner/in, d.h. er oder sie bekommt die Rechnung und kümmert sich selbst um die Abrechnung mit den anderen. Das können Familienmitglieder, Nachbarn oder Freunde sein.
Gegenwind:
Wie viele Nutzer und wie viele Autos gibt es denn? Kann man sagen, wie viele Privatautos durch Stattauto von der Straße und vor allem den Parkplätzen verschwunden sind?
Hinrich Kählert:
Wir haben eine Kundenbefragung gemacht, die hat das Ergebnis bestätigt, das wir auch aus wissenschaftlichen Untersuchungen kennen. Es besagt: Ein Car-Sharing-Auto ersetzt fünf bis acht private Autos. Bei uns ist das Verhältnis ungefähr eins zu sechs. Die meisten Leute haben beim Eintritt ihr altes Auto abgeschafft, andere hatten kein Auto, haben die Mitgliedschaft aber als Alternative zum Kauf eines Autos gewählt. Rund vierzig Prozent der Neumitglieder schaffen direkt ihr Auto ab oder verzichten auf einen fälligen Kauf. Wir haben jetzt 20 Nutzerinnen oder Nutzer pro Auto. In Kiel und Lübeck zusammen sind gut 80 Autos im Einsatz. Die rund 1600 Nutzerinnen und Nutzer machen damit rund 500 Stellplätze frei, die sonst von eigenen Pkw's besetzt worden wären.
Gegenwind:
Ist eine Ausweitung geplant? Im Raum Pinneberg - Elmshorn leben ja ausreichend viele Menschen auf kleinem Raum, um sich das zu überlegen.
Hinrich Kählert:
Stattauto ist im Moment nur in Kiel und Lübeck, zusätzlich in Preetz ansässig. Es gab schon Versuche mit Plön, Eutin, Ratzeburg. Das ist aber schwierig für uns. Wir können nur langsam wachsen in dem Maße, in dem wir Neukunden haben. Wir erhalten keine staatlichen Zuschüsse und brauchen deshalb neue Einlagen oder die Aufstockung von Einlagen von unseren Nutzern. Wir haben zwar auch einen Bankkredit, mit dem wir neue Autos anschaffen. Aber wir können nur begrenzt organisch wachsen. Ein Sprung um hundert Prozent müsste überwiegend mit Fremdkapital finanziert werden, und es gibt keine Bank, die uns so viel Geld auf einmal geben würde. Wenn wir in andere Städte gehen, ist das eine richtige größere Investition. Schon eine neue Station in unserem jetzigen Bereich braucht mindestens ein halbes Jahr Anlaufzeit, bis sie sich halbwegs wirtschaftlich rechnet, eher ein Jahr. In einer anderen Stadt brauchen wir ja nicht nur Stationen mit Autos, wir brauchen auch Personal und ein Büro als Anlaufpunkt. Pinneberg ist definitiv zu weit weg. Wenn wir wachsen, dann zunächst von Lübeck Richtung Bad Schwartau oder Stockelsdorf. In Kiel könnten wir uns nach Kronshagen oder auf das Ostufer ausdehnen. Aber das wird noch eine Weile dauern.
Gegenwind:
Wie ist die öffentliche Unterstützung durch die Städte Kiel und Lübeck?
Hinrich Kählert:
Die Stadt Kiel hat schon vor dreieinhalb Jahren einen Beschluss gefasst, Car-Sharing zu unterstützen und den Ausbau zu fördern. Im April 2008 haben wir die ersten Stellplätze im öffentlichen Raum bekommen. Das ist am Wilhelmplatz / Stephan-Heintzel-Straße, dazu im Sommer 2008 sechs Stellplätze am Hauptbahnhof und im Frühjahr 2009 vier Plätze an der Franckestraße. Die Stadt Kiel will uns in Zukunft weitere Stellplätze zur Verfügung stellen. Das könnte 2010 am Blücherplatz der Fall sein. Außerdem möchten wir in die Wik. Vielleicht gibt es absehbar auch Standorte südlich vom Bahnhof und in Gaarden.
In Lübeck gibt es einen Bürgerschaftsbeschluss vom November 2008. In diesem Sommer haben wir die ersten acht Stellplätze an drei Standorten erhalten. Diese sind in der Moislinger Allee / Meierstraße, in der Ratzeburger Allee und schließlich an der Travemünder Allee. In Kiel sind es ein paar mehr, aber wir sind zuversichtlich, dass es in Lübeck jetzt auch voran geht. Wir sind einfach räumlich und finanziell begrenzt, und für unser Wachstum brauchen wir attraktive Stellplätze in zentraler Lage.
Wir suchen Stellplätze dort, wo es den Leuten jetzt schon wehtut. In hoch verdichteten Wohngebieten bekommen die Einwohner heute keine Parkplätze, weil alles zugeparkt ist. Der Leidensdruck ist entsprechend hoch, dort können wir Nutzerinnen und Nutzer gewinnen. Wenn wir an die Peripherie gehen, da hat jeder ein oder zwei Autos, und wenige sind auf Car-Sharing angewiesen. Wir suchen Standorte dort, wo die Leute sehr dicht wohnen, wo es aber auch öffentlichen Verkehr gibt und wo man viele Ziele gut mit dem Fahrrad erreichen kann. Unsere Nutzer sind zu achtzig Prozent Alltags-Radfahrerinnen und -Radfahrer. Stattauto ist dann die Ergänzung für weitere Wege, für umständliche Routen, für längere Fahrten, für Großeinkäufe und Transporte oder mal einen Ausflug aufs Land.
Gegenwind:
Wie verhält sich die Landesregierung?
Hinrich Kählert:
Das Land hat im letzten Winter eine Unterstützung von 34.000 Euro für eine CarSharintg Werbekampagne gewährt. Das Geld ging an den VCD, den Verkehrsclub Deutschland, der zusammen mit StattAuto und der Kieler Agentur WortBildTon ein Werbekonzept für das CarSharing entwickelt hat. Dabei ging es auch um die Abgrenzung zur klassischen Autovermietung. Wir haben eben auch Anfragen nach einem "Auto fürs Wochenende" und müssen dann erklären, dass CarSharing nicht für eine nur einmalige Nutzung gedacht ist, sondern dass man bei uns einen Rahmenvertrag mit einem Monatsbeitrag von 8 Euro unterschreibt. Durch die Werbekampagne, die von der Landesregierung finanziert wurde, sind wir jetzt bekannter geworden. Es wurde in Bussen, Zügen und an Haltestellen geworben, das hat uns einen guten Schub gegeben. Die Förderung der Landesregierung hat uns auch geholfen, ein paar Mal ins Fernsehen zu kommen, z.B. in die Regionalprogramme von NDR und Sat1.
Das hilft uns auch für die nächsten Jahre gut weiter.
Interview: Reinhard Pohl