(Gegenwind 253, Oktober 2009)
Die große Koalition hatte große Pläne, die allerdings kaum umgesetzt werden konnten. Der Streit der zwei fast gleich großen Partner verhinderte vieles, Interessenverbände hatten gute Möglichkeiten zum Einfluss. Eine schwarz-gelbe Regierung lässt allerdings kaum etwas anderes erwarten.
Das größte Hindernis für Politik aller Art ist die Situation der HSH-Nordbank. Der Landeshaushalt ist bei einem Umfang von 9 Milliarden Euro jetzt mit rund 23 Milliarden Euro verschuldet. Dazu gibt es einen "Schattenhaushalt" aus der letzten Kapitalaufstockung der Nordbank, in dem die Regierung rund 5 Milliarden Euro künftige Schulden geparkt hat. Diese könnten sich bis zum Jahresende leicht auf zehn Milliarden Euro verdoppeln, zumindest vermutet das der ehemalige Wirtschaftsminister Werner Marnette.
Tritt das ein, ist die Landesregierung weitgehend handlungsunfähig. Sie muss die drei großen Bereiche Justiz - Polizei - Schulen weiter betreiben, es könnte aber sein, dass es zu mehr nicht mehr reicht. Das betrifft auch das Abrufen von EU-Mitteln und Bundesprogrammen, die meistens einen Eigenanteil erfordern. Auch das sogenannte "Konjunkturpaket II" gibt Hilfen nur, wenn zumindest ein kleiner Rest Geld aus dem Landeshaushalt oder der Kommune dazu getan werden.
Die CDU hat die Einführung von Studiengebühren im Landtagswahlkampf ausdrücklich abgesagt, allerdings nur mit der relativ schwachen Begründung, das wäre zur Zeit politisch nicht durchsetzbar. Die FDP, immer eine Vertreterin von Studiengebühren, hat sich Anfang 2009 gewendet und lehnt seitdem Studiengebühren ab. Begründung dafür ist, dass sich die Einführung von Studiengebühren überall sofort auf die Zahl der Studentinnen und Studenten ausgewirkt hat, es melden sich einfach schlagartig weniger AbiturientInnen bei der Uni an, wenn es was kostet.
Ob diese Position allerdings erhalten bleibt, muss die Zukunft zeigen. Was "politisch durchsetzbar" ist, entscheiden nicht zuletzt die aktiven SchülerInnen und StudentInnen mit. Und die FDP-Position könnte kippen, wenn einfach das Geld aus dem Landeshaushalt nicht mehr reicht.
Der 2005 ins Amt gekommene Umweltminister von Boetticher war zu Beginn ein harter Verfechter der Position, dass "Wirtschaft vor Naturschutz" zu gehen habe. Diese Position hat er schrittweise verändert. Einerseits sitzt ihm seit Jahren die EU im Nacken, die auf der Umsetzung der entsprechenden Richtlinien zu Natur- und Artenschutz besteht und inzwischen auch mit Bußgeldern in Millionenhöhe droht. Andererseits hat er selbst auch eingesehen, dass Natur- und Artenschutz kein Hobby der Vereine und Verbände ist, sondern notwendig für die Zukunft des Landes. Und auch sinnvoll für viele Zweige der Wirtschaft, sei es der Tourismus, aber auch die Landwirtschaft selbst oder der Klimaschutz, der sich in Schleswig-Holstein ganz praktisch im Küstenschutz auswirkt.
In der Energiepolitik waren vor zwanzig Jahren die Spinner von den Grünen die einzigen, die meinten, man müsse auf regenerative Energie setzen und Atomkraftwerke abschalten. Spätestens nach den Nachhilfestunden von Vattenfall hat sich auch bei der CDU die Erkenntnis durchgesetzt, da könnte was dran sein.
Die CDU möchte gerne die Laufzeiten der Atomreaktoren verlängern und glaubt teilweise noch an die "Energielücke", die angeblich durch Abschalten der Atomkraftwerke in zehn bis zwanzig Jahren entstehen soll. Allerdings weiß man inzwischen, dass Schleswig-Holstein sich zu 100 Prozent aus regenerativer Energie versorgen könnte und auch der Ausbau der Windkraft für die Wirtschaft und ihren Export eine große Chance ist.
Die FDP setzt sich vom Land Schleswig-Holstein aus seit längerer Zeit auf Bundesebene dafür ein, den Atomkonsens mit den festgelegten Reststrommengen (etwas missverständlich oft als "Restlaufzeiten" bezeichnet) unbedingt einzuhalten. Die Stimmung im Volk versucht die FDP insofern zu berücksichtigen, dass sie die Schrottreaktionen in Brunsbüttel und Krümmel am liebsten sofort stilllegen würden, die Reststrommengen sollen allerdings auf Brokdorf übertragen werden.
Umweltminister von Boetticher hat sich in den letzten Monaten als "Vattenfall-Gegner" auch in der CDU nach vorne gearbeitet. Überrascht und verärgert reagierte auch Peter Harry Carstensen auf den letzten Störfall in Krümmel: Als er den Vattenfall-Chef persönlich anrief, um etwas über den Umgang mit dem neuen Kurzschluss zu erfahren, traf er diesen gänzlich uninformiert an und konnte sich persönlich über die Qualität der Kommunikation und Krisenreaktion im Energiekonzern ein Bild machen. Von Boetticher hat durchgesetzt, dass im CDU-Programm das Projekt "desertec" unterstützt wird, der "Strom aus der Wüste". Ebenso liest sich das im FDP-Programm.
"Desertec" ist der Versuch, regenerativen Strom im großindustriellen Maßstab zu erzeugen und grundlastfähig zu machen. Der Solarstrom aus Nordafrika soll in der Lage sein, Atomkraftwerke ebenso wie Kohlekraftwerke zu ersetzen.
CDU und FDP haben versprochen, in den Schulen sollte jetzt "Ruhe" einkehren. Die Einführung der Gemeinschaftsschule soll nicht rückgängig gemacht werden. Vermutlich würden das die Eltern auch nicht akzeptieren, die überwiegend die Gemeinschaftsschule und nicht die Regionalschule mit der alten Aufteilung auf Real- und Hauptschule für die eigenen Kinder gewählt haben.
Die CDU will allerdings aus der Gemeinschaftsschule und der Regionalschule eine einheitliche Schule machen, ohne zu erklären, was damit gemeint ist. Die meisten LeserInnen des Landtags-Wahlprogramms hielten das bisher für eine reine Beruhigung der eigenen Mitglieder, um das beibehalten der Gemeinschaftsschule (auch SPD-Schule genannt) zu rechtfertigen.
Die FDP hat die (Wieder-)Einführung der Realschule angekündigt. Vermutlich wird das nicht nur am Unwillen der CDU, sondern auch an den fehlenden Kindern und dem fehlenden Geld scheitern.
Was die schwarz-gelbe Regierung konkret "zurückdrehen" kann und wird, hängt auch von der Kraft der Bewegung ab. Veränderungen, die Geld kosten, sind allerdings nicht zu erwarten, weil der Landeshaushalt das nicht hergibt.
Allerdings müssen sich alle darauf einstellen, dass Landeszuschüsse gekürzt oder gestrichen werden. NABU, BUND, Flüchtlingsrat, Refugio, Frauenhäuser, Notrufgruppen - in Zukunft wird überall die ehrenamtliche Arbeit bestimmen, welche politische Kraft entfaltet werden kann. Da haben es diejenigen Bewegungen besser, die bisher schon ohne Zuschüsse aus dem Landeshaushalt arbeiten (müssen).
Die Bedeutung des Gegenwind als "Zeitschrift der Bewegung" wird wachsen - aber das ist bei einer schwarz-gelben Regierung und einer rot-grün-blau-roten Opposition eher normal.
Reinhard Pohl