(Gegenwind 253, Oktober 2009)
Es wurde eine lange Nacht, bis gegen 3.20 Uhr das Ergebnis der Landtagswahl feststand. Aber bereits um 18 Uhr war eine schwarz-gelbe Mehrheit im Landtag (eine Stimme Mehrheit) prognostiziert worden, im vorläufigen amtlichen Endergebnis waren es dann drei Stimmen.
Die CDU, obwohl eigentlich Verliererin der Wahl, gewann in fast allen Wahlkreisen eine relative Mehrheit. Die SPD konnte sich nur in Kiel und Lübeck, zusammen also sechs Wahlkreisen, durchsetzen.
Bei vierzig Wahlkreisen in Schleswig-Holstein bedeutet das, dass die CDU 34 Abgeordnete im Landtag hat - 34 Direktkandidatinnen und -kandidaten, niemand von der Liste. Eine Folge: Der vorgesehene Fraktionsvorsitzende Frank Sauter, angetreten in Lübeck und auf Platz 5 der Liste, gehört dem Landtag nicht an und kann auf den Posten nicht gewählt werden.
Fast acht Prozent verloren, trotzdem vier Sitze gewonnen - das schleswig-holsteinische Wahlrecht ist schon etwas absurd. Grüne und FDP hatten im Frühling noch versucht, es ändern zu lassen, auch weil das Bundesverfassungsgericht das System der "Überhangmandate" für verfassungswidrig erklärt hatte. Das scheiterte an der CDU, und diese wusste, warum sie Wahlrechtsänderung ablehnt.
In der neuen Fraktion werden dennoch überwiegend die bisherigen Abgeordneten sitzen, die jeweils direkt kandidiert haben. Allerdings sind Kiel und Lübeck in der CDU-Fraktion überhaupt nicht mehr vertreten.
Ein Problem wird sicherlich die Besetzung der Fraktionsspitze. Bisher hat Joe Wadephul die Fraktion geleitet, und das durchaus auch manchmal in Konfrontation zur Regierung. Als Ministerpräsident Peter Harry Carstensen in einer Sonntag-Nachmittag-Aktion einen neuen Wirtschaftsminister aus dem Hut zauberte, ließ er ihn von einer Auslandsreise zurückholen. Und als Carstensen in einem Brief an den Landtagspräsidenten frech behauptete, die Bonus-Zahlung an den HSH-Nordbank-Vorsitzenden sei mit den Regierungsfraktion abgesprochen, widersprach Wadephul umgehend.
Hier ist noch niemand in Sicht, die oder der diese Position ausfüllen könnte. Carstensen wird es Recht sein.
Kandidaten für Ministerposten sind auch nicht in Sicht. Christian von Boetticher, der erstmals als Direktkandidat in den Landtag gewählt wurde, hat bei mehreren Gelegenheiten gesagt, er würde auch gerne ein "größeres" Ministerium als das Landwirtschaftsministerium leiten. Die beiden anderen CDU-Minister Wiegard und Biel sind deutlich überfordert. Carstensen selbst wird voraussichtlich nicht in Frage gestellt, von Boetticher möchte ihn eher erst in drei Jahren, rechtzeitig vor der nächsten Landtagswahl, beerben.
Reine Freude herrschte am Wahlabend bei der FDP-Fraktion. Die neue Fraktion wird, dank des guten Wahlergebnisses und der fälligen Ausgleichs-Mandate, 15 Mitglieder umfassen. Die vier bisherigen Fraktionsmitglieder kandidierten auf den ersten vier Plätzen der Liste, elf weitere Mitglieder kommen hinzu.
Zwei der bisherigen Abgeordneten wollen jetzt Minister werden: Ekkehard Klug will ja schon seit 20 Jahren Bildungsminister werden, Heiner Garg konzentriert sich seit langem auf das Sozialministerium. Ansonsten diskutiert man offenbar über das Wirtschafts-, Justiz- oder Innenministerium.
Eine Neuerung gibt es in der FDP-Fraktion: Frauen. Bisher gab es vier Männer, jetzt sind es neun Männer und sechs Frauen. Für die reale Politik bedeutet das sicherlich keine Änderung. Andererseits gibt es eine zweite Neuerung: Die 15-köpfige Fraktion stammt aus vielen Kreisen des Landes und nicht mehr fast nur aus Kiel.
Insgesamt ist die FDP deutlicher als bisher die SPD Junior-Partner in der neuen Landesregierung. Es ist also wahrscheinlich, dass die acht Posten in Zukunft im Verhältnis 5 zu 3 aufgeteilt werden. Allerdings ist die FDP auch in einigen Positionen "linker" als die Bundespartei, insbesondere was die Schulpolitik, die Innenpolitik, Flüchtlingspolitik oder die Haltung gegenüber Atomkraftwerken betrifft. Sie könnte die personelle Schwäche der CDU ausnutzen, was der SPD nie gelang.
Eine Katastrophe ist das Wahlergebnis für die SPD. Das war zwar von allen Meinungsforschern und Prognosen erwartet worden, nur die Parteiführung hatte den eigenen Anhängern etwas anders vorzugaukeln versucht.
Um 18 Uhr wurde es in der ehemaligen Landtagskantine, die sich die SPD zum Feiern hergerichtet hatte, sehr sehr still. Und still blieb es dann für den Rest des Abends.
Die SPD hat sechs Direktkandidaten im Landtag, das sind drei Abgeordnete für Kiel und drei für Lübeck. Ansonsten hat die neue Fraktion 25 (statt bisher 29) Mitglieder. Die heftigen Verluste in den Prozenten hätten eigentlich zu einer um ein Drittel geschrumpften Fraktion führen müssen, dank der Ausgleichsmandate wurde viele Abgeordnete vor der Arbeitslosigkeit gerettet. Die Liste kommt bis Platz 21 zum Zuge. Die im letzten Gegenwind vorgestellte Serpil Midyatli (Platz 15 der Liste) gehört dem Landtag also als vierte Kieler Abgeordnete an.
Ob Ralf Stegner an der Spitze bleibt, wird sich erst in den nächsten Wochen und Monaten zeigen. Während dieses Heft produziert wird, sitzt der Schock noch zu tief. Unübersehbar ist, dass Rolf Fischer und Andreas Breitner in den Startlöchern stehen. Sie wollen aber erst mal das Ergebnis analysieren und Konsequenzen diskutieren.
Der neuen SPD-Fraktion gehören drei ehemalige MinisterInnen an - Ralf Stegner, Gitta Trauernicht und Lothar Hay.
Die Grünen haben ihr bestes Ergebnis bisher erreicht, und dank der Ausgleichsmandate ist die Fraktion noch mal ein Drittel größer als erwartet. War bisher erwartet worden, dass nur eine Abgeordnete (Monika Heinold) aus der bisherigen Fraktion bleibt, ist jetzt überraschend auch Detlef Matthiessen im Landtag, der "nur" auf Platz 12 der Liste kandidiert hatte. Die Fraktion hat sich verdreifacht.
Dass sonst nur "neue" im Landtag sind, heißt allerdings nicht, dass allen die Erfahrung fehlt. Robert Habeck und Marlies Fritzen sind die beiden Landesvorsitzenden, andere wie Andreas Tietze oder Anke Erdmann kommen aus dem Kreistag oder der Ratsversammlung. Mit Luise Amtsberg (Jahrgang 1984) gehört der Fraktion auch die jüngste Abgeordnete des Landtags an.
Die Träume von einer Jamaika-Koalition sind zum Glück schnell ausgeträumt, weil Carstensen und Kubicki die Grünen nicht brauchen.
Verdoppelt hat sich die Fraktion des SSW. Jawohl, Fraktion, nicht "Gruppe" wie bisher. Denn die beiden bisherigen Abgeordneten waren im Landtag, weil der SSW von der 5-Prozent-Hürde befreit ist. Sie agierten zwar in vielen Fragen wie eine Fraktion, hatten aber kein Stimmrecht in den Ausschüssen.
Jetzt sind es vier Abgeordnete, zu Anke Spoorendonk und Lars Harms kommen jetzt Silke Hinrichsen und Flemming Meyer dazu. Silke Hinrichsen war schon ein paar Jahre Landtagsabgeordnete, und Flemming Meyer ist Landesvorsitzender, jetzt im Kreistag in Schleswig und Sohn von "KO" Meyer, der lange Jahre der einzige bekannte SSW-Politiker war und lange Jahre alleine für den SSW im Landtag saß.
Der SSW wollte lange Zeit als Vertretung der Minderheiten nicht selbst in eine Regierungskoalition gehen. 2005 beschloss der SSW, die Minderheitsregierung von Heidi Simonis zu tolerieren und sie mit zu wählen - was dann an einer fehlenden Stimme aus der SPD scheiterte. Vor dieser Landtagswahl beschloss der SSW, auch in eine Regierung einzutreten. Das hat sich allerdings durch das Ergebnis der Landtagwahl erledigt.
Auch der SSW profitiert nicht nur von einem guten Stimmergebnis, hat sich nah an die 5-Prozent-Hürde herangeschoben, sondern bekam dann noch ein "Ausgleichsmandat" oben drauf.
Die Linke ist erstmals im Landtag, mit 6 Prozent der Stimmen und fünf Abgeordneten. Das Ergebnis hätte vielleicht besser sein können, wenn die internen Streitigkeiten nicht dazu geführt hätten, dass man drei Tage vor der Wahl noch zwei Kreistagsfraktionen und praktisch auch zwei Kreisverbände durch Austritte verlor.
Die Abgeordneten sind natürlich neu im Landtag, allerdings nicht ohne jede Erfahrung: Die Spitzenkandidatin Antje Jansen war früher Landesvorsitzende der Grünen, und Ulrich Schippels war nach seiner Zeit als Kreisgeschäftsführer der Grünen lange Zeit Landesgeschäftsführer der PDS / Linken, bevor er zur Rosa-Luxemburg-Stiftung wechselte.
Die Linke hat von vornherein erklärt, sie wollte Oppositionspolitik machen, die wenigen abweichenden Meinungen zur Wegbereitung einer Tolerierung (von was auch immer) haben sich spätestens mit dem Wahlabend erledigt.
Die Einrichtung des neuen Landtags mit 95 statt 69 Abgeordneten wird jetzt erst mal rund drei Millionen Euro kosten. Büros müssen eingerichtet und ausgestattet werden, der Plenarsaal muss umgebaut werden.
Vermutlich werden dadurch die Stimmen lauter, die eine Änderung des Wahrrechts fordern. Wenn die Zahl der Wahlkreise von 40 auf 30 reduziert würde, würde man mit der festgelegten Zahl an Landtagsabgeordneten auskommen.
Reinhard Pohl