(Gegenwind 253, Oktober 2009)

Bunter Landtag

Abstimmung ohne Zwang

Etwas anders als sonst verlief die Landtagssitzung am 16. September. Schleswig-Holstein wurde von einer Minderheitsregierung der CDU regiert, 30 Regierungsabgeordneten standen 39 Oppositionsabgeordnete gegenüber. So ergaben sich bei einer Reihe von Abstimmungen verschiedene Konstellationen - plötzlich ging es demokratisch zu.

Verschuldung bremsen

Schon länger hatte sich der Landtag mit den Plänen befasst, die Neuverschuldung per Verfassung zu verbieten. Inzwischen hat der Bundestag mit der Zwei-Drittel-Mehrheit aus CDU und SPD das Verschuldungsverbot für die Bundesländer ins Grundgesetz geschrieben. Die Parteien im Landtag hatten im Frühjahr bereits einstimmig beschlossen, dagegen zu klagen. Grund für die Klage ist nicht, dass man gegen die "Schuldenbremse" ist. Grund ist vielmehr, dass die Abgeordneten der Meinung sind (oder waren), dass der Bund nicht in die Befugnisse der Länder und insbesondere des Landtags eingreifen darf - es handelt sich ja praktisch um eine Vorschrift, wie die Landtagsabgeordneten bei bestimmten Anträgen zu Haushalt abstimmen müssen.

Im Zuge der Koalitionsverhandlungen hatten CDU und SPD sich im Frühsommer darauf geeinigt, den gemeinsamen Beschluss zur Verfassungsklage zurück zu nehmen. Dagegen wendet sich der Abgeordnete Martin Kayenburg, CDU-Landtagsabgeordneter und Präsident des Landtags: Ein einstimmiger Beschluss der Abgeordneten dürfte nicht von einer kleinen Runde Regierungspolitiker wieder einkassiert werden. Er brachte den Beschlussantrag, die Klage einzureichen, als Abgeordneter Kayenburg zur September-Sitzung ein - und gewann. Die Abgeordneten von SPD, FDP, Grünen, SSW und er selbst stimmten für die Verfassungsklage, die restlichen CDU-Abgeordneten dagegen. Mit seinem zweiten Antrag, das Verbot neuer Schulden ab 2020 in der Landesverfassung zu verankern, scheiterte Martin Kayenburg. Zwar bekam der Antrag auch eine Mehrheit, diesmal stimmten CDU, FDP und Grüne dafür, hier wäre aber eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig gewesen. Dem Entschließungsantrag, den Haushalt zu konsolidieren und die Neuverschuldung auf Null zu reduzieren, stimmten dann wieder die Abgeordneten von SPD, FDP, Grünen und SSW zu, er wurde gegen die Stimmen der CDU (und bei Enthaltung von Martin Kayenburg) angenommen.

Abschaffung der Wahlen zur Landrätin / Landrat

Der Abschaffung der Wahlen zur Landrätin bzw. Landat stimmten dann wieder CDU, SPD und SSW zu, also praktisch die alte Regierung. Sie begründeten das damit, dass die Wahlbeteiligung teils extrem niedrig sei. Landräte sollen nun wieder von den Kreistagen gewählt werden. FDP und Grüne stimmten dagegen, weil sie es für die Abschaffung eines Teils unserer Demokratie halten.

Ohne Gentechnik

Mit der knappen Mehrheit von SPD, Grünen und SSW ist Schleswig-Holstein dem europäischen Netzwerk "gentechnikfreier Reginen" beigetreten (siehe auch: www.gentechnikfreie-regionen.de). Dass da CDU und FDP dagegen gestimmt haben, ist klar.

Sozialstaffel für Kindertageseinrichtungen

Breiter war die Mehrheit für eine einheitliche Sozialstaffel für Kindertageseinrichtungen: CDU, FDP, Grüne und SSW stimmten zu, die CDU lehnte ab. Bisher gibt es sehr unterschiedliche Regelungen in den Kreisen, teilweise auch in den Gemeinden oder Ämtern. So können sich die Kosten für die Eltern bei einem Umzug in einen anderen Ort mehr als verdoppeln (oder auch halbieren).

Allerdings wollen zumindest drei Parteien die Beiträge auch ganz abschaffen, so dass dies aus ihrer Sicht nur der erste Schritt ist.

Flüchtlinge

Am 31. Dezember läuft die sogenannte "Altfallregelung" ab. Durch diese befristete Regelung im Aufenthaltsgesetz haben 505 bisher "Geduldete" eine Aufenthaltserlaubnis mit Arbeitserlaubnis erhalten. Von ihnen haben 391 diese Aufenthaltserlaubnis aber nur "auf Probe" erhalten. Sie müssen bis zum 31. Dezember nachweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt überwiegend durch eigene Arbeit bestreiten. Das war 2007 schön geplant, ist aber durch die Weltwirtschaftskrise seit Ende 2008 für die meisten unerreichbar geworden. Der Antrag, diese Frist zu verlängern, wurde mit den Stimmen von SPD, FDP, Grünen und SSW angenommen, gegen die Stimmen der CDU. Allerdings handelt es sich nur um einen Appell an den Bund, denn das Aufenthaltsgesetz ist ein Bundesgesetz.

In einem zweiten Beschluss sprachen sich die Abgeordneten der vier Oppositionsparteien ebenfalls gegen die Stimmen der CDU dafür aus, in Zukunft Flüchtlinge in Zusammenarbeit mit der UNO in Deutschland aufzunehmen, also mit dem sogenannten Resettlement-Programm der UNO zusammen zu arbeiten. Bisher hat die Bundesregierung und die Innenminister-Konferenz nur ein einmaliges Aufnahmeprogramm für 2500 Irakerinnen und Iraker für 2009 beschlossen. Die UNO, insbesondere das UN-Flüchtlingshilfswerk möchte gerne regelmäßig Flüchtlinge nach Deutschland bringen, die ihre Heimat verlassen haben, aber noch kein sicheres Zufluchtsland erreichen konnten. Auch dieser Beschluss hat nur Appell-Charakter, allerdings hat die CDU hier nicht nur alle anderen Parteien gegen sich, sondern stimmte auch gegen die ausdrückliche Bitte der UNO.

Zukunft?

Eigentlich könnte man damit einigermaßen gut leben - die stimmberechtigten Wählerinnen und Wähler wählen Abgeordnete, und diese stimmen über Anträge und Gesetzentwürfe ab. Dabei, das liegt in der Natur der Sache, bekommen einige Anträge eine Mehrheit, andere werden abgelehnt.

Leider gibt es eine Mehrheit der Parteien, die dagegen und für die Bildung von Koalitionen und Mehrheitsregierungen sind. Das führt dann manchmal, wenn auch nicht immer dazu, dass Abgeordnete sich zwischen ihrer Überzeugung und den Vereinbarungen ihrer Führung entscheiden müssen. Entscheidungen werden dadurch vorhersehbar, allerdings auch unehrlich.

Reinhard Pohl

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