(Gegenwind 251, August 2009)
Weil die parteilose Stadtvertreterin Naime Basarici Mitte Mai von der SPD-zur CDU-Fraktion übergetreten ist, verfügt das bürgerliche Lager in der Norderstedter Stadtvertretung wieder über eine Mehrheit. Entgegen dem Ergebnis der Kommunalwahlen vom 25. Mai 2008 kommen FDP und CDU nun auf eine Stimme mehr als SPD, DIE LINKE und die GALiN. Offizieller Grund für den Seitenwechsel: Die Schulpolitik der Genossen.
Auf der Homepage der Norderstedter CDU, aber auch im Gespräch mit der alternativen Nachrichtenseite des "Info Archiv Norderstedt" gab Basarici an, der Umgang der SPD mit den Norderstedter Eltern sei Hauptgrund für ihren Seitenwechsel. Sie wolle nicht weiter mittragen, dass politische Entscheidungen ohne Mitwirkung der Betroffenen gefasst werden. Außerdem habe sie in der SPD keine dauerhafte politische Heimat finden können, da bei den SozialdemokratInnen Fraktionsmitglieder "nicht nach ihrem Können und ihrer Kompetenz gefördert" und nicht ausreichend in die Fraktionsarbeit eingebunden würden.
Das Echo auf den Übertritt Integrationspolitikerin ist derweil geteilt - und teils überaus heftig: Während CDU und FDP Basaricis Entscheidung als Profiteure naturgemäß erfreuliche Seiten abgewinnen können, kritisieren SPD, GALiN und DIE LINKE teils die Mitnahme des Mandates, teils die inhaltliche Begründung der Deutsch-Türkin. In der "Norderstedter Zeitung" empörten sich zudem zahlreiche LeserInnen darüber, dass Basarici zunächst mit SPD-Inhalten in den Wahlkampf gezogen und dafür gewählt worden war, um jetzt dieses Wahlmandat zum politischen Gegner zu tragen. So äußert Monika Klahn Zweifel daran, ob Basarici ohne die SPD "auch bei extremstem Selbstvertrauen" überhaupt zu einem Mandat gekommen wäre. Gerd Behrendt fragt hingegen, ob die Neu-Christdemokratin "Politik für die Bürger dieser Stadt machen" oder "ihre beruflichen Kompetenzen ausleben" wolle. Wegen ihrer nachträglichen Kritik an der SPD-Schulpolitik wundert sich Christian Mangold, ob Basarici das Wahlprogramm der SPD nicht gelesen habe. Und da die Deutsch-Türkin als Integrationspolitikerin zur CDU wechselt, befürchtet Mangold, dass es ihr womöglich entgangen sein könnte, dass die CDU sich vehement "gegen einen EU-Beitritt der Türkei sperrt". Für "unglaubwürdig" hält es nicht nur Stephan Brehmer, dass Basarici zunächst für die SPD-Schulpolitik gestimmt hat, um wenig später wegen dieses Beschlusses die Seiten zu wechseln. Deshalb fragt auch Dieter Schmid, ob die Politikerin nie erfahren habe, dass "es eine Möglichkeit gibt, gegen Anträge der eigenen Partei zu stimmen oder sich zumindest zu enthalten". Nur wenige Stimmen äußerten Verständnis für ihre Entscheidung.
Vor ihrem Wechsel hatte Basarici - auch nach eigenen Angaben - nicht versucht, die Schulpolitik ihrer bisherigen Fraktion zu beeinflussen. Laut Parteichef Heiner Köncke, mit dem gemeinsam sie bislang im Vorstand des Deutsch-Türkischen Kultur- und Freundschaftsvereins Norderstedt saß, hat sie auch in den entscheidenden Sitzungen der Fraktion weder gegen die Beschlüsse argumentiert, noch gegen die Parteimeinung abgestimmt. Lediglich mit einzelnen Fraktionsmitgliedern will die Politikerin gesprochen haben, die übrigens ebenfalls kritisch zur Parteilinie gestanden hätten. Köncke zog mittlerweile die Konsequenzen aus dem Basarici-Wechsel und trat als stellvertretender Vorsitzender des Freundschaftsvereins zurück. Es sei wohl zu verstehen, so der Parteichef, dass eine Zusammenarbeit mit der bisherigen Kollegin nun nicht mehr möglich sei.
Derweil zeichneten sich die gravierendsten Folgen des Fraktionswechsels schon nach Tagen ab: CDU-Fraktionschef Günther Nicolai kündigte für die Stadtvertretung am 9. Juni umgehend an, alle Ausschüsse im Lichte der geänderten Mehrheiten neu besetzen zu wollen, die Baumaßnahmen zur Landesgartenschau auszuweiten und vor allem die heftig umstrittenen Beschlüsse zur Schulentwicklung zu kippen. Und tatsächlich wurden nach dem Willen der Christdemokraten und der Norderstedter FDP genau jene schulpolitischen Verhältnisse wieder hergestellt, wie sie vor den Kommunalwahlen im Mai letzen Jahres beschlossen- und anschließend von der linken Wahlmehrheit ihrerseits gekippt worden waren.
Statt einer Regional- und vier Gemeinschaftsschulen werden durch Fusionierung von Hauptschule Friedrichsgabe und Realschule Friedrichsgabe sowie Umwandlung von Hauptschule Falkenberg und Realschule Garstedt künftig drei Regionalschulen entstehen. Damit ignorieren CDU und FDP sowohl eine Umfrage unter künftigen Grundschuleltern, die ihre Kinder nur zu einem Fünftel auf Regionalschulen schicken wollten, als auch den landesweiten und regionalen Trend, der deutlich in Richtung Gemeinschaftsschulen ausfällt. Andererseits vollstrecken die bürgerlichen Parteien den ausdrücklichen Willen der amtierenden schulischen Gremien und die Forderungen einer vorübergehend aktiven Bürgerinitiative, die mit rechtspopulistischen Parolen beinahe ein Bürgerbegehren in diese Richtung auf den Weg gebracht hätte.
Naime Basarici ließ den Trubel der ersten Stadtvertreter-Sitzung nach ihrem "Tag X" mit gespannter Ruhe über sich ergehen, äußerte lediglich Unverständnis über die Rede des LINKEN-Fraktionschefs Miro Berbig. Der hatte den StadtvertreterInnen aus einer Definition der Anti-Korruptions-Organisation "Transparency International" vorgelesen, die schon den "Missbrauch anvertrauter Macht" als Korruption bezeichnet. Die fahnenflüchtige Basarici sei nach dieser Definition also eine "korrupte Politikerin". Die anschließenden, tumultartigen Szenen im Norderstedter Plenarsaal waren daher ebenso wenig überraschend, die Schelte des beständig pöbelnden CDU-Fraktionschefs Günther Nicolai.
Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass Norderstedt in den letzten fünf Jahren gleich ein halbes Dutzend Fraktionswechsel - teils hin- und wieder zurück binnen weniger Wochen - erlebt hat, und dass dabei beinahe fast alle Akteure ihre Mandate mit sich nahmen. Und ein fader Nachgeschmack: Weil Basarici die Seiten wechselte, ohne in ihrer vorherigen Fraktion jemals ein wahrnehmbares Wort der Kritik, einen Zweifel oder auch nur einen zweideutigen Wortbeitrag geäußert zu haben. So kam es am 9. Juni zu der grotesken Situation, dass sie in Sachen Schullandschaft mit ihrer neuen Fraktion gegen das eigene Votum mit ihrer alten Fraktion stimmte - beide Abstimmungen lagen ganze vier Monate auseinander.
Olaf Harning