(Gegenwind 251, August 2009)
Wenn ich mich selbst zitieren darf (Gegenwind 249, Seite 4, "Befindlichkeiten und Taktik"): "Und bevor die Weihnachtspäckchen für die HSH Nordbank gepackt werden, könnte Carstensen sich schnell noch eben von uns für fünf Jahre wiederwählen lasse. Jetzt gucken wir noch mal in die Verfassung: 70 Tage nach der Landtagsauflösung muss neu gewählt werden. 27. September minus 70 Tage: Möglicherweise wird dann die nächste Regierungskrise inszeniert".
Am 15. Juli war es so weit. Die Koalition hatte sich noch mal zusammen gerauft, ein Sparprogramm mit 4800 Stellenstreichungen beschlossen. Am Mittwoch stand es in Form eines Nachtragshaushaltes im Landtag, die Abgeordneten aus CDU und SPD stimmten geschlossen zu. "Verrat", schrie Carstensen plötzlich, die SPD würde zwar zustimmen, aber gar nicht richtig dahinter stehen. Schon Donnerstag (16. Juli) war der Antrag auf Auflösung des Landtags eingebracht, die Abstimmung wurde dann kurzfristig noch mal verschoben: 27. September minus 70 Tage... (siehe oben)
Das Problem von Peter Harry Carstensen ist die HSH Nordbank. Denn er hatte etwas Wesentliches verschwiegen: Als der jetzige Chef Jens Nonnenmacher im November 2008 eingestellt wurde, hatte der Präsidialausschuss der Bank (in dem die CDU, nicht aber die SPD vertreten ist) einen Vertrag mit ihm geschlossen. Darin wurde ein Sonderkündigungsrecht zum 31.7.2009 vereinbart mit einer Abfindung von 2,9 Millionen Euro. Da die HSH Nordbank erst vier Tage später unter den "Rettungsschirm" der Bundesregierung schlüpfte, war das noch knapp legal. Vier Tage später galten 500.000 Euro pro Jahr als Obergrenze der Entlohnung.
Carstensen und Finanzminister Wiegard hielten das geheim, ebenso wie Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust. Denn sie hofften, Nonnemacher würde nicht kündigen, der 31. Juli einfach so vorüber gehen.
Mitte Juni traf das Ultimatum von Nonnenmacher in Kiel und Hamburg ein: Er würde nicht kündigen, wenn die Abfindung in eine Bonuszahlung von 2,9 Millionen Euro umgewandelt würde. Beide Landesregierungen beschlossen, Nonnemacher um jeden Preis zu halten. Ole von Beust berief eine Kabinettssitzung ein, führte einen schwarz-grünen Beschluss dazu herbei und unterrichte die Opposition. Carstensen redete mit dem SPD-Innenminister Lothar Hay, Wiegard schickte eine SMS, Ute Erdsiek-Rave bekam eine E-Mail, Ralf Stegner wurde ein Vermerk auf den Schreibtisch gelegt, den er nicht las, weil was anderes später drüber gelegt wurde - die ganze Regierungskunst in Kiel zeigt sich darin, dass alles unklar ist. Klar scheint zu sein, dass in der SPD Lothar Hay am 23. Juni informiert war, die Bonus-Zahlung am 26. Juni von Wiegard unterschrieben wurde.
Am 10. Juli 2009 bekamen die Parlamentspräsidenten in Hamburg und Kiel Post von Carstensen und von Beust: Die Spitzen der Regierungsfraktionen wären informiert worden und hätten zugestimmt. Ole von Beust hatte Recht damit, es gab nicht nur eine Unterrichtung, sondern auch eine Abstimmung. Carstensen hatte übertrieben - Stegner sagte "gelogen", Carstensen selbst meinte "zu flott drüber geguckt", denn Ole von Beust hatte auch Carstensens Brief entworfen. Als erstes widersprach ausgerechnet der Chef der CDU-Fraktion, Joe Wadephul, am 14. Juli bei einem kleinen Mittagsessen mit Journalisten: Er habe die Mitteilung erhalten, aber ohne Frage dabei. Er habe also nicht abgelehnt, aber auch nicht zugestimmt. Außerdem habe er die Information erst erhalten, als der Präsidialausschuss am 26. Juni schon unterschrieben habe, er habe also gar nichts mehr beeinflussen können. Andere CDU-Abgeordnete äußerten deutlicher ihre Kritik, dass der eigene Finanzminister mit der Wahrheit erst herausrückte, als alles zu spät war - neben der Kritik an Nonnemacher natürlich, der wirklich schon genug Geld auf dem Konto hat.
Offensiver gestaltete Ralf Stegner seine Kritik: Nein, die SPD habe nicht zugestimmt. Er konzentrierte sich dabei allerdings weder auf die Bank noch auf eventuelle Alternativen, denn der Vertrag vom November 2008 enthielt ja schon die Zahlung über 2,9 Millionen Euro. Er griff vielmehr Carstensen an: Die Behauptung von Carstensen, die Fraktionsspitzen hätten zugestimmt, sei falsch. Carstensen war böse, gab es dann aber zu.
Wenig Glück hatte Carstensen schon vorher. Denn kaum war in der Juni-Sitzung des Landtages der Untersuchungsausschuss zur Nordbank beschlossen, kursierte plötzlich ein "Gutachten" aus der Staatskanzlei.
Der Untersuchungsausschuss, so hieß es dort, sei falsch zusammengesetzt. Denn Kubicki (FDP), Spoorendonk (SSW) und das stellvertretende Mitglied Harm (SSW) hätten zeitweise dem Beirat der Bank angehört, wären also befangen.
Die Aufregung war groß. Dass die Abgeordneten zeitweise im Beirat gesessen hatten, war bekannt, sie selbst hatten es öfter erwähnt. Das war nicht der Punkt. Der Punkt war, dass der Untersuchungsausschuss die Waffe des Parlaments ist, mit dem das Handeln der Regierung kontrolliert, ja nach Möglichkeit auch in allen Einzelheiten ermittelt wird. Die Regierung sollte sich entsprechend den demokratischen Gepflogenheiten vom Parlament als Vertretung des Volkes auch kontrollieren lassen und nicht einzelne Vertreter des Volkes beschuldigen, befangen zu sein. Diese Entscheidung muss den Wählerinnen und Wählern überlassen bleiben.
Auf Nachfrage machte Carstensen es noch schlimmer. Nein, er wollte sich nicht einmischen. Aber Staatsanwälte hätten ihn darauf hingewiesen, und er habe es für seine Pflicht gehalten, das Parlament zu informieren. Staatsanwälte? Ja, zwei seien in die Staatskanzlei abgeordnet, um ihn für die künftigen Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss zu beraten. Vor ein paar Monaten waren noch alle Staatsanwaltschaften in Schleswig-Holstein überlastet, dass sechs neue Stellen geschaffen werden mussten - gut zu hören, dass wir jetzt zwei Staatsanwälte übrig hatten.
Der Landtag fertigte sein eigenes Gutachten, das besagte, der Beirat würde die Bank lediglich beraten und keine Entscheidungen treffen, die Mitglieder seien also nicht befangen.
Also beschloss der Untersuchungsausschuss, welche Akten angefordert werden sollten, und stellte eine Zeugenliste zusammen. Auf der finden sich auch Heide Simonis und Peter Harry Carstensen. Übrigens: Mit der Auflösung des Landtages ist jetzt der Untersuchungsausschuss ebenfalls aufgelöst. Ob erneut einer eingesetzt wird, kann dann erst der neue Landtag im Oktober abstimmen. Die Mehrheit entscheidet (mindestens ein Drittel der Stimmen ist nötig).
Als Wirtschaftsminister Werner Marnette zurücktrat, wies er schon darauf hin: Das Krisenmanagement aus der Staatskanzlei bezüglich der Landesbank ist schlecht. Die Unterlagen werden nicht geheimgehalten, weil sie Geheimnisse der Bank beinhalten, sondern weil die falsche Entscheidungen der Regierung zeigen. Die Bank gehört zu 80 % den Bundesländern Hamburg und Schleswig-Holstein, die auch für die Verluste haften.
Die Globalisierung der Bank ist gescheitert. Sie will nach ihrem neuen Konzept die Hälfte der Bilanzsumme abstoßen ("Bad Bank"), sich auf die andere Hälfte konzentrieren. Das ist im Kern die Schiffsfinanzierung, mit einem Umfang von zur Zeit rund 30 Milliarden Euro ein Drittel der angestrebten Bilanzsumme. Doch die gegenwärtige Krise ist eine Weltmarktkrise, die sich vor allem auf die Transporte auswirkt. In allen Häfen, neuerdings auch wieder in der Geltinger Bucht liegen Frachter in allen Größen und Nationalitäten, für die es zur Zeit einfach keine Fracht gibt. Am 19. Juli 2009 sagte Werner Marnette im Interview in den Lübecker Nachrichten, das Kreditrisiko der HSH Nordbank liege zur Zeit bei 21 Milliarden Euro. Schleswig-Holsteins Haushalt ist ungefähr 8 Milliarden Euro groß, die Schulden liegen mittlerweile über 25 Milliarden Euro - wenn tatsächlich bis zum Jahresende noch mal 21 Milliarden Euro, wenn nur ein Teil davon auf das Land zukommt, kann man Carstensen verstehen, dass er die Landtagswahlen gerne vorher hinter sich bringen möchte.
Der Antrag auf Auflösung des Landtags kam dann zum erwarteten Zeitpunkt, um zu Beginn der 70-Tages-Frist alles hinzubekommen. Die Begründung verblüffte viele doch: Die Nicht-Zustimmung der SPD zur Bonus-Zahlung war's dann, was für Carstensen das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Ein letzter Freundschaftsdienst für Stegner? Denn dass die SPD der Bonus-Zahlung nicht zugestimmt hat, diskreditiert sie ja nicht in den Augen der Wählerinnen und Wähler.
Die Auflösung des Landtags hatte Carstensen dann erst für den 17. Juli beantragt, nachdem der Taschenrechner in der Staatskanzlei wieder auftauchte dann auf den 20. Juli verschoben. Der Antrag wurde angenommen, aber nur mit den Stimmen von CDU, FDP, Grünen und SSW. Die SPD lehnte ab, und damit fehlte die nötige Zweidrittelmehrheit.
Carstensen stellte die Vertrauensfrage (mit der Idee, die CDU könnte ihn ablehnen, damit er den Landtag auflösen darf) und entließ die SPD-Minister. Hier zeigte sich wieder mal die Regierungskunst der mit Amateuren besetzten Staatskanzlei: Obwohl die Regierung vollständig versammelt war, sagte Carstensen den Ministern nichts, sondern ließ sein Versprechen vom Freitag im Raum stehen, er arbeite auch mit den SPD-Ministern gut zusammen und beabsichtige keine Entlassung. Kurs nach der Verabschiedung ließ er dann seinen Staatssekretär Maurus anrufen, das war gegen halb vier, die Entlassung mitteilen und ließ die SPD-Minister auffordern, bis halb sechs ihren Kram zu packen und die Entlassungsurkunde abzuholen. Alle vier weiterten sich, bekamen dann die Entlassung per Post und musste ihre Büros bis Dienstag abend (21. Juli) räumen. Am Dienstag wurden auch die vier Staatssekretäre der SPD entlassen, so dass einige Ministerien völlig ohne Führung dastanden.
Seitdem regiert uns eine Rumpftruppe aus Ministerpräsident (zuständig auch für Justiz, Arbeit und Jugend), Landwirtschaftsminister (zuständig auch für Umwelt, Landesplanung, Soziales, Gesundheit, Reaktoraufsicht und Verbraucherschutz), Finanzminister (jetzt gleichzeitig Innenminister) und Wirtschaftsminister (zuständig auch für Bildung und Frauen).
Am 27. September wird der Landtag neu gewählt. Wenn Peter Harry Carstensen Glück hat, kommt die HSH Nordbank bis dahin mit dem zusätzlichen Kapital von 3 Milliarden Euro und den Bürgschaften von 10 Milliarden Euro aus.
Aber schon während der Koalitionsverhandlungen im Oktober, wobei die Umfragen im Juli uns Verhandlungen zwischen CDU und FDP prognostizieren, könnten die Reserven sich ihrem Ende zuneigen. Wenn durch das Platzen von Krediten die Eigenkapitalquote unter 5 Prozent sinkt, müssen die Anteilseigner Geld nachschießen, und gerechnet wird hier nur in Milliarden-Schritten, nicht in Millionen. Wenn die Eigenkapitalquote unter 4 Prozent sinkt, wird die Bank von der Aufsicht zwangsweise aufgelöst, dann werden für Schleswig-Holstein ungefähr 29 Milliarden Euro fällig.
Es ist möglich, dass die Parteien deshalb teils so zögerlich sind, uns durch gute Politik zu überzeugen - wer schlecht rüberkommt, hat nach den Wahlen die Chance, nicht regieren zu müssen, wenn alles zusammen bricht.
Wir müssen uns erst mal darauf einstellen, für ungefähr drei Monate ohne Regierung zu leben. Das sollte nicht schwerer sein als mit Regierung, vor allem mit dieser.
Reinhard Pohl