(Gegenwind 249, Juni 2009)

8. Mai 2009 in der Kieler Innenstadt - eine Gruppe Neonazis versucht ihre Propaganda zum 8. Mai zu verbreiten, bedrängt von über 100 AntifaschistInnen und geschützt durch ein großes Polizeiaufgebot.

Antifa

Alle reden vom "Rechtsextremismus" - wir nicht!

Der im Folgenden dokumentierte Artikel ist wie kaum ein anderer geeignet, die Momentan in Kiel herrschende Unsicherheit im Umgang mit militanten Faschisten zu erklären. Einerseits ist die öffentliche Reaktion bestimmt von einem Erschrecken vor der Dimension nazistischer Gewalt. Schon die Angriffe im Rahmen der Kommunalwahl, als etlichen linken Projekten die Scheiben eingeworfen wurden haben zu einiger Einschüchterung geführt. Nun werden diese Aggressionen fortgeführt. Dieses Erschrecken führt aber keineswegs zu einer rückhaltlosen Unterstützung antifaschistischer Initiativen, sondern wird von Teilen der Politik sogar gegen diese gerichtet. Wer sich gegen faschistische Umtriebe wehrt wird plötzlich ebenfalls als Täter eines "Bandenkrieges" gesehen. Die Kieler Ratsversammlung hat es tatsächlich so weit gebracht, sich gegen "extremistische Gewalt" auszusprechen, als könne man Angriff und Verteidigung nicht von einender unterscheiden. Der nachfolgende Text zeigt, dass die solchen Einschätzungen zu Grunde liegende "Extremismus-Definition" in der Zielrichtung versucht, antifaschistische Grundeinstellungen zu delegitimieren.

Rechtsextremismus. Dieser Begriff begegnet uns bei zahlreichen Gelegenheiten - in der Berichterstattung der Medien und in Reden von PolitikerInnen, in den Berichten der Verfassungsschutzämter und im wissenschaftlichen Diskurs. Gemeint ist meist dasselbe: jene politischen Akteure, die auf der Grundlage eines rassistischen und antisemitischen Weltbilds tätig sind, demokratische Institutionen und Prozesse beseitigen und die Gesellschaft nach Ungleichheitskriterien hierarchisch organisieren wollen. Meist geht es dabei um Gruppen oder Parteien rechts von der CDU/CSU - mal mehr, mal weniger klar abgrenzbar. Die Verwendung des Begriffs Rechtsextremismus ist allerdings aus unserer Sicht politisch problematisch und daher abzulehnen. Wir zeigen in diesem Text, warum das so ist.

Alles total extrem?

Der Verwendung des Begriffs Rechtsextremismus liegt in Deutschland meistens eine spezifische Vorstellung des demokratischen Rechtsstaates zugrunde. Diesem Modell zufolge, gestaltet sich die Demokratie durch eine Vielzahl unterschiedlicher - mal eher rechter, mal eher linker - Meinungen und Positionen, die jedoch alle die Grundprinzipien der bürgerlichen Demokratie unterstützen. Hierzu gehören etwa die Grund- und Menschenrechte, die Gewaltenteilung oder die Möglichkeit freier und geheimer Wahlen. Als "Extremisten von rechts und links" werden nach dieser Logik jene politischen Kräfte bezeichnet, welche die gesellschaftlichen Strukturen und Verhältnisse nachhaltig verändern wollen. Die Bezeichnung "Extremismus" dient dazu, das Handeln und die Ziele dieser Gruppierungen als undemokratisch darzustellen und diese Gruppierungen auszugrenzen. Gelegentlich wird dieses Modell in Form eines Hufeisens präsentiert, an dessen Enden dann der linke und der rechte Extremismus platziert werden, sich also fast berühren.

Auch diese grafische Aufmachung kann dem hier praktizierten politischen Taschenspielertrick keine Seriosität verleihen. Erstens verweisen wir darauf, dass extrem rechte KritikerInnen der Gesellschaft diese durch die Abschaffung demokratischer Rechte, die Förderung von Rassismus und Ausgrenzung sowie die Verfolgung einer aggressiven Außenpolitik verändern wollen. Demgegenüber strebt die politische Linke im Grundsatz eine Ausweitung demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten an, tritt für eine zivile Bearbeitung von Konflikten ein und will die Ursachen von Armut und Not beseitigen.

Erscheint es also völlig absurd, diese beiden politischen Richtungen mit einem identischen Begriff (Extremismus) zu belegen, so hat dieses Vorgehen doch Methode. Denn die politische Linke vertritt das Ziel, dass demokratische Teilhabe auch im Bereich der Wirtschaft praktiziert werden sollte: Warum sollte ein gesellschaftlicher Bereich, dessen Entwicklung - wie in den letzten Monaten erneut gravierend sichtbar wurde - allein in der Bundesrepublik für Millionen Menschen unmittelbare und schwerwiegende Folgen hat, von einigen wenigen gesellschaftlichen Gruppen kontrolliert werden? Wirtschaftsdemokratie ist die Antwort der Linken, das heißt die unmittelbare Beteiligung derjenigen, welche die Güter herstellen, aber auch derjenigen, die sie verbrauchen (und daher zum Beispiel ein berechtigtes Interesse daran haben, keine gesundheitsschädlichen Produkte zu verwenden).

Diese Zielsetzung bedeutet ein Mehr an Demokratie. Da diese Form der Demokratie aber die Macht derjenigen nachhaltig einschränkt, die derzeit die Entscheidungen in der Wirtschaftspolitik treffen und sich die Taschen vollstopfen, soll die Bezeichnung "Extremisten von links" dazu beitragen, die Linke als undemokratisch abzustempeln und ins gesellschaftliche Abseits zu verbannen. Dies ist umso bedenklicher, da es in den letzten 20 Jahren insbesondere die Linke gewesen ist, die der von CDU und SPD betriebenen Einschränkung der Grundrechte (zum Beispiel des Asylrechts und des Rechts auf Unversehrtheit der Wohnung) am konsequentesten entgegengetreten ist.

8. Mai 2009 in der Kieler Innenstadt - eine Gruppe Neonazis versucht ihre Propaganda zum 8. Mai zu verbreiten, bedrängt von über 100 AntifaschistInnen und geschützt durch ein großes Polizeiaufgebot.

Die VertreterInnen des Extremismus-Konzepts

Beim Extremismus-Konzept handelt es sich also nicht um eine wissenschaftlich begründete Analyse, sondern um ein politisches Instrument, mittels dessen völlig gegensätzliche politische Richtungen gleichgesetzt werden. Die führenden Vertreter der Extremismus-Doktrin im universitären Bereich der Bundesrepublik, Eckhard Jesse und Uwe Backes, haben nicht nur maßgeblichen Einfluss auf den konservativen und den administrativen Diskurs, sondern scheuen selbst keine Berührung mit der sogenannten Neuen Rechten.

Auch wenn manche WissenschaftlerInnen die Unzulänglichkeit dieser Doktrin erkannt haben, siehe Anmerkung 1 so findet sich der Begriff und das damit verbundene Konzept doch in den meisten wissenschaftlichen und medialen Veröffentlichungen. Ob in den Parlamenten, bei der Polizei, dem Verfassungsschutz, den Gerichten oderauch in der politischen Bildungsarbeit - fast ausschließlich findet das Kampfinstrument "Extremismus" Verwendung. Eben dies gilt auch in vielen staatlichen und staatlich geförderten Projekten gegen rechts. Der so genannte antitotalitäre oder anti-extremistische Grundkonsens, der 'Rot' und 'Braun' gleichsetzt, denunziert aktive AntifaschistInnen und betreibt im Zweifelsfall deren Ausgrenzung. Bei der Vorstellung des Hamburger Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus (BNR) erklärte die damalige Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram folgerichtig: "Unser demokratisches Staatswesen wird von Extremisten aller Couleur bedroht" und fügte nach Ausführungen zum BNR hinzu: "Wir dürfen aber nicht auf dem linken Auge blind werden." Zudem sind im Hamburger BNR die BehördenvertreterInnen, zum Beispiel aus der Polizei und dem Verfassungsschutz, deutlich stärker vertreten als AkteurInnen aus der Zivilgesellschaft.

Zur schärfsten Waffe gegen so genannte ExtremistInnen wird die Extremismus-Doktrin durch den Verfassungsschutz (VS). Die Einschätzungen des Inlandsgeheimdiensts gelten als Maßstab für Politik und Justiz, aber auch für die Medien. Kaum ein Journalist oder eine Journalistin wagt ein eigenständiges Urteil über eine "extremistische" Organisation abzugeben, ohne sich beim VS rückzuversichern. Der VS entscheidet mit über Berufs-, Vereinsoder Parteiverbote. Organisationen, die im Verfassungsschutzbericht erwähnt werden, gelten als undemokratisch und gefährlich.

Die Informationen des VS sind allerdings häufig fragwürdig und widersprüchlich, die Quellen unsicher, eine öffentliche oder wissenschaftliche Überprüfung ist unmöglich, denn die Ämter arbeiten ja im Geheimen. Der VS ist in erster Linie ein Geheimdienst, wie zum Beispiel der CIA. Auch der VS ist nicht politisch neutral, sondern folgt den jeweiligen politischen Vorgaben der Länder und des Bundes. Obwohl der VS also auch politische Interessen verfolgt, darf er zu Mitteln greifen, die sonst in der Politik verboten sind: Der Geheimdienst darf nicht nur heimlich observieren, sondern auch InformantInnen anwerben oder verdeckte ErmittlerInnen einschleusen. Er darf sogar den politischen Gegner von innen heraus zersetzen. Aber: Er kann "ExtremistInnen" auch gewähren lassen, wenn es opportun ist. Dabei betreibt er - je nach politischem Bedarf - eine selektive Informationspolitik.

Während der Hamburger VS in den 90er Jahren noch Schnittstellen von Konservatismus und Neofaschismus - etwa bei den völkischen Studentenverbindungen oder der Neuen Rechten - auch in seinen jährlichen Berichten erwähnt hat, tauchen diese Schnittstellen heute nicht mehr auf. Während bei der Linken Organisationen, in denen angebliche "Extremisten" mit "Nichtextremisten" zusammenarbeiten, penibel aufgeführt werden, will man davon bei der extremen Rechten nichts wissen. Dass Personen, welche die Behörden in anderen Bundesländern als extrem rechts charakterisieren, in Hamburg bei Organisationen wie der Staats-und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. oder der Hamburger Burschenschaft Germania referieren, möchte der Senat in diversen Parlamentarischen Anfragen mit Berufung auf das Geheimdienstgesetz nicht zugeben und entsprechend bewerten. Stattdessen erklärte der schwarz-grüne Senat im Januar 2009, dass sich der VS auf "rechtsextremistische Parteien, gewaltbereite und aktionistisch orientierte Rechtsextremisten sowie die rechtsextremistische Musikszene" konzentriert. Wer also nicht Mitglied einer neofaschistischen Partei ist, keine Nazimusik mag und auf der Straße keine "Türken klatscht", kann in Hamburg relativ ungestört seinem braunen Treiben nachgehen. Einige Beispiele der Vergangenheit erhärten diesen Verdacht:

Als im März 2006 AntifaschistInnen bekannt machten, dass sich in der Handwerkskammer jahrelang ein Traditionsverband von ehemaligen Soldaten der Waffen-SS traf, war die Empörung der Öffentlichkeit groß. Bei den monatlichen Versammlungen wurden "Judenwitze " gerissen, die Verbrechen der SS und der Wehrmacht geleugnet und Angela Merkel und Helmut Kohl unterstellt, sie seien Marionetten einer "jüdischen Weltverschwörung". Regelmäßiger Teilnehmer dieser Treffen war auch der damalige Hamburger DVU-Chef Günther Schlemmer. Der VS hatte die Beobachtung der ehemaligen Waffen-SS-Soldaten schon 1992 eingestellt, denn - so rechtfertigte VS-Vize Manfred Murck sich 2006 gegenüber Vorwürfen - der "gewaltbereite Rechtsextremismus hat unser Lagebild geprägt". Im September 2007 wurde dann bekannt, dass sich die DVU in Hamburg regelmäßig in einer Immobilie der Deutschen Bahn traf. Wiederum waren es antifaschistische Gruppen, die darauf öffentlich aufmerksam machten, und nicht der VS.

Groß war die Empörung auch, als im Juni 2007 die Medien über das Lehrerpaar Karin und Jochen Schmutzler berichteten, die damals beide Mitglieder der NPD waren. Dem VS war das Paar zwar "seit Längerem als Unterstützer rechtsextremistischer Parteien bekannt", die Schulbehörde wurde aber erst Anfang 2007 durch den VS benachrichtigt. Zur Kündigung von Jochen Schmutzler und der Versetzung seiner Frau in den Innendienst kam es erst nach der öffentlichen Berichterstattung.

Unter dem Schutz des VS und der Polizei dürfen Neonazis regelmäßig Konzerte in Hamburg durchführen. In den meisten Fällen werdendie ahnungslosen VermieterInnen nicht vorab durch die Behörden informiert. Im November 2005 wurde den Behörden eine "Party mit Livemusik" von Nazis neun Tage vorher angekündigt, die Vermieter wurden zu keinem Zeitpunkt informiert. Die Clubbetreiber wollen, laut Indymedia, spontan wegen Vertragsbruch und Lärmbelästigung die Kündigung ausgesprochen haben, die Polizei weigerte sich jedoch, tätig zu werden. Bei einem Nazikonzert im Januar 2008 in Bahrenfeld wurde durch die 140 anwesenden BeamtInnen nicht geprüft, ob es zu strafbaren oder verbotenen Äußerungen durch die Bands kam.

Ein Konzert der in Nazi- und Hooligan-Kreisen beliebten Band Kategorie C - Hungrige Wölfe konnte am 14. März 2009 unter dem Schutz der Polizei in Moorburg stattfinden. Während zum Beispiel in Haltern eine Woche zuvor ein Konzert dieser Band von Stadt und Polizei verhindert wurde, fand in Hamburg das Konzert in Räumen der städtische SAGA Siedlungsaktiengesellschaft Hamburg statt.

Auch bundesweit gerieten die VS-Ämter im März 2009 in Erklärungsnot: Eine repräsentative Studie zu Jugendgewalt bei der 20.000 Jugendliche durch das Kriminologische Institut Niedersachsen (KFN) befragt wurden, ergab, dass 14,4% der Jugendlichen ausländerfeindlich und 5,2 % eindeutig rechtsextrem sind. Zudem gaben 3,8 % der Befragten gegenüber den ForscherInnen an, "einer rechtsextremen Gruppe oder Kameradschaft" anzugehören - hochgerechnet entspräche dieses mehreren zehntausend organisierten, neofaschistischen Jugendlichen in der BRD. Dem Bundesamt für Verfassungsschutz waren jedoch für das Jahr 2008 insgesamt nur 31.000 "Rechtsextremisten" aller Altersgruppierungen bekannt. Antifaschistischer Panikmache sind die AutorenInnen der Studie übrigens gänzlich unverdächtig, außer dem KFN war das Bundesinnenministerium unter Wolfgang Schäuble (CDU) an der Durchführung des Forschungsprojektes beteiligt.

Der Verfassungsschutz also betreibt gelegentlich Desinformation, verschweigt häufig die Kooperation konservativer und neofaschistischer Kreise, relativiert die Gefahr durch die extreme Rechte und diffamiert oftmals linke und antifaschistische Kritik als "extremistisch". Da die Ämter dennoch über ein weithin ak-zeptiertes Interpretationsrecht verfügen, wird eine öffentliche Auseinandersetzung über die extreme Rechte und den organisierten Neofaschismus eingeschränkt und zur Chefsache der jeweiligen VS-Leiter, Innenminister und entsprechenden Regierungen gemacht. Nicht zuletzt deshalb gehört dieser Geheimdienst abgeschafft, denn er verhindert eine breite und transparent geführte Auseinandersetzung um die Bekämpfung der extremen Rechten und die Analyse der Bedingungen ihres Erfolgs.

Nazis, FaschistInnen und extreme Rechte

Die meisten LeserInnen dieser Broschüre werden sich als AntifaschistInnen verstehen und sich damit auch begrifflich auf den Faschismus beziehen. Allerdings ist auch in der Linken von Faschismus oder Neofaschismus heute viel weniger die Rede als früher. Stattdessen wird mit Blick auf den Zeitraum, in dem die NSDAP an der Macht war (1933-1945), meist der Begriff Nationalsozialismus und bezüglich der Nachkriegsentwicklung meist der Begriff Rechtsextremismus benutzt.

Auch wir verwenden den Begriff Nationalsozialismus, um auf die spezifisch deutsche Herrschaftsform des Faschismus unter der Führung der NSDAP und angegliederter Organisationen sowie auf die deutsche Verantwortung für die Schoah zu verweisen. Zugleich kann mit der Verwendung der Bezeichnung "deutscher Faschismus" aber verdeutlicht werden, dass es zahlreiche strukturelle Gemeinsamkeiten - etwa die Gegnerschaft zu Liberalismus und Sozialismus, die Methoden der Massenmobilisierung, die terroristische Herrschaft, den Militarismus, Nationalismus und Rassismus - mit den Regimes in Italien und Spanien oder mit faschistischen Bewegungen in Osteuropa gab. siehe Anmerkung 2

Konservative WissenschaftlerInnen und PolitikerInnen haben sich aus politischen Gründen schon immer scharf gegen den Faschismus-Begriff gewandt, weil mit diesem auch die historische Tatsache verbunden ist, dass es - neben den konservativen Eliten und Militärs - vor allem deutsche Industrielle und Bankiers waren, die maßgeblichen Anteil an der Durchsetzung des deutschen Faschismus hatten und zudem von seinem imperialistischen Raubprogramm profitierten. Max Horkheimer brachte diese Zusammenhänge mit dem folgenden Zitat auf den Punkt: "Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen". Insbesondere von konservativer Seite wird beim Begriff Nationalsozialismus, den die Nazis bewusst in der Hoffnung wählten, damit vor allem ArbeiterInnen ansprechen zu können, der Vorteil gesehen, diesen als "links" (Sozialismus) diffamieren zu können. Damit wollen sie die schuldhafte Verstrickung des deutschen Konservatismus mit dem NSRegime vergessen machen. Im Gegenzug wird der Begriff Faschismus von konservativer Seite denunziert; er sei - so der frühere Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann (CSU) im Jahr 1988 - "ein Kampfbegriff, den vor allem Kommunisten verwenden".

Jene politischen Gruppen, die sich auf die Weltanschauung der NSDAP beziehen und in die Tradition zentraler AkteurInnen der NSDAP stellen - sei es Hitler, SA-Chef Röhm oder die Waffen-SS -, bezeichnen wir als Neonazis. Dies gilt etwa für den aktuellen Hamburger Lan-desverband der NPD. Auf die gesamte NPD wie auch auf die DVU trifft diese Bezeichnung jedoch nicht so eindeutig zu. Diese sind neofaschistische Organisationen. Denn zu ihren historischen Vorbildern und Bezugspunkten gehören nicht nur Organisationen und Personen des Dritten Reichs, sondern auch Ideologen anderer faschistischer Bewegungen und Regimes in Europa sowie auch deutsche jungkonservative oder nationalrevolutionäre VordenkerInnen aus der Weimarer Republik, die sehr wohl eine autoritäre Diktatur oder ein Drittes Reich propagierten - allerdings nicht einen Faschismus Hitlerscher Prägung.

In der ersten Hochzeit der NPD in den 60er Jahren war es durchaus üblich, diese Partei als neofaschistisch zu kennzeichnen, obwohl sie zu dieser Zeit zwar personell stark von ehemaligen NS-AktivistInnen geprägt war, in Weltanschauung und Auftreten jedoch, viel stärker als heute, auf den Konservatismus ausgerichtet war. Nicht nur marxistische Politologen wie Reinhard Kühnl (Die NPD - Struktur, Programm und Ideologie einer neofaschistischen Partei, 1967), sondern auch bürgerliche Historiker wie Lutz Niethammer (Angepasster Faschismus - Politische Praxis der NPD, 1969) legten damals Standardwerke zur NPD vor, in denen sie die Partei als faschistisch charakterisierten.

Neonazis und NeofaschistInnen sind Teil einer breiteren Strömung der extremen Rechten, mit denen sie zahlreiche weltanschauliche Gemeinsamkeiten - etwa Rassismus, Nationalismus und Antisemitismus - teilen. Zugleich gibt es jedoch auch Unterschiede, insbesondere hinsichtlich der ideologischen Nähe zu den historischen Formen des Faschismus. Eine präzise Abgrenzung einer extremen Rechten von einer gemäßigten Rechten, das heißt dem Konservatismus, ist nicht immer möglich. Dies liegt daran, dass in der politischen Realität diese Übergänge fließend sind und von den Beteiligten nicht immer ein scharfer Trennungsstrich gezogen wird.

Zugegebenermaßen gibt es keine wirklich befriedigende Alternative, wenn es um einen Sammelbegriff für diejenigen geht, die ansonsten mit NeofaschistInnen, NeonazistInnen, Rechtskonservativen oder einfach Nazis benannt werden können. In der Forschung hat sich die Bezeichnung "extreme Rechte" durchgesetzt, da damit der radikalste Flügel der politischen Rechten etwa gegen die konservative Rechte abgegrenzt und benannt werden kann, ohne automatisch auf eine Gleichsetzung dessen am "linken Rand" zu verweisen. Entsprechend benutzen auch wir diesen Begriff, wenn es um das Spektrum von NPD und Umfeld geht.

Anmerkungen

(1) "Der Extremismusansatz konnte sich in der sozialwissenschaftlichen Forschung nicht durchsetzen. Eine eigenständige, empirisch orientierte Forschungsrichtung, die sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden linker, rechter und religiöser Extremismen befasst, ist nicht erkennbar." Schubarth, Winfried / Stöss, Richard (Hrsg.), Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, 2001.

(2) Den an der neueren Faschismusforschung Interessierten seien vor allem die Werke der angelsächsischen Autoren Roger Griffin, Stanley Payne und Robert O. Paxton, des israelischen Historikers Zeev Sterhell sowie der deutschen Autoren Arnd Bauernkämpfer und Richard Saage empfohlen.

Aus der Brochüre "Die Reihen fest geschlossen" - Anatomie der Hamburger NPD und ihres Umfeldes, herausgegeben von Ver.di Hamburg und Avanti - Projekt undogmatische Linke. Wer sich selbst ein Bild machen möchte kann die Broschüre über linke Buchhandlungen, Infoläden oder bei der Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft, Landesbezirk Hamburg, Besenbinderhof 60, 20097 Hamburg beziehen.
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