(Gegenwind 249, Juni 2009)

Dolmetscher-Treffen / Migration

Dolmetschen für Eltern und Lehrer, Ärzte und PatientInnen: Kein Beruf?

Es ist kein Geheimnis, dass ausländische Schülerinnen und Schüler weit schlechter als Einheimische abschneiden. Patientinnen und Patienten, die wenig oder kein Deutsch sprechen, verbringen bei gleichen Krankheiten oder Operationen längere Zeit im Krankhaus zu und werden öfter von Arzt zu Arzt geschickt.

Ein Problem ist die Verständigung. Eigentlich kein Problem - es gibt ja genug Dolmetscherinnen und Dolmetscher. Sobald Lehrerinnen und Lehrer mit den Eltern sprechen, klappt die schulische Karriere der Kinder deutlich besser. Aber tun sie es? - Über das Ansehen des Berufs sprachen wir mit drei Dolmetscherinnen.

Gisela Reinhard

"Als Expertin bezahlt werden"

Gisela Reinhard arbeitet als Lehrerin sowie als Dolmetscherin und Übersetzerin für Russisch in Mölln und dem Kreis Herzogtum Lauenburg.

Gegenwind:

Wie hast du die Sprachen gelernt, die du kannst, und wie bist du Dolmetscherin geworden?

Gisela Reinhard:

Ich bin von der Geburt her Deutsche, und ich bin auch in Deutschland geboren, und zwar in Berlin. Zum Dolmetschen bin ich durch meine Arbeit in der Erwachsenenbildung gekommen. Ich habe dort Aussiedler unterrichtet, ihnen Deutschunterricht gegeben. Die fragten irgendwann einmal, ob ich nicht ihre Dokumente übersetzen könnte. Dann habe ich mich darum gekümmert, dass ich die Zulassung bekommen, und seitdem übersetze ich. Das war Anfang der 90er Jahre.

Und Russisch hatte ich schon in der Schule gelernt, danach habe ich Russisch studiert. Dann habe ich in der Schule auch Russisch unterrichtet, in der DDR damals. Als ich hierher kam, konnte ich das Russisch, was man in der Schule kann. Hier habe ich im täglichen Umgang mit den Aussiedlern wieder richtig Russisch gelernt.

Gegenwind:

Wie fing denn der Beruf dann an? Wie kamst du zu deinen Aufträgen?

Gisela Reinhard:

Die ersten Aufträge kamen von Aussiedlern, die ich unterrichtet habe. Und dann ging es nach dem Schneeballsystem. Ich war lange Zeit die einzige Russisch-Übersetzerin im Kreis, und ich habe hier ständig mit Aussiedlern und für Aussiedler gearbeitet. Ich hatte ja täglich mit den Leuten Kontakt.

Gegenwind:

War den Aussiedlern, die du unterrichtet hast, von Anfang an klar, dass sie für die Übersetzungen bezahlen müssen?

Gisela Reinhard:

Das war den Aussiedlern klar. Ich hatte aber überhaupt keine Ahnung damals. Ich habe überlegt, wie viel Zeit ich für die Übersetzungen brauche. Dann habe ich überlegt, wie viel Geld ich in der gleichen Zeit als Lehrerin bekomme, und das habe ich dann berechnet für das Dolmetschen oder das Übersetzen.

Gegenwind:

Gab es damals Kontakte zu anderen Dolmetscherinnen oder Übersetzerinnen? Konntest du dich über die Arbeit oder die Preise austauschen?

Gisela Reinhard:

Ich hatte keine Kontakte, ich hatte auch keine Informationen über den Beruf. Nichts. Alles habe ich mir selbst überlegt.

Gegenwind:

Gab es denn Bitten, kostenlos zu dolmetschen?

Gisela Reinhard:

Das kam öfter. Das kam aus der Einrichtung, in der ich unterrichtet habe. Wenn es soziale Probleme gab, Probleme mit Kindern in der Schule, dann bat mich die Leitung, das zu übernehmen und die Leute zur Schule oder zur Behörde zu begleiten.

Gegenwind:

Wie hast du auf solche Bitten reagiert?

Gisela Reinhard:

Ich habe es gemacht. Ich bin kostenlos mitgegangen. Das war aber nur in der Anfangszeit. Später habe ich damit angefangen, auch Geld zu nehmen, weil ich feststellte, dass damit viel Zeit draufgeht und es nicht sein kann, dass ich für nichts arbeite.

Gegenwind:

Von wem hast du denn dann Geld verlangt? Von den betroffenen Aussiedlern? Oder von den Einrichtungen, den Schulen und Behörden?

Gisela Reinhard:

Die Schulen haben eigentlich immer gesagt, wenn die kein Deutsch können, müssen sie selbst dafür sorgen, dass ein Dolmetscher da ist und sie müssen den Dolmetscher auch bezahlen. Ich habe das damals auch nicht in Frage gestellt.

Gegenwind:

Hältst du das heute noch für eine richtige Haltung von Schulen?

Gisela Reinhard:

Nein, halte ich nicht für richtig. Man lernt ja dazu. Es ist in keinem anderen Beruf so, dass man so verfahren kann. Wenn ich dolmetschen soll, dann bin ich Expertin, und dann muss ich auch als Expertin bezahlt werden.

Gegenwind:

Gibt es hier denn Diskussionen von Schulen oder Schulräten, wie man mit ausländischen Eltern umgehen sollte? Gibt es ein Bewusstsein für das Problem?

Gisela Reinhard:

Ich weiß von nichts. Die einzelnen Direktoren oder Schulleiter kommen auf mich zu, wenn eine Frau aus Russland oder Kasachstan da ist, und fragen, ob ich mit der Frau was machen kann. Wenn es türkische Eltern sind, müssen meistens die Kinder dolmetschen. Wenn ich als Lehrerin damit zu tun haben, dann bestelle ich sie in die Schule, damit ich wenigstens aufpassen kann, was die dolmetschen und wie die dolmetschen. Ich kann kein Türkisch, aber die Körpersprache verrät mir, ob sie es richtig machen.

Gegenwind:

Was wünscht du dir von den Schulen? Wie sollten sie es organisieren?

Gisela Reinhard:

Ich könnte mir vorstellen, eine klare Linie zu schaffen, die Lehrertätigkeit und die Dolmetschertätigkeit klar zu trennen und beides zu bezahlen.

Gegenwind:

Gibt es denn auch positive Erfahrungen?

Gisela Reinhard:

Positiv finde ich, dass ich durch meine Übersetzertätigkeit und auch die Dolmetsch-Tätigkeit einen viel tieferen Kontakt zu den Eltern habe. Man kommt so leichter an die Eltern und die Kinder ran. Die Eltern kommen dann auch mit anderen Problemen zu mir, und wenn ich "nur" Lehrerin wäre, würde ich vieles überhaupt nicht erfahren.

Gegenwind:

Aber das bedeutet ja, dass ausländische Eltern sich bei Problemen mit der Schule oder Behörden nicht an die Lehrer wenden, sondern an die Dolmetscherin.

Gisela Reinhard:

Ja, sie kommen zu mir. Ich bin ja Lehrerin und Dolmetscherin. Und die meisten Aussiedler im Kreis kennen mich.

Gegenwind:

Und was ist mit der albanisch-sprachigen Mutter? Hat die Pech gehabt, weil keine Lehrerin Albanisch kann?

Gisela Reinhard:

Die kommt auch zu mir. Ich berate auch türkische und andere Eltern. Die russisch-sprachigen Kinder erzählen es anderen Kindern. Aber da sind dann natürlich die Kinder oft auch die Sprachmittler.

Gegenwind:

Und wie machen die Kinder das? Machen sie es gut genug?

Gisela Reinhard:

Die meisten türkischen Väter können einigermaßen Deutsch. Die Mütter können es weniger, außer wenn sie arbeiten gehen. Ansonsten muss man dabei sitzen, wenn Kinder dolmetschen, und an der Mimik und Gestik erkennen, ob es ankommt und verstanden wird.

Gegenwind:

Wie viel von dem, was in Mölln und Umgebung gedolmetscht wird, wird von Kindern gemacht?

Gisela Reinhard:

Sicherlich wird der größte Teil von Kindern gemacht. Ich meine, es sind sicherlich 90 Prozent. Mindestens.

 

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