(Gegenwind 248, Mai 2009)

Integrations-Studie

Vergiftetes Klima?

Anfang 2009 machte eine Studie des "Berlin-Instituts" Schlagzeilen: Einwanderer aus der Türkei, so das Ergebnis, wären schlechter integriert als andere Einwanderer. Die Reflexe der Verantwortlichen kamen wie erwartet. Maria Böhmer, Integrationsbeauftragte im Berliner Kanzleramt, forderte von "den Türken" größere Anstrengungen bei Bildung und Schulbesuch. Das Zentrum für Türkeistudien dagegen warf dem Institut vor, durch das Auseinanderdividieren verschiedener Einwanderer-Gruppen das Klima zu vergiften. Dennoch lohnt es sich, einen Blick in die Studie zu werfen. Vorhandene Probleme kann man nur lösen, wenn man sie zuvor erkannt hat.

Anfang 2009 machte eine Studie des "Berlin-Instituts" Schlagzeilen: Einwanderer aus der Türkei, so das Ergebnis, wären schlechter integriert als andere Einwanderer. Die Reflexe der Verantwortlichen kamen wie erwartet. Maria Böhmer, Integrationsbeauftragte im Berliner Kanzleramt, forderte von "den Türken" größere Anstrengungen bei Bildung und Schulbesuch. Das Zentrum für Türkeistudien dagegen warf dem Institut vor, durch das Auseinanderdividieren verschiedener Einwanderer-Gruppen das Klima zu vergiften. Dennoch lohnt es sich, einen Blick in die Studie zu werfen. Vorhandene Probleme kann man nur lösen, wenn man sie zuvor erkannt hat.

"Ungenutzte Potentiale" heißt die Studie des Berliner Instituts für Bevölkerung und Entwicklung, die mit ihren fast hundert engbedruckten Seiten im Internet veröffentlicht wurde (www.berlin-institut.org).

Dabei nutzen die Autoren die Zahlen des Mikrozensus 2005, der genaue Daten über 800.000 Einwohnerinnen und Einwohner aus Deutschland vorlegte. Die Autoren haben das, ebenso wie die Statistischen Ämter, auf die Gesamtbevölkerung hochgerechnet. Anschießend haben sie verschiedene Gruppen definiert - Einheimische auf der einen Seite, rund 15 Millionen Einwanderer auf der anderen. Die Einwanderer wurden unterschieden in Einwanderer aus der EU (Nord- und Mitteleuropa), Einwanderer aus Südeuropa (ehemalige Anwerbeländer für Gastarbeiter), Einwanderer aus Jugoslawien, der Türkei, Afrika, Nahost, Fernost sowie Aussiedler.

Bei den Einwanderern wurde unterschieden zwischen denen, die selbst eingewandert sind im Gegensatz zu denen, die hier als Kinder von Einwanderern geboren sind. Zum Teil wurden dann die Ergebnisse der Datenerhebung wie Bildungsgrad, Bezug öffentlicher Leistungen und anderes noch danach unterschieden, wie die Zahlen für die eingebürgerten Einwanderer im Gegensatz zu denen aussehen, die die ausländische Staatsangehörigkeit behalten haben.

Alle Ergebnisse wurden dann auch noch nach Bundesländern aufgeschlüsselt, wobei die ostdeutschen Bundesländer (außer Berlin) wegen der dann doch zu geringen Zahl der Betroffenen zusammen genommen wurden, ebenso wurde Bremen zu Niedersachsen gerechnet.

Was ist Integration?

Die Kriterien, mit der die Integration gemessen wurden, sind sicherlich umstritten. Aber die Autoren der Studie haben ihre Kriterien offen gelegt. Man kann die Ergebnisse in ausführlichen Tabellen nachlesen, und es ist durchaus möglich, den Schlussfolgerungen nicht zu folgen.

Die Autoren haben ausgewertet, wie viel Prozent der Einwanderer die Einbürgerung erreicht haben und wie viele in bikulturellen Ehen leben. Auf dem Bereich der Bildung haben sie ausgerechnet, wie viele ohne Abschluss sind, wie viele die Oberstufe eines Gymnasiums besucht haben und wie viele ein Hochschulstudium abgeschlossen haben.

Die umfangreichsten Auswertungen haben sie auf dem Gebiet des Erwerbslebens vorgenommen. Die Autoren gehen davon aus, dass die Teilnahme am Erwerbsleben das wichtigste Kriterium für eine Integration ist. Dabei wurde festgestellt, wie viel prozent erwerbslos sind, aber auch, wie viel Prozent überhaupt "Erwerbspersonen" sind, also keine Kinder oder RentnerInnen. Dann haben sie die Erwerbslosenquote bei Jugendlichen verglichen, die Hausfrauenquote, den Anteil der Selbständigen, den Anteil der Beschäftigen im öffentlichen Dienst und den Anteil der Personen, die einen von den Autoren so genannten Vertrauensberuf ausüben. Dazu werden Ärzte, Anwälte, PolizistInnen und LehrerInnen gezählt. Schließlich ging es um den Bezug öffentlicher Leistungen und die Höhe des monatlichen Einkommens.

Dynamische Indikatoren

Schließlich haben die Autoren alle Gruppen von Einwanderern in der Statistik noch mal in zwei Untergruppen zerlegt: in diejenigen, die selbst eingewandert sind, und ihre Kinder. Auf fünf Gebieten werden sie miteinander verglichen:

Die Integration in Schleswig-Holstein liegt nach dem Punktesystem des Berlin-Instituts auf einem der letzten Plätze, obwohl (oder weil?) Schleswig-Holstein das westdeutsche Bundesland mit den wenigsten Einwanderern ist. Und der schlechte Platz wird gemessen, obwohl die Hälfte der Einwanderer entweder Aussiedler (30 Prozent) oder EU-Bürger aus Nordeuropa (18 Prozent) sind. Mangels Schwerindustrie und großen Städten sind Einwanderer aus der Türkei nur eine kleine Gruppe (16 Prozent). Außerdem haben Einwanderer in Schleswig-Holstein zu 58 % inzwischen die deutsche Staatsangehörigkeit. Trotzdem gibt es hier wenig Akademiker unter den MigrantInnen, dafür sind 20 Prozent von öffentlichen Leistungen abhängig.

Ein paar Zahlen aus der Studie seien hier aufgeführt: Das Berlin-Insitut hat in Schleswig-Holstein Einheimische, Aussiedler und Einwanderer aus der Türkei verglichen (Angaben in Prozent):

  Aus- siedler Ein- wanderer Türkei Ein- heimische
deutsche Staatsbürgerschaft 100 34  
bikulturelle Ehe 25 7  
ohne Bildungsabschluss 3 26 2
Schüler der gymn. Oberstufe 26 6 27
Hochschulreife 29 14 32
Akademiker 16 15 17
erwerbslos 18 23 9
Erwerbspersonen 70 66 74
Hausfrauenquote 27 47 23
Selbständige 8 8 11
besch. im öff. Dienst 17 9 22
Vertrauensberufe 5 4 18
abh. von öff. Leistungen 16 20 8

Aussiedler sind am besten integriert

Nach den Zahlen des Mikrozensus und den selbst definierten Kriterien für guten und schlechte Integration schneiden die Aussiedler in der Studie am besten ab. Dabei erwähnen die Autoren die unterschiedlichen Startbedingungen, ohne sie allerdings in die Bewertung einzubeziehen. Aussiedler erhalten bei der Ankunft einen deutschen Pass unter Hinnahme der Mehrstaatlichkeit, müssen also nicht auf ihren polnischen, russischen oder kasachischen Pass verzichten. Außerdem bekommen sie sofort, und das schon seit Jahrzehnten, einen kostenlosen Sprachkurs.

Die Quote der bikulturellen Ehen vervierfacht sich innerhalb einer Generation, die Abhängigkeit von öffentlichen Leistungen halbiert sich.

Einwanderer aus der Türkei sind am schlechtesten integriert

Ganz anders das Bild bei den Einwanderern aus der Türkei, womit die Autoren der Studie übrigens keineswegs nur Türkinnen und Türken meinen, sondern alle Einwanderer aus dem Land und ihre Nachkommen. Sie sehen hier vor allem den geringen Grad an eingebürgerten Einwanderern (über alle Generation hinweg nu 32 Prozent) als Indikator, außerdem die niedrige Quote an Eheschließungen außerhalb der eigenen Gruppe. Auch von den hier geborenen und aufgewachsenen Kindern von Einwanderern heiraten 95 % innerhalb ihrer eigenen Bevölkerungsgruppe oder holen sich Ehepartnerinnen und Ehepartner aus der Türkei, nur fünf Prozent leben in einer bikulturellen Ehe.

Nur wenn man sich die Gruppe der eingebürgerten Einwanderer aus der Türkei und ihrer Kinder ansieht, gibt es eine leicht andere Tendenz: Hier heiraten ungefähr 90 Prozent innerhalb der eigenen Gruppe, ungefähr 10 Prozent leben in einer bikulturellen Ehe.

Fazit

Liest man die Studie insgesamt und nicht nur die Zusammenfassung, zeigt sich, dass die Schlagzeilen und auch die Stellungnahmen aus der Politik täuschen. Es wird sehr differenziert untersucht, von welcher Ausgangsposition aus sich die verschiedenen Einwanderergruppen innerhalb der hiesigen Gesellschaft weiter entwickeln.

Einwanderer aus den nördlichen Ländern der EU kommen im Allgemeinen mit einer guten Ausbildung und Aussicht auf einen Arbeitsplatz her kamen, hatten es schon immer leicht, deshalb waren Verbesserungen in der zweiten Generation nicht zu erwarten. Einwanderer aus der Türkei kamen als Hilfsarbeiter, oft nicht nur ohne Ausbildung, sie wurden gezielt so ausgewählt. Dass sich der Anteil der Akademiker in der 2. Generation verdoppelt hat, aber 95 Prozent von ihnen innerhalb der eigene Gruppe heiraten, sind Informationen aus dem Mikrozensus, die eine seriöse Diskussion verdienen.

Die Studie zeigt außerdem deutlich: Migrant und Migrant sind zwei völlig unterschiedliche Menschen. Und bei der Integration gibt es deshalb keine Patentrezepte.

Reinhard Pohl

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