(Gegenwind 246, März 2009)
Nichts hat die "Großgemeinde" Henstedt-Ulzburg in den letzten Jahren derart in Aufruhr versetzt, wie die Abwahl ihrer stellvertretenden Bürgermeisterin Karin Honerlah am 21. Januar.
Mit überraschender Unterstützung der SPD setzten die Christdemokraten - begleitet von tumultartigen Szenen im Ratssaal - ihren Antrag durch, den sie mit einer lediglich "möglichen Treuepflichtverletzung" der Kontrahentin von der örtlichen Wählergemeinschaft begründeten. Doch die CDU könnte Opfer ihrer eigenen Strategie werden: Die traditionell enge Verzahnung zwischen christdemokratischer Kommunalpolitik, der Stadtverwaltung unter Bürgermeister Volker Dornquast (CDU) und privaten Gewinninteressen gerät in den Fokus der Öffentlichkeit.
"Leben in Suburbia", so betitelte der Soziologe, Politologe und Volkswirt Marcus Menzl sein 2006 erschienenes Buch über "Raumstrukturen und Alltagspraktiken am Rand von Hamburg", oder konkret: In Henstedt-Ulzburg. Darin kommt Menzl unter anderem zu dem Ergebnis, dass in der 25.000-Seelen-Gemeinde "in kleinem Kreis wichtige Fragestellungen außerhalb der formal gewählten Gremien vorgesprochen und entwickelt werden". Außerhalb formal gewählter Gremien, dafür vielleicht im Norderstedter Büro der KSK-Ingenieure, wo der CDU-Ortsvorsitzende Wolfgang Horstmann sowohl sein Statik-Unternehmen, als auch die Geschäftsstelle der Henstedt-Ulzburger CDU unterhält? Im Ortsvorstand der Christdemokraten fielen in der Zeit vor den Kommunalwahlen vom 25. Mai 2008, also zu Zeiten einer absoluten Mehrheit in der Gemeindevertretung, zahlreiche Entscheidungen mit Tragweite und dort wurde möglicherweise auch so mancher Auftrag vergeben. So oder so ähnlich sehen es jedenfalls zahlreiche erboste Bürger, die ihrer Wut zur Zeit in Leserbriefen und Erklärungen Luft machen. Aufträge von Bürgermeister Volker Dornquast, der dem Ort seit 1988 vorsteht und der "berufenes Vorstandsmitglied" seiner Partei sein soll. Aufträge an den Parteivorsitzenden Wolfgang Horstmann, der in den letzten Jahren eine Vielzahl der Gemeinde-Aufträge in Sachen Statik ohne vorherige Ausschreibung erhielt.
Doch zunächst standen ja nicht Vorwürfe gegen die CDU auf der Tagesordnung, sondern mögliche Treuepflichtverletzungen von Karin Honerlah. Die hatte anlässlich der Kommunalwahlen mit der Wählergemeinschaft Henstedt-Ulzburg (WHU) fast 35% der Stimmen erzielt und wurde damit völlig überraschend nicht nur stärkste Kraft in der Gemeindevertretung, sondern durchbrach auch die jahrzehntelange Vormachtstellung der CDU im Ort.
Bereits während des Wahlkampfs war sie von christdemokratischen Politikern vor einem Interessenkonflikt gewarnt worden, da sich ihre Familie seit geraumer Zeit mit der Gemeinde in Verhandlungen über einen Grundstücksverkauf befinde. Und tatsächlich besitzt Familie Honerlah ein größeres Grundstück zwischen Heideweg und Autobahnzubringer, über das Karin Honerlahs Vater Heinrich, selbst jahrelang Gemeindevertreter der CDU, 1999 widerwillig einen Vertrag inklusive Kaufoption abschloss. Diese Option wurde von der Familie 2003 sogar freiwillig verlängert, weil die Gemeinde sich bezüglich der Flächen noch unschlüssig war. Erst 2007 bekundete Bürgermeister Dornquast schließlich Interesse, seitdem wird mit mäßiger Intensität darüber verhandelt, was und wo genau nach dem Verkauf gebaut werden soll.
Hintergrund: Da Familie Honerlah direkt an den Flächen wohnt, will man - salopp formuliert - zumindest ein 30-Meter-Betonsilo verhindern. Ein vergleichsweise normales Grundstücksgeschäft also, in dem es eigentlich nur noch um Randfragen geht.
Dennoch war sich CDU-Fraktionschef Folker Brocks Anfang Januar endgültig sicher, dass es "erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit" Honerlahs als stellvertretende Bürgermeisterin gebe und initiierte folgerichtig einen Abberufungsantrag gegen seine Kontrahentin. Da sich überraschend auch die SPD unter ihrem Fraktionsvorsitzenden Horst Ostwald dem Antrag anschloss, wurde Honerlah am 21. Januar eilig abgewählt, ohne auf ihren Vorschlag einzugehen, zuvor eine Stellungnahme der in solchen Fragen zuständigen Kommunalaufsicht abzuwarten und ohne einen sonst als bindend angesehenen Beschluss des Ältestensrates der Gemeinde zu beachten, der erstmals eingebrachte Anträge zunächst in den Fraktionen beraten sehen will.
Die Antwort meint unter anderem Horst Schmidt zu kennen, seinerseits jahrelang Bürgervorsteher der CDU und dort mittlerweile "persona non grata". In einem Leserbrief nennt er die von Brocks für die Abwahl vorgebrachten Gründe "lächerlich". Die CDU habe sich in Wahrheit einer "qualifizierten, vorbereiteten, informierten, nicht immer pflegeleichten Gemeindevertreterin entledigt", anstatt sich "menschlich und sachorientiert" mit ihr auseinanderzusetzen. Noch weiter geht der langjährige SPD-Fraktionsvorsitzende der Gemeinde, Uwe Rohlfing: In einem Offenen Brief an seinen Nachfolger Horst Ostwald bezichtigt er seine Parteikollegen, in einer Form "übler Kumpanei" den "nützlichen Idioten" für die CDU gespielt zu haben. Ähnlich wie Schmidt sieht Rohlfing in der Abwahl der WHU-Politikerin nur den Versuch, "mal wieder jemanden abzuräumen, der dem Bürgermeister Dornquast und der Aufdeckung seiner Machenschaften zu nahe gekommen ist".
Tatsächlich findet sich bei den Ulzburger Christdemokraten eine kaum mehr zu entwirrende Verflechtung zwischen Altbürgermeister Heinz Glück, seinem seit 1988 amtierenden Nachfolger Volker Dornquast, der Gemeindeverwaltung und privatwirtschaftlichen Interessen einzelner Parteigrößen. Beginnend mit Günther-Heinz Baum, der in den 80er Jahren unter anderem Ulzburger Parteivorsitzender und Kreispräsident- sowie als Architekt zeitgleich maßgeblich an der städtebaulichen Entwicklung Henstedt-Ulzburgs beteiligt war, über Volker Manke, der in den 90er Jahren als CDU-Ortsvorsitzender mit zahllosen Aufträgen für sein Bauunternehmen bedacht wurde, bis hin zu den bereits genannten Auftragsvergaben zwischen den CDU-Vorstandskollegen Dornquast und Horstmann. Keiner dieser Verbindungen konnte bislang der Ruch der Illegalität angelastet werden, allesamt erfüllen sie allerdings das, was die CDU jetzt zu Recht Karin Honerlah vorwirft: Die Herbeiführung von Situationen, in der ein Amtsmissbrauch mindestens möglich - wenn nicht wahrscheinlich - wird.
Von derlei Vergleichen will CDU-Fraktionschef Brocks jedoch nichts wissen. Zielsicher weist er auf das in der Tat unglückliche Doppelamt Honerlahs hin, das sie als stellvertretende Bürgermeisterin und Fraktionsvorsitzende der WHU auch ohne Grundstücksgeschäfte in innere Konflikte führen muss, wenn sie den Bürgermeister vertritt. An den regelmäßigen Auftragsvergaben zugunsten seines Parteifreundes Wolfgang Horstmann mag er hingegen nichts fragwürdig finden, habe doch der Bürgermeister zumindest die Vergabe der größeren Projekte nicht ohne die kommunalpolitischen Gremien entscheiden können. Die zahlreichen öffentlichen Reaktionen, die der CDU ein dichtes Netz an Seilschaften unterstellen, sieht er auf das "direkte Umfeld der WHU" beschränkt.
Seltsam nur, warum sich die CDU Mitte Januar hektisch bemühte, den Namen des Bürgermeisters aus der Vorstandsliste der CDU im Internet zu löschen: Quasi über Nacht verschwanden Dornquast selbst, der ehemalige Vorsitzende und MANU-Bau-Chef Volker Manke und auch Fraktionschef Brocks selbst aus dem "Online-Vorstand". Dabei könnte die Löschung auf der Internet-Präsenz www.cdu-henstedt-ulzburg.de theoretisch sogar von außen initiiert worden sein: Der für die CDU-Seiten laut Impressum redaktionell und technisch verantwortliche Frank Bueschler betreut auch die Internet-Präsenz der Gemeindeverwaltung - ein Schelm wer Böses dabei denkt. Gegenüber dem Gegenwind wies Bueschler von sich, redaktionellen Einfluss auf die CDU-Seiten zu haben, die Inhalte würden in der Regel von Wolfgang Horstman in Auftrag gegeben. Und laut Horstmann gehört Volker Dornquast eben nicht dem örtlichen CDU-Vorstand an, auch nicht als "berufenes Mitglied". Der falsche Eintrag sei von der die Internet-Seiten betreuenden Firma zu verantworten gewesen und man habe diesen Fehler jetzt korrigiert. Die auch gegen seine Person gerichteten Vorwürfe weist der Statiker scharf zurück: Die Gemeinde vergebe ihre (Statik-)Aufträge in der Regel an die zwei ortsansässigen Firmen, zu denen seine eigene wohl zähle, auch wenn sie ihren Sitz in Norderstedt hat. Die Vergaben würden durch den Bürgermeister selbst, aber auch durch einen "Rathausauschuss" vorgenommen. Persönliches spiele da keine Rolle.
In "Leben in Suburbia" beendet Autor Menzl seine Abhandlung über die "Hinterzimmer-Kungelei" Henstedt-Ulzburgs mit der eher pessimistischen Feststellung, "dass der Einfluss und die realen Machtkompetenzen der in dieser Konstellation zusammenkommenden Akteure so groß sind, dass hier getroffene Entscheidungen bereits enormes Gewicht besitzen. (...) Versuche, diesen Ablauf zu skandalisieren, schaffen es in der Regel jedoch nicht, die Bewohner in nennenswertem Maße aufzubringen". Ausgerechnet der harte Angriff der Henstedt-Ulzburger CDU auf die politische Kontrahentin Karin Honerlah, geführt mit der durchaus angebrachten Frage, ob die WHU-Chefin immer die Grenze zwischen Amt und Privatinteresse gewahrt hat, könnte nun diese stabile "Hinterzimmer-Demokratie" ins Wanken bringen. Denn jetzt sind alle Augen in der Gemeinde auf all das gerichtet, was an Entscheidungen sich nicht an der Oberfläche abspielt und: Abgespielt hat.
Und das ist eine Menge.
Olaf Harning