(Gegenwind 246, März 2009)
Zwischen der Ukraine und Moldawien liegt ein kleiner, international nicht anerkannter Staat, meistens "Transnistrien" genannt. Von dort kommt Natalia Blajanova, die heute in Flensburg lebt und dolmetscht.
Gegenwind:
Kannst Du erzählen, woher Du kommst und wie Du nach Deutschland gekommen bist?
Natalia Blajanova:
Ich heiße Natalia Blajanova. Ich komme aus Moldawien. Ich wurde 1965 in Anenij Noj geboren, das ist ein kleiner Ort zwischen Chisinau und Tighina. In diesem Ort wohnten mehrheitlich russischsprachige Leute. Dann habe ich in Cahul meine erste Ausbildung gemacht, von dort aus wurde ich nach Chisinau als ausgebildete Lehrerin geschickt. Dort habe ich 15 Jahre in einer russischen Grundschule gearbeitet. Gleichzeitig habe ich in Chisinau Pädagogik studiert. Mein Vater stammt aus einer bulgarisch-ukrainisch-russischen Familie, meine Mutter ist Wolgadeutsche, meine Oma und Opa waren Deutsche. Meine Eltern haben sich in Sibirien kennen gelernt, sie sind dann nach Moldawien gezogen, wo ich geboren wurde.
Gegenwind:
Welche Sprachen sprichst Du?
Natalia Blajanova:
Ich habe in Moldawien eigentlich nur Russisch gesprochen. In der Schule habe ich Englisch und Moldawisch gelernt, und sonst habe ich noch eineinhalb Jahre in Griechenland gearbeitet und gelebt, da habe ich Griechisch gelernt.
Gegenwind:
Unterscheidet sich Moldawisch und Rumänisch?
Natalia Blajanova:
Die Moldawier selbst sagen, dass sie Rumänisch sprechen, dass ihre Muttersprache Rumänisch ist. In der sowjetischen Zeit wurde gesagt, dass Moldawisch eine eigenständige Sprache mit rumänischen oder lateinischen Wurzeln ist, die mit kyrillischen Buchstaben geschrieben wird. Nach der Perestroika haben sie die lateinische Schrift übernommen, und deswegen gab es auch Schwierigkeiten und Streitigkeiten. Ich glaube, dass damals die Schrift zu schnell übernommen wurde.
Gegenwind:
Wie hast Du den Umbruch und die Auflösung der Sowjetunion erlebt?
Natalia Blajanova:
Das war uns zu schnell und zu unerwartet. Es war zwar zu spüren, aber wir haben immer gehofft, dass es nicht passiert. Denn wir haben als russisch-sprachige Menschen in Moldawien Schwierigkeiten bekommen. Die rumänische Sprache wurde als alleingültige Staatssprache eingeführt, und das war uns zu schnell, weil sehr viele Gebiete, sehr viele Orte, sehr viele Schulen nur russisch gesprochen haben. Auf einmal haben wir gemerkt, dass einige Nachbarn unfreundlicher wurden, nur weil wir "Russen" waren. In öffentlichen Verkehrsmitteln wurde nur Rumänisch oder Moldawisch gesprochen, und wenn ich russisch sprach, wurde ich gleich angeguckt oder unfreundlich angesprochen. Es gab auch Schlägereien deswegen. Meine Familie war auch davon betroffen. Meine Mutter hat bei der Telekom als Sachbearbeiterin gearbeitet. Von heute auf morgen musste sie Rumänisch lesen und schreiben können. Die Existenz der Familie, das Einkommen war in Gefahr. Meine Mutter hatte Glück, dass ihr Chef auch russisch-sprachig war, der hat ihr ein wenig Zeit gelassen. Andere wurden einfach entlassen, weil sie kein Rumänisch konnten.
Gegenwind:
Es gab ja auch militärische Auseinandersetzungen. Kannst Du davon erzählen?
Natalia Blajanova:
Das war im Sommer 1990, in den Ferien. In der Zeit war ich bei meinen Eltern in Anenij Noj. Ich habe auf der Straße viele Panzer gesehen, die aus Chisinau in Richtung Tiraspol fuhren. Im Radio war der damalige Präsident zu hören, der ankündigte, er wollte zu Hause Ordnung schaffen. Mit diesen Worten hat er seine Panzer nach Tiraspol geschickt. Wir hörten dann Explosionen, Artilleriebeschuss, und nach einiger Zeit konnten wir auch die verschiedenen Waffen unterscheiden. Wir hatten große Angst. Mein Bruder brachte seine Familie in den Norden Moldawiens, kam dann aber zurück, weil er Angst vor Plünderungen hatte und sein Haus bewachen wollte.
An der Brücke über die Nistru haben die Russen diese Panzer gestoppt. Dort wurde gekämpft, dort hatte die 14. Armee ihren Stützpunkt in einer alten Burg. Und in Tighina sind sie dann auch geblieben. Die Bevölkerung von Tighina ist zum größten Teil geflohen, weil sie Angst hatte - zu Verwandten, in die Ukraine, in den Norden Moldawiens, wer irgendwohin konnte floh. Es gab auch viele Plünderungen, und viele wollten nicht zurück. Wer zurück kam, hat oft das Haus für einen sehr niedrigen Preis verkauft. Die Soldaten waren einfach eine Bedrohung, oft betrunken, und zwar die Moldawier genauso wie die Russen. Sie waren frustriert, hatten Waffen, junge Männer, Soldaten und Polizisten. Es gab auch Schlägereien untereinander. Einige Männer schickten auch ihre Frauen weg, bildeten Gruppen und führten eine Art Partisanenkrieg. Wir wohnten nicht weit davon, bekamen viel mit. Die moldawischen Soldaten waren mal in der Nähe des Ortes, mal im Wald. Meine Eltern bauten im Garten Kartoffeln und Mais an. Wir konnten bis Oktober nichts ernten, weil überall geschossen wurde. Das Schlimmste war die Angst. Die einfache Bevölkerung, und zwar von beiden Seiten, hat diesen Krieg nicht unterstützt. Das war eine politische Auseinandersetzung, es ging um die Macht, um die Wirtschaft. Viele Industriebetriebe lagen in Tighina und Tiraspol. Die moldawische Seite konnte es nicht akzeptieren, dass die Region mit den modernen Betrieben sich abspalten will. Und man muss sagen, obwohl ich sprachbegeistert bin, der Beweggrund für den Krieg war auf beiden Seiten die Sprache. Die zu schnelle Einführung der rumänischen Sprache war zu aufdringlich, das ganze russisch-sprachige Gebiet konnte das nicht akzeptieren, wahrscheinlich wäre es langsamer oder mit mehr Kompromissen gegangen.
Gegenwind:
Du lebst ja jetzt in Flensburg. Wie beurteilst Du die Lösung für die verschiedenen Sprachen hier?
Natalia Blajanova:
Das ist ideal gelöst für das deutsch-dänische Grenzgebiet. Alles ist ganz zivilisiert geregelt: es gibt keinen Krieg, keinen Zwang. Die dänische Minderheit hat hier in Flensburg ihren Raum, und genauso funktioniert das in Dänemark. Ich erlebe es jeden Tag.
Gegenwind:
Wie beurteilst Du die Abspaltung von Transnistrien?
Natalia Blajanova:
Ich weiß, dass es offiziell verkündet wurde. Ich meine, dass dort alles übertrieben ist und übertrieben wird. So ein kleines Stückchen Land, nicht anerkannt, mit einer eigenen Währung, aber von Russland unterstützt - das ist doch nicht realistisch. Das kann auf Dauer nicht funktionieren. Ich kann sie verstehen, es sind meine Brüder und Schwestern. Aber sie sind dann zu kommunistisch geworden. So kommunistisch wie Transnistrien heute ist, waren wir ja nicht mal in sowjetischen Zeiten. Das ist mir zu viel. Und die moldawische Seite zeigt als "großes" Land keine Kompromissbereitschaft. Der Konflikt wird überhaupt nicht gelöst, der kocht vor sich hin.
Gegenwind:
Wann hast Du das Land verlassen?
Natalia Blajanova:
Das war im April 2000. Der Grund war der Krieg und die ständige Angst.
Gegenwind:
Wie siehst Du Deine Heimat heute?
Natalia Blajanova:
Ich war 2008 in meiner Heimat zu Besuch, ich habe sehr viele positive Veränderungen bemerkt. Es wird viel gebaut, die Hauptstadt wird europäisch. Die Menschen gehen mehr zur Kirche. Die moldawische oder rumänische Sprache entwickelt sich gut. Es ist meiner Meinung nach die Zeit für eine Wiedervereinigung gekommen.
Gegenwind:
Wie bist Du denn in Deutschland zur Dolmetscherin geworden?
Natalia Blajanova:
Ich habe in einem Russisch-Kurs hier in Flensburg unterrichtet, und da war eine Frau, die als Gastmutter im Sommer Kinder aus Tschernobyl aufgenommen hat. Und der habe ich angeboten, auch zu helfen. Es kamen 40 Kinder mit 2 Dolmetscherinnen, das reichte nicht aus. Dort habe ich angefangen. Danach habe Ich eine Pastorin kennen gelernt. Sie sagte, dass ich gut Deutsch spreche. Ihr Mann war Polizist, und der hat mir bei der Bewerbung als Dolmetscherin bei der Polizei geholfen. Das hat sofort funktioniert, und seit 2001 bin ich dort auf der Liste.
Gegenwind:
Hattest Du mit dem Dolmetschen Probleme?
Natalia Blajanova:
Nein, aber es gibt zu wenig Aufträge.
Gegenwind:
Was willst Du denn als Dolmetscherin machen?
Natalia Blajanova:
Ich würde gerne russische Touristen begleiten. Ich würde gerne Landsleuten helfen, zum Beispiel den Frauen, die Probleme mit ihren Männern haben. Ich würde gerne für Menschen dolmetschen, die das brauchen.
Gegenwind:
Kann Dir das Dolmetscher-Treffen helfen?
Natalia Blajanova:
Es hilft beim Überblick über die deutschen Gesetze in diesem Bereich. Dort lerne ich auch die Amtsbegriffe, die man im normalen Leben nicht benutzt, wir machen uns dort Gedanken um die richtige Übersetzung. Dadurch kann man sich vorbereiten und muss nicht im Wörterbuch suchen, wenn es passiert, sondern hat das schon vorher. Aber das Beste bei den Dolmetscher-Treffen ist die Kommunikation. Ich treffe dort Menschen aus so vielen verschiedenen Ländern. Sie kommen aus der ganzen Welt, sehen alle verschieden aus, und alle erzählen von sich und ihrer Sprache. Das zieht mich an, ich glaube, so viel Internationalismus gibt es in Deutschland nur bei Dolmetscher-Treffen.
Interview: Reinhard Pohl