(Gegenwind 246, März 2009)
Ingrid Naros kommt aus der deutschen Minderheit in Rumänien. Sie siedelte kurz nach der Grenzöffnung nach Deutschland um.
Gegenwind:
Kannst du zunächst erzählen, wie du in Rumänien gelebt hast und wie du nach Deutschland gekommen bist?
Ingrid Naros:
Ich wurde in Sieberbürgen, und zwar in Hermannstadt geboren. Ich gehörte dort zur deutschen Minderheit, den sogenannten Siebenbürger Sachsen. Die lebten seit über 800 Jahren in Siebenbürgen. Anfang der 70er Jahre begann eine Auswanderungswelle, die sich bis in die 90er Jahre hingezogen hat.
Gegenwind:
Hast du denn persönlich Erfahrungen gemacht, wie die Minderheit behandelt wurde?
Ingrid Naros:
Negatives kann ich gar nicht schildern. Es gab Gleichberechtigung, wir hatten deutsche Schulen, eine deutsche Kirche, es gab Religionsunterricht. Ich bin als Einzelkind aufgewachsen, in einer überwiegend deutsch-sächsisches Gemeinde "Urwegen". Mein Vater war Landwirt, meine Mutter Hebamme. Ich bin dort bis zum Abitur zur Schule gegangen, habe dann eine Büroausbildung gemacht, ich kann also Stenographie und andere Sekretariatsarbeiten. Ich habe ungefähr zehn Jahre lang in einem Bauunternehmen gearbeitet, 1980 geheiratet, zwei Kinder bekommen. Danach habe ich im evangelischen Landeskonsistorium gearbeitet, direkt in Hermannstadt, und 1990 sind wir nach Deutschland ausgewandert als Aussiedler.
Gegenwind:
Wie seid ihr in Deutschland aufgenommen worden?
Ingrid Naros:
Wir kamen in eine Aufnahmestelle in Nürnberg, das war im September 1990. Ich kam erst mit meinem Sohn, die restliche Familie kam nach. Ich fand es angenehm, wir wurden freundlich aufgenommen. Ich musste dort nachweisen, dass ich deutscher Abstammung bin und deutsch konnte. Und ich konnte alles verstehen, alles beantworten, es gab höchstens einzelne Ausdrücke, die ich neu hörte. Und da ich Verwandte in Schleswig-Holstein hatte, kam ich dann her. Ich sollte hier in ein Aufnahmelager, das war aber voll belegt, so kam ich nach Neumünster zum DRK. Und in Neumünster bin ich bis heute geblieben.
Gegenwind:
Wie bist du Dolmetscherin geworden?
Ingrid Naros:
Ich habe 1991 eine Ausbildung zur Kinderkrankenschwester in Neumünster begonnen, auch beim DRK. Und in unserer Unterkunft fragte ein Diakon, der uns besuchte, eher beiläufig, ob ich auch für Gefangene in der JVA Neumünster dolmetschen könnte. Ich habe gleich zugesagt, weil für mich beide Sprachen ja kein Problem waren. Damals gab es dann ganz viele Aufträge, in der JVA, bei der Polizei, auch beim Gericht. Seit 1995 ließen die Aufträge dann nach, weil weniger Leute aus Rumänien kamen. Heute hat man als Rumänisch-Dolmetscherin nicht mehr die Chance, davon zu leben. Im letzten Halbjahr hatte ich einen Auftrag vom Frauenhaus, das war's.
Gegenwind:
Hast du heute noch Kontakt zu Rumänien?
Ingrid Naros:
Ja. Wir fahren jährlich nach Rumänien, zweimal im Jahr. Mein Mann hat dort seine Familie, und wir haben dort ein kleines Ferienhaus.
Gegenwind:
Wie entwickelt sich Rumänien denn? Es war ja ein sehr radikaler Umbruch, und jetzt ist Rumänien in der EU.
Ingrid Naros:
Der EU-Beitritt bedeutet für Rumänien die Chance, wieder aufzusteigen. Es gibt in Rumänien eine sehr ungleichmäßige Entwicklung. Andere europäische Länder haben sich in mehreren Jahrzehnten entwickelt, Rumänien versuchte seit den 90er Jahren eine moderne europäische Nation zu werden. Das bedeutete Entwicklungssprünge in allen Bereichen, Sprünge auf Gedeih und Verderb, ohne Rücksicht auf Ressourcen und Umstände. Es gibt bemerkenswerte, aber auch zweifelhafte Erfolge. Man sieht überall die Hinterlassenschaften der Diktatur, und es gibt extreme Gefälle.
Gegenwind:
Hast du denn Hoffnung, dass die EU-Mitgliedschaft mehr positive Auswirkungen hat?
Ingrid Naros:
Ja, auf jeden Fall. Es wird viel in die Infrastruktur investiert, aber auch in Schulen und die Bildung. Rumänien muss es einfach schaffen.
Interview: Reinhard Pohl