(Gegenwind 246, März 2009)
Aus der ungarischen Minderheit Rumäniens kommt Helene Gheorghiu, die deshalb auch Ungarisch und Rumänisch dolmetscht.
Gegenwind:
Kannst du dich zunächst vorstellen?
Helene Gheorghiu:
Ich bin eigentlich in Ungarn geboren, in Gödöllö, das ist bei Budapest. Aber meine Eltern sind nach dem Krieg im ungarischen Teil von Rumänien geblieben. Meine Mutter ist dann früh verstorben, mein Vater war im Krieg. Ich wuchs im Nordwesten Rumäniens auf, an der Grenze zu Ungarn. Dort habe ich die Schule besucht, in ungarischer Sprache bis zum Abitur. Dann habe ich eine Schule für Gesundheitsassistenten besucht, dort musste ich dann zur rumänischen Sprache übergehen. Das war sowieso die Pflichtsprache in Rumänien, auch im ungarischen Gymnasium. Dann habe ich geheiratet, zog nach Bukarest mit meinem Mann. Mein Mann studierte dort Medizin und wurde dann Arzt. Nachdem er fertig geworden ist, wurden wir zwangsweise in den Nordwesten von Rumänien geschickt. Das war an der Grenze zum jetzigen Moldavien, damals zur Sowjetunion. Von dort aus sind wir dann nach Deutschland geflüchtet.
Gegenwind:
Wann war das?
Helene Gheorghiu:
Mein Mann hat 1968 die Uni beendet. Übrigens wurde niemand gefragt, wohin er oder sie möchte. Die Regierung hat Ärzte zwangsweise verteilt. Geflüchtet sind wir dann 1974, weil damals unter Caucescu sehr krasse Bedingungen herrschten, gerade für Ärzte. Es gab damals viele Zwangsmaßnahmen für Ärzte, die bestimmte staatliche Maßnahmen zum Beispiel zur Kindersterblichkeit umsetzen mussten, das war für uns ein großes Problem. Außerdem wollten wir nicht in die Partei eintreten, sie wollten uns aber dazu verpflichten. Deshalb sind wir 1974 geflüchtet. Wir hatten damals ein einjähriges Kind, das mussten wir in Rumänien zurücklassen. Sonst wären wir nicht rausgekommen. Es gab damals ein Abkommen zur Familienzusammenführung. Wir hatten gehofft, unsere kleine Tochter bald zurück zu bekommen, das hat aber dann noch 16 Monate gedauert. Sie ist erst mit zwei Jahren und vier Monaten nach Deutschland gekommen.
Gegenwind:
Wie seid ihr in Deutschland aufgenommen worden?
Helene Gheorghiu:
Nach Deutschland reinzukommen war fast unmöglich. Bekannte haben uns ein Visum besorgt, es war ein Visum für die Durchreise nach Schweden. Wir hatten gesagt, dass wir nach Schweden möchten, weil dort ein Cousin von meinem Mann lebte. Das stimmte aber nicht, wir wollten nach Deutschland, wir wollten nicht weiter. Wir sind dann nach Düsseldorf gefahren, dort haben wir einen Asylantrag gestellt. Das ging ganz reibungslos, wir hätten auch dort bleiben können. Wir hatten aber gehört, dass es in Düsseldorf länger dauert, deshalb sind wir nach Zirndorf gefahren. Da war damals ein Auffanglager für Flüchtlinge, in das kamen wir. Wir sind dort sehr gut behandelt worden, bis auf einen Angestellten. Der Mann war im Krieg in rumänischer Gefangenschaft, er war jetzt gegen alle Rumänen. Dieser Mann hat uns täglich gedemütigt. Er sagte, wir wären nach Deutschland gekommen, um den Deutschen ihr Brot wegzunehmen, das war unangenehm. Aber sonst wurden wir gut behandelt. Mein Mann war Arzt, wir haben uns später in diesen Kreisen bewegt, sind keinen Feindseligkeiten mehr begegnet.
Gegenwind:
Wie lange hat es gedauert Deutsch zu lernen?
Helene Gheorghiu:
Wir haben politisches Asyl bekommen, sind wieder nach Düsseldorf gezogen, und dann haben wir in Iserlohn einen Deutschkurs besucht. Dort haben wir ein Jahr gelernt. Wir haben aber gleichzeitig sehr stark deutsche Kontakte gesucht. Im Haus, in dem wir gewohnt haben, haben wir Freunde gefunden, mit denen wir nur Deutsch gesprochen haben. Ich glaube, bis auf meinen Akzent gibt es keine Fehler mehr.
Gegenwind:
Wann hast du angefangen, für andere zu dolmetschen?
Helene Gheorghiu:
Das war, nachdem mein Mann seine chirurgische Praxis in Kiel, in der Holtenauer Straße eröffnet hat. Dort habe ich auch gearbeitet, und dort habe ich für Patienten aus Ungarn und Rumänien gedolmetscht. Mein Mann spricht auch ungarisch, aber nicht so gut. Er kommt aus einer gemischten Familie, ist aber in Bukarest aufgewachsen und hat dort nur Rumänisch gesprochen.
Gegenwind:
Wie wird denn Ungarisch in Rumänien behandelt?
Helene Gheorghiu:
Damals schon schlecht, und jetzt noch schlechter. Ich fahre jedes Jahr nach Rumänien und beherrsche auch die rumänische Sprache einwandfrei. Was ich im Sommer 2008 im Fernsehen dort gesehen habe, war offene Feindschaft. Höhere Stellen im Land unterstützen das, dass im Fernsehen öffentlich gesagt wird, die Ungarn sollen abhauen.
Gegenwind:
Nützt denn die EU-Mitgliedschaft etwas?
Helene Gheorghiu:
Nein. Das war ja jetzt im Sommer, über ein Jahr nach dem Beitritt zur EU.
Gegenwind:
Hast du solche Feindseligkeit auch in Deutschland, in Kiel erlebt, wenn du für Ungarn oder für Rumänen gedolmetscht hast?
Helene Gheorghiu:
Nein. Es kam eher selten vor, in der Praxis, auch mal bei Gericht. Aber Feindseligkeiten habe ich nie feststellen können.
Gegenwind:
Wie bist du in den Dolmetscher-Beruf gekommen?
Helene Gheorghiu:
Ich habe das nicht gelernt. Das wäre auch nicht möglich gewesen, durch die Arbeit konnte ich aus Kiel nicht weg. Es war Schritt für Schritt, vor allem durch das Dolmetscher-Treffen und den Kurs dort. Im Moment suche ich neue Aufträge.
Interview: Reinhard Pohl