(Gegenwind 241, Oktober 2008)
Vom 3. bis zum 5. September trafen sich 350 Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmer, Manager und Politiker zum "Global Economic Symposium" (GES) in Günther Fielmanns Schloss zu Plön. Stilvoll sollten in 21 Diskussionsforen und drei Plenarsitzungen Antworten auf zentrale Menschheitsfragen gegeben werden. In einigen Wochen ist dann ein Bericht zu erwarten, der z.B. über ökonomische und psychologische Gründe menschlichen Fehlverhaltens oder über Korruptionsbekämpfung in Entwicklungsländern Auskunft gibt.
Am Freitag kamen 150 Demonstranten zeitgleich mit dem Abschluss des Symposions in Plön zusammen, um unter dem Motto "Der Kapitalismus zeigt GESicht" den Protest "gegen diese Mischung aus kapitalistischer Propagandashow und tatsächlichem Versuch des Managements selbst verschuldeter Krisen" auf die Straße zu bringen.
Diese Einschätzung kann dahingehend präzisiert werden, dass es sich um die Aufführung einer Ästhetik des Fortschritts für eine kleine Teilpopulation handelt, die sich darin gefällt, die Folgeprobleme ihres Wohlstandes arrogant und antidemokratisch als Menschheitsprobleme zu definieren und sich selbst in feudaler Umgebung zu veredeln. Das Problem gibt sich als Lösung.
Darüber hinaus stellen sich einige weitere Fragen: Warum geben sich Nobelpreisträger dafür her? Um welche Themen ging es? Was liegt eigentlich im Lande an?
Zunächst waren die Wirtschaftswissenschaften mit vier Nobelpreisträgern vertreten: George A. Akerlof, Michael Spence, Robert Mundell, und Daniel L. McFadden. Richard Ernst erhielt 1991 den Nobelpreis für Chemie. Dies ist nicht das erste Symposion dieser und ähnlicher Art, vor kurzem fand man sich in Lindau zu einem Laureatentreffen (Laureat = Preisträger) ein. Vielleicht handelt es sich um die Resteverwertung älterer Verdienste. Vielleicht geht es um Geselligkeit unter Gleichrangigen, wann bekommen Nobelpreisträger schon mal Gelegenheit miteinander zu reden. Darauf verweist auch die ursprüngliche Bedeutung: ein Symposion war den Griechen geselliges Trinken, welches mit Vorträgen und Diskussionen verbunden war. Im Lateinischen hieß es dann Symposium. Die bürgerlichen Revolutionäre des 19. Jahrhunderts jedenfalls verachteten das Lateinische als Herrschaftssprache (Kirche!) und bevorzugten das Griechische als Codierung der Befreiung.
In den internationalen Wirtschaftswissenschaften ist seit der Jahrtausendwende eine deutliche Kritik an den klassischen Glaubenssätzen der vorherrschenden angebotsorientierten Wirtschaftstheorie zu beobachten, die in Deutschland nicht so recht geteilt wird. Mit der Falsifizierung der Theorie durch die Wirklichkeit mündet die Internationale Kritik neuerdings in blanken Spott. George A. Akerlof mokiert sich über das Vertrauen in unregulierte Märkte und bemerkte schon in Lindau zu den Finanzmärkten: "Beachten Sie das Laufstall-Theorem!" "Solange Sie ein Kleinkind im Laufstall lassen, müssen Sie es nicht weiter im Auge behalten. Da kann nicht viel passieren. Wenn Sie das Kind aber aus dem Laufstall rauslassen, sollten Sie es besser im Auge behalten, damit nicht irgendwann ein Unglück passiert." Und Robert Solow gab für eine der zahlreichen Zeitungsbeilagen zum GES ein Interview ganz im Stil der Sendung mit der Maus: "Keine Angst vor Mindestlöhnen". Es scheint so, dass ernst zu nehmende Intellektuelle diese Veranstaltungen gerade nicht mehr ernst nehmen.
Es ist schon auffällig, wie darum herum geredet wird. "Kampf gegen die Risiken der Finanzmärkte" hieß ein Diskussionsforum. Wie soll man sich einen Kampf gegen ein Risiko vorstellen? Risiken sind im allgemeinen Sprachgebrauch Sachverhalte bei denen was schief gehen kann. Der Gegenbegriff wäre Sicherheit, die aber im strikten - also risikofreien - Sinn gar nicht auffindbar ist. Es gibt keine Finanzinvestition, die nicht riskant wäre, allein weil auch je Anderes gegenwärtig und zukünftig möglich ist. Auch Risikoaversion ist riskant wie uns die Geschichte des Sozialismus lehrt. Und wer hat eigentlich mal darüber nachgedacht wie riskant es ist über Risiken zu sprechen? Und dagegen soll nun ein Kampf geführt werden? Wahrscheinlich geht es wie üblich darum alle Risiken nach unten abzuwettern, um selbst auf der sicheren Seite zu sein.
Durch die Hintertür kam das Thema ein zweites Mal in ein Diskussionsforum: "Stärkung von Finanzinstituten". Das kann man sich dann so vorstellen, dass die Banker feines Geld verdienen. So sind seit 1994 die Löhne des Bankpersonals real um 42% gestiegen, während die übrigen Löhne insgesamt um 1,5 Prozent gesunken sind. Dann kommt eine Situation, in der nicht nur kein Geld verdient, sondern verloren wird. Dann kommt der liebe Finanzminister und stärkt ein Finanzinstitut mit 9 Milliarden Euro aus Steuermitteln, um es hinterher für ein paar 100 Millionen Euro an ein anderes Finanzinstitut zu verkaufen, um dieses zu stärken. In den Pausen wurde über den moralischen Selbstmord in Deutschland gesprochen, der darin bestehen soll, dass die Armen auf Kosten der Steuerzahler alimentiert werden.
Das ernsthafte Problem besteht doch darin, dass die Finanzinstitute fette, weit überdimensionierte und überbezahlte Kontrollbehörden sind, die dafür sorgen, dass immer härter gearbeitet wird und die Profite in ihre Taschen laufen. Diese Behörden unterliegen aber, im Gegensatz zum Staat, keiner demokratischen Kontrolle.
Dass es auch anders laufen kann zeigt die des Kommunismus gänzlich unverdächtige Bush-Administration, die zwei große Immobilienfinanzierer verstaatlicht, die Aktionäre enteignet und das Management feuert. Großbanken gehen dort in die Pleite und die Party ist vorbei. Bravo, kann man da nur rufen, entlasst mehr von diesen vielen überflüssigen Finanzinstituten in die Pleite. Die Industrie sucht händeringend Ingenieure, schult Banker um.
Leider weiß ich nicht, wie die Debatte im Diskussionsforum über Ungleichheit verlaufen ist. Mich würde es nicht wundern, wenn ein Nachfolger des unsäglichen, wegen Steuerhinterziehung vorbestraften, Grafen Lambsdorf dessen Worte: "Die Ungleichheit muss größer werden" wiederholt hat. Ja, wie groß soll sie denn werden? 3 Meter 60?
Raymond Fisman, Columbia University untersuchte die Frage, warum in Tansania in Zeiten von Nahrungsmittelknappheit in der Folge von Missernten die Zahl der Morde an älteren Frauen außerordentlich hoch ist. Seine Antwort: Es ist besser, die geringen Mengen an Nahrungsmitteln auf wenige Beteiligte zu verteilen. Es ist effektiv, wenn die verschwinden, die zwar viel verbrauchen, aber wenig produktiv sind. Eine Agenda 2010 für Afrika? Armatya Sen hat gezeigt, dass Hungerkatastrophen nicht Folgen von Missernten sind, sondern der Deregulierung von Märkten.
Leider wurden die entscheidenden Fragen nicht gestellt. Welche politischen Instrumente sind geeignet, die immer weiter auseinander klaffende Schere zwischen Arm und Reich wieder zu schließen? Wie ist die vertrackte finanzielle Verstrickung von Konsumenten und Produzenten zu regeln? Wie kann die Abhängigkeit von Technik, insbesondere von Energie weniger riskant gestaltet werden? Finden wir einen Umgang mit den neuen technischen Möglichkeiten des Internet und der Datenverarbeitung, die wie eine Katastrophe über die Gesellschaft hereinbricht und ungewohnte Möglichkeiten der elektronischen Überwachung und Kontrolle sowie neue kriminelle Handlungsräume eröffnet? Sind die ökologischen Probleme in der Folge des Verbrauchs von Umwelt zu kapitalistischen Zwecken noch hantierbar? Eine letzte Frage laut, ob die quasi religiöse Gier nach Geld noch länger als ein Lifestyleproblem zu behandeln ist und ob Toleranz hier noch möglich ist? Ich meine, diese Menschen könnten endlich als Kranke eingestuft werden.
Werner Marnette ist der neue Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein nachdem Werner Austermann zurückgetreten wurde. Der Ministerpräsident hatte nach der desaströsen Wahlniederlage der CDU mit ihrem Rekordverlust in Lübeck bei der Kommunalwahl, der wohl nicht zu Unrecht auf die halbkriminelle Politik des Wirtschafts- und Wissenschaftsministers dort gegenüber der Universitätsklinik zurückgeführt wurde, die Reißleine gezogen.
Werner Marnette war jahrelang Chef der Hamburger Affinerie, einflussreich im dortigen CDU-Wirtschaftsrat und in der Industrie. Im Zusammenhang des hohen Energieverbrauchs seiner Firma machte Werner Marnette öffentlich, dass es sich bei den Energieversorgern um ein informelles Kartell handelt, das den Markt außer Kraft setzt und eine kreative Preisgestaltung betreibt. Prompt wurde ihm vorgeworfen, dass er das öffentlich gesagt hat, nicht etwa, dass dem nicht so sei. Nur ein Beispiel: Die Stromkonzerne investieren jährlich zwei Milliarden Euro in die Stromnetze und kassieren zugleich 18 Milliarden Euro für die Nutzung. Es ist unbestreitbar, dass die Politik aus einer gut funktionierenden Stadtwerkestruktur mit 6.000 regionalen Versorgern unter der Parole "Privatisierung und Wettbewerb" einen Monopolbetrieb geschaffen hat, der Bürger und Firmen ausnimmt wie eine Weihnachtsgans. Ist also von Werner Marnette etwas zu erwarten?
Jedenfalls hat er das Symposion mit den Worten vorgestellt, die Organisatoren verstehen sich als "Anwalt der Globalisierungsverlierer". Au Backe, da fällt mir sofort die Schote von Kurt Vonnegut ein: "Woran erkennt man, dass ein Anwalt lügt?" "Er bewegt die Lippen".
Es wird sich zeigen ob er die ernsthaften Wirtschaftsprobleme des Landes angehen kann. In einer Studie des Instituts für Weltwirtschaft wird eines so beschrieben:
"Damit hat die Tertiarisierung in Schleswig-Holstein (in stärkerem Maße als im Bundesdurchschnitt und entgegen der Entwicklung in Hamburg) dazu geführt, dass relativ hochwertige Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe durch relativ geringwertige Beschäftigung in den Dienstleistungsbranchen ersetzt worden ist. Ein Zuwachs an höherwertigen Dienstleistungen, der den Verlust hochwertiger Industriebeschäftigung hätte auffangen können, hat hier nicht in ausreichendem Maß stattgefunden. Eine gesamtwirtschaftliche Folge dieses Strukturwandels sind daher relative Einkommensverluste und eine Abkopplung von der allgemeinen Wohlstandsentwicklung in Deutschland. Damit werden für Schleswig-Holstein die knapper gewordenen, hochwertigen Industriearbeitsplätze umso wertvoller. Eine weitergehende Deindustrialisierung des Landes würde nach dem bisherigen Verlauf des Strukturwandels ohne Kompensation durch hochwertige Dienstleistungsbeschäftigung zusätzliche Einkommensverluste nach sich ziehen."
(KIELER BEITRÄGE ZUR WIRTSCHAFTSPOLITIK 1. Neue Wege der Kooperation - Schleswig- Holstein und Hamburg in einer gemeinsamen Wirtschaftsregion, S. 22f., Kiel, Februar 2008.)
Wenn es weiter geht wie bisher, hat das Land keine Chance. Dann werden langsam aber sicher die Reste der Industrie im Globalisierungsgeschehen zermahlen. Was gehen kann, ist der Versuch, die überkommene Politik von Großprojekten, die eigentlich niemand wirklich braucht, durch eine Vernetzung der Industrie einerseits in den Weltmarkt und andererseits in regionale Wirtschaftsnetzwerke zu bewerkstelligen. Das heißt zum Beispiel Kooperation der Industrie mit dem Handwerk, das heißt auch Nachwuchspflege im Konjunkturtal. Hier können das Land und die Universitätsstädte etwas tun, indem sie Fachhochschul- und Hochschulabsolventen Beschäftigungsgarantien geben, so dass nicht wieder wie Anfang der 90er Jahre eine ganze Generation von frisch ausgebildeten Maschinenbauingenieuren jahrelang arbeitslos wird und den Nachfolgenden von diesem Studiengang abrät. Man kann an Konzepte dezentraler Energieversorgung denken, die die Industrie und das Handwerk zusätzlich auslasten. Das alles würde den Wohlstand im Lande halten
Das geht aber nur, wenn das Problem der jetzt deutlich werdenden Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu regionalen Wirtschaftsbesonderheiten gelöst wird. Es sieht so aus, dass der EUGH versucht, regionale Wirtschaftstraditionen (VW, Tariftreuegesetz, generell regionale Wirtschaftsabsprachen) einzuebnen und letztlich zu zerstören, weil er diese als Belastung der Grundfreiheiten (Kapital, Arbeit, Waren, Dienstleistungen) sieht. Hier kann vom Schleswig-Holsteinischen Wirtschaftsminister erwartet werden, dass er die heimischen Wirtschaftsnetzwerke verteidigt, ihren Ausbau forciert und Widerstand leistet, indem er einfach mal die Frage stellt, wie Rechtsbefolgung erfolgreich zu verweigern ist.
Das wäre schon was, darüber zu diskutieren, wie die Wirtschaft vor Ort entwickelt werden kann. Dazu gehört eine demokratische Auseinandersetzung, schließlich beruhen alle Gesetze wirtschaftlichen Handelns auf Regeln, die Menschen sich geben und die solange gelten, wie sie danach handeln.
Thomas Herrmann