(Gegenwind 240, September 2008)
Seit dem 1. September gibt es eine neue Herausforderung für alle Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland: Sie dürfen bei einem neuen Quiz der Bundesregierung mitmachen. Als Hauptgewinn winkt ein Pass. Doch anders als die Verlosung einer Green Card in den USA ist es kein Entgegenkommen, sondern eine neue Schikane.
Fast hundert Jahre lang galt in Deutschland im vorigen Jahrhundert das Abstammungsrecht: Deutsche oder Deutscher ist, wer einen deutschen Vater hat. Erst 1974 sorgte das Bundesverfassungsgericht dafür, dass auch eine deutsche Mutter die Staatsangehörigkeit weitergeben kann. Für Ausländerinnen und Ausländer dagegen war es lange Zeit sehr schwer, die Staatsangehörigkeit zu erwerben. Während in Europa ein Aufenthalt von fünf Jahren Standard war, verlangte Deutschland mindestens 15 Jahre.
Im Jahre 2000 wurde das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. Zwei wesentliche Neuerungen sollten für eine Abnahme der hier lebenden Ausländer und eine Zunahme der Einbürgerungen sorgen:
Begleitet wurde die Änderung des Staatsangehörigkeitsrecht von einer rassistischen Kampagne der hessischen CDU gegen den "Doppelpass", also die Möglichkeit, seinen alten Pass zu behalten, was bei den meisten emotionale Gründe hat. Die CDU setzte sich durch, damit wurde die größte Gruppe potentiell Einbürgerungswilliger aus der Türkei gleich wieder vor den Kopf gestoßen.
Dennoch verdoppelte sich die Zahl der Einbürgerungen zunächst - um seitdem Jahr für Jahr wieder zu sinken. Der Grund sind immer neue Schikanen, die die Regierung sich einfallen lässt. Ihre Begründung finden sie alle in den Terroranschlägen vom 11. September 2001, wenn auch schwer erkennbar ist, warum man als Reaktion darauf die ohnehin in Deutschland zu hohen Hürden für einen Pass noch erhöhen muss. Denn die Attentäter waren Studenten oder kurzfristig eingereiste Besucher - bei späteren Anschlägen in Spanien waren es "Gastarbeiter", in Großbritannien dort geborene Briten. Einen Zusammenhang mit einem Einbürgerungsverfahren gibt es nicht.
Die Verschärfungen des Einbürgerungsrechtes bezogen sich zunächst auf Regelanfragen bei Verfassungsschutz und Geheimdiensten, dann wurde die Grenze für noch tolerierbare Vorstrafen drastisch gesenkt. Mit der Einführung von Sprach- und Orientierungskursen werden seitdem bestandene Prüfungen verlangt.
Jetzt soll es nicht nur eine schwerere Deutsch-Prüfung, das Zertifikat Deutsch (B1-Prüfung) sein, sondern zusätzlich gibt es noch einen Einbürgerungstest. Dieser umfasst 30 allgemeine und 3 regionale Fragen, davon müssen 17 richtig angekreuzt werden. Dabei ist es egal, ob die Antworten gewusst oder geraten werden, auch darf der Text (für 25 Euro Gebühren) beliebig oft wiederholt werden.
Dass das Grundrecht auf Asyl seit der Grundgesetzänderung von 1993 "gilt", ist eine starke Beschönigung des Artikel 16a, der im Mai 1993 beschlossen wurde. Asyl bekommen alle außer denen, die bei der Flucht ein Nachbarland Deutschlands durchreist haben - Asyl nur bei nachgewiesenem Direktflug.
Aber wer es nach dem Asylantrag bis zum Einbürgerungsantrag geschafft hat, wird die Zähne zusammen beißen und die Möglichkeit drei ankreuzen.
Dabei scheitert die vierte, die Lieblingsvariante der Herren aus dem Innenministerium wohl schon am Wetter.
Gerade das Innenministerium als "Tarifpartner" des Öffentlichen Dienstes besteht ja auf dem Ost-Lohn, der niedriger zu sein hat als der Westlohn. Da verwundert diese offene Flanke doch ein wenig. Natürlich darf niemand das ankreuzen, was in Innenministerium Praxis ist - oder hat schon mal jemand gefordert, einen Tarifvertrag nach 16 Bundesländern aufzuteilen?
ich kenne nur noch Deutsche:
Eigentlich eine schöne Frage, aber wo kann ich ankreuzen, dass die Listen von Parteien aufgestellt werden? Fehlt nur noch die Frage:
Wer das Grundgesetz gut studiert hat, wird die Antwort wissen, aber dafür gibt es keinen Pass.
Das könnte die Gegenfrage provozieren: Meinen Sie die Kirchen oder die Moscheen? Meinen Sie "sehr getrennt" oder nur ein bisschen getrennt? Wer bucht noch mal die Kirchensteuern ab?
Wenn es nach mir ginge: Die Postbotin sowieso. Die Nachbarin hat einen Schlüssel. Aber wir ahnen es: Die CDU hat die "Reform" des Mietrechtes schon in der Schublade. Da wird auch der Vermieter demnächst einen Schlüssel bekommen müssen, oder, Herr Schäuble?
Genau die richtige Frage für Leute, die zu viel fernsehen. Wie läuft das denn mit dem Rauchverbot in Eckkneipen? Darf Herr Schäuble eigentlich inzwischen Flugzeuge abschießen? Fragen Sie das Parlament. Es sind ja nicht so viele Abgeordnete beim Parlament in Karlsruhe.
Schade eigentlich. Sicherlich ist es zu viel verlangt, hierzu als Einwanderer eine Erklärung zu verlangen - findet man doch im Grundgesetz schon den Hinweis, dass die Staatsgewalt vom Volke ausgeht und in Wahlen und Abstimmungen ausgeübt wird. Abgestimmt habe ich erst einmal, und zwar über die Rechtschreibreform. Bei Bürgerversammlungen war ich öfters. Und dass das kein Verfassungsorgan war, danke, das spürte man.
Das ist eine typische Frage aus einem Ministerium, das sich nicht wirklich Gedanken um den Sinn eines Einbürgerungstestes macht, sondern Gehirnakrobatik am Schreibtisch als Sportersatz betreibt. Wen soll es weiter bringen, wenn eine einbürgerungswillige Ehegattin diese Frage richtig oder falsch beantwortet? Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?
Sollen die einbürgerungswilligen Ausländerinnen und Ausländer denn in den Einbürgerungskursen erfahren, welche Bundesländer Kinder von Flüchtlingen von der Schulbildung ausschließen? Machen sie auch eine Exkursion in die "Lerngruppe" in der Flüchtlingsunterkunft in Neumünster und dürfen dann mit Eltern sprechen, die sich nichts sehnlicher wünschen als die Erlaubnis für ihre Kinder, die Schule zu besuchen wie andere Kinder auch? Jedenfalls ist der Test so ehrlich, nach der Geltung für "die meisten" Kinder zu fragen.
Hierzu teilte uns das Bundesinnenministerium mit, an den Antworten und einer entsprechenden Erläuterung werde noch gearbeitet. Kein Wunder - die Antwortmöglichkeiten sind etwas unklar. Vermutlich will die Regierung die zweite Möglichkeit angekreuzt haben, weil die Einbürgerungsbewerber sich ja gerade nach einem Pass drängeln. Nun sagt aber das Personalausweisgesetz, das ich bereits im Kindergarten auswendig gelernt habe, dass ich mit dem 16. Geburtstag einen Personalausweis besitzen muss. Eine Ausnahme gilt allerdings, wenn ich einen Reisepass habe. Dazu bin ich aber nicht verpflichtet, erst wenn ich eine Staatsgrenze überschreite. Freiwillig einen Pass zu besitzen und dann keine Verpflichtung mehr zum Besitz eines Personalausweises zu haben ist aber sicherlich eine Möglichkeit, an die einbürgerungswillige nicht denken sollte.
Die Frage 100 gibt, ähnlich formuliert, übrigens als Antwort vor: "...mit Vollendung des 16. Lebensjahres einen gültigen Personalausweis oder einen gültigen Reisepass besitzen..." - vielleicht hat man ja Glück beim Auswürfeln der 30 von 300 Fragen, die letztlich zu beantworten sind.
Angesichts einer Wahlbeteiligung, die bei Kommunal- und Landratswahlen inzwischen regelmäßig die 50 Prozent unterschreitet, sind die Quizmaster hier sehr risikofreudig. Ist der Prüfer denn bei den letzten Wahlen hingegangen? Oder sollte er oder sie vorsichtshalber danach ausgesucht werden?
Der Mut reichte aber nicht für die nächste Quizfrage:
... wobei die Antworten natürlich in die unvermeidliche "Evaluierung", die irgendeine Universität dann 2028 machen darf, einfließen sollte. Deutschland hat ja sicherlich noch ein paar Dutzend Verwaltungsbeamte übrig, die die Antworten auswerten, oder?
Es handelt sich um eine typische Frage der Kategorie "Zeigen wir's den Moslems mal". Die schleppen ja immer die Leute vor Gericht, wenn sie die Regierung kritisieren oder zum Christentum konvertieren. Sie sollen gefälligst endlich mal lernen, dass das hier nicht so ist. Außer natürlich, wenn jemand behauptet, der Bundeskanzler Gerhard Schröder würde seine Haare färben - was der Gegenwind niemals behauptet hat, da würden wir notfalls auch eine Schutzschrift beim Landgericht Hamburg hinterlegen.
In ihrem missionarischen Eifer haben die Herren beim Innenministerium übersehen, dass jemand, der eine Straftat begangen hat, gar nicht mehr angeklagt werden muss. Da muss man nur noch die Zellentür abschließen. Denn dass eine Straftat begangen wurde, stellt ja nicht die Polizei oder die Staatsanwaltschaft fest, sondern ein Gericht - und warum sollte er danach noch angeklagt werden? Von einer "Unschuldsvermutung" hat man aber im Innenministerium vermutlich nur während der Ausbildung mal was gehört, im Arbeitsalltag schwindet die Erinnerung, oder?
Mit den Zuständen vor Gericht sind die Mitarbeiter des Innenministers sowieso nicht so sehr vertraut. Oder wie ist die folgende Frage zu verstehen?
Da Schöffen ehrenamtliche Richter sind, stellt sich hier die Frage, warum die als richtig anzukreuzende Antwortmöglichkeit aussagt, sie würden "mit Richtern" entscheiden. "Mit Berufsrichtern..." - das wäre okay. "Mit anderen Richtern.." ginge ebenfalls. Oder war vielleicht ein Berufsrichter an der Formulierung beteiligt, der mal wieder durchschimmern lässt, dass Schöffen irgendwie doch keine richtigen Richter sein können?
Und wie soll dann die nächste Frage beantwortet werden?
Es tröstet natürlich zu erfahren, dass die Hersteller des Einwanderungstests zehn Fragen später doch zeigen, dass sie ein bisschen Ahnung haben. Übrigens sollte verhindert werden, dass die beiden Fragen in einem Text vorkommen. Denn wenn ein Einbürgerungswilliger bei Nichtbestehen klagt, wäre das Innenministerium in Erklärungsnot, wie man so auf die richtigen Antworten kommen soll.
Nicht nur, dass hier die Bundespolizei vor den Kopf gestoßen wird - sind die armen Menschen doch Tag und Nacht mit Autos, Hubschraubern und allerlei Spezialgerät wie Nachtsichtgeräten und CO2-Messgeräten in Grenznähe unterwegs, um das Land gegen die illegale Einwanderung zu verteidigen. Auch Herr Schäubles Lieblingsprojekt, der große Lauschangriff, soll hier offensichtlich in Misskredit gebracht werden.
Was macht denn nun der durchschnittliche Schläfer mit dieser Frage? "Oh toll, wenn die mich nicht abhören, werde ich ja nicht entdeckt!" - und flugs wird die vierte Möglichkeit angekreuzt? Oder tarnt sich der islamistische Terrorist nicht besser, indem er sagt: "Ja, gut, sie sollen alle abhören, dafür bin ich auch"?
Auffällig ist, dass der Themenkomplex Völkermord ausgespart bleibt. Darüber sollen die Einwanderungswilligen wohl Bescheid wissen, explizit gefragt wird niemand.
Es bleibt die Frage, warum zwar der 9. November wichtig ist, aber nicht die Vernichtungslager. Es gäbe sogar die Möglichkeit, das zu fragen, weil es in der Frage 220 explizit um den 27. Januar 1945 geht, also die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee. Doch die Frage wird gestellt, ohne eine entsprechende Antwort vorzugeben:
Richtig ist natürlich die (schwache) vierte Antwortmöglichkeit, überzeugend ist sie nicht.
Was stört, ist nicht der Test an sich. das machen viele Länder, die gerne irgendwie dafür sorgen wollen, dass neue Bürgerinnen und Bürger sich ein bisschen in ihrer neuen Heimat auskennen. Was stört, ist die Konzeptlosigkeit: Man will die Einbürgerungen erleichtern, dazu hat man sich in den 90er Jahren entschlossen und 2000 das neue Staatsbürgerschaftsrecht unter Mühen geboren.
Und dann gibt es wieder ein Sammelsurium von Schikanen, die jetzt wieder mit einem neuen Einwanderungs-Erleichterungsgesetz und der Verlängerung der Härtefall-Regelung "ergänzt" werden sollen.
So bleibt es dabei, dass im "Kampf um die besten Köpfe" die Botschaft lautet: Kommt her, wir wollen euch nicht.
Reinhard Pohl