(Gegenwind 237, Juni 2008)

Biologische Vielfalt

Die vergessene Landwirtschaft

Demo Pfingstmontag in Bonn - Biosicherheit Greenpeace Kanada
Demo Pfingstmontag in Bonn - Frauen aus Bangladesch
Demo Pfingstmontag in Bonn - ca. 6.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 100 Ländern gingen zum Ort der sogenannten "UN-Naturschutzkonferenz": Für das Menschenrecht auf ausreichende, vielfältige und gesunde Ernährung! Gegen den Missbrauch der Landwirtschaft als Rohstofflieferant für Spekulanten. Für Selbstbestimmung von Verbrauchern und Landwirten! Gegen gentechnische Experimente mit unserem Essen und unserer Umwelt. Für freien Austausch von Saatgut und Wissen in der Landwirtschaft! Gegen Patente auf Lebewesen und Biopiraterie. Für den Erhalt der regionalen Vielfalt! Gegen agrarindustrielle Monokulturen.

Strom kommt aus der Steckdose und Pizza gibt's beim Discounter. Soll heißen: Der Ursprung unserer Ernährung scheint für viele im Verborgenen zu liegen. Das ihr zugrunde liegende Saatgut ist jedoch politisch hochbrisant und für das Überleben von Gesellschaften und Kulturen entscheidend. Dies gilt nicht nur für die Länder des Südens. Auch die Menschen im industrialisierten Norden leben von der Fruchtbarkeit des Bodens, der das Saatgut keimen lässt. Sie haben dies nur vergessen, können es im Alltag nicht mehr wahrnehmen und haben die Kultur um Nahrungspflanzen durch Mikrowellenkultur und Technikgläubigkeit ersetzt.

Wir glauben in den bunten Regalen der Einkaufläden eine Vielfalt der Ernährung zu sehen - alles so schön bunt hier - und bemerken nicht, wie unsere Nahrung aus immer weniger Pflanzen hergestellt wird. Auf dem Land glauben wir die Vielfalt der Natur genießen zu können, und merken nicht, dass wir keinen Blumenstrauß auf den Wiesen mehr pflücken können - alles so schön grün hier. Wir ahnen kaum, welch existentielle Bedeutung der schwindenden Biologischen Vielfalt weltweit zukommt.

Dass Tiger und Eisbären vom Aussterben bedroht sind, ist bekannt, aber dass wir im Norden schon bis zu 80% unserer Kulturpflanzen verloren haben, ist weitgehend unbeachtet geblieben, ebenso wie die Abhängigkeit unserer Ernährung von vier bis fünf Konzernen.

Der ehemalige US Außenminister (1973-1976) Henry Kissinger sagte: "Kontrolliere die Nahrung, und du kontrollierst die Menschen." Es wird deutlich, dass neoliberale Globalisierung, Frieden, Kolonialisierung, soziale Gerechtigkeit und Klimawandel nicht mehr losgelöst von den Grundlagen der Nahrung betrachtet werden dürfen.

Planet Diversity

Die letzten Meldungen über Nahrungsmittelkrisen und Hungerrevolten in mehr als 30 Ländern bringen wieder Äußerungen und Meldungen hervor, dass die Welt die Agro-Gentechnik braucht, um die Menschen ernähren zu können. Dass dies keine Lösung darstellt, sondern eine existentielle Verschlimmerung der allgemeinen Situation wurde auf dem "planet diversity" Kongress in Bonn mehr als deutlich. Der Gegengipfel fand zu Beginn der sogenannten "UN-Naturschutzkonferenz" in Bonn statt, die korrekter 'Konferenz zur Biologischen Vielfalt' heißt. Das dazugehörige Vertragswerk, die Convention über Biologische Vielfalt (CBD) wurde wie die Klimaconvention schon 1992 in Rio verabschiedet.

Ein weltweites Moratorium für die Produktion von Agrar-Sprit und Gentechnik-Anbau forderten die 700 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 100 Ländern zum Abschluss von "Planet Diversity" am 15. Mai. Sie forderten eine Revolution der Landwirtschaft, die sich am Überleben und dem Respekt vor allen Menschen, Tieren und Pflanzen des Planeten orientiert.

Angesichts der Klima- und Biodiversitäts-Katastrophe bedürfe es eines gemeinsamen, radikalen Paradigmenwechsels bei Bauern, Verbrauchern, Wissenschaftlern und Regierungen. Die aktuelle Nahrungsmittelkrise trotz landwirtschaftlichen Überflusses, sei eine politische Schande.

Ziel des bei "Planet Diversity" entstandenen weltweiten Netzwerks ist die Besinnung auf gemeinsame Werte und eine ganzheitliche Revolution in der Landwirtschaft und beim Lebensmittelverbrauch. Die "mittelalterliche Technologiegläubigkeit" vieler Politiker und Unternehmen soll durch kritischen und vorsorgenden, praktischen Fortschritt überwunden werden.

"Die Monokulturen der vergangenen Jahrzehnte dienen nicht mehr der Produktion von mehr und besserer Nahrung. Sie ernähren nicht die Armen dieser Welt, sondern füttern die Fleischfabriken und Autos der Reichen. Sie schaden dem Klima, laugen die Böden aus, brennen die Wälder nieder, verschwenden und vergiften unser knappes Wasser und vertreiben Kleinbauern und Indigene von ihrem Land", fasste einer der Organisatoren, Benedikt Haerlin, das Ergebnis der Konferenz zusammen.

Vielfalt statt Monokulturen

Farida Akhter (vorn) und Mitstreiterin präsentieren eine Auswahl der Saatgutvielfalt in Bangladesch.
Farida Akhter (vorn) und Mitstreiterin präsentieren eine Auswahl der Saatgutvielfalt in Bangladesch. Eine traurige Aktualität hat diese durch die großflächige Überschwemmungdes Landes mit Salzwasser, jetzt werden dringend Sorten benötigt, die salzigen Boden vertragen.

"Industrielle Landwirtschaft ist ein Fossil der Vergangenheit, das unsere natürliche und kulturelle Vielfalt und damit unsere Überlebensfähigkeit zu vernichten droht", so fasst Benedikt Haerlin ein weiteres wichtiges Ergebnis des Gegengipfels zusammen.

In dieser Auffassung sehen sich die Bauern- und Basisorganisationen von "Planet Diversity" bestätigt durch den jüngsten Bericht von 400 Wissenschaftlern des Weltagrarrates (IAASTD). Dessen Ko-Präsident, Hans Herren, sagte auf dem Gegengipfel "business as usual ist schlicht keine Option mehr" und betonte: "Die Mittel und Technologien zur Überwindung des Hungers stehen zur Verfügung. Was fehlt ist einzig der politische Wille, sie klug und systematisch einzusetzen."

Dieser Alarmruf des Weltagrarrates, dürfe nicht wie der erste Bericht des Welt-Klimarates (IPCC) jahrelang ignoriert werden, forderte die indische Saatgut-Aktivistin Vandana Shiva.

Welthandel und Spekulation mit Agar-Rohstoffen haben dazu geführt, dass trotz steigender Produktion die Zahl der Hungernden in diesem Jahr wieder auf eine Milliarde Menschen anschwillt. "Wir Bauern können genügend Lebensmittel für die Bevölkerung von heute und von morgen produzieren, wenn wir nicht in die Abhängigkeit von multinationalen Handels-, Chemie- und Gentechnikkonzernen getrieben und unserer natürlichen Produktionsmittel beraubt werden," sagte der Bauernführer Mamadou Goita aus Mali.

Saatgut, die Grundlage aller Landwirtschaft, sei kein Privatbesitz von Monsanto, Syngenta und Bayer, sondern das gemeinsame Erbe der Menschheit. "Das Recht auf Austausch, Nachbau, gemeinsame Fortentwicklung und Verkauf von Saatgut steht am Anfang einer Landwirtschaft im Dienste der Menschen statt des Profits," sagte Guy Kastler vom französischen Netzwerk für bäuerliches Saatgut. Hunger und Klimawandel könnten nur überwunden werden, wenn wir die Vielfalt wieder auf die Äcker bringen statt sie in Gen-Banken einzusperren.

"Vielfalt statt Monokulturen" steht für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von "Planet Diversity" auch für eine ethische Neubesinnung: "Wir sind ein Teil und nicht die Herren der Natur," heißt es in ihrem Bonner Manifest.

Fragen zum Weiterdenken und ein Auftrag

Vandana Shiva auf der Auftaktkundgebung
Vandana Shiva auf der Auftaktkundgebung, sie erhielt den Alternativen Nobelpreis 1993, weil sie Frauen und Ökologie im Zentrum des modernen Diskurses um Entwicklungspolitik platziert hat

Dieser internationale politische Kongress thematisiert, dass alle Menschen zusammen Teil der Natur sind und politische Forderungen in der Schweiz fußen auf der Würde der Pflanzen!

Für die Teilnehmerinnen von der Initiative gentechnikfreies Schleswig-Holstein war die Woche in Bonn ein Erlebnis, das sehr viel Mut und Hoffnung gemacht hat. Aber auch die Dimensionen der Entfernung unserer Kultur von grundlegenden Lebenszusammenhängen wurden deutlich.

Warum nehmen wir biologische Vielfalt nicht als so elementar für unser Leben wahr wie sie ist?

Warum ist eine biologische Landwirtschaft die Ausnahme und die Herstellung unserer Nahrung mit stärksten Giften die Regel?

Wie kann man den Hungernden, den Pflanzen und Tieren, dem Boden eine Stimme geben, die gehört wird?

Die Menschen aus ärmeren Ländern haben in Bonn mit vielen Beispielen belegt, dass eine organische nachhaltige Landwirtschaft ihren Ländern genug Nahrung geben kann. Damit sie frei von Gentechnik mit all den ungeklärten Risiken und frei von der damit verbunden Abhängigkeit bleiben können, muss auch Europa gentechnikfrei bleiben. Es ist noch nicht zu spät - Gentechnik ist nicht überall drin und sie wird nur in wenigen Ländern angebaut.

Die Initiative gentechnikfreies Schleswig-Holstein fordert ein Moratorium für den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen und Bäumen. Wir brauch die Freiheit und Selbstbestimmung für die lokale Vielfalt der Menschen und des Saatgutanbaus. Unsere Ernährung darf nicht in den Händen von Chemiekonzernen liegen.

Andrea Kraus
Wiebke Freudenberg

Mehr Informationen zum Gegengipfel unter www.planet-diversity.org
Informationen zu Aktionen in Deutschland unter www.gendreck-weg.de
Informationen zum Gentech-Anbau in Deutschland unter www.standortregister.de

Manifest von Planet Diversity

Wir, Völker von Planet Diversity, versammeln uns, um die reiche biologische und kulturelle Vielfalt zu feiern, die unser Erbe ist, und um unseren Einsatz zu bestätigen, dieses Erbe unvermindert an zukünftige Generationen zu übergeben.

Wir treten der Hoffnungslosigkeit einer Welt entgegen, die ihren Fokus auf Konsum, Wettbewerb und Zerstörung richtet und wir versichern, dass wir keinerlei Missgunst, Geiz, Gewalt oder Angst in unseren Beziehungen zu einander und zu anderen Lebewesen akzeptieren.

Wir unterstützen Lokalisierung und Regionalisierung, nicht Globalisierung; Gleichheit und Gegenseitigkeit, nicht Vorherrschaft.

Wir verstehen uns als Teil der Natur, nicht als Herrscher über die Natur.

Wir befürworten Weisheit, gepaart mit Vorsorge, um nach Wissen zu suchen. Wir sehen, dass Vorsorge notwendig ist, um Schaden zu verhindern gegenüber allen, die wir lieben, schätzen und schützen. Wir wissen, dass eine arrogante Missachtung des Vorsorgeprinzips die wesentliche Basis unseres Lebens gefährdet.

Wir streben nach einer gesunden Welt und nahrhafter, sicherer und erschwinglicher Nahrung für alle.

Und wir halten unerschrocken die Schönheit und wechselseitigen Beziehungen der ganzen biologischen Vielfalt in Ehren.

Und deswegen, wenn es um unsere eigene Spezies geht, feiern wir besonders

Mit großem Respekt umarmen wir sie alle und bestätigen, dass wir alle, alle von uns, die glücklichen Erben und verantwortlichen Ahnen unseres gemeinsamen Zuhauses, Planet Diversity, sind.

Gentechnik ist unsexy
Kreative Sprüche inklusive
Bleibt auf dem Lande und wehret Euch täglich! Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft
Die Kleinbauernorganisation "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" beteiligte sich mit vielen Personen sowohl auf der Demo, als auch in der Organisation des Kongresses.
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