(Gegenwind 237, Juni 2008)
Nach den großen Auseinandersetzungen um die A20 - Südumfahrung Lübeck mit den Niederlagen 1998 und 2002 vor dem Bundesverwaltungsgericht schien der Krieg um die A20 in Schleswig-Holstein verloren. Die auf die Südumfahrung Lübecks nach Westen anschließenden Planfeststellungsabschnitte A1-Geschendorf und Geschendorf-Weede wurden ohne große Diskussion "durchgewunken".
Bereits 1999 wurden Linienbestimmungsunterlagen für die A20 Südumfahrung Segeberg ausgelegt, der sich 2003 die berüchtigte 56-Ordner-Auslegung für die Nordwestumfahrung Hamburg anschloss, während gleichzeitig der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen neu gefasst wurde. 2005 folgte die Linienbestimmung des Bundesverkehrsministers, eine Entscheidung, die trotz ihrer großen faktischen Wirkungen gerichtlich nicht direkt angreifbar ist. Ende 2006 begann, auf der Grundlage der Linienbestimmung von 2005, die Auslegung der Pläne für die Südumfahrung Segeberg (= Weede bis Wittenborn) und Anfang 2008 die für die A20 - Kremper Marsch (= A21 bis B431 bei Glückstadt). Der Erörterungstermin für den Segeberger Abschnitt fand soeben statt. (siehe Anm. 1)
Es ist deutlich, dass die Verbände (siehe Anm. 2) den Weiterbau der A20 Richtung Elbe nicht, jedenfalls nicht kampflos hinnehmen wollen. Und wenn es in Lübeck so war, dass, jedenfalls nach den Maßstäben deutscher Straßenbauer, ein gewisser Bedarf an einer Autobahn bestand, so kann jetzt eigentlich nur die Gewissheit herrschen, dass ein eben solcher Bedarf ab Segeberg in Richtung Elbe nicht besteht.
Tatsächlich können die Verbände sich hier auf ein Argument stützen, dass ihnen in Lübeck noch nicht zur Verfügung stand. Denn die Verkehrsprognosen, mit denen der Bau der A20 von Weede bis zur polnischen Grenze gerechtfertigt wurde, liegen vor und können inzwischen mit den tatsächlich eingetretenen Verhältnissen verglichen werden. Eingetreten ist, was die Verbände, nicht was die Straßenbauer vorhergesagt haben: In Richtung Polen spielt die A20 die Rolle einer besseren Dorfstraße und im Süden von Lübeck, wo Autobahnbefürworter wie Heydemann ("Öko-Autobahn") und Steinbrück fast 70.000 Fahrzeuge pro Tag im Jahre 2010 erwarteten, findet auch der eifrigste Zähler heutigen Tags nur gut 20.000.
Es zeigt sich also, wie berechtigt es war, dass das Bundesverwaltungsgericht sich expressis verbis geweigert hat, die Kritik der Verbände an der Verkehrsprognostik der A20 zur Kenntnis zu nehmen. Freilich hat das Gericht auch damals schon die Mierwald'sche Methode, Eingriffe in europäisch geschützte oder zu schützende Gebiete zur Unerheblichkeit herab zu konjugieren, vorgezeichnet. Denn sonst hätte, einen Rest Redlichkeit vorausgesetzt, das Gericht sich womöglich tatsächlich der Frage aussetzen müssen, was es denn mit dem zwingenden überwiegenden öffentlichen Interesse auf sich habe, dass bei Eingriffen in derartige Gebiete vorauszusetzen sei und unversehens die Prognosefrage wieder auf dem Richtertisch gehabt. (siehe Anm. 3)
Man sollte gleichwohl meinen, dass in den 10 Jahren seit dem vorläufigen Paukenschlag des Bundesverwaltungsgerichts zur A20-Travequerung, der freilich in einer Perversion des Denkens in der Hauptsache nicht zum Krachen kam, das planende Deutschland auch in Gestalt seiner Politiker ein wenig zur Kenntnis genommen hätte, dass die Konturen des europäischen Naturschutzrechtes in Luxemburg gezeichnet werden und nicht völlig zur Disposition deutscher Duodezfürsten stehen. Noch 2005 aber konnte das OVG Schleswig festhalten, der Planfeststellungsbeschluss für den Flughafen Lübeck könne (auch) deshalb keinen Bestand haben, weil europäische Vorgaben zu Gebietsauswahl und -schutz eklatant missachtet worden seien.
Und noch 2008 können die Verbände vortragen, dass der europäische Gebietsschutz in Schleswig-Holstein den rechtsstaatlichen Prinzipien einer Bananenrepublik folgt: Anscheinend selbstverständlich konnte bei der Linienbestimmung der A20 im Raum Segeberg niemand ahnen, dass es dort womöglich Fledermäuse gibt. Insofern scheint fast verzeihlich, dass die noch einmal besonders geschützten, nämlich prioritären, Wälder im Travetal nicht gesehen wurden. Es scheint auch so zu sein, dass die beamteten Ornithologen sich ebenso wenig wie die Hüter des IBA-Grals in abgelegene Gegenden wie die Krempermarsch verirren. So ließen sich einige 1000 Kiebitze übersehen. Bei den Vertretern seltenerer Arten muss man wohl davon ausgehen, dass diese sich besonders gut verstecken können. Und erst aufgrund der Planfeststellungsunterlagen für den Abschnit B431-A21 drängte sich dem amtlichen Wächter der Natura2000-Kulisse, dem LANU, der - alsdann immerhin aktenkundig gemachte - Verdacht auf, die Autobahn führe, anders als im Wunschdenken der Straßenbauer, mitten durch ein (mangels Ausweisung: potentielles) FFH-Gebiet. (siehe Anm. 5)
All dies begründet den zentralen Einwand der Verbände gegen die Planung der A20 westlich von Weede: Die Relevanz der Planung für die Belange des europäischen Naturschutzes wurde in der Linienbestimmung in einem Umfange unterschätzt, die die gesamte Linienbestimmungsentscheidung sachlich unhaltbar macht. Aus diesem Grunde greifen die Verbände nicht nur die anstehenden Planfeststellungen, sondern auch und gerade die zu Grunde liegende Linienbestimmungen, die erst mit den Planfeststellungen (gerichtlich) zur Disposition stehen, an.
Was die Linienbestimmung(en) angeht, so lagern sich um den harten Kern des europäischen Naturschutzes noch zwei Argumente, die formal daherkommen, aber durchaus eine bürgerrechtliche Dimension aufweisen. Zum einen beruht die Linienbestimmungsentscheidung des Bundesverkehrsministers von 2005 auf zwei Linienbestimmungsverfahren, nämlich einmal mit einer Auslegung von 1999 (Weede-Wittenborn) und einmal von 2003 (Nordwestumfahrung HH). Damit ist kreuzweise die Beteiligung der Öffentlichkeit vor der Linienbestimmungsentscheidung ausgefallen: Die Teilnehmer des Verfahrens Nordwestumfahrung wurden nicht zu Weede-Wittenborn gehört und umgekehrt. Zum anderen war in das Linienbestimmungsverfahren Nordwestumfahrung auch eine Korridorauswahl integriert, was zu der nicht mehr zu bewältigenden Menge an Planunterlagen führte. Dies war nicht nur deshalb unzulässig, weil Gegenstand der Linienbestimmung eben nicht die Korridorauswahl ist, sondern auch, weil der Bedarfsplan für die Bundesfernstraßen nur eine Planung im Glückstadt-Korridor zuließ.
Ein zentraler und im jetzigen Planungsstadium nicht mehr abzuwehrender Angriff der Verbände auf die Planung ist mithin, dass die Linienbestimmungsentscheidung des Bundesverkehrsministers von 2005, mit der die Linie der A20 von Weede über Glückstadt bis nach Niedersachsen bestimmt wird, die nachfolgenden Planfeststellungen nicht tragen kann.
Selbstverständlich kann Schleswig-Holstein auf das Bundesverwaltungsgericht hoffen, dass dieses die Rechtsfehler der Linienbestimmung schon für unbeachtlich erklären werde. Eine Heilung von Rechts wegen könnte hier aber nur darin bestehen, die Linienbestimmung zu wiederholen, weshalb die Verbände genau dies fordern. Die Gegenseite kuriert statt dessen natürlich lieber an den Planfeststellungen herum. Jedenfalls in Segeberg - in der Kremper Marsch ist dies noch nicht entschieden - wird der gesamte Naturschutzteil der Planung neu aufgelegt werden. (siehe Anm. 6) Den hierdurch entstehenden, vermeidbaren, aber erheblichen, Aufwand müssen die Betroffenen tragen.
Besser wäre es, so die Verbände, die Planung der A20 überhaupt in Weede enden zu lassen, vielleicht noch einen maßvollen Ausbau der B206 in Segeberg zu gestalten, als das, was mit heißer Nadel gestrickt wurde, jetzt endlos zu flicken zu versuchen.
Einen Bedarf für die Autobahn westlich von Segeberg gibt es keinesfalls; sollten die Straßenbauer sich jemals der seit Jahren vorgetragenen (Methoden)Kritik stellen, würde sich dies alsbald erweisen. Die vorgelegten Prognosen, gerade für die Kremper Marsch, sind so abenteuerlich wie seinerzeit in Lübeck. Nur sagt die Prognose hier 20.000 bis 30.000 Fahrzeuge pro Tag voraus: 5.000 wird man erwarten können.
Für eine bessere Dorfstraße und die Befriedigung politischen Ehrgeizes ist das gute Land zu schade. Weil dies so ist, ist der Streit, trotz der Erfahrungen mit der Südumfahrung Lübeck, auch nicht aussichtslos.
Wilhelm Mecklenburg
Pinneberg
Anmerkungen: