(Gegenwind 235, April 2008)
Das Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens regelt seit dem 1. Januar in Schleswig-Holstein Rauchverbote in Behörden, Krankenhäusern, erzieherischen, schulischen, kulturellen und Sporteinrichtungen sowie in der Gastronomie. Zuwiderhandlungen werden als Ordnungswidrigkeiten behandelt, die mit hohen Bußgeldern geahndet werden können.
Bereits Ende letzten Jahres haben der Bund und andere Bundesländer ähnliche Gesetze zu gleichen Schutzzwecken mit teils abweichenden Titeln (Nichtraucher-, Nichtraucherinnenschutz) verabschiedet, in weiteren stehen Regelungen noch aus. In Schleswig-Holstein wurde lange verhandelt und die Anpassungsleistungen vor allem kleiner gastronomischer Betriebe an regionale Verbotslagen in anderen Bundesländern wurden berücksichtigt.
Staunenswerter Weise haben die bisher in Kraft getretenen Gesetze weder zu einer höheren Erwartungssicherheit im unstetig schwankenden Spannungsverhältnis zwischen Rauchern und Nichtrauchern geführt, noch die Antiraucheraktivisten und auch nicht die Raucher zufriedengestellt. Vielmehr ist erstens eine heftige Polarisierung zu beobachten und zweitens hat sich das Konfliktniveau deutlich erhöht.
Erstens wird die Polarisierung in einer ausgedehnten Debatte im Land erzeugt, der nicht zu entkommen ist und in der es unausweichlich ist, Position beziehen zu müssen. Positiv gewendet könnte das Gesetz hier Initiator einer demokratischen Debatte sein. Idealer Weise sollte die Gesetzgebung in der Demokratie allerdings am Ende eines öffentlichen Diskussionsprozesses stehen. Das ist im Lande aber schon lange nicht mehr der Fall. Die Entscheider haben wohl mit sich selbst schon genug am Bein. Eine Antiraucherkoalition hatte alle bisherigen Übereinkünfte unterhalb der Gesetzesebene für gescheitert erklärt und für ein generelles Rauchverbot in allen Räumen, die auch von Nichtrauchern betreten werden könnten, gefordert und geglaubt, dann wäre Ruhe im Karton und im Übrigen würden auch keine Kosten entstehen, weil die Deutschen so staatsgläubig wären.
Zweitens werden mit den einschlägigen Regulierungen in öffentlichen, halb-öffentlichen und privat-wirtschaftlichen Einrichtungen im Alltag ausgehandelte Übereinkünfte über Nichtrauchen und Rauchen die mikrodivers verteilt, anpassbar und flexibel sind durch ein Recht ersetzt, dem es notwendigerweise an der im Alltag stets anzutreffenden Differenzierungskraft mangelt. Das Recht generalisiert wo Übereinkünfte lokale Anpassungen und kulturelle Abweichung und damit: einfache Lösungen hervorbringen. Diese werden mit der Einsicht in das schädigende Potential des Rauchens und die Rücksichtnahme auf Nichtraucher wirksam. Kompromisse laufen über Mengenbegrenzungen, zeitliche Einschränkungen, räumliche Arrangements sowie Verzichts- und Duldungsrituale. Mit der Transformation in Recht werden zugrunde liegende Werte explizit und genau über diesen Mechanismus werden Konflikte erzeugt und zwar überwiegend unrealistische Konflikte.
Insgesamt trägt das Gesetz zum Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens in unterschiedlicher Intensität und Häufigkeit dazu bei, wieder zivilen Ungehorsam im Land zu kultivieren. Auch dies ist eher positiv zu werten, zumal sich das bis in die Institutionen hinein zieht. Jedenfalls kamen nach kurzer Zeit des Innehaltens wieder die Aschenbecher auf Tisch und Tresen, Besprechungszimmer und "externe Räume". Es hat wohl zwei Wochen gedauert, bis in den einzelnen Bereichen pragmatische Lösungen gefunden wurden, die in der Regel zwar nicht ganz legal aber dafür legitim, also brauchbar illegal sind. Hierzu sollte man im Detail schweigen und milde Gleichgültigkeit gegenüber den Übereinkünften anderer Leute walten lassen.
Am Anfang war das Gesundheitsargument. Interessierte Wissenschaftler lassen vor dem geistigen Auge Hunderte von Millionen Tabaktote weltweit auftauchen. Tausende von krebserzeugenden Stoffen im Tabak machen Menschen krank und lassen sie und die leidtragenden Passivraucher früh und elend verenden, in Indien soll Tabakrauch Tuberkulose übertragen. Die Krankenkosten gehen weltweit in die Billiarden. Zentral werden hier Hypothesen aus der medizinischen Wissenschaft in die politische Debatte eingeführt. Das ist nicht ohne Weiteres redlich zu haben, denn zum Einen ist so gut wie jede wissenschaftliche Position umstritten und zum Zweiten ist es gerade Aufgabe der Politik, die wissenschaftlichen Informationen so zu filtern, dass sie die demokratische Auseinandersetzung ermöglichen und nicht erschlagen. Wissenschaftliche Argumente sind plausible Hypothesen und nicht Tatsachen.
Jedenfalls läuft auch die Medizin in kleinen Kreisen. Im 16. Jahrhundert gelangte der Tabak nach Europa, und mit ihm die Kenntnis seines Gebrauchs durch die Ureinwohner Amerikas. Neben dem Gebrauch als Rauchtabak fand er dort zweitens auch als Medizin Verwendung und drittens als Friedenssymbol: Wer miteinander raucht, schlägt sich nicht den Schädel ein. Da die Europäer mehr Interesse am Krieg hatten, konnte sich die dritte Anwendung nicht durchsetzen. Vielmehr wurde der Tabak selbst Teil des allgemeinen Streits und so war der Tabakgenuss seither stets umstritten. Seit es den Tabak in Europa gibt, geht es also darum wie sich Raucher und Nichtraucher arrangieren. Als Symbolträger des aufstrebenden Bürgertums wurde Tabak gerne von christlich fundamentalistischen Adligen verboten, teilweise wurde Rauchen drakonisch bestraft - von der Todesstrafe bis zum Abtrennen der Lippen ist da einiges überliefert. Erst mit der 1848 Revolution wird das Tabakrauchen in der Öffentlichkeit freigegeben. In gewisser Weise gibt das "bürgerliche Lager" sich mit den aktuellen Rauchverboten selbst auf. Vollends irritiert wird der Bürger von der schleswig-holsteinischen Spezialität, auch Vereine in das Rauchverbot einzubeziehen. Der Verein ist diejenige Erfindung, die zunächst dem Bürgertum und dann der frühen Arbeiterbewegung ihre Organisation ermöglicht. Nach den Karlsbader Beschlüssen 1819 werden deshalb für über zwanzig Jahre sogar Turnvereine verboten, nach den Sozialistengesetzen überleben die sozialdemokratischen Zellen in Vereinen. Dies hat seinen Niederschlag auch in Art. 9 GG gefunden, der das Recht Vereine zu beliebigen Zwecken, außer dem Zweck gegen das Strafgesetzbuch zu verstoßen, zu gründen schützt. Manchmal fragt man sich, warum gerade von den Verfassungsparteien so gern und oft das Grundgesetz gebrochen wird. Es geht ja im Kern nicht um die Frage, ob das Rauchen in bestimmten Räumen eingeschränkt werden kann, sondern um den unheilvollen Drang generalisierende Lösungen gegen das Grundgesetz durchsetzen zu wollen.
Zweitens aber wurde Tabak zunächst als Medizin eingestuft. Einige Mediziner nahmen die Kunde von der Heilkraft des Tabaks als Wissenschaft und so mussten auf medizinische Expertise hin die Schüler der Eliteschule Eton täglich als Prävention gegen die damals weit verbreiteten Lungenkrankheiten (vor allem TBC) Tabak inhalieren. Heute wird - genauso ulkig - von einigen Medizinern behauptet, dass Passivrauchen schädlich sei. Da werden statistisch wirre Gefahren bösgerechnet, wie etwa, dass das Lungenkrebsrisiko eines Nichtrauchers, der einen Raucher zum Partner hat, um fast 20 % steige. Die Eisenbahnunglücksgefahr eines Lokomotivführers gegenüber einem Menschen, der niemals mit der Bahn fährt ist noch bedeutend höher. Faktisch ist es aber so, dass das absolute Risiko der Lokomotivführer praktisch null ist und damit genau so hoch wie das der Passivraucher.
Ein wirklich bedeutender Punkt besteht allerdings in der Veränderung der politischen Sicht auf das Rauchen. Das Bewusstsein der gesundheitsschädigenden Wirkungen des Tabaks war auch bisher durchgesetzt. Wer trotzdem rauchte schätzte die positiven Wirkungen eben höher ein - vor allem die Steigerung der Konzentrations- und Gedächtnisleistungen - und/oder war süchtig. In der Folge wurde Rauchen in erster Linie als Suchtproblem behandelt. Raucher waren im Grunde kranke Leute und da so gut wie alle mal geraucht hatten, teilte sich die Bevölkerung in Nikotinisten und "trockene" Nikotinisten, bei einer kleinen Gruppe von Nicht-Nikotinisten. Die Schwere der Sucht, die nur mit der nach Opiaten vergleichbar ist, trägt sicher dazu bei, dass die meisten fundamentalistischen Antiraucher auch nur "trockene" Nikotinisten sind, die sich an ihrem Leid auf Kosten Anderer abarbeiten. Jetzt müssen es sich Raucher gefallen lassen, ähnlich behandelt zu werden, wie Menschen im Mittelalter, wenn sie eine ansteckende Krankheit hatten. "Der Hauch des Todes" scheint sie zu umwehen, schreckliche Krankheiten hausen in ihrer Umgebung. Auf merkwürdige Art wurde aus der Bedrohung der Raucher durch sich selbst, als Nikotinkrankheit zu sehen, süchtig machend und selbstschädigend, eine imaginäre Bedrohung der Gesellschaft durch die Raucher. Diese Politik der Gesundheitsministerin ist schlicht ungenügend. Mit dubiosen Argumenten Kranke zu Krankmachern und Gesellschaftsschädlingen zu erklären darf nicht schulbildend werden.
Zu diesen sozialen Kosten gesellen sich auch rechtliche. Verzichtet man auf die Rechtsdurchsetzung, so wird die Rechtsordnung durch ein weiteres folgenloses Gesetz beschädigt Wenn das Recht durchgesetzt wird, müssten die Kommunen das Personal hierfür bereitstellen. Sie sind dazu kaum in der Lage. Der öffentliche Dienst Deutschlands hat mit unter 12 % an allen Beschäftigten nicht nur eine historische Tiefstmarke erreicht, sondern ist auch im Vergleich zu anderen Industrienationen unterdimensioniert (USA: 16 %, Großbritannien: 22,1 %, Schweden: 33,4 %). Der Landesverwaltung geht es dabei noch relativ gut, die Kommunen gehen aber bereits seit geraumer Zeit dazu über, aus Finanznot nicht besetzbare Stellen durch Ein-€-Jobber zu ersetzen, was der Bundesrechnungshof als Verschiebung kommunaler Kosten in den Bundeshaushalt zurecht für rechtswidrig hält. Mich wundert es nicht, wenn die Kommunen sich weigern Geld für den Schutz vor den Gefahren des Passivrauchens auszugeben, welches sie lieber in Schulen, Kindergärten und allem Anderen investiert sehen würden.
Politisch hat sich eine extremistische Denkweise durchgesetzt, die versucht mit Zwang eine Verhaltensänderung von Personen durchzusetzen, wenn diese scheinbar schädlich für Andere ist. Diese Haltung wird sowohl von einem aus den USA kommenden religiösen Fundamentalismus gespeist, wie aus politischen Verfahrensweisen, die wir sie bisher nur aus der DDR kannten. Die Rauchergesetzgebung zeigt sich so als Messalliance schlechter Amerikanisierung und einem DDR-Fimmel, an dem jede Auflockerung, wie sie die BRD sie seit 1968 erlebt hat, spurlos abgeprallt ist. Man muss kein Prophet sein um zu prognostizieren, dass das Gesetz, wie es verabschiedet wurde, so nicht bleiben wird.
Thomas Herrmann