(Gegenwind 233, Februar 2008)

Diskussion: Türkisch-Unterricht an Schleswig-Holsteins Schulen?

Türkisch - ein normales Unterrichtsfach an deutschen Schulen!

Monika Bergen

Der Weg, Kindern türkischer Herkunft zu Unterricht in ihrer Mutter- oder Herkunftssprache zu verhelfen, ist in Schleswig-Holstein heute vergleichsweise kompliziert. Er verläuft - von einigen beispielhaften Kooperationen abgesehen - überwiegend außerhalb des deutschen Schulsystems. Damit wird eine einmalige Chance zu frühzeitiger Integration von Kindern aus alteingesessenen und zugewanderten Familien in der Schule sowie zur Integration der Gesellschaft insgesamt verschenkt.

In der Regel beantragen Eltern türkischer Herkunft, zumeist im Zusammenschluss zu einem Verein, bei der türkischen Regierung - über eine der konsularischen Vertretungen in Deutschland - die Entsendung einer von ihr bezahlten Lehrkraft für den muttersprachlichen Unterricht. Ist die Stelle bewilligt, kommen alle zwei bis vier Jahre neue Lehrer oder Lehrerinnen mit eher begrenzten deutschen Sprach- und Landeskenntnissen an den entsprechenden Einsatzort. Die Kinder besuchen den Unterricht auf freiwilliger Basis, können sich also jederzeit an- und abmelden. Er findet mehrmals wöchentlich nachmittags in verschiedenen Jahrgangsgruppen statt, räumlich zumeist in einem eher abgelegenen Klassenzimmer einer örtlichen Schule. Interessieren sich anfangs die meisten Eltern für den Unterricht und wünschen ihn für ihre Kinder, so lässt die Begeisterung häufig recht schnell nach und die ehemals rege Teilnahme schrumpft; schließlich kommt vielleicht noch ein Drittel der Schülerinnen und Schüler zum Unterricht.

Die Gründe dafür sind vielfältig und tragen die Forderung nach Türkisch als deutschem Schulfach uneingeschränkt. Hier können nur die wichtigsten skizziert werden. Sie beginnen bei den Unterschieden in den Schulsystemen, vor allem in den Bildungszielen und -inhalten sowie in den Lehr- und Lernmethoden (auch heute noch steht ein türkischer Schüler schon mal eine Schulstunde lang 'in der Ecke'; Zeugnisse werden auf Papier mit vaterländischen Zitaten erteilt). Sie setzen sich über die mangelnde Einbindung der türkischen Lehrkräfte in die deutsche Kollegenschaft der Schule, wo sie unterrichten, fort und enden bei weitem nicht bei Auseinandersetzungen mit dem Schulträger über die an sich durch zwischenstaatliche Verträge abgesicherte kostenlose räumliche Unterbringung.

Diese und andere Probleme ließen sich vermeiden, wenn Türkisch als reguläres Schulfach an deutschen Schulen unterrichtet würde. Ohne viel Aufhebens und großen zusätzlichen Aufwand könnte ein wichtiger Beitrag zur Befriedung mancher Schulsituation und manches gesellschaftlichen Konfliktes geleistet werden.

In Deutschland gibt es inzwischen viele an deutschen Universitäten gut ausgebildete Lehrerinnen und Lehrer für Türkisch. Sie sind in der Regel selbst Einwandererkinder. Im Gegensatz zu den aus der Türkei 'eingeflogenen' Lehrkräften verfügen sie über ein in Deutschland erprobtes Wissen von der deutschen Gesellschaft und den besonderen Lebensbedingungen der hier lebenden Einwanderer. Hinzukommt die genaue Kenntnis des deutschen Schul- und Hochschulsystems, das sie selbst durchlaufen haben. Sie sind in zwei 'Kulturen' verwurzelt und kennen in beiden die Wege, Gesten und 'Formeln', mit denen man sich Zugang zu der enen wie der anderen verschafft, dort gehört und ernst genommen wird.

An der deutschen Schule wären nicht nur ihre Qualitäten als Unterrichtende gefragt, sie wären zugleich authentische Auskunftspersonen für Fragen der türkischen und muslimischen Kultur. Als solche wären sie ideale Vermittler in Konflikten zwischen 'türkischen' und 'deutschen' Schülern sowie deren Eltern, den Lehrkräften und sonstigem Schulpersonal, die heute häufig aufgrund kaum überbrückbar erscheinender gegenseitiger Missverständnisse eskalieren. Aber auch in nicht konfliktbeladenen, alltäglichen Situationen im Lehrerzimmer, auf dem Schulhof und auf der Klassenreise wären sie hilfreiche Ansprechpartnerinnen und -partner. Ganz abgesehen davon, dass sie die Zahl der Aufsichtsführenden überhaupt erhöhten und sich mit ihren Kollegen deutscher Herkunft zwanglos wie andere Lehrerinnen und Lehrer fachlich austauschen und freundschaftlich verständigen könnten. Mit ihren alteingesessenen Kolleginnen und Kollegen würden sie alle Schulressourcen gleichberechtigt gemeinsam nutzen, kein Schulträger müsste sich mehr um ihre Raum-, Ausstattungs- und Materialbedarfe gesondert bemühen.

Die Eltern hätten es nur mit einer Schule zu tun. Sie könnten sich, wie gesagt, der Unterstützung der Lehrkräfte mit Migrationsgeschichte versichern und verlören viel von ihrer Unsicherheit gegenüber den herkunftsdeutschen Lehrkräften und gegenüber den ihnen häufig immer noch nicht ganz geheuren Institutionen des deutschen Schulwesens.

Für die Schülerinnen und Schüler mit einer türkischen Migrationsgeschichte böten sich darüber hinaus Vorteile, die sich auf andere Schulfächer motivierend auswirken würden (und Ansätze zur Motivation der Schüler sind das, was der deutschen Schule am meisten fehlt). Für viele von ihnen bekäme die Schule erstmalig auch ihr eigenes Gesicht: in den ihrer 'Community' entstammenden Lehrerinnen und Lehrern fänden sie sich wieder. In ihnen hätten sie Vorbilder und 'Identifikationsfiguren', die ihnen wünschenswerte eigene geschlechtsspezifische Verhaltensweisen oder berufliche Ziele vorleben, etwa nach dem Motto: 'Herr Yildirim ist ein toller Lehrer und cooler Typ, ohne dass er den Macho herauskehrt' oder 'Wenn ich mich anstrenge, könnte ich eine Klasse Lehrerin werden wie Frau Savran'. Weil Türkisch nicht zum Kreis der europäischen Standardsprachen gehört, wäre es für viele, wenn sie sich damit erst einmal beschäftigten, eine interessante und lernenswerte Sprache, die in den andersartigen sprachlichen Konzepten, die in ihr zum Ausdruck kommen, ganz neue Perspektiven eröffnet. Türkische Muttersprachler würde, die Tatsache, dass ihre Sprache erstmalig in ihrem Schulalltag als etwas Besonderes wahrgenommen und sie selbst damit in einem wichtigen Teil ihrer Identität anerkannt würden, zum Erlernen anderer Sprachen motivieren und ihre Lernwilligkeit fördern. Dass damit zugleich - im Falle der Öffnung des Faches für Schülerinnen und Schüler mit anderem als türkischem Hintergrund, wie sie z.B. in zwei Hamburger zweisprachig deutsch-türkischen Schulen verwirklicht ist - das Verständnis für eine andere Kultur gefördert und kulturelle Vielfalt ganz selbstverständlich eingeübt würde, wäre ein weiterer Gewinn für eine Gesellschaft, die in der globalisierten Welt bestehen will und muss. Andersartigkeit einer bislang eher skeptisch beäugten Minderheit erhielte in der Schule einen Wert - mit positiven Folgen für die ganze Gesellschaft. Dass dann noch eine Schulnote in einem Fach erteilt wird, in dem Migrantenkinder ganz natürlich auch einmal einen Vorteil (und ein Ausgleichsfach) hätten, wäre ein i-Tüpfelchen, das ein weiteres Stückchen Chancengleichheit schaffte.

Natürlich würden die in die deutsche Schule integrierten Türkisch-Lehrerinnen und -Lehrer das Land Geld kosten. Denn die türkische Regierung hätte keine Veranlassung, für eine rein deutsche Durchführung des Türkisch-Unterrichtes zu zahlen. Einer langfristigen Bindung von Haushaltsmitteln in Personal stimmen Politiker nur ungern zu (bekanntlich auch dann, wenn es um die Aufstockung deutscher Lehrkräfte geht). Zu berücksichtigen ist indes die Gegenleistung dieser Lehrkräfte, die dem Aufwand gegenüberstünde und ihn mehr als kompensierte. Sie ginge weit über den unmittelbaren Zweck des Mitteleinsatzes, nämlich den Sprachunterricht, hinaus (und unterschiede sich damit kategorial von den gern mit kalkulierbarem einmaligen Kostenaufwand errichteten Schulneubauten). Auf längere Sicht bewirkte das in der Schule durch diese Lehrerinnen und Lehrer geförderte gegenseitige Verständnis aller am schulischen Erziehungs- und Bildungsprozess Beteiligten eine gesellschaftsinterne Befriedung, wie sie eben nur Menschen zu leisten imstande sind, die gleichberechtigt die Schulbank gedrückt und sich gemeinsam durch Fächer gekämpft haben, wo jeder an derer Stelle einmal besser sein oder mehr beitragen konnte. Auf diese Weise könnten die erheblichen Kosten eingespart oder zumindest stark reduziert werden, die heute für nachholende Integrationsmaßnahmen - solche also, die aufgrund fehlender früherer Möglichkeiten für den Einzelnen oder bestehender Defizite der Schule und anderer Einrichtungen erforderlich werden - aufgewandt werden (oder doch aufgewandt werden müssten, wenn die Gesellschaft nicht auseinanderfallen soll). Mit Willy Brandt: 'Die Schule der Nation ist die Schule' - nicht das Jugenderziehungscamp, nicht das Jugendstraflager und nicht der Jugendknast, die heute aus durchsichtigen Motiven so warm empfohlen werden.

Über die Organisation des Türkisch-Unterrichts im einzelnen bestehen unterschiedliche Vorstellungen, es gibt aber auch bereits gute Beispiele. Ein Extrem praktiziert Schweden, das jedem Kind einen Anspruch auf Unterrichtung seiner Muttersprache gibt, gleich wie viele Kinder die Sprache sprechen und in welcher abgelegenen Ecke des Landes sie wohnen. Ein anderes ist die Zusammenfassung nur mutter- oder herkunftssprachlicher Schülerinnen und Schüler an Schwerpunktorten. Beide Formen nutzen das integrative Potenzial, das ein Angebot für Schülerinnen und Schüler türkischer, deutscher und anderer Herkunft eröffnet, nur zum Teil. Dass sich zweisprachige Grundschulen in einem Stadtstaat leichter realisieren lassen, als in einem relativ gering bevölkerten Flächenland wie Schleswig-Holstein, liegt ebenfalls auf der Hand ... Hier in wenigen Zeilen ein oder mehrere Modell näher beschreiben oder gar propagieren zu wollen, torpedierte die Grundidee von Türkisch-Unterricht als normales Fach an deutschen Schulen. Dessen Vorteile müssen zunächst einmal von möglichst vielen Menschen erkannt werden. Erst dann lassen sich anhand konkreter Daten zu Schülerzahlen mit und ohne Migrationshintergrund, zu ihrer Verteilung im Lande, zum Lehrkräftebedarf, zur vorhandenen und zu schaffenden Schulinfrastruktur etc. etc. Modelle entwickeln und durchrechnen. Vorarbeiten dazu könnte allerdings ein Kreis von Leuten, die den Türkisch-Unterricht in deutschen Schulen grundsätzlich bejahen, leisten. Darüber wäre vielleicht als nächstes zu diskutieren.

Monika Bergen
Glückstadt, pensionierte Juristin, ehrenamtlich tätig für einen Migrantenverein

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