(Gegenwind 232, Januar 2008)

Neues Vereidigungsgesetz für Schleswig-Holstein

Nur bei nachgewiesener Eignung

Dolmetscherinnen und Dolmetscher haben ebenso wie Übersetzerinnen und Übersetzer ein sehr breites Betätigungsfeld. Sie können für Firmen oder Behörden, fürs Fernsehen oder die Polizei, für Literaturverlage oder Konzertveranstalter, für die Regierung oder für Beratungsstellen arbeiten. Viele zieht es doch zu den Gerichten. Hier ist der Vorteil, dass die Hinzuziehung von DolmetscherInnen mit einer gewissen Routine erfolgt, während Krankenhäuser oder Behörden endlos über die Kostenübernahme diskutieren. Außerdem ist die Bezahlung geregelt. Wichtige Voraussetzung für den Beruf ist die allgemeine Vereidigung.

Die allgemeine Vereidigung für DolmetscherInnen oder die Ermächtigung für ÜbersetzerInnen ist keine Prüfung, sondern die Betroffenen schwören, vollständig und richtig zu übertragen - so wie GutachterInnen und ZeugInnen vereidigt werden. Dennoch bedeutet die Aufnahme in die Liste vereidigter DolmetscherInnen oft eine Schub für den Beruf, denn auch Außenstehende verlassen sich darauf, dass Gerichte ihre DolmetscherInnen sorgfältig auswählen. Wer als ÜbersetzerIn ermächtigt ist, darf Urkunden übersetzen und beglaubigen, das betrifft vor allem Führerscheine, Geburtsurkunden, Zeugnisse, Diplome, Scheidungspapiere etc.

Bisher geschah dies in Schleswig-Holstein bei den vier Landgerichten in Lübeck, Itzehoe, Kiel und Flensburg sowie beim Oberlandesgericht Schleswig nach verschiedenen Kriterien, abhängig von den Vorgaben, die die beauftragten Richterinnen und Richter zum Maßstab nahmen. Die Kandidatinnen und Kandidaten sollten am besten Abitur, Hochschulzugang oder ein Hochschulstudium nachweisen, dazu möglichst Berufserfahrung. Da jede Richterin und jeder Richter Sprachmittler auch für eine einzelne Verhandlung oder einen Verhandlungstag vereidigen kann, wurden oft mehrere Arbeitsnachweise bei Gericht verlangt. Wenn mehrere Richterinnen oder Richter, so das Kalkül, mit der Sprachmittlung zufrieden waren, wären die Fähigkeiten ja ausreichend.

Bundesverwaltungsgericht: nur auf gesetzlicher Grundlage

Unter den Dolmetscherinnen und Dolmetschern in Schleswig-Holstein machte sich immer mal Unzufriedenheit breit, waren doch die Kriterien für die Zustimmung oder Ablehnung zu einer allgemeinen Vereidigung undurchsichtig. Eine ganze Zeit lang galt die Landgericht Lübeck als die "höchste Hürde", dagegen schien eine Vereidigung in Itzehoe einfacher. Es differierte allerdings auch von Sprache zu Sprache - fast schien es, also wollten manche RichterInnen die Zahl der vereidigten DolmetscherInnen begrenzen, wenn "genug" auf der Liste waren.

Dem hat das Bundesverwaltungsgericht Mitte Januar 2007 einen Riegel vorgeschoben: Im Zuge eines Klageverfahrens einer ukrainischen Dolmetscherin gegen das Landgericht Landau, das ihr die schon abgenommene allgemeine Vereidigung nachträglich widerrief, entschieden die Bundesrichter: Weder eine allgemeine Vereidigung (oder Ermächtigung) noch deren Widerruf ist ohne gesetzliche Grundlage möglich. Denn die Vereidigung wäre eben ein wichtiger Baustein für das berufliche Fundament, weil erst durch die Aufnahme in die Liste auch entsprechende Aufträge von Gerichten, Behörden und Privatleuten kämen.

"Die Tätigkeit der Dolmetscher und Übersetzer ist ein von Ar. 12 Abs. 1 GG geschützter Beruf." Und: "Die Regelung der allgemeine Beeidigung von Dolmetschern und der Ermächtigung von Übersetzern muss (...) durch eine Rechtsnorm erfolgen, da hiermit die Berufsausübung betroffen ist", urteilte das Bundesverwaltungsgericht (6 C 15.06 vom 16. Januar 2007)

Deshalb legen alle Bundesländer, die so etwas noch nicht haben, in diesem Jahr den Text eines Vereidigungsgesetzes vor. In Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt gibt es schon Dolmetscher-Gesetze. In Schleswig-Holstein, ebenso wie in sechs anderen Bundesländern, fehlt es bisher.

Was ist zu regeln?

Das Dolmetschen und Übersetzen muss definiert werden. Hier gibt es Unterschiede von Land zu Land. Berlin und Brandenburg machen keinen Unterschied: Wer als Dolmetscher vereidigt ist, darf auch Dokumente übersetzen. Bayern, Mecklenburg und Sachen erlauben den DolmetscherInnen die schriftliche Übersetzung. Nur Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt unterscheiden die beiden Tätigkeiten klar, und so will es auch der schleswig-holsteinische Justizminister regeln. Dabei macht es Sinn, den DolmetscherInnen auch das Übersetzen zu erlauben, gibt es doch im Vorfeld eines Prozesses häufig schon die Anklageschrift, manchmal auch andere Dokumente zu übersetzen - es ist sinnvoll und erleichtert den Gerichten die Arbeit, nur eine Person für alle Sprachmittlungen zu suchen und zu beauftragen.

Die deutsche (oder europäische) Staatsangehörigkeit machen nur vier Länder zur Voraussetzung einer Vereidigung: Baden-Württemberg, Bayern, Saarland und Sachsen-Anhalt. Schleswig-Holstein will darauf wie die übrigen Bundesländer verzichten.

Ebenfalls vier Länder machen zur Voraussetzung, dass Dolmetscher ihre Wohnadresse oder "berufliche Niederlassung" innerhalb des Bundeslandes haben, auch darauf will Schleswig-Holstein verzichten. Denn es macht keinen Sinn, DolmetscherInnen aus Hamburg, Süd-Dänemark oder dem westlichen Mecklenburg auszuschließen. Natürlich könnten schleswig-holsteinische DolmetscherInnen Konkurrenz fürchten - aber es gibt auch die Dienstleistungsfreiheit in der EU, danach ist es schwer, freiberufliche DolmetscherInnen von vornherein auszuschließen. Und die Hamburger DolmetscherInnen haben es dort viel schwerer, zur Vereidigung zu kommen, gönnen wir ihnen also diese zusätzliche Möglichkeit.

Die "persönliche Eignung" besteht im wesentlichen darin, dass DolmetscherInnen nicht vorbestraft sein dürfen und auch nicht überschuldet - dann wären sie eventuell anfällig gegen Angebote oder Drohungen. Zusätzlich schreiben einige Bundesländer vor, dass sie nach ihrer Vereidigung auch verpflichtet sind, Aufträge zu übernehmen, sofern die von der Justiz (Gerichte, Behörden, Staatsanwaltschaften) kommen. Hamburg will, dass Dolmetscher "jederzeit" zur Verfügung stehen, Sachsen verpflichtet sie, alle Justizaufträge innerhalb ihres Landgerichtsbezirkes anzunehmen, Sachsen-Anhalt sieht die gleiche Pflicht für alle Justizaufträge aus dem Bundesland vor. Baden-Württemberg und Berlin drohen die Löschung aus der Liste an, wenn DolmetscherInnen sich als unzuverlässig erweisen oder wenn sie wiederholt Aufträge ohne Entschuldigung ablehnen. Schleswig-Holstein will, dass DolmetscherInnen "bereit und in der Lage [sind], den Gerichten und Staatsanwaltschaften kurzfristig zur Verfügung zu stehen" - und zwar landesweit.

Die "fachliche Eignung" ist immer wieder ein Punkt, an dem diskutiert wird. Wie stellen Richterinnen und Richter fest, ob jemand dolmetschen kann? Sprachkenntnisse alleine können es ja nicht sein, das Dolmetschen selbst muss ja auch gelernt werden. DolmetscherInnen müssen die "Rechtssprache" verstehen und sich auch in manchmal hektischen Situationen beim Strafprozess zurecht finden. Die Ausbildung wird aber in Deutschland nicht angeboten, studieren kann man wenige Weltsprachen wir Englisch, Französisch und - in Flensburg - auch Dänisch. Mitgebrachte Abschlüsse werden häufig nicht anerkannt. Während Bayern und Hamburg justizinterne Prüfungen eingerichtet haben, gibt es in anderen Bundesländern Prüfungsämter, die Prüfungen abnehmen oder eingereichte Abschlüsse bestätigen können. Schleswig-Holstein will, dass die DolmetscherInnen sich an andere Träger wenden (Industrie- und Handelskammer, Bundesverband Dolmetscher und Übersetzer), dort eine anerkannte Prüfung ablegen und diese einreichen. Ist das nicht möglich, soll auch ein belegter Lebenslauf, also der Nachweis einer erfolgreichen beruflichen Praxis, ausreichen. Wie das funktioniert, wird erst die Praxis zeigen - die angesprochenen Prüfungen kosten mehrere hundert bzw. rund 1500 Euro, für viele BerufsanfängerInnen kaum erschwinglich.

Eine Vereidigung oder Ermächtigung kann auch wieder entzogen werden. Auch hier sehen die Bundesländer verschiedene Fälle vor - während in Hamburg eine "mangelhafte Übertragung" reichen kann, wollen die meisten Bundesländern erst bei "wiederholten" oder "mehreren" mangelhaften Übertragungen zu dieser Konsequenz schreiten. Einige Gesetze sehen die Löschung bei "Pflichtverstößen" vor, womit in der Regel die Verschwiegenheit gemeint ist, oder wenn wiederholt Aufträge nicht angenommen werden. In Schleswig-Holstein soll die Vereidigung oder Ermächtigung wieder entzogen werden, wenn die "Voraussetzungen" wegfallen - das ist die Freiheit von Vorstrafen, aber auch die Bedingung, bereit und in der Lage zu sein, kurzfristig landesweit Aufträge anzunehmen. Außerdem soll hierzulande die Streichung aus der Liste nach wiederholter fehlerhafter Übertragung stattfinden - und, bisher einmalig in Deutschland, fünf Jahre nach der Vereidigung oder Ermächtigung automatisch, wenn die DolmetscherIn oder ÜbersetzerIn sich nicht mehr meldet, um den Eintrag in der Liste zu verlängern.

Was fehlt?

Im Gesetzentwurf steht leider nichts über die Beauftragung. Das ist für Gerichtsverhandlungen eine normale Ladung, wie sie auch ZeugInnen und Sachverständige bekommen - hier wäre eine Klarstellung sinnvoll, dass Ladungen nur an natürliche Personen, nicht aber an Vermittlungsbüros gehen können. Rein rechtlich scheint das eindeutig, einige Gerichte schicken ihre Aufträge aber der Einfachheit halber gebündelt an Büros. Für die DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen bedeutet das, dass sie keine direkten Ansprechpartner haben und nur einen Teil der Bezahlung bekommen.

Weiterhin fehlt im Gesetzentwurf des Kieler Justizministeriums ein Hinweis darauf, ob eine Verteildung von Aufträgen "rundum", also im weitesten Sinne gerecht erfolgen soll. Bisher gibt es einerseits die Erscheinungen, dass DolmetscherInnen mit einem Nachnamen aus dem Anfang des Alphabets mehr Aufträge bekommen als diejenigen, die am Ende der Liste stehen. Außerdem gibt es ein natürliches System der Etablierung von "Lieblings-DolmetscherInnen". Kommunen beauftragen zum Beispiel Notare zur Beglaubigung ihrer Geschäfte reihum. Ob das für Gerichte auch möglich ist, sollte zumindest hier als Frage angesprochen werden.

Wie geht es weiter?

Die Anhörung für den Gesetzentwurf endete vor Weihnachten. Der Entwurf wird jetzt vom Justizministerium überarbeitet und dem Landtag zugeleitet. Das Dolmetscher-Treffen hat bereits Landtagsabgeordnete angesprochen, weil zu erwarten ist, dass die Kontakte zu Betroffenen, also Dolmetscherinnen und Dolmetschern, bisher nicht bestehen. Das Dolmetscher-Treffen, das sich auf Initiative des Gegenwind regelmäßig trifft, will versuchen, auf die weiteren Diskussionen Einfluss zu nehmen.

Reinhard Pohl

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