(Gegenwind 231, Dezember 2007)

Der Fall Barschel

Was bleibt übrig?

"Die Staatsanwaltschaft Lübeck hat heute das Ermittlungsverfahren wegen Verdachts des Mordes an Dr. Dr. Uwe Barschel ... eingestellt." Das teilte der leitende Oberstaatsanwalt Heinrich Wille am 2. Juni 1998 der Öffentlichkeit mit. Doch damit war das Verfahren nicht vorbei, insbesondere nicht für die Öffentlichkeit. Jetzt hat der Generalstaatsanwalt in seiner Schriftenreihe einen Großteil des offiziellen Abschlussberichtes veröffentlicht. Im Vorwort begründet Erhard Rex, warum es sich um einen Selbstmord handelte. Im Nachwort begründet Heinrich Wille, warum es sich um einen Mord handelte.

Den Hauptteil der Dokumentation bildet der "Gesamtbericht" von Heinrich Wille, den er bereits am 27. April 1998 erstellt hat. Auf 250 Seiten werden die Ermittlungen dargestellt, allerdings sind die Namen teils geschwärzt, außerdem wurde die Erkenntnisse deutscher Geheimdienste nicht mit veröffentlicht.

Uwe Barschel starb am 10./11. Oktober 1987 in Genf. Er wurde mit einer Medikamentenvergiftung in der Badewanne aufgefunden. Er hatte Medikamente geschluckt, die ein Erbrechen verhinderten, anschließend Beruhigungsmittel in einer Überdosierung, die zum Tod führen musste. Das Sitzen in einer Badewanne entsprach wie die Kombination der Medikamente einer damals verbreiteten Anleitung einer Schweizer Sterbehilfe-Organisation.

Der tote, gerade zurückgetretene schleswig-holsteinische Ministerpräsident war zuvor heimlich nach Spanien gereist, auf dem Rückflug machte er Station in Genf. Er sollte am nächsten Tag wieder in Kiel eintreffen, wo ihn der Untersuchungsausschuss des Landtages vernehmen wollte. Vor seinem Abflug hatte er auf einer Pressekonferenz sein "Ehrenwort" gegeben, dass er mit der Bespitzlung und anonymen Bedrohungen des Oppositionskandidaten Björn Engholm während des letzten Wahlkampfes nichts zu tun gehabt habe, die vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von ihm hatten sich danach als falsch herausgestellt. Da er selbst diese falschen Erklärungen seiner BüromitarbeiterInnen eingesammelt hatte, musste er danach zurücktreten, flog heimlich nach Spanien und sollte jetzt zurück Richtung Kiel.

Im Hotelzimmer fand die Genfer Polizei keine Auffälligkeiten, und über die Situation des toten Politikers verschaffte sie sich schnell eine Übersicht. Das kann erklären, wenn auch nicht entschuldigen, dass keine besonders gründliche Spurensuche stattfand. Die Leiche wurde fotografiert und abtransportiert, später stellte sich heraus, dass die Kamera kaputt war. Einige Gegenstände im Zimmer wurden sicher gestellt, andere weggeworfen. Wegen der unvollständigen Dokumentation bleibt es teilweise Spekulation, welche Gegenstände "verschwunden" sind und welche einfach vom üblichen Reinigungspersonal weggeschmissen wurden, ebenso, welche Spuren sich zum Zeitpunkt des Auffindens der Leiche im Zimmer befanden und welche später von Polizisten oder Hotelangestellten verursacht wurden.

Die Staatsanwaltschaft Lübeck nahm die Ermittlungen offiziell erst 1994 auf. Da gab es eine Reihe von Hinweisen, die darauf hindeuteten, es könnte sich um einen Mord gehandelt haben. Spuren waren da, sieben Jahre nach Barschels Tod, nicht mehr zu sichern, abgesehen davon, dass z.B. in der bei der Genfer Polizei gelagerten Whisky-Flasche aus der Minibar noch geringe Spuren des Beruhigungsmittels gefunden wurden, die auch im Körper des Toten gefunden worden waren. Es wurden von Wille eine Fülle von Spuren verfolgt und Informanten befragt, es ergab sich aber keine verwertbare Spur. So schloss der Leitende Oberstaatsanwalt die Akte mit der Schlussfolgerung, dass es sich zwar um einen Mord handelte, sich aus den Informationen aber kein Mörder ergäbe.

Wille: Es war Mord

In seinen Schlussfolgerungen beschäftigt sich Wille zunächst mit der vorherrschenden These: Barschel, so die Mehrheitsmeinung, habe nach der Aufdeckung seiner Aktivitäten im Wahlkampf keinen Ausweg mehr gesehen. Da er sein Ehrenwort gegeben hatte, nichts damit zu tun zu haben, und sich dies als falsch herausgestellt habe, sei Selbstmord für ihn der einzig ehrenvolle Ausweg gewesen.

Dies hat sich in seiner Eindimensionalität im zweiten Untersuchungsausschuss als falsch herausgestellt. Diese "Schubladen-Ausschuss" genannte Gremium hatte später ermittelt, das es keine reine Täter-Opfer-Beziehung zwischen Barschel und Engholm gab. So hatte der Pressesprecher Nilius der SPD-Landtagsfraktion frühzeitig Kontakt zu Barschels Medien-Referent Pfeifer, und der SPD-Spitze waren ein Teil der Machenschaften schon vor ende des Wahlkampfes im September 1987 bekannt. Später hatte der SPD-Sozialminister Jansen rund 40.000 DM gesammelt und an den inzwischen arbeitslosen Pfeifer weitergereicht, während Engholm öffentlich (und falsch) behauptet hatte, nicht informiert gewesen zu sein.

Insofern, so Wille, sei die Situation von Barschel gar nicht so aussichtslos gewesen, wie sie Außenstehenden im Oktober 1987 erschienen wäre. Zwar sei der Abschlussbericht des 2. Untersuchungsausschusses erst im Dezember 1995 erschienen, aber Barschel selbst müsste vieles davon als Hauptakteur bereits 1987 gewusst haben. Er habe sich also Hoffnungen machen können, bei seinen Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss Mitte Oktober 1987 besser abzuschneiden als prognostiziert.

Wille schreibt, dass auch er Selbstmord nicht ausschließen kann, zumal eindeutig die Medikamentenvergiftung als Todesursache festgestellt wurde. Und Tabletten kann man eben selbst schlucken, sie können einem auch eingeflößt oder heimlich gegeben werden. Insofern ist ein physikalischer Beweis nicht möglich, es geht darum, ob es einen hinreichenden Anfangsverdacht für einen Mord und entsprechende Motive bei Tatverdächtigen gibt.

Das Problem ist, dass ein wesentliches Dokument von einem deutschen Geheimdienst, das die Staatsanwaltschaft Lübeck zur Aufnahme der Ermittlungen bewegte, bis heute nicht freigegeben und in dem Bericht nicht zu lesen ist (Seite 6). Ähnliche Defizite ziehen sich durch das gesamte Buch. Immer wenn es um Geheimdienst-Informationen geht, fehlt ein Absatz, eine Seite oder mehrere Seiten.

"Trugspuren" nennt der Staatsanwalt alle Wichtigtuer und Angeber, die irgend etwas behaupten, was sie nicht gelegen können. da haben sich in zwanzig Jahren seit dem Tode Barschels eine Menge Leute mit unterschiedlichsten Theorien oder sogenannten Informationen gemeldet, von denen Dutzende in dem Wille-Bericht auftauchen, obwohl der nur die vier Jahre der offiziellen Ermittlungen umfasst. Und obwohl diese "Spuren" über hunderte von Seiten ausgebreitet werden, betont Wille im Nachwort, diese Spuren hätten nur zu einem geringen Teil in dem Gesamtbericht Niederschlag gefunden - aber es gibt ja auch eine Menge Bücher dazu zu kaufen, in denen der Rest nachzulesen ist.

So hatte Barschel selbst gegenüber seiner Frau behauptet, er wolle sich mit einem Informanten namens "Rolof" treffen, der ihn entlasten könnte. Das war, wie sich aus Barschels Kalender ergibt, gelogen - dort schrieb er nämlich, er haben den Namen des Informanten erst einen Tag nach dem Gespräch mit seiner Frau erstmals gehört. Sei's drum, im März 1993 (also sechs Jahre später) bekam die Bundesanwaltschaft die Information, ein gewisser Herr Frolof vom bulgarischen Geheimdienst habe Barschel ermordet. Der Informant selbst gehörte dem rumänischen Geheimdienst an, und die von Frolof nach Genf bebrachten Medikamente seien aus der DDR gekommen. Die Bundesanwaltschaft arbeitete so schnell es ging, der Hinweis wurde im März 1994 (also ein Jahr abgelagert) an die Staatsanwaltschaft in Schleswig-Holstein weitergegeben. Dort stellte man fest, dass vieles in dem bericht nicht stimmte, so konnte der Tippgeber aus dem rumänischen Geheimdienst nicht sagen, wie der eigene Geheimdienst gegliedert war, Außerdem saß der Tippgeber selbst damals in München im Gefängnis, wegen Raubmordes zu einer lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Viele andere Einzelheiten der Aussage konnten auch als klar falsch bewiesen werden, so dass hier nicht weiter ermittelt wurde.

Die nächste Hinweisgeberin, diesmal neun Jahre nach Barschels Tod, war eine ehemalige Informantin (IM) der DDR-Staatssicherheit - von der Stasi 1983 angeworben, kurze Zeit später verzichtete man aber auf ihre Dienste, weil keine brauchbaren Informationen kamen. Auch die zweite Karriere für die westdeutsche Staatsanwaltschaft in Lübeck verlief erfolglos. Zwar berichtete "Dr. M." über einen Stasi-Kollegen, der sich als "Robert Roloff" an Barschel gewendet habe, ihn aber später ermordet habe. Allerdings stimmte der Rest nicht, zum Beispiel die genannten Führungsoffiziere stimmten nicht mit denen in den inzwischen zugänglichen Stasi-Unterlagen überein. Also: Wieder nichts.

So geht es Hunderte von Seiten weiter. Informationen über die CIA, den israelischen und iranischen Geheimdienst, südafrikanische und syrische Agenten, Waffenhändler aus der Schweiz, Belgien und ein paar weiteren Ländern sollen es gewesen sein, und zwar aus unterschiedlichsten, meistens geheimen Gründen. Über geheime Treffen von Barschel gab es Fotos, die aber niemand zu Gesicht bekam, oder Zeugen, die bereits gestorben waren.

Es gibt aber eben eine Menge Hinweise, die nicht gerade auf einen Selbstmord hindeuten:

Alle Informationen, die Wille zusammengetragen hat, werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. So war Barschel mehrfach unter merkwürdigen Umständen in der DDR, sein Fahrer wurde nach Hause geschickt - wie Barschel zurückkam, ist nicht bekannt, auch nachdem jetzt die Stasi-Unterlagen zugänglich sind. In Barschels Regierungszeit fallen die U-Boot-Geschäfte der Kieler Werft HDW mit Südafrika, von denen Barschel als Vertreter des Anteilseigners Schleswig-Holstein gewusst haben müsste. Außerdem wurde ein Teil der Waffenlieferungen an den Iran ("Contragate") über den schleswig-holsteinischen Flughafen Hartenholm, damals im Eigentum eines iranischen Geschäftsmannes, abgewickelt. Da dieses Geschäft über us-amerikanische Regierungsstellen lief, ist es wahrscheinlich, dass Barschel informiert wurde.

Als Notar hatte Barschel mehrfach mit Waffengeschäften zu tun, er hat bestimmte Kauf- und Lieferverträge beglaubigt und möglicherweise auch verhandelt. Hier könnte sicherlich sein Bruder Eike mehr drüber erzählen, der allerdings einerseits Aufklärung fordert, andererseits wenig selbst dazu beiträgt. Welches dieser Geschäfte, Lieferländer waren damals Libyen oder auch der Irak, legal und welches illegal war, ist heute nicht bekannt, zumindest nicht für uns. Entsprechende Informationen hat die Staatsanwaltschaft Lübeck entweder nicht erhalten, oder sie hält sie unter Verschluss.

Eine Spiegel-Journalistin, Christiane Wilkening, berichtete der Staatsanwaltschaft, dass Barschel in Computergeschäfte mit der DDR verwickelt war, die einerseits verboten waren, weil Hochtechnologie nicht in den Ostblock verkauft werden durfte, von denen andererseits aber der BND gewusst habe. Die Aussagen bleiben allerdings relativ unkonkret bzw. nicht überprüfbar, letztlich bleibt der Verdacht, hier habe Barschel vielleicht etwas gewusst, was andere nach seinem Sturz nicht mehr in sicheren Händen wüssten.

Zu eventuellen Waffengeschäften mit dem Iran nach der "islamischen Revolution" 1979 hat die Lübecker Staatsanwaltschaft sogar mit dem ehemaligen Präsidenten Bani Sadr gesprochen. Dieser hatte in einem Interview gesagt, in diesen Geschäften seien die Motive für die Ermordung von Barschel zu finden. In der Vernehmung sagte er dann allerdings, er habe nicht wirklich Informationen darüber, der Schluss liege nur nahe.

Ein anderer Zeuge gab an, die Übergabe von Geld, die Präparierung der Whisky-Flasche und der Tod von Uwe Barschel sei sogar in Genf gefilmt worden, auf dem Film seien auch die Mörder zu erkennen. Er selbst habe eine Kopie des Films. Die Mörder seien Iraner und Nordkoreaner. Allerdings wurde dann bei einer Hausdurchsuchung kein Film gefunden, und herausgeben wollte er ihn auch nicht.

Was die Staatsanwaltschaft nervös macht: Zum Zeitpunkt des Todes von Barschel hielt sich ein Sohn des iranischen Revolutionsführers Khomeini in Genf auf und machte dort Waffengeschäfte. Was ihn verunsichert: Alle von den Informanten genannten Zeugen wollten keine der Informationen bestätigen oder waren nicht auffindbar.

Es bleibt also ein Mord ohne Mörder, ohne greifbares Ermittlungsergebnis.

Rex: Es war Selbstmord

Der Chef von Oberstaatsanwalt Wille, Generalstaatsanwalt Erhard Rex, macht es sich zunächst einfach: Er beurteilt die Veröffentlichungen zum Tode Barschels als Produkten von Journalisten, und die seien der Auflage verpflichtet. Er betont, dass es das gute Recht von Journalisten ist, spannende Unterhaltung zu liefern - Staatsanwälte (wie er) dagegen seien "weder auf Auflagenhöhe, Fernsehquote oder öffentliche Aufmerksamkeit" angewiesen, sondern müssten vielmehr "objektiv, neutral und unparteiisch die Wahrheit" ermitteln. Danke schön!

Anschließend zeichnet Rex das Leben Barschels nach und vergisst nicht: "Als Schulsprecher lud Barschel Karl Dönitz, den von Hitler ernannten letzten Reichspräsidenten, in die Schule ein und sorgte damit für einen politischen Skandal" - zwar war das 1961 und eine Weile her, aber immerhin.

Über die "Barschel-Affaire", die Ehrenwort-Pressekonferenz am 18. September 1987, den Rücktritt am 2. Oktober und den Tod am 11. Oktober - für den 12. Oktober war die Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss geplant - referiert er zunächst chronologisch.

Eine Spurensicherung im Genfer Hotel fand relativ oberflächlich statt, weil der Tod von Barschel damals schon als logische Konsequenz aus dem Aufliegen der Einzelheiten der Affaire gesehen wurde, nach der Ehrenwort-Pressekonferenz sozusagen ein Ehren-Selbstmord.

Das Lübecker Ermittlungsverfahren schildert Rex im zeitlichen Zusammenhang mit dem Amtsantritt von Oberstaatsanwalt Wille, während die beiden Vorgänger keine Veranlassung dazu gesehen hatten. Die Beschreibung ist nicht gerade nett: Es "wurden eine Vielzahl von Spuren verfolgt, insbesondere Gerüchten nachgegangen". Das verträgt sich wenig mit dem zuvor vorgetragen Vorurteil gegen Journalisten in ihrer Gesamtheit.

Drei Jahre später versuchte Generalstaatsanwalt Ostendorf, die Ermittlungen wegen Ergebnislosigkeit zu stoppen, Wille beschwerte sich beim Minister, bekam Recht, und Ostendorf trat zurück. So kam Rex zu seinem Posten.

Die Ermittlungen fasst Rex unter der Überschrift "Gerüchteküche" zusammen, nennt Wille Zeugen "Glücksritter, Geschichtenerzähler, Abenteurer, Aufschneider und Wichtigtuer". Zwölf Geheimdienste werden in der Akte als mögliche Verantwortliche für einen Mord genannt, dazu zahlreiche weitere Mafia- und Waffenhändler-Organisationen. Zum Waffenhandel stellt Rex fest, dass eine Verwicklung Barschels sich nicht belastbar belegen ließ - und vergisst nicht, bei allen Hinweisen dazu zu schreiben, diese oder jene Veröffentlichung wäre "zum Zwecke des Gelderwerbs" erfolgt.

Widersprüche

Ein Treffen mit Waffenhändlern, die Barschel nach Genf lockten, um ihn dort zu ermorden, schließt Rex aus. Der Beweis ist einfach: Barschel hatte überhaupt keinen Flug nach Genf gebucht, sondern nach Zürich, von dort aus nach Hamburg. Wegen Überbuchung konnte Barschel nicht mitfliegen und bestellte beim Reisebüro eine Umbuchung nach Madrid oder Genf. Dass er in Genf lande, war also, so Rex, reiner Zufall.

Den Informanten "Roloff" hält Rex für eine Erfindung Barschels. Er habe seiner Frau am 8. Oktober davon erzählt, aber dann notiert, am 9. Oktober habe er "endlich" den Namen des Informanten zum ersten Mal gehört. Bei Roloff, so Rex, handele es sich um einen persönlich bekannten Fotografen aus Lübeck, den Barschel im Frühsommer kennen gelernt habe. Den Namen habe er schlicht und einfach benutzt, um Hoffnung zu machen, er könne vor dem Untersuchungsausschuss den Kopf aus der Schlinge ziehen. Ohne Treffen mit einem Informanten macht aber eine Zwischenlandung in "Zürich, Madrid oder Genf", das hatte Barschel ja offen gelassen, nur Sinn im Zusammenhang mit einem geplanten Selbstmord.

Im Hotelzimmer zeigten sich keine Spuren eines Kampfes, ein abgerissener Hemdknopf ist damit zu erklären, dass Barschel nach der Einnahme der Medikamente halb betäubt in Richtung Badewanne wankte und das Hemd öffnen wollte. Ohne Kampfspuren ist es auch nicht erklärlich, dass Barschel mehr als 50 Tabletten, acht verschiedene Medikamente, anders als freiwillig geschluckt haben könnte.

Die Umstände des Todes - verschiedene Medikamente in zeitlichen Abständen eingenommen, in einer Badewanne mit niedriger Wassertemperatur liegend - werden exakt so in einer Broschüre der "Deutschen Gesellschaft für humanes Sterben" beschrieben. Das der Tod erst nach mehreren Stunden der Bewusstlosigkeit eintrat, das Wasser für eine Unterkühlung des Körpers und damit einen sicheren Tod sorgte, spricht ebenfalls gegen die Mordthese - Mörder verlassen ihr Opfer nicht in der Hoffnung, es würde die nächsten Stunden schon niemand zufällig ins Zimmer kommen und es noch retten. Mörder würden eher eine Methode wählen, bei der das Opfer in kurzer Zeit und in ihrem Beisein stirbt.

Ebenso wertet Rex die anderen Spuren: Zwei Schuhe, ausgezogen und an verschiedenen Stellen auf dem Fußboden liegend, ein Handtuch, mit dem ein Schuh noch gesäubert wurde, ein zerbrochenes Weinglas im Papierkorb, ein leeres Whisky-Fläschchen mit geringen Spuren des eingenommenen Medikaments - all das sind Spuren, die ein halbbetäubter Selbstmörder hinterlassen kann, Mörder würden das vermeiden.

Die fehlenden Medikamentenpackungen sind eine einfache Aufgabe: Die Genfer Polizei hatte in einem Protokoll festgehalten, dass Medikamentenpackungen im Zimmer waren. Dass sie in der Asservatenkammer fehlten, deutet darauf hin, dass die weggeworfen wurden, als die Autopsie die Medikamente im Körper des Toten nachgewiesen hatte. Das ein Mörder Barschel die Medikamente einflößt, um einen Selbstmord vorzutäuschen, dann aber die Medikamentenpackungen verschwinden ließe, macht auch wenig Sinn.

Die in einigen Medien diskutierte Frage, ob Medikamente über ein Lösungsmittel namens DMSO über die Haut in Barschels Körper gelangt sein könnten, beantwortet Rex eindeutig: Es gab keine Spuren von DMSO im Hotelzimmer, das wäre schlicht eine Falschmeldung. Außerdem meint er, durch ein solches Lösungsmittel könnte man sicherlich einige Substanzen verabreichen, aber nicht eine 20-fache Überdosierung eines Beruhigungsmitteln, das wäre schon mengenmäßig absurd.

Es war Selbstmord, da ist sich Rex sicher. Ein wichtiges Indiz ist nämlich auch das letzte Telefonat von Uwe Barschel mit seinem Bruder Eike. Denn dort hat Barschel ein falsches Hotel angegeben, offenbar, um jede Gefahr einer vorzeitigen Entdeckung auszuschließen. So handelt ein Selbstmörder.

Reinhard Pohl

Die Dokumentation des "Barschel-Verfahrens" steht im Internet: www.gsta-sh.de

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