(Gegenwind 227, August 2007)

Interview mit Brigitte Dykow

"Man kann sich selbst einarbeiten, aber es ist sehr mühsam"

Brigitte Dykow

Gegenwind:

Wie sind Sie nach Deutschland gekommen und wie sind Sie Dolmetscherin geworden?

Brigitte Dykow:

Ich bin damals im Deutschen Reich geboren. 1945 wurde es dann tschechisch. Zu Hause wurde Deutsch gesprochen, in der Öffentlichkeit tschechisch. Als mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurück kam, hat er sich bemüht, im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland zu kommen, was uns erst im Jahre 1962 gelungen ist. Da hatte ich schon mein Studium abgeschlossen, war im Beruf und hatte Bauingenieurwesen studiert. In Deutschland hatte mir meine Verwandtschaft Arbeit besorgt noch bevor ich hier war. Als ich geheiratet und Kinder hatte, wollte ich nicht mehr ganztags arbeiten und habe Halbtagsarbeit gesucht. Eines Tages schaute mir mein Mann über die Schulter, wie ich einem Schulfreund in tschechischer Sprache schrieb. "Warum machst du nichts draus, denn tschechisch ist ja neben Deutsch Deine Muttersprache? Melde dich doch bei Gericht an." Das habe ich getan, wurde zur Vereidigung eingeladen, machte eine Prüfung, und wurde als Dolmetscherin eingetragen beim Landgericht als öffentlich bestellte und vereidigte Dolmetscherin für die tschechische Sprache eingetragen. Auf diese Liste haben auch alle Behörden, die Polizei und was es so in Lübeck gibt Zugriff. Das war 1972. Anfangs gab es wenig Arbeit, die Grenze war noch geschlossen. Richtig viel Arbeit gab es ab 1990 bis 1995. Da habe ich mich um die Ecke geschuftet. Jetzt wird es wieder normal. Letztes Jahr hatte ich gut zu tun, es gab einen Menschenschleuser und einen Drogenschmuggler. Die sind aber jetzt verurteilt. Urkunden, Geburtsurkunden, Heiratsurkunden und Scheidungsurteile kommen immer wieder.

Gegenwind:

Was muss eine Dolmetscherin können, um bei der Polizei zu arbeiten?

Brigitte Dykow:

Bei der Polizei muss man sachlich bleiben, total neutral gegenüber Beschuldigten und Polizei und so korrekt wie möglich übersetzen. Wenn ein Beteiligter die Übersetzung nicht versteht, dann erkläre ich, dass ich den zu Übersetzenden Text mit anderen Worten noch einmal übersetze. Als Dolmetscherin ist man eine Vertrauensperson für beide Seiten.

Gegenwind:

Bei welchen Gerichten haben Sie bisher gearbeitet?

Brigitte Dykow:

Bei Land- und Amtsgerichten in Schleswig-Holstein und Hamburg.

Gegenwind:

Wie unterscheiden sich die Termine bei verschiedenen Gerichtsarten?

Brigitte Dykow:

Unterschiede gibt es beim Thema. Ich habe Verkehrssachen gehabt, Arbeitssachen, Diebstahl und andere Strafsachen, Schwerverbrechen wie Schleusen oder Drogendelikte. Die Termine unterscheiden sich im Thema der Verhandlung. Aber die Arbeit ist im Prinzip gleich.

Gegenwind:

Ist es ein Unterschied, ob es eine kleine Verkehrssache oder ein Schwerverbrechen mit hoher Gefängnisstrafe ist?

Brigitte Dykow:

Nein. Über die Höhe der Strafe entscheidet der Richter. Für mich ist alles gleich wichtig. Ich muss immer so korrekt wie möglich sein, dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine Schramme am Auto handelt oder um Totschlag.

Gegenwind:

Wie bereiten Sie sich vor?

Brigitte Dykow:

Ich versuche vor dem Dolmetschen das Thema, d.h. den Gegenstand der Verhandlung herauszufinden. Dann suche ich mir vorher im Wörterbuch die Begriffe, von denen ich annehme, dass sie vorkommen werden und die mir nicht geläufig sind, weil ich keine Juristin bin. Die schreibe ich mir raus, damit ich sie bei Bedarf schnell zur Hand habe. Wörterbücher nehme ich auf jeden Fall mit. Ich habe verschiedene fachspezifische Wörterbücher, wie z.B. medizinische, verkehrstechnische, juristische und auch kaufmännische Wörterbücher, die ich zum Termin mitnehme.

Gegenwind:

Sie dolmetschen Tschechisch und Slowakisch. Kann es da Überraschungen geben, dass Zeugen anders sprechen als erwartet, einen Akzent haben?

Brigitte Dykow:

Eigentlich sind Zeugen bei einem slowakischen Beschuldigten meistens auch Slowaken, beim tschechischen auch Tschechen und wenn sie einen anderen Akzent haben, macht das nichts. Die Grundsprache ist die gleiche. Es gibt sicherlich Sprachen, in denen die regionalen Unterschiede groß sind, bei Tschechisch und Slowakisch ist das kein Problem. In Mähren wird sicherlich anders gesprochen als in Nordböhmen, aber die Mundarten sind mir alle geläufig. Wenn jemand die Sprachen nur vom Studium her kennt, kann das sicherlich anders sein.

Gegenwind:

Wenn Äußerungen zweideutig sind, als Anspielung, als Beleidigung verstanden werden können, wie verhalten Sie sich dann? Das Verdolmetschte kann das ja nicht immer wiedergeben, was gemeint ist oder was mitschwingt.

Brigitte Dykow:

Dann frage ich nach: Wie es gemeint ist? So oder so? Erst dann übersetze ich, um nichts falsch zu machen. Lieber nachfragen, auch dann, wenn z.B. etwas unklar ausgesprochen wurde, und ich unsicher bin, was ich verstanden habe. Nachfragen, um auf der sicheren Seite zu sein, sonst könnte es zu folgenschweren Missverständnissen kommen.

Gegenwind:

Hatten Sie schon mit Ablehnungen zu tun?

Brigitte Dykow:

Ein einziges Mal, da hatte ich für eine Sinti gedolmetscht, die Slowakisch als Sprache angegeben hatte. Weil ich Tschechisch sprach, wollte sie dann lieber einen Ungarisch-Dolmetscher, weil sie das besser konnte. Für die zweite Verhandlung wurde dann eine Ungarisch-Dolmetscherin bestellt.

Gegenwind:

Wurde Ihnen schon mal vorgeworfen, die Dolmetscherin dolmetscht falsch?

Brigitte Dykow:

Nein. Aber ich habe schon in einer Verhandlung gedolmetscht, wo es um sexuelle Gewalt ging und die Betroffene meinte, die vorige Dolmetscherin hat nicht alles übersetzt. Für die musste ich alles noch einmal dolmetschen. Aber mir ist das noch nicht passiert.

Gegenwind:

Können Sie während der Verhandlung etwas im Wörterbuch nachschlagen?

Brigitte Dykow:

Sicher. Es ist lästig, es verlängert die Prozedur. Aber ist es besser nachzuschlagen und korrekt zu übersetzen als irgend etwas falsch zu übersetzen.

Gegenwind:

Was raten Sie jungen Dolmetscherinnen, die in den Beruf reinwollen? Muss man das Dolmetschen lernen, oder kann man sich selbst einarbeiten?

Brigitte Dykow:

Man kann sich selbst einarbeiten, aber es ist sehr mühsam. Ich habe mir selbst Simultandolmetschen beigebracht. Es gibt Dolmetscher-Ausbildungen, die es erheblich erleichtern, diese Fähigkeiten zu vertiefen. Es ist ein Talent für das Dolmetschen erforderlich. Man muss gleichzeitig neuen Text hören und verstehen und übersetzen. Man muss beide Sprachen aufnehmen können und schnell umschalten. Das kann man üben. Aber wer das Talent dafür nicht hat, hat es sehr schwer.

Gegenwind:

Was sind die wichtigsten Eigenschaften einer Dolmetscherin?

Brigitte Dykow:

Für mich ist wichtig: Die Dolmetscherin ist bei einer Verhandlung, ob bei Gericht, Polizei oder geschäftlich, nie die Hauptperson. Deswegen darf man sich nie in den Vordergrund rücken, nicht durch Kleidung, nicht durch auffälliges Make-up, aufdringliches Parfüm, extremes Benehmen oder sonst etwas. Man muss als Dolmetscherin funktionieren. man fällt nur auf, wenn man versagt. Und das sollte man möglichst nicht.

Gegenwind:

Gibt es viel Konkurrenz in Ihrer Sprache? Hätten Nachwuchs-Dolmetscherinnen eine Chance, davon zu leben?

Brigitte Dykow:

Nein. Es gibt in Lübeck drei Dolmetscherkollegen, und wir langweilen uns alle. Ich stehe vorne im Alphabet und werde als erste angerufen, die anderen nur, wenn sie persönlich bekannt sind. In Tschechisch und Slowakisch ist man sicher nicht überlastet. Leben kann man davon nicht.

Gegenwind:

Hat der Beitritt zur EU etwas gebracht? Werden seit 2004 mehr Dolmetscherinnen gebraucht?

Brigitte Dykow:

Nein, gar nicht. Was gekommen ist, ist unmittelbar nach der Wende gekommen. Da gab es die Joint-Venture-Verträge, als tschechische oder slowakische Firmen mit deutschen Firmen zusammengearbeitet haben. Das ist nicht mehr erforderlich, weil das alles schon läuft. Ich habe für sieben Firmen gedolmetscht, für vier einmal, für drei wiederholt, aber inzwischen nur noch für eine. Dort habe ich noch zwei-, dreimal im Jahr zu tun. Da muss ich auch mal kurzfristig dorthin telefonieren und der Firma hier die Antwort vermitteln. Und wenn deutsche und tschechische Firmen heute zusammenarbeiten, holen sie sich meistens in Tschechien einen örtlichen Dolmetscher, das ist billiger. Ich rechne nach deutschen Tarifen ab, die sind höher als die Honorare der tschechischen und slowakischen Dolmetscher.

Gegenwind:

Arbeitet man unter Kolleginnen zusammen?

Brigitte Dykow:

Man kennt sich gar nicht. Eine Kollegin kenne ich, weil ich für sie die Geburtsurkunde und Heiratsurkunde übersetzt habe, als sie herkam. Das war alles, sie hat sich dann selbständig gemacht, das habe ich gar nicht mitgekriegt. Wir arbeiten ja für Klienten und haben meistens anschließend überhaupt keinen Kontakt mehr, weil die Aufträge zum Übersetzen von Urkunden einmalig sind. Und bei Gericht hat man nur kurze Pausen, und ich weiß ja nicht, wer von den anderen auf dem Flur Dolmetscherin und wer Zeuge oder Zuschauer ist.

Gegenwind:

Wie schützt sich eine Dolmetscherin vor Belastung? Wie kann man es schaffen, nicht zu viel mit nach Hause zu nehmen?

Brigitte Dykow:

Man ist zum Schweigen verpflichtet. Man kann mit Sachen, mit denen man nicht fertig wird, anonym und ohne Namen zu nennen mit einer Vertrauensperson sprechen. Aber mit der Zeit lernt man, sich mit der Sache nicht zu identifizieren. Man arbeitet das ab, und nach dem Dolmetschen, vergisst man, was Sache war. Anfangs belastet es sehr. Man hat vielleicht einen Ehemann oder Mutter, mit der man sprechen kann. Die kennen ja die Personen nicht, um die es ging, und man kann anonym und ohne Namen zu nennen über die Sache sprechen, die einen belasten. So wird man das los.

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum