(Gegenwind 226, Juli 2007)
Die seit Sommer 2006 andauernde Repressionswelle in Husum ist auf ihrem Höhepunkt angelangt: Seit dem 18. Juni wird vor dem Amtsgericht in Husum gegen zwei Punks verhandelt. Die Anklagen: Schwere Körperverletzung, Hausfriedensbruch und Beleidigung. Das Besondere: Die Zeugen sind entweder Rechtsextremisten oder Polizisten.
Drückende Stimmung im Gerichtsaal: Die Angeklagten treten ohne Anwälte auf, und auch die anwesenden UnterstützerInnen haben eher symbolischen Charakter. Doch auch die Rechtsextremisten können an diesem Tag die sich ihnen bietenden Möglichkeiten nicht nutzen: Außer den Zeugen ist nur der örtliche NPD-Kader Kevin Stein anwesend.
Auch der erste Anklagepunkt geht gut aus: Der betroffenen Rechtsextremist behauptet, dass er Anfang Juli 2006 in seinem Garten von mehreren vermummten Gestalten aus der linken Szene bedroht und beleidigt worden sei. Seitdem habe er Schlafstörungen (deshalb schwere Körperverletzung). Daraufhin habe er die Polizei verständigt. Diese löste damals einen Großeinsatz aus und kontrollierte alle "augenscheinlich links" aussehenden Menschen in der näheren Umgebung. Dieser Einsatz hatte auch Erfolg, denn die beiden Angeklagten wohnen fast gegenüber und grillten gerade im Garten mit Freunden.
Doch zu Verurteilungen wird es in diesen Fällen wohl nicht kommen, da die Zeugen (der Betroffene selber und ein stadtbekannter Rechtsextremist) sich derart widersprachen, dass dem Richter deutlich seine Zweifel anzusehen waren. Zum Beispiel konnten die Zeugen sich nicht einigen, ob sich der angebliche Vorfall im Garten oder auf dem Parkplatz abspielte. Dieses Vorgehen ist nicht neu, schließlich erfanden im letzten Jahr MitgliederInnen der Kameradschaft NF bereits eine angebliche Entführung, nur um Jugendliche der Speicher-Jugendgruppe zu diskreditieren. Verfahren wurden zwar nicht eröffnet, aber laut den Betroffenen reichten damals die Behauptungen der Husumer Polizei als Anlass zu "Schnüffel-Ermittlungen".
Doch im zweiten Teil der Veranstaltung sieht es für die Angeklagten übler aus: Hier geht es um Beleidigung und Widerstand gegen Polizeibeamte. Konkret geht es um eine Gartenparty am 25. Juni 2006. In den drei Wochen davor hatten gleich zwei politischen Kampagnen stattgefunden. Jugendliche aus der Speicher-Jugendgruppe organisierten zwei Demos, Infostände und Unterschriftensammlungen, um zu verhindern, das die Familie Makitu in den Kongo abgeschoben wird. Die Makitus leben beide seit fast 10 Jahren in Deutschland, der vierjährige Sohn wurde bereits in Deutschland geboren. Trotzdem sollte die Familie pünktlich zu den Wahlen in den Kongo abgeschoben werden. Die AusländerInnenbehörden nutzten die Wahlen im Kongo, um dort ein gefahrloses, friedliches Land hinein zu halluzinieren, und viele Menschen abzuschieben. In Husum konnte dies glücklicherweise verhindert werden.
Parallel dazu lief eine Kampagne gegen den am 17. Juni stattfindenden Auftritt der Bundeswehr- Bigband in Husum. So wurde z.B. am 5. Juni das Rathaus mit armeekritischen Sprüchen bemalt und die Türschlösser beschädigt, um die Eröffnung einer Bundeswehr-Ausstellung zu sabotieren. Immer wieder wurden die Werbeplakate der Bundeswehr verändert. So hieß es z.B. am Rathausturm "300 Mord- und Wehrstandort Husum" statt "300 Jahre Garnision - 50 Jahre Bundeswehrstandort Husum". Ein Höhepunkt dieser Aktionen war ein gefälschtes Schreiben, dass angeblich vom Ordnungsamt verteilt wurde, in dem behauptet wurde, es herrsche für den Auftritt der Bundeswehrbigband "Ausnahmezustand", und alle elementaren Freiheitsrechte seien aufgehoben. Der verantwortliche Offizier des Auftritts war Ralf Hessmann, SPD-Kreisvorsitzender und Bürgermeister von Hattstedt. Laut den Betroffenen standen für die Polizei auch hier die Verantwortlichen schnell fest: Die Speicher-Jugendgruppe, verdächtig wegen einer Info-Veranstaltung über FÖJ und Zivildienst als Alternativen zur Bundeswehr. Als dann auch noch drei Aktivisten aus diesem Kreis bei einem bunten und gewaltfreien Straßentheater während des Aufbauens des Konzertes "erwischt" wurden, war die Sache klar. Alle drei wurden brutal verhaftet, Hessmann persönlich erteilte einem der Aktivisten Hausverbot für den Hattstedter Jugendtreff, und machte es ihm damit unmöglich, seiner Arbeit nachzugehen.
Zum auch verhandelten Höhepunkt kam es dann am 25. Juni. Einer der Angeklagten feiert im Garten seines Wohnhauses eine Gartenparty. Gegen 23 Uhr erscheinen zum ersten Mal 5 Polizisten. Es geht um Ruhestörung, und die Musik-Anlage wird beschlagnahmt. Außerdem verteilen die laut den Betroffenen bereits aggressiv auftretenden Polizisten Platzverweise, selbst an AnwohnerInnen für den eigenen Garten.
Eine Stunde später ist die Polizei wieder da: Laut den Betroffenen stürmen diese den Garten ohne Vorwarnung und verprügeln die Anwesenden. Danach verhaften die Polizisten laut den Betroffenen genau die Personen, die ihnen als "politisch aktiv" bekannt sind, und fahren sie zur Wache. Die Betroffenen behaupten zudem, die Polizisten hätten "noch jemanden auf der Liste gehabt", den sie aber nicht auf der Party antrafen. Im Laufe des nächsten Nachmittags wurden alle wieder entlassen. Sie waren vorher einem Richter vorgeführt worden, der aber offensichtlich keine weiteren Haftgründe finden konnte. Trotz mehrmaliger Anfragen wollte die Pressestelle der Husumer Polizei sich zu den Vorwürfen nicht äußern.
Nun räumten im Prozess die befragten Polizisten erstmals ein, "etwas überreagiert" zu haben. Sie seien vorher schon auf einem anstrengenden Einsatz in Niebüll gewesen, und zudem wütend geworden, weil ihre Platzverweise nicht beachtet worden waren. An diese Stelle wurde der Prozess überraschender Weise auf den 26. Juni vertagt (nach Redaktionsschluss), da die Verhandlung länger als erwartet gedauert hatte.
Ein Mitglied vom Solifond Husum nach dem Prozess: " Der Prozessverlauf entspricht ganz meinen Erwartungen. Da die Staatsanwaltschaft auch kein Interesse an einem »Sieg« der Nazis hat, sieht es hier ganz gut aus. Trotzdem muss der ganze Aufwand gerechtfertigt werden, und zudem haben Polizisten vor Gericht in diesem Land immer Recht. In diesen Punkten rechnen wir fest mit einer Verurteilung!"
Laut Jan Groß vom Solifond hat die Repression gegen die Jugendgruppe zwar ihre Wirkung gehabt, sodass kaum jemand der damals Beteiligten noch in den damaligen Zusammenhängen aktiv sei, aber einem Abbruch des Widerstandes gegen die alltäglichen Blödsinnigkeiten dieser Welt hat es nicht gegeben: In schwarzen Lettern stand pünktlich zum Prozess am Haupteingang des Amtsgericht: "Repression stoppen! Freiheit für Alle!"
Hauke Thoroe
Mehr Infos: husuma.nirgendwo.info/
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