(Gegenwind 223, April 2007)

Interview mit Maisae Alabdallah-Sörensen

"Krankenhäuser sollten nur professionelle Dolmetscher bestellen"

Maisae Alabdallah-Sörensen

Gegenwind:

Kannst du erzählen, wo du herkommst und wie du nach Deutschland gekommen bist?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Ich komme aus Syrien. Ich habe meinen Mann in Syrien kennen gelernt. Er ist Sprachwissenschaftler und kann Arabisch, ich konnte damals nur Arabisch, und dann bin ich 1992 als Ehefrau nach Deutschland gekommen.

Gegenwind:

Wie lange hat es gedauert, bis du Deutsch konntest?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Ich glaube, Deutsch kann man nie hundertprozentig, ich lerne immer noch Deutsch. Ich spreche relativ gut, aber lerne noch. Es hat lange gedauert bis ich auf die Straße gegangen bin und Menschen angesprochen habe, ohne mich zu schämen Sprachfehler zu machen, hat ein Jahr gedauert. Ausgerüstet mit guten Lehrbüchern habe ich die deutsche Grammatik alleine gelernt.

Gegenwind:

Seit wann dolmetscht du?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Das erste Mal war es hier in Kiel, drei Jahre nach meiner Ankunft. Damals habe ich für Freunde oder Bekannte gedolmetscht, die als Ausländer hier sind. Ich war überall unterwegs, meistens bei Behörden, beim Sozialamt oder im Krankenhaus. Ich war oft im Krankenhaus, wenn ein Kind oder ein Erwachsener operiert werden sollte und aufgeklärt werden musste über das Risiko. Dabei geht es dem Krankenhaus meistens nur um die Unterschrift des Patienten oder des Erziehungsberechtigten. Und das mache ich bis heute mit dem Unterschied dass ich Mittlerweile an mehrere Dolmetscher Fortbildungen Teilgenommen habe.

Gegenwind:

Wer gibt dir die Aufträge?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Das Krankenhaus selten. Die nehmen lieber Angehörige der Patienten. Das kostet dann nichts. Aber da gibt es auch oft Probleme. Ein Beispiel: Ich wurde vom Krankenhaus beauftragt; eine Nachbarin der Patienten war anwesend, die versuchte schon zu dolmetschen. Ich hörte schon, dass sie falsch übersetzt. Sie sagte der Patientin auf Arabisch, ihr Herz wird aus ihrem Körper herausgeschnitten, es ging aber um eine Bypass-Operation. Ich habe der Nachbarin freundlich erklärt, dass ich als Dolmetscherin hier bin, und habe korrigiert, was sie gedolmetscht hatte und der Patientin die Erklärungen vom Arzt gedolmetscht. Als wir fertig waren, hat diese Nachbarin dem Arzt gesagt, sie würde auch gerne dolmetschen, und sie würde es für nur 10 Euro pro Stunde machen. Das ist im Krankenhaus gefährlich, man darf sich als Dolmetscherin nicht überschätzen. Um den Vorgang fort zu fahren war ein zweiter Dolmetschertermin für die gleiche Patientin notwendig. Ich habe dann meiner Rechnung einen Brief beigelegt, in dem ich geschrieben habe, dass diese Nachbarin sich nicht nur eingemischt, sondern hauptsächlich falsch gedolmetscht hat. Ich wurde in diesem Fall nicht mehr beauftragt, ich nehme an, das Krankenhaus fand die Nachbarin einfach günstiger.

Gegenwind:

Wie viel dolmetscht du heute bezahlt und wie viel, um Landsleuten zu helfen?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Mittlerweile dolmetsche ich neunzig Prozent bezahlt, der Rest ehrenamtlich. Kostenlos dolmetsche ich für Vereine, die kein Geld haben, oder für einzelne Leute, die eine Dolmetscherin nicht bezahlen können.

Gegenwind:

Was ist der Schwerpunkt deiner Arbeit?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Das sind unterschiedliche Gebiete. Ich dolmetsche beim Gericht, bei Rechtsanwälten, bei der Polizei dann, bei Ärzten und selten im Krankenhaus.

Gegenwind:

Die meisten Dolmetscherinnen und Dolmetscher arbeiten ohne eine spezielle Ausbildung, sie müssen also ihre Fähigkeiten selbst einschätzen. Wie groß ist die Gefahr von Fehlern?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Die Gefahr ist groß. Ich habe lange gebraucht, ehe ich es gewagt habe, wirklich zu dolmetschen. Ehrenamtlich ist es aber so: Du begleitest eine Frau zum Arzt, und sie hat keine andere Möglichkeit. Sie ist froh, wenn jemand mitkommt, der oder die ein paar Wörter versteht und etwas erklären kann. Aber ich habe lange gebraucht, bis ich es gewagt habe, bezahlte Aufträge anzunehmen. Ich dachte, mein Deutsch ist nicht perfekt, die Aussprache nicht gut genug, obwohl ich deutlich spreche, aber ich habe andere Leute gesehen, die es kommerziell machen deren Aussprache sehr schlecht war, die allerdings vereidigt waren. Da habe ich Mut gefasst und habe mich nach Fortbildungsmöglichkeiten erkundigt und von Gegenwind erfahren. An allen Fortbildungen habe ich teilgenommen, was eine große Bereicherung für meine Dolmetschmethodik war und dadurch wurde ich in diesem Bereich professioneller und erst danach habe ich mich vereidigen und ermächtigen lassen.

Gegenwind:

Welche Probleme gibt es beim Dolmetschen Arabisch-Deutsch und umgekehrt? Die Sprachen sind ja sehr verschieden.

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Bei schriftlichen Übersetzungen ist es schwieriger als beim Dolmetschen. Beim Dolmetschen kann man immer Wörter finden, die dem Patienten erklären, worum es geht und dabei spielt die Schönheit der Formulierung keine Rolle. Bei schriftlichen Übersetzungen dagegen muss man das genaue Wort finden und die Schönheit der Formulierung berücksichtigen. Außerdem gibt es viele Wörter, die keine Entsprechung in der anderen Sprache haben. "Alleinerziehend" gibt es im arabischen Raum nicht, denn ohne Ehe gibt es keine Kinder. Und ohne Trennung der Eltern zum Beispiel durch die Scheidung oder durch den Tot eines Elternteils, gibt es keine Alleinerziehende. Da kann man das Wort nicht mit einem Wort übersetzen, sondern mit einem Satz.

Gegenwind:

Kannst du auch für Patienten dolmetschen, die aus Tunesien oder dem Sudan kommen?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Nein. für Tunesier, Algerier, und Marokkaner kann ich nur dolmetschen, wenn sie mindestens einen der übrigen anderen arabischen Dialekte oder hocharabisch können. Ich habe ein einziges Mal für eine Tunesierin gedolmetscht, da wurde ich vom Gericht aus beauftragt. Bei der Auftragserteilung habe ich erst gefragt woher die Person kommt? Als ich erfuhr dass sie Tunesierin ist, fragte ich ob sie in ihrer Heimat die Schule besucht hat, denn dadurch muss sie Hocharabisch können, was das Dolmetschen für Menschen aus diesen drei Ländern erst möglich macht.

Gegenwind:

Wie sollte die Klinik die Qualität der Verständigung sicherstellen?

Maisae Alabdallah-Sörensen:

Krankenhäuser sollten wirklich nur professionelle Dolmetscher bestellen, gerade bei Operationen und ernsten Fällen. Es geht ja nicht nur um die Patienten, sondern auch um die Klinik selbst. Ich sage das nicht, weil ich als Dolmetscherin gerne beauftragt werden möchte. Die Patientin oder Patient muss alles verstehen, und die Klinik ist verantwortlich dafür. Ich habe vor ungefähr einem Jahr für eine Frau gedolmetscht, deren Kind sollte an den Augen zum zweiten Mal operiert werden. Das Risiko war, dass es blind wird. Ich habe beim Krankenhaus angerufen, ob sie das Dolmetschen bezahlen: Nein, das können sie nicht, das werden sie auch nicht, denn die Mutter des Kindes soll einen Dolmetscher selbst bestellen, was sie sich aus Finanziellengründen nicht leisten könnte. Ich bin trotzdem hingegangen und habe gedolmetscht. Man hat mich danach aufgefordert, den Aufklärungsbogen mit zu unterschreiben. Ich sollte unterschreiben, dass die Verständigung geklappt hat, was ich abgelehnt habe. Warum denn nicht? fragte man mich. Warum soll ich unterschreiben? Sie wollen mich nicht bezahlen, ihnen ist egal, wer dolmetscht, und meine Unterschrift schenke ich dem Krankenhaus in diesem Fall nicht. Sie wollen sich mit der Unterschrift absichern, und das bekommen sie von mir nicht.

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