(Gegenwind 221, Februar 2007)

Neues Polizeirecht in Mecklenburg-Vorpommern

"...Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Reizstoffe und Sprengmittel"

Mecklenburg-Vorpommern begrüßt den G8-Protest mit einem verschärften neuen Polizeigesetz:
Nicht nur diverse außerparlamentarische Gruppen bereiten sich auf den 2007 im Seebad Heiligendamm stattfindenden Gipfel der G8 vor. Auch der Polizeistaat probt seinen großen Einsatz für das Gipfeltreffen.

Seit Juni 2006 gibt es eine Novellierung des bisherigen Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG) in Mecklenburg-Vorpommern. Eingebracht von SPD und Linkspartei.PDS wurden diverse Gesetzesverschärfungen im Landesparlament in trauter Eintracht mit der dortigen CDU verabschiedet. Die Neuerungen im SOG lehnen sich eng an das Hamburger Polizeigesetz an, das zu Recht als eines der zur Zelt schärfsten und demokratiefeindlichsten Polizeigesetze in Deutschland gilt. Während es in Hamburg jedoch zu massivem öffentlichen Protest gegen das von der dortigen Mitte-Rechts-Regierung verabschiedete Gesetz kam, blieb es im beschaulichen Mecklenburg-Vorpommern bei der Änderung des SOG - wie leider so oft - still. Dass das SOG noch so kurz vor einer Landtagswahl im Schweinsgalopp durchs Parlament gejagt wurde, hat seinen Hauptgrund offenbar im kommenden G 8-Treffen 2007. Mit den durch das novellierte SOG legitimierten neuen technischen und rechtlichen Möglichkelten soll die Protestbewegung gegen den Gipfel polizeistaatlich abgewürgt und sollen Grundrechte weiter eingeschränkt werden. Erste Probeläufe polizeistaatlicher Muskelschau am 1. Mai 2006 in Rostock (damals noch unter dem alten SOG ) und zum Bush-Besuch in Stralsund am 13. Juli 2006 (nach neuem SOG) haben gezeigt, wohin die Reise gehen soll: Rote Zonen, Einschränkung der Bewegungsfreiheit, erdrückende Polizeipräsenz (je 10.000 bis 12.000 Polizistinnen), Erprobung von Großkesseln und Massenfestnahmen, willkürliche Platzverweise und Aufenthaltsverbote.

Ein Grund mehr, dass sich alle Kritikerinnen der G8, die sich zum Protest nach Mecklenburg-Vorpommern aufmachen, vorab über das neue SOG Im nordöstlichsten Bundesland informieren und entsprechend die neuen polizeilichen Möglichkelten in ihre Aktionsplanungen mit einbeziehen sollten.

Wir wollen im Folgenden kurz beschreiben, was euch in Mecklenburg-Vorpommern polizeistaatlicherseits erwarten kann. Aber nicht alles, was rechtlich oder technisch möglich wäre, muss auch so eingesetzt werden. Es handelt sich, wie bei allem, um ein Spiel der Kräfte und der öffentlichen Meinung. Es soll sich also bitte niemand von den polizeirechtlichen Möglichkeiten einschüchtern lassen. Die vergangenen Gipfel in Genua, Evian oder Gleneagles haben gezeigt, dass trotz martialischer Polizeiaktionen erfolgreiche Protesten möglich waren.

Neben diesem speziell zum SOG in Mecklenburg-Vorpommern erstellten Text legen wir euch den kostenlosen Rote Hilfe-Klassiker "Was tun wenn's brennt" sehr ans Herz, in dem allgemeine Rechtshilfetipps für Demos gegeben werden. Erhältlich bei jeder Roten Hilfe-Ortsgruppe oder (gegen Portokosten) über den Rote Hilfe-Literaturvertrieb, Postfach 6444, 24125 Kiel.

Was die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern schon nach dem alten SOG alles machen durfte

Bis zum Juni war das SOG ein im bundesdeutschen Vergleich relativ liberales Polizeigesetz. So war u.a. die Videoüberwachung von öffentlichen Plätzen untersagt. Dennoch finden sich auch dort schon schwerwiegende Grundrechtseinschnitte, u.a. der Einsatz verdeckter Ermittlerinnen, Platzverweise, verdeckte Überwachung und dauerhafte Observationsmaßnahmen.

Im Folgenden geben wir euch einen kurzen Oberblick über die bisherigen Regelungen, die auch im aktuellen SOG beibehalten wurden: (Zitate sind, wenn nicht anders angegeben, direkt dem Wortlaut des SOG entnommen. Die Begründung von SPD/Linkspartei.PDS für ihren Gesetzentwurf ist im vollen Wortlaut unter der Landtagsdrucksache 4/2116 zu finden.)

1. Identitätsfeststellung (§29)

Eine Maßnahme zur Identitätsfeststellung ist "zur Abwehr einer im einzelnen Fall bevorstehenden Gefahr" jederzeit möglich. Jede Person ist dann verpflichtet auf Nachfrage die eigene Identität gegenüber der Polizei nachzuweisen (in der Regel durch ein amtliches Ausweisdokument). Was eine "bevorstehende Gefahr" ist, entscheiden die PolizeibeamtInnen eigenmächtig, wodurch die Identitätsfeststellung mittlerweile zu einer Routinemaßnahme geworden ist. Besonders an polizeilichen Kontrollstellen, an so genannten "gefährdeten Objekten" (festgelegt von den Ordnungsbehörden), in öffentlichen Verkehrmitteln und in Versorgungseinrichtungen oder Amtsgebäuden sind Identitätsfeststellungen dem Gesetz nach möglich. Wer sich nicht ausweisen kann, wird auf die Polizeiwache mitgenommen.

2. Erkennungsdienstliche Behandlung (§31)

Die Erkennungsdienstliche Behandlung von vermeintlichen Straftäterinnen auf der Polizeiwache umfasst in Mecklenburg-Vorpommern laut SOG: Fingerabdrücke, Hand- und Fußabdrücke, Anfertigung von Fotos, Feststellung und Messung äußerer körperlicher Merkmale sowie Tonaufzeichnungen. Routinemäßig werden aber nur Fotos geschossen und Fingerabdrücke abgenommen.

3. Befragungs- und Auskunftspflicht (§28)

Wie auch in anderen Bundesländern sind Personen gegenüber der Polizei auf Nachfrage verpflichtet, lediglich folgende Angaben zu machen: Name, Vorname, Geburtsdatum und -ort, Wohnanschrift und Staatsangehörigkeit. Nicht mehr! Eine Verweigerung dieser Angaben zieht eine Ordnungswidrigkeit (also ein Bußgeld) nach sich.

4. In-Augenschein-Nahme (§27a)

Personen können jederzeit kurzzeitig angehalten werden, ebenso Fahrzeuge. Dies ist im Grenzgebiet in einer Tiefe bis 30 km ins Binnenland (also z.B. in Heiligendamm oder Rostock) jederzeit möglich, außerhalb dieses Gebietes nur in "Einrichtungen des internationalen Verkehrs mit unmittelbarem Grenzbezug" (z.B. Bahnhöfe, Flughäfen) sowie "zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung" (z.B. Landfriedensbruch, Gefährliche Körperverletzung, schwerer Diebstahl, Betrug).

5. Durchsuchung von Personen (§53-54)

Personen können (außer zur Identitätsfeststellung) auch aus folgenden Gründen durchsucht werden: Sicherstellung von Sachen; "zum Schutz der Person" [sic!]; "zur Eigensicherung des Amtsträgers". Also auch hier ein weites Feld, das die Polizei vor Ort eigentlich immer in ihrem Sinne zu nutzen weiß. Bei der Durchsuchung dürfen Körper, Kleidung, Inhalt der Kleidung und "alle sonstigen am Körper getragenen Sachen" (also z.B. Rucksäcke) durchsucht werden, wobei die jeweilige Durchsuchung nur von Personen gleichen Geschlechts oder Ärztinnen durchgeführt werden darf. (Es sei denn es liegt "Gefahr in Verzug" vor, dann kann jeder Polizeibeamte die Durchsuchung vornehmen.)

6. Durchsuchung von Sachen (§57-58)

Durchsucht werden dürfen also alle Sachen, die eine Person mit sich führt, Fahrzeuge (bei einer Identitätsfeststellung); ferner Sachen, in denen sich evtl. sicherzustellendes Material befinden könnten; Sachen, in denen sich Personen befinden, die in Gewahrsam zu nehmen sind; sowie alle Sachen, die sich in oder nahe Amtsgebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln oder "gefährdeten Objekten" befinden.

7. Platzverweisung (§52)

Eine lästige Maßnahme, bei der die Polizei quasi Narrenfreiheit besitzt, sind Platzverweise. Diese können in Mecklenburg-Vorpommern für einen Ort, für ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder gleich ein ganzes Gemeindegebiet ausgesprochen werden. Platzverweise können bis zu einer Dauer von maximal zehn Wochen ausgesprochen werden (z.B. denkbar beim G8-Gipfei für einen ganzen Ort, wie z.B. Bad Doberan). Der Platzverweis muss nicht schriftlich gegeben werden (was der Polizei zusätzlichen Spielraum bei der Vertreibung unliebsamer Personen gibt). Die einzige Einschränkung: Der Platzverweis darf den Zugang zur eigenen Wohnung nicht behindern. (Was vor Ort wohl nur durch das Vorzeigen des Personalausweises mit der amtlichen Meldeadresse nachgewiesen werden kann.) Bei Nichtbefolgung eines Platzverweises droht Gewahrsamnahme.

8. Gewahrsamnahme (§55-56)

Neben der Durchsetzung von Platzverweisen können Gewahrsamnahmen erfolgen, wenn eine Person sich "erkennbar in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand oder sonst in hilfloser Lage befindet" (also z.B. unter Alkoholeinfluss) oder wenn "eine gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" (was in der Tat weit auslegbar ist) besteht. Eine Gewahrsamnahme kann ebenfalls erfolgen, wenn eine "unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat" verhindert werden soll, u.a. weil die Person "eine Begehung der Tat angekündigt oder dazu aufgefordert hat oder Transparente [sic!] oder sonstige Gegenstände mit einer solchen Aufforderung mit sich führt; dies gilt auch für Flugblätter [sic!] solchen Inhalts, soweit sie in einer Menge mitgeführt werden, die zur Verteilung ungeeignet ist". Auch das Mitführen von Waffen (oder was die Polizei dafür hält), Werkzeugen oder sonstigen Gegenständen, die "zur Tatbegehung bestimmt sind oder erfahrungsgemäß bei derartigen Taten verwendet werden", kann zur Gewahrsamnahme führen.

Auch Minderjährige, "die sich der Obhut der Sorgeberechtigten entzogen haben" können jederzeit in Gewahrsam genommen werden, um sie "dem Jugendamt zuzuführen".

9. Wohnraumbetretung und Hausdurchsuchung (§59-60)

Zur "Verhütung einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" können auch Wohnraum oder ein befriedetes Grundstück von der Polizei betreten werden.

Für eine Durchsuchung wird natürlich ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss benötigt (oder eben das beliebte "Gefahr in Verzug" mit nachträglicher richterlicher Zustimmung).

Bei Durchsuchungen hat der/die BewohnerIn oder MieterIn das Recht bei der Durchsuchung anwesend zu sein und Durchsuchungsgrund sowie Rechtsbehelfe von der Polizei zu erhalten. Die Polizeibeamtinnen haben eine von ihnen unterschriebene Niederschrift anzufertigen (darin: verantwortliche Behörde, Anlass, Zeit und Ort der Durchsuchung, anwesende Personen namentlich). Lediglich "auf Verlangen" ist eine Abschrift davon auszuhändigen. Unterschreiben muss mensch selbst dabei nichts, eine Unterschrift kann (und sollte) dort ohne weitere Nachteile verweigert werden.

10. V-Personen, Verdeckte ErmittlerInnen, Observation, verdeckte Überwachung (§33)

In Mecklenburg-Vorpommern ist es der Polizei, erlaubt, sog. V-Personen (also Informantinnen, bei der Stasi früher als "IM" bezeichnet) zu führen, die gegen Bezahlung (oder andere Vergünstigungen) Informationen aus politischen Bewegungen zutragen. Ebenso können verdeckte Ermittlerinnen (also verdeckt ermittelnde Polizeibeamtinnen) eingesetzt werden, die unter einer Legende (falsche Ausweisdokumente, erfundene Identität) z.B. längerfristig politische Gruppen infiltrieren.

Schließlich ist auch die klassische Observation (also die mehrere Wochen anhaltende Beschattung einer Person durch die Polizei) erlaubt, gleichfalls der Einsatz verdeckter Überwachungstechnik.

11. Einsatzmittel und Bewaffnung der Polizeikräfte (§102)

Polizeiliche "Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind insbesondere Fesseln, Wasserwerfer, technische Sperren, Diensthunde, Dienstpferde, Dienstfahrzeuge, Reizstoffe und Sprengmittel; Sprengmittel dürfen nicht gegen Personen angewandt werden". Insbesondere die chemischen Kampfstoffe CN und CS sowie Pfefferspray sind hier, wie in anderen Bundesländern auch, beim Einsatz gegen Versammlungen erlaubt. "Als Waffen sind nur Schlagstöcke, Pistolen, Revolver, Gewehre und Maschinenpistolen zugelassen". Die übliche Waffe ist dabei der Schlagstock (aber auch Tonfas). Die Ereignisse von Göteborg und Genua 2001 sollten aber klargemacht haben, dass der bürgerliche Staat im Notfall auch vor dem Einsatz von Schusswaffen nicht zurückschreckt.

12. Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen (--)

Fehlanzeige, in Mecklenburg-Vorpommern gibt es bis heute immer noch keine Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamtinnen. Damit können Straftaten der Polizei im Einsatz nur schwer einzelnen PolizeibeamtInnen zugeordnet werden. - Die Staatsanwaltschaften sollen offenbar nicht mit lästigen Ermittlungsverfahren gegen Berufschlägerinnen belästigt werden.

Und das hat das verschärfte SOG an Neuem zu bieten

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf soll die Polizei in erster Linie diejenigen neuen Befugnisse erhalten, auf die sie aufgrund aktueller Entwicklungen im Bereich der Organisierten Kriminalität und des internationalen Terrorismus, aber auch im Hinblick auf die fortschreitende Entwicklung Europas zu einem Raum der Freiheit [sic!], der Sicherheit und des Rechts zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit nicht länger verzichten kann [aus der Begründung des Gesetzentwurfes von SPD/ Linkspartei.PDS]. Konkret geht es um die "Schaffung zusätzlicher bzw. die Modifizierung bestehender präventiver [sic!] Eingriffsbefugnisse für die Polizei", [aus der Begründung des Gesetzentwurfes von SPD/ Linkspartei.PDS ] Als leuchtendes Beispiel wird stets das Hamburger Polizeigesetz angeführt.

13. Videoüberwachung des öffentlichen Raums (§32)

Öffentlich zugängliche Orte dürfen offen mit technischen Mitteln zur Bildüberwachung [sprich: Videokameras] beobachtet werden, wenn dies zur Aufgabenerfüllung [...] erforderlich ist. Darüber hinaus dürfen offen Bilder aufgezeichnet werden, soweit an diesen Orten wiederholt [sprich: mindestens zweimal!] Straftaten [sprich: irgendwelche Straftaten, unabhängig von ihrer Schwere!] begangen worden sind und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass dort künftig mit der Begehung von Straftaten zu rechnen ist. Das ist natürlich ein Freibrief für willkürliche Videoüberwachung im öffentlichen Raum, wenn schon zwei Straftaten ausreichen, um "so genannte[n] Kriminalitätsschwerpunkte" [Zitat aus der Begründung der SPD/ Linkspartei.PDS] zu definieren. Bisher sind in Mecklenburg-Vorpommern noch keine Installationen von derartigen Videokameras bekannt, aber der G8-Gipfel wird hier sicher zur Forcierung dieses Vorhabens dienen. SPD und Linkspartei.PDS sprechen in ihrer Begründung zum eingebrachten Gesetzentwurf Tacheles: "Die demnächst in Mecklenburg-Vorpommern stattfinden [den] Veranstaltungen, wie G8-Gipfel mit einem Massenaufkommen an zu schützenden Personen und Veranstaltungen, wie auch die Übertragung von Fußball-WM-Spielen auf Großbildschirmen verlangen das Vorhandensein bestimmter Eingriffsmöglichkelten für die Gefahrenabwehrbehörden. [...] Erfahrungen mit dem Einsatz von Videotechnik in der Bundesrepublik haben bisher durchweg positive Ergebnisse gezeigt. Schon aufgrund des Abschreckungseffektes [sic!] durch den offenen Einsatz können regelmäßig ein Rückgang der Kriminalität verzeichnet und somit Straftaten verhütet werden. Gleichzeitig wird das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger verbessert." Hier wird tief in die Mottenkiste der "Inneren Sicherheit" gegriffen, obwohl britische Untersuchungen (wo ja Videoüberwachung seit vielen Jahren flächendeckend eingesetzt wird) zu dem Ergebnis kommen, dass weder die Kriminalitätsrate abnimmt noch das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürgerinnen zunimmt. Dafür nimmt aber die Überwachung immer totalere Formen an und begünstig die soziale und rassistische Ausgrenzung an den überwachten Orten.

14. Automatisches Kfz-Kennzeichen-Lesesystem (AKLS) (§433)

Die Polizei kann [...] im öffentlichen Verkehrsraum personenbezogene Daten durch den offenen Einsatz technischer Mittel zur elektronischen Erkennung von Kraftfahrzeugkennzeichen zum Zwecke des automatisierten Abgleichs mit dem Fahndungsbestand erheben. [...] Die Datenerhebung darf auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen sind. Auch ein verdeckter Einsatz des AKLS ist übrigens zulässig, ebenso ein "Abgleich erhobener Kennzeichendaten mit anderen polizeilichen Dateien". In ihrer Begründung zum Gesetzentwurf heben SPD/Linkspartei.PDS hervor, dass der Einsatz des AKLS so zu erfolgen habe, "dass betroffene Personen grundsätzlich erkennen können, bei welchen Anlässen und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten mit dem Risiko der Überwachung verbunden ist". Soll wohl heißen: Wer dennoch während solcher Anlässe (z.B. G8-Gipfel in Mecklenburg) mit dem PKW unterwegs ist, hat selbst Schuld, wenn er/sie per AKLS erfasst wird; er/sie hätte ja auch zu Hause bleiben oder woanders hinfahren können.

Zur Illustration geben die beiden Parlamentsfraktionen auch gleich ein plastisches Beispiel für die Anwendung des AKLS: "Aufgrund dieser Regelung ist es z. B. möglich, zur Abwehr konkreter Gefahren Kennzeichendaten auf Zubringerstraßen zu einem Fußballstadion mittels AKLS zu erheben und einen Abgleich mit der Datei "Gewalttäter Sport" vorzunehmen, wenn mit der Anreise von so genannten Hooligans zu rechnen ist." - Wir können ja spaßeshalber mal "Fußballstadion" durch "Anti-Globalisierungscamp" ersetzen und statt der Datei "Gewalttäter Sport" die Datei "Gewalttäter Links" einsetzen (in welche mensch übrigens schon aufgrund "polizeilicher Erkenntnisse" geraten kann, also ohne jemals einer Straf- geschweige denn einer Gewalttat beschuldigt worden zu sein). Dann kann mensch sich ausmalen, was uns 2007 beim G8 erwarten dürfte.

Momentan besitzt das Land Mecklenburg-Vorpommern nur ein AKLS-Gerät, aber im Zuge der Amtshilfe werden zum G8 sicher andere Bundesländer, allen voran Hamburg, mit entsprechender Technik aushelfen.

15. Präventive Telekommunikationsüberwachung (§34a)

Bei dieser Art von Telekommunikationsüberwachung geht es nicht mehr um die konkrete Verfolgung von Straftaten, sondern um das rein präventive Überwachen. Die Datenerhebung kann sich auf "Inhalte der Telekommunikation einschließlich der Innerhalb des Telekommunikationsnetzes in Datenspeichern abgelegten Inhalte" (also sowohl Gesprächinhalte/Textnachrichten als auch Telefon-Mailboxen bzw. gespeicherte E-Mails/SMS), auf die Telekommunikationsverbindungsdaten sowie "die Standorterkennung einer Mobilfunkendeinrichtung" beziehen. Die Polizei in Mecklenburg-Vorpommern hat nun die Möglichkeit, auch sog. IMSI-Catcher zu benutzen (IMSI = International Mobile Subscriber Identity). Diese mobilen IMSI-Catcher simulieren eine Mobilfunkzelle in einem Bereich (z.B. einem Ort), über die dann sämtlicher Handyverkehr fließt. Die Polizei kann so die Gerätenummer, die SIM-Kartennummer, die einwählende Rufnummer, die angewählte Telefonnummer und Gesprächsdauer ermitteln und speichern. Mittels der unveränderlichen Gerätenummer bei Handys und der ebenfalls eineindeutigen SIM-Nummer bei Mobilfunkkarten lassen sich so konkret Mobilfunkgespräche Personen zuordnen. Über die Auskunftspflicht der Telekommunikationsdiensteanbieter sind der Polizei darüber hinaus alle Verbindungsdaten der letzten Monate einer ermittelten Rufnummer zugänglich.

Mittels IMSI-Catchern kann aber auch der Handy-Verkehr in dessen "Mobilfunkzellenbereich" unterbunden werden; derartige Funknetzunterbrechungen soll u.a. der Bundesgrenzschutz schon bei CASTOR-Transporten im Wendland eingesetzt haben, um Kommunikation (z.B. aus Polizeikesseln heraus) zu unterbinden.

Aber auch ohne IMSI-Catcher lässt sich bei Mobiltelefonen der Standort der Nutzerinnen kinderleicht ermitteln. Denn solange ein Mobiltelefon eingeschaltet ist (also auch im Standby-Modus!) kann die Polizei jederzeit über sog. "stille SMS" ermitteln, wo sich das Handy befindet. "Stille SMS" sind kurze Leer-SMS, die das Mobiltelefon zwar empfängt, den Nutzerinnen aber nicht als Meldung anzeigt. - Der einzig sichere Schutz vor Handyüberwachung bleibt weiterhin, das Gerät auszuschalten und Akku sowie SIM-Karte zu entfernen, am besten schon, bevor eine neue Funkzelle betreten wird. So kann die Polizei nur den letzten Standort ermitteln, also den Ort, wo das Handy zuletzt eingeschaltet war.

Jede und jeder sollte daher realistisch prüfen, ob und wie er/sie Mobiltelefon, Festnetztelefon oder auch den E-Mail-Verkehr nutzt / zukünftig nutzen will. Denn Überwachung durch die Polizei ist mittlerweile technisch - in Mecklenburg-Vorpommern jetzt auch rechtlich - überall möglich. Während sich beim E-Mail-Verkehr in linken Kreisen langsam auch pgp (pretty good privacy) als Verschlüsselungsprogramm durchsetzt, bleiben beim Mobiltelefonieren nur die beide Extreme des Nichtmehr-Telefonierens und des "Jeder-kann-sowieso-Mithören"-Telefonierens. Die meisten werden aber einen Mittelweg gehen: bei politischen Inhalten oder Terminabsprachen wird eher mal auf die Handynutzung verzichtet.

Begründet werden diese massiven Eingriffe in die Telekommunikation übrigens lediglich mit "der Tatsache, dass zur Vorbereitung bzw. Durchführung terroristischer Anschläge bzw. im Bereich der Organisierten Kriminalität zunehmend Mobiltelefone genutzt werden" [aus der Begründung von SPD/Linkspartei.PDS].

16. Ausweitung der Rasterfahndung (§44)

Bisher musste bei der Rasterfahndung eine "gegenwärtige Gefahr" vorhanden sein. Im neuen §44 wird an ihrer Stelle die "erhebliche Gefahr" eingeführt. Das hat für die Polizei den Vorteil, dass sie schon präventiv rastern kann, also bevor überhaupt ein konkreter Anlass dazu besteht. Als "erhebliche Gefahr" reicht (wie oben beschrieben) schon ein einfaches Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruchs aus. Der neue Paragraph, lautet jetzt: "Die Polizei kann von Behörden, anderen öffentlichen Stellen und von Stellen außerhalb der öffentlichen Verwaltung zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Bekämpfung von Straftaten von erheblicher Bedeutung [...] die Übermittlung von personenbezogenen Daten bestimmter Personengruppen aus Dateien zum Zweck des Abgleichs mit anderen Datenbeständen verlangen (Rasterfahndung), wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass dies zur Abwehr der Gefahr oder zur Bekämpfung der Straftaten erforderlich ist."

Nicht um lebensnahe Beispiele verlegen, beschrieben die Einbringerinnen der Gesetzesänderung folgenden potentiellen Fall:

"In zunehmendem Maße wird des Weiteren das Internet zur Begehung von Straftaten genutzt. Dabei werden u. a. über so genannte Internet-Auktionshäuser, wie z. B. ebay, aus Straftaten herrührende Gegenstände zum Kauf angeboten. Gezielte Datenabgleiche ermöglichen in diesen Fällen die Feststellung von Tatzusammenhängen und die Eingrenzung des Kreises von Tatverdächtigen sowie deren Ermittlung und damit auch die Verhinderung weiterer Straftaten." Rastern beim Ebay-Einkauf, eins-zwei-drei-meins...

17. Zwangsweise Blutabnahme (§53, 4)

"Diese Vorschrift soll dem Schutz von Opfern von Gewalttaten, von Polizeibeamten und anderen Berufsgruppen dienen, die mit Personen in Kontakt gekommen sind, bei denen beispielsweise der Verdacht auf Aids oder Hepatitis besteht. Eine Infektion ist kurze Zeit nach dem Kontakt zwischen Verursacher und Opfer gerade bei den o.g. schweren Viruserkrankungen beim Opfer noch nicht nachweisbar. [...] Für diese körperliche Untersuchung (Blutentnahme) ist grundsätzlich eine richterliche Anordnung erforderlich, bei Gefahr im Verzug darf die Anordnung durch die Polizei erfolgen." [aus der Begründung von SPD/Linkspartei.PDS] Die Blutentnahme darf explizit auch gegen den Willen des/der BetroffeneN entnommen werden. Da mit dem Gesetz eine "unverzügliche Blutentnahme" angestrebt wird, wird im Normalfall wohl auch auf die richterliche Anordnung gänzlich verzichtet werden und die Polizei eigenmächtig Derartiges anordnen. Angewendet werden soll (so die Begründung von SPD und Linkspartei.PDS) die Blutentnahme konsequent u.a. bei Stich- und Schnittverletzungen, bei Bissverletzungen und überall dort, wo Körperflüssigkeiten im Spiel sind (also z.B. auch ein von Polizeiknüppeln blutig geschlagener Demonstrant).

In der Begründung heißt es gutmenschelnd: "Körperliche Untersuchungseingriffe, auch ohne oder gegen den Willen des Betroffenen, können im Einzelfall zum Schutz von Leib und Leben und damit zu dessen Rettung [sic!], z. B. bei einer konkreten Vergiftungsgefahr durch verschluckte Drogenbehältnisse, erforderlich werden." Der eigentliche Zweck, nämlich die Sammlung neuer Einträge für die bundesweite DNA-Datenbank, wird in den öffentlichen Verlautbarungen gerne verschwiegen. Dass hier persönlichste Daten frei kursieren sollen, fordern unverblümt die SPD und Linkspartei.PDS im Landtag in ihrer Begründung zum Gesetzentwurf. Dort ist die Rede von der "Möglichkeit, einen direkten Hinweis auf die konkrete übertragbare Krankheit" in die bundesweiten Personendatensätze der INPOL-Datei (ein Datenverbundsystem des BKA, der Bundespolizei und der Länderpolizeien) aufzunehmen. Darüber hinaus kann der Hinweis "Ansteckungsgefahr" [in den jeweiligen personenbezogenen Daten m INPOL] Einsatzkräfte warnen und weitere Infektionsgefahren vermeiden. Soziale Ausgrenzung per Polizeidatensatz, persönliche Krankheitsdaten, die bundesweit jede Polizeidienststelle abrufen kann... George Orwell würde sich gruseln.

18. Videoaufzeichnungen in Polizeifahrzeugen zwecks "Eigensicherung" (§32, 4)

Die Polizei kann zur Eigensicherung bei Personen- oder Fahrzeugkontrollen Bildaufnahmen und -aufzeichnungen durch den Einsatz optisch-technischer Mittel in oder an Fahrzeugen der Polizei herstellen. [...] Die Bildaufzeichnungen sind unverzüglich, spätestens am Ende der Dienstschicht, zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Aufzeichnungen zur Verfolgung von Straftaten benötigt werden. Konkret heißt das: Bei Kontrollen wird mensch ausnahmslos abgefilmt. - Es lässt sich übrigens leicht erraten, was passiert, wenn es bei einer solchen Kontrolle zu Straftaten seitens der Polizeibeamtinnen kommen sollte: am Ende der Dienstschicht wird das Video einfach gelöscht, damit keine bösen Bilder à la Rodney King publik werden.

Fazit: Trendwende nicht in Sicht

Wie diese neuen polizeilichen Möglichkeiten tatsächlich in der Praxis genutzt werden, werden die folgenden Monate zeigen. Festzuhalten bleibt, dass auch im verschlafenen Mecklenburg-Vorpommern unter der rot-roten Landesregierung eine rapide Verpolizeilichung stattgefunden hat. Solange sich nicht nennenswerter öffentlicher Protest in diesem Bundesland gegen das law & order-Denken und für Grund- und Freiheitsrechte formiert, wird sich dieser Trend leider fortsetzen. Wir wollen als Rote Hilfe Greifswald jedenfalls unseren kleinen Beitrag dazu leisten, dass sich dieses gesellschaftliche Klima ändert.

Das wichtigste ist und bleibt, auch unter den neuen "Kampfbedingungen" nicht vom Protest und Widerstand gegen die Herrschenden abzulassen, sondern immer wieder zu zeigen, dass Ausbeutung und Repression niemals widerstandslos hingenommen wurden!

In diesem Sinne: Nicht Müsli und Quark - Solidarität macht stark!

Rote Hilfe Greifswald

c/o Klex, Lange Straße 14, 17489 Greifswald
greifswald@rote-hilfe.de

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