(Gegenwind 221, Februar 2007)

Landes-Aufnahmelager

Leben ohne Perspektive

Aufnahmelager für Asylbewerber in Lübeck

Schleswig-Holstein verfügt über zwei Aufnahmelager für ankommende MigrantInnen. Ehemalige Kasernen in Lübeck und Neumünster stehen mit jeweils 500 Plätzen bereit, um Flüchtlinge, Asylbewerber, sogenannte "Illegale" sowie Aussiedler oder jüdische MigrantInnen aufzunehmen. Verwaltet werden sie vom Landesamt für Ausländerangelegenheiten. Der Gegenwind besuchte beide Aufnahmestellen und die dazu gehörenden Gemeinschaftsunterkünfte im Oktober und November 2006.

Die Statistik, die das Landesamt veröffentlicht, soll die Notwendigkeit der beiden Aufnahmestellen belegen: Sie sind im Schnitt der letzten Jahre zu zwei Dritteln belegt. Das verwundert angesichts der stark zurückgehenden Zahlen von Asylanträgen. Doch der Kunstgriff des um seine Personalstärke besorgten Landesamtes ist einfach: Die Kapazität der Unterkünfte wird für 2004 mit zweimal 500 Plätzen, für 2005 mit zweimal 400 Plätzen und aktuell mit zweimal 300 Plätzen angegeben.

Während in Lübeck AsylbewerberInnen aufgenommen und nach drei Monaten in einer angeschlossenen Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden, dient die Einrichtung in Neumünster zur Aufnahme von (Kriegs-)Flüchtlingen, sogenannten Illegalen sowie Aussiedlern und jüdischen MigrantInnen. Die Gemeinschaftsunterkunft in Neumünster nimmt außerdem Asylbewerber auf, die ihre Verfahren in Lübeck begonnen haben und entweder schon abgelehnt sind oder, zumindest nach Ansicht des Landesamtes, auf ihre Ablehnung warten. Wurden sie in der Vergangenheit nach einigen Monaten Wartezeit auf die Kreise weiterverteilt, so müssen sie heutzutage auf unabsehbare Zeit in der Kaserne bleiben, wenn sie aus bestimmten Ländern kommen, in die Abschiebungen möglich sind. Dazu gehören die Hauptherkunftsländer von Flüchtlingen, die Türkei und Russland.

Eine neue Aufgabe für das Landesamt ist es, in Neumünster auch abgelehnte Flüchtlinge aufzunehmen, die bereits lange hier in Schleswig-Holstein leben, die aber nicht abgeschoben werden können. Wenn der Verdacht besteht, dass sie selbst die Organisierung von Abschiebepapieren behindern oder sabotieren, kann die zuständige Ausländerbehörde sie an das Landesamt abgeben. Für die Betroffenen bedeutet das Verlust von Wohnung und Sozialhilfe, die Wieder-Aufnahme in der Kaserne dient dem Ziel, ihren Willen zu brechen, ihnen zu demonstrieren, dass ihr Kampf für ein Bleiberecht verloren ist. Dieses in der politischen Diskussion sehr umstrittenes Konzept hat aber kaum Auswirkungen auf die Verhältnisse in Neumünster, weil dort nur zehn Personen unter dem Label "Sammelunterkunft für Ausreisepflichtige" aufgenommen wurden.

Asylverfahren in Lübeck

Gespräche mit Flüchtlingen in Lübeck

Die Zahl der Asylanträge ist in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen. Waren es vor einigen Jahren in Lübeck noch 2000 Anträge jährlich, sind es jetzt nur noch wenige hundert - ungefähr ein Viertel davon sind Asylanträge, die Behörden für neugeborene Kinder von Asylbewerbern stellen, weil es das Gesetz neuerdings so vorschreibt.

Die Anerkennungsquote ist nicht gestiegen, eher noch gesunken. Geringe Chancen haben Tschetschenen aus Russland, Kurden aus der Türkei und politische Aktivisten aus dem Iran, andere kaum.

Für die Betroffenen bleiben Asylverfahren häufig undurchschaubar, weil die Kriterien für die Ablehnung wie die Drittstaatenregelung nicht verstanden werden. Die Beratung in Lübeck wurde gelobt, die in Neumünster ist eher uninteressant - weil das Rote Kreuz keine Dolmetscher hinzuzieht und die Neutralität gegenüber dem Landesamt nicht ausreichend klar ist. Die Aushänge in Neumünster, die wir in der Kaserne sahen, weisen auch überhaupt nicht auf die Unabhängigkeit der Beratung hin.

Das Landesamt verteilt abgelehnte Flüchtlinge aus zehn Herkunftsländern bis zum Abschluss des Asylverfahrens überhaupt nicht mehr auf die Kreise, alle anderen werden später als in den letzten Jahren verteilt. Mussten sie sich vor zwei Jahren noch auf eine Verweilzeit von höchstens einem Jahr in der Kaserne (Lübeck & Neumünster) einstellen, lautet die Regel jetzt: mindestens ein Jahr. Das dient dazu, die nicht eben billigen Kapazitäten auch auszulasten, aber die dortige Vollverpflegung sorgt auch dafür, dass eben keine Sozialhilfe ausgezahlt wird. Nur Flüchtlinge, die zahlungskräftige Verwandte in Deutschland haben, können sich Anwälte nehmen.

Die neuen Regelungen des Landesamtes, Flüchtlinge länger in der Kaserne zu halten, verringern also auch deren Chancen, das Asylverfahren erfolgreich zu bestehen.

Organisation der Ausreise in Neumünster

Gespräche mit Flüchtlingen in Neumünster

Das Landesamt ist auch für die Organisation der Ausreise von abgelehnten Flüchtlingen zuständig, die nicht auf die Kreise verteilt sind. Nach der Verteilung kann das Landesamt die Organisation im Auftrag der Ausländerbehörden übernehmen.

Hier steht das Landesamt schon lange Zeit in der Kritik, insbesondere weil es den Ausländerbehörden keine klaren Antworten gibt bei Betroffenen, die nicht abgeschoben werden können. Leider war das Landesamt bei unserem Besuch nicht bereit, Fragen dazu zu beantworten - weil es in diesen Fällen eben im Auftrag von Ausländerbehörden handelt, sind diese für das Verfahren und damit auch für die Informationen darüber zuständig. Betroffene berichten landauf landab, die Auskunft der Ausländerbehörde lautet: Das Landesamt hat seit über einem Jahr nicht beantwortet. Klar ist natürlich, dass sich diejenigen Betroffenen beschweren, die solche hinhaltenden Auskünfte kriegen. In Fällen, in denen das Landesamt schnell arbeitet, wendet sich niemand an eine Beratungsstelle.

Gespräche mit Flüchtlingen in Neumünster

Die neue "Sammelunterkunft für Ausreisepflichtige" wurde uns gegenüber vom Landesamt als unproblematisch dargestellt, insbesondere weil nur zehn Personen landesweit nach Neumünster umverteilt worden wären. Außerdem existiere diese Einrichtung noch nicht so lange, um schon Erfahrungen verallgemeinern zu können.

Stichwort "Zurückgehende Flüchtlingszahlen"

Die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen und Asyl beantragen, geht seit Jahren zurück. Das hat mehrere Gründe:

Die Hauptherkunftsländer früher Jahre, also Bosnien, Kosovo, Afghanistan und Irak sind von NATO-Truppen besetzt worden. Das schränkt die Chancen im Asylverfahren drastisch ein, weil nach den deutschen Asylregelungen militärische Besatzungen grundsätzlich nicht als "Verfolger" im Sinne des Gesetzes gelten.

Die Vernetzung der europäischen Länder ist fortgeschritten. Deshalb kann Deutschland Flüchtlinge leichter in Länder zurückschicken, die von den Betroffenen schon mal betreten wurden. Mit der Osterweiterung der EU sind die Haupttransitländer jetzt im Datenverbund. Ebenso sind die Grenzkontrollen erheblich verschärft worden, auch mit technischen Mitteln.

Von den Flüchtlingen, die Deutschland erreichen, werden ein Drittel in diese Transitländer zurückgeschoben, während vor Jahren noch der Asylantrag hier bearbeitet wurde.

Die Zahl der Flüchtlinge auf der Welt ist kaum zurückgegangen. Es gibt nur viel weniger Flüchtlinge, die es bis nach Deutschland schaffen und auch hier einen Asylantrag stellen dürfen.

Flüchtlingsversammlungen

Wie in den letzten Jahren luden wir die Flüchtlinge in Lübeck und Neumünster zu Versammlungen ein, wobei dort jeweils zehn DolmetscherInnen kleine Gruppen um sich versammelten. Insgesamt nahmen rund 120 Flüchtlinge teil, darunter erstmals auch welche, die bereits vor einem Jahr dagewesen waren. Insbesondere sie beklagten sich darüber, unsere Besuche würden nichts nützen, weil die Landesregierung nach unserem Besuch nichts verändert habe.

Die wichtigsten Beschwerden betrafen die Perspektivlosigkeit: Asylantrag abgelehnt, Gerichtsverfahren noch nicht in Sicht und die Dauer des Aufenthaltes in der Kaserne unbestimmt. Diese Situation, in der nichts passiert, wird allgemein als sehr belastend empfunden.

Die hygienischen Verhältnisse wurden ebenfalls kritisiert, die Verantwortung dafür aber im Wesentlichen den BewohnerInnen zugewiesen. So wurde beklagt, dass wenig Reinungsmittel ausgegeben werden, allerdings zugestanden, dass ausgegebene Reinigungsmittel von frustrierten Flüchtlingen mutwillig ausgekippt werden.

Sehr viele Klagen gab es darüber, dass bei Toiletten und Duschen die Geschlechtertrennung nicht funktioniert. Selbst wenn es periodisch Beschriftungen gibt, würden diese ignoriert. Alleinstehende Frauen sind nach wie vor gezwungen, sich "Beschützer" zu suchen, wenn sie alleine duschen wollen.

Für Zerstörungen von Duschen und WCs sind nach einheitlicher Auffassung Mitbewohnern verantwortlich, die oft monatelange Wartezeit auf Reparaturen bestraft aber alle. Generell sind aber die Kasernen noch immer aus Soldaten eingerichtet, Frauen und Kinder sind bei der Anlage einfach nicht vorgesehen worden, das ist täglich spürbar.

Vielen fehlt eine Sprachmittlung, besonders beim ärztlichen Dienst. In Lübeck zeigten sich alle Russischsprachigen zufrieden, in Neumünster waren alle unzufrieden.

Insgesamt scheint es so zu sein, dass die geringere Belegung der Kasernen dafür sorgt, dass das Zusammenleben inzwischen ohne große Gewaltausbrüche funktioniert, die vor einigen Jahren periodisch für Polizeieinsätze sorgten (was die heutigen BewohnerInnen nicht wissen). Der längere Aufenthalt in den Großunterkünften macht allerdings die Lebensbedingungen ("deutsches" Essen, Lärm, fehlende Sprachmittlung) viel schwerer erträglich. Da das Landesamt aber auf die Kreise umverteilt, wenn neue Flüchtlinge eintreffen, gehört diese Unsicherheit über die Aufenthaltsdauer notwendigerweise zum System.

Ohne Perspektive?

Alle TeilnehmerInnen unserer Versammlungen betonten, dass die Perspektivlosigkeit am schlimmsten wäre. Wer anerkannt wird, verlässt die Unterkunft - an unseren Versammlungen nehmen ausschließlich abgelehnte Flüchtlinge teil. Ihnen wird vom Landesamt unmissverständlich und teilweise auch deutlicher als gewünscht gesagt, es gebe für sie überhaupt keine Perspektive in Deutschland, sie sollten sich um Papiere für die Heimreise oder die Abschiebung kümmern.

Klar ist: Das Gesetz schreibt eine Unterkunft pro Bundesland mit mindestens 500 Plätzen vor. Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern benutzen gemeinsam die gleiche Unterkunft. Schleswig-Holstein hat sich entschlossen, zwei Großunterkünfte vorzuhalten, die jetzt im Zeichen zurückgehender Flüchtlingszahlen durch eine Verlängerung der Aufenthaltsdauer ausgelastet werden. Das ist eine politische Entscheidung.

Reinhard Pohl

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