(Gegenwind 217, Oktober 2006)
Im Sommer 2006 wurde das Studierendenparlament (StuPa) und der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Kieler Christian-Albrechts-Universität neu gewählt. Wir sprachen mit den beiden neuen Vorsitzenden des AStA.
Gegenwind:
Könnt ihr euch vorstellen?
Friederike Pokatis:
Ich heiße Friederike Pokatis, bin 21 Jahre alt, studiere Geschichte, Philosophie und Literaturwissenschaften und bin seit zwei Jahren in der Hochschulpolitik tätig, zunächst in der Grünen Hochschulgruppe, und jetzt auch als AStA-Vorsitzende.
Benjamin Raschke:
Ich heiße Benjamin Raschke, bin auch 21 Jahre alt und in der Juso-Hochschulgruppe. Ich studiere Informatik, Politische Wissenschaft und Philosophie. Ich war bisher schon Referent für Hochschulpolitik und bin in den Vorstand gewechselt.
Gegenwind:
Was waren im Wahlkampf die wichtigsten Themen, und was war eure Position dazu?
Friederike Pokatis:
Der wichtigste Punkt waren, sind und bleiben die Studiengebühren, gegen die wir protestieren. Außerdem ging es um den Universitätsrat und ganz allgemein die Hochschulverfassung im neuen Hochschulgesetz.
Gegenwind:
Gab es auch die Position für Studiengebühren? Wie haben die Gruppen bei den Wahlen abgeschnitten?
Benjamin Raschke:
Für Studiengebühren haben sich Junge Union (JU), Liberale Hochschulgruppe (LHG) und RCDS ausgesprochen und die haben an Stimmen und Sitzen verloren.
Wahlberechtigte Studentinnen und Studenten: 20.200
Abgegebene Stimmen: 4.632 (ungültig: 49)
Wahlbeteiligung: 22,93 % (2005: 12,09 %)
Stimmen | Anteil | Sitze 2006 | (2005) | |
Grüne HSG | 1151 | 25,11 % | 6 | (5) |
Juso-HSG | 1066 | 23,26 % | 5 | (5) |
Fachschaftsliste HSG | 731 | 15,95 % | 3 | (3) |
JU-HSG | 495 | 10,80 % | 2 | (3) |
Liberale Hochschulgruppe | 304 | 6,63 % | 1 | (2) |
PPMS (Psychologie-Physik-Meereskunde-Stimme) | 257 | 5,61 % | 1 | (-) |
Die Linke HSG | 247 | 5,39 % | 1 | (-) |
RCDS | 177 | 3,86 % | 1 | (1) |
Buena Vista Uni Club | 155 | 3,38 % | 1 | (1) |
Gegenwind:
Welchen Anteil hat die Diskussion um die Studiengebühren an eurer Arbeit?
Benjamin Raschke:
Derzeit können wir nicht viel tun. Wir sind natürlich noch im Kampf gegen die Studiengebühren engagiert und führen Gespräche und so weiter. Da das Projekt Austermanns aber im Moment "auf Eis liegt", müssen wir abwarten. Jetzt ist das große Thema der Universitätsrat, und da sind wir intensiv dabei. Wir arbeiten landesweit und lokal, versuchen zum Beispiel die Stadt Kiel zu einer Stellungnahme zu bewegen, und. Wegen der Studiengebühren treffen wir uns regelmäßig im Aktionsbündnis. Denn im neuen Hochschulgesetz wurde jetzt eine kleine Gemeinheit eingebaut. Danach gibt es zunächst keine Studiengebühren, aber Verwaltungskostenbeiträge. Das wären nicht 500 Euro pro Semester, aber doch bis zu 100 Euro Gebühren für die Einschreibung oder Rückmeldung. Das wollen wir natürlich auch nicht. Das wäre prinzipiell das gleiche wie Studiengebühren.
Gegenwind:
Fragen wir mal die Grüne: In der großen Koalition im Land ist die CDU für Studiengebühren, die SPD dagegen. Kann man sich auf die SPD verlassen?
Friederike Pokatis:
Verlassen würde ich mich grundsätzlich auf niemanden. Dann müssten wir nichts mehr tun und nicht mehr auf die Straße gehen. Ich hoffe natürlich, dass die SPD die Studiengebühren verhindert, aber das ist Spekulation. Letztendlich wird sich eine der beiden Extrempositionen durchsetzen und es kommt nur darauf an, wer länger durchhält. Da können die Jusos Einfluss nehmen auf die Standhaftigkeit der SPD, prophezeihen kann ich nichts.
Benjamin Raschke:
Vom AStA aus versuchen wir, den SPD-Vertretern so oft auf die Füße zu treten, damit sie wissen, dass jede Bewegung in Richtung Studiengebühren ihnen gehörig weh tun wird. Sie müssen wissen, dass wir in dieser Sache keine Kompromisse eingehen und kein Blatt vor den Mund nehmen werden.. Wir kritisieren es, dass die SPD es nicht geschafft hat, das Verbot der Studiengebühren im Entwurf des neuen Hochschulgesetzes zu halten. Denn im Kabinett wird diese Fassung ohne das Verbot vermutlich abgesegnet und auch von den SPD-MinisterInnen unterschrieben.
Gegenwind:
Die Befürworter der Studiengebühren sagen ja, wer studiert, bekommt hinterher einen guten Job. Warum soll sie oder er nicht für die Ausbildung bezahlen?
Friederike Pokatis:
Das ist so nicht korrekt. Längst nicht jede Studentin oder jeder Student hat nach dem Studium einen guten Job. Das Risiko, dass man kein festes Einkommen hat, ist da und es ist relativ groß. Außerdem sind Gebühren abschreckend für Menschen, die das Geld nicht schon vor dem Studium haben. Geld ausgeben zu müssen, schon bevor man es verdient hat, ist ein sehr unsicherer Start ins Leben. Es wird schwieriger sein, sich hinterher etwas aufzubauen, wenn man mit einem Schuldenberg dasitzt. Und wie will man dann mit den Schulden eine Familie gründen? Das sollen wir ja auch noch tun.
Gegenwind:
Gibt es Erfahrungen aus anderen Bundesländern? Ändert sich die Struktur der Studentenschaft, wenn die Studiengebühren eingeführt werden?
Benjamin Raschke:
Es gibt eine Sozialerhebung vom Deutschen Studentenwerk aus dem Jahre 2003, also vor Einführung der ersten Studiengebühren. Allein die Diskussion um Studiengebühren hat dazu geführt, dass diejenigen aus den finanziell schwächsten Bevölkerungsgruppen noch weniger als bisher bereit waren zu studieren. So werden immer mehr Abiturienten in Ausbildungsberufe gedrängt, obwohl klar ist, dass wir mehr Studierende brauchen. Aber in finanziell schwächeren Gruppen sagt man sich dann, damit kann ich auch was werden und muss wenigstens nichts bezahlen.
Gegenwind:
Wissenschaftsminister Austermann hat ja angekündigt, das Thema Studiengebühren im Herbst erneut aufzugreifen. Rechnet ihr damit, dass noch in euer einjährigen Amtszeit was passiert?
Benjamin Raschke:
Austermann hat ein sehr starkes Interesse daran. Er hat ja publiziert, dass rund 35 Millionen Euro eingenommen werden sollen. Jedes Semester ohne Studiengebühren geht ihm das Geld verloren. Hoffentlich wird es nicht zum Sommersemester 2007 klappen, wie er es geplant hat, aber er wird versuchen, sie so schnell wie möglich einzuführen.
Gegenwind:
Wie weit könnt ihr denn StudentInnen mobilisieren? Wie viele sind von Studiengebühren betroffen, wie viele kommen zu Demonstrationen?
Friederike Pokatis:
Das ist schwierig zu beantworten. Es ist offensichtlich, dass bei den Demonstrationen nicht alle Studierenden da sind. Für diejenigen, die mit Studentinnen und Studenten zu tun haben, ist aber klar, dass auch viele, die gegen Studiengebühren sind, zu Demonstrationen nicht kommen. Das Studierende, die nicht demonstrieren, für Gebühren sind, ist nicht wahr. Bei vielen ist das wie bei den StuPa-Wahlen, sie glauben leider nicht an ihren eigenen Einfluss.
Benjamin Raschke:
Im Bundesvergleich schneiden wir sogar gut ab. Im letzten Semester hatten wir eine Demo aller Kieler ASten mit ungefähr 2500 Teilnehmerinnen und Teilnehmern von den insgesamt 27.000 Studierenden in Kiel - da war die Mobilisierung schon beachtlich und Das war zu einem Zeitpunkt, als die Studiengebührenproblematik noch nicht so stark in den Medien war.
Gegenwind:
Ein weiteres großes Thema ist das neue Hochschulgesetz. Was sind die wesentlichen Punkte und eure Position dazu?
Benjamin Raschke:
Was grundsätzlich abzulehnen ist, ist das Konzept des Hochschulrates. Damit werden die Kompetenzen vom Ministerium, z.B. die Finanzmittelvergabe, oder von der Hochschule auf ein neues Gremium verlagert. Dabei ist der Hochschulrat ist demokratisch nur schwach legitimiert. Die Vertreter werden vom Senat einmal nominiert, vom Ministerium bestätigt, und dann sind sie ohne Aufsicht. Der Legitimationsweg, der für den normalen Bürger über das Ministerium ein ziemlich direkter war, ist dort ziemlich verschwommen. Davon abgesehen kritisieren wir ja schon seit Jahrzehnten, dass der Senat nicht demokratisch aufgebaut ist, weil da die Professoren, die die kleinste Gruppe an der Uni stellen, die Stimmenmehrheit haben.
Gegenwind:
Wie sieht es mit der Autonomie der Hochschulen aus?
Benjamin Raschke:
Der an sich externe Hochschulrat wird viele Kompetenzen der Hochschulen übernehmen. Noch schlimmer wird das dann mit dem Universitätsrat, der ja ein spezieller Hochschulrat ist. Dort werden alle drei Universitäten zusammengefasst, also die aus Lübeck, Flensburg und Kiel, und unabhängig davon, welche Ausrichtung diese Universitäten haben, welche Größe sie haben, hat jede Uni zwei der sechs Sitze dort. Das ist noch eine undemokratische Erweiterung des Ganzen, so kann das nicht gehen. Darüber hinaus sind einige zweifelhafte Formulierungen im Gesetz. Die Leute aus dem Universitätsrat sollen nicht mehr abgewählt werden können, theoretisch kann dann ein Schwerverbrecher, einmal in den Universitätsrat gewählt, als Gefängnisinsasse immer noch im Universitätsrat sitzen.
Gegenwind:
Du hattest schon die studentische Mitbestimmung angesprochen ...
Benjamin Raschke:
... die drastisch eingeschränkt. Jetzt haben wir ja im Konsistorium die Drittelparität zwischen Professoren, Studierenden und Angestellten, dort können wir über die Verfassung mit entscheiden, und wir können den Rektor bzw. Präsidenten mit wählen. Wenn das Konsistorium abgeschafft wird, haben wir einzig die vier von 23 Stimmen im Senat. Wir sind dagegen, wir sind für ein Modell, dass die Fachhochschule mal vorgeschlagen hat. Das wäre ein Senat mit zwei Ebenen. In der oberen Ebene hätten die Professoren die Mehrheit, wie jetzt, 12 von 23 Mitgliedern sind Professoren, dieses Gremium wäre für die Prüfungsangelegenheiten zuständig. Laut Bundesverfassungsgericht muss das auch so sein, dass die Professoren da die Mehrheit haben. Aber dann sollte es den erweiterten Senat geben, der über die Verfassung abstimmt, über hochschulweite Fragen, die Wahl des Präsidenten: hier hätten dann alle drei Gruppen jeweils zwölf Vertreterinnen oder Vertreter.
Gegenwind:
Wissenschaftsminister Austermann sagt, dem Konsistorium weint sowieso niemand nach. Ist das so?
Friederike Pokatis:
Nein. Das ist doch Blödsinn. Davon kann nicht die Rede sein, weil nicht nur ein Gremium ersetzt wird, sondern die ganze Struktur geändert wird. Es ist die Mitbestimmung der Studierenden, die einfach gestrichen wird. Und der wird sehr wohl nachgeweint. Ob das Konsistorium heißt oder erweiterter Senat, ist fast egal, aber es geht um die studentische Mitbestimmung und die Autonomie der Universität, die dabei verloren gehen.
Gegenwind:
Unser Wissenschaftsminister ist ja seit 1968 gegen die Mitbestimmung der Studentenschaft. Schafft er es jetzt, das Rad zurückzudrehen?
Friederike Pokatis:
Nein, noch hat er gar nichts geschafft. Noch sitzen wir hier, und noch bestimmen wir mit, und das werden wir uns auch nicht nehmen lassen.
Gegenwind:
Wenn nur 22 Prozent der Studentenschaft zu den Wahlen gehen und 78 Prozent nicht, wie ist dann die AStA-Vorsitzende legitimiert, die Mitbestimmung der Studentenschaft zu fordern?
Friederike Pokatis:
Nur weil ein Recht nicht wahrgenommen wird, verliert es nicht seine Gültigkeit. Wie ich schon vorhin gesagt habe, glauben viele, dass es auch ohne ihre Stimme läuft. Sie machen sich nicht bewusst, dass der AStA für vieles, das sie im Alltag nutzen, arbeitet. Ich sehe mich durch das alltägliche Feedback der Studierenden sehr wohl legitimiert.
Gegenwind:
Welche anderen Punkte kritisiert Ihr am Entwurf des Hochschulgesetzes?
Benjamin Raschke:
Es soll eine weitere Gruppe der Mitarbeiter geschaffen werden, die Gruppe der wissenschaftlichen Hilfskräfte. Da ist unsere Befürchtung - die auch der DGB teilt -, dass hier eine Gruppe geschaffen wird, die zu Dumpinglöhnen arbeiten soll. Es sieht so aus, dass wer hier seinen Master gemacht hat und ein bisschen weiter an der Uni arbeiten möchte, nicht so weiterarbeiten kann wie bisher als wissenschaftlicher Mitarbeiter, sondern als wissenschaftliche Hilfskraft. Das ist dann unter Tarif vergütet. Und das soll womöglich auf die Verwaltung ausgedehnt werden, sodass junge Menschen, die ihre Doktorarbeit schreiben wollen, aufgrund der schwierigen Arbeitsmarktlage dazu gezwungen sind, sich an der Uni als Bürohilfskraft zu verdingen. Auf Kosten dieser Leute, die sowieso kaum Geld haben, soll der Haushalt saniert werden! Dann kritisieren wir die Änderungen bei der Gleichstellungspolitik. Die ehemalige Frauenbeauftragte soll Gleichstellungsbeauftragte werden und die Kompetenzen werden sehr stark beschnitten. Bisher war es so, wenn Gremien gleichstellungsrelevante Themen besprochen haben, auf Uniebene oder bei einem Fakultätskonvent, musste die Frauenbeauftragte angehört werden. Jetzt ist die Bringschuld bei der Beauftragten selbst, die soll in Zukunft in alle möglichen Gremien hineinhorchen, ob sie irgendwo irgendwas findet. Das ist für nur eine Festangestellte nicht machbar. Auch die Mittelvergabe unter Gleichstellungsgesichtspunkten wird gestrichen. Das sind zum Beispiel ein paar weitere Punkte, die wir kritisieren.
Interview: Reinhard Pohl