(Gegenwind 206, November 2005)
Der Trend ist klar - (nicht nur in) Norderstedt verfolgt die Jugendpolitik nicht mehr vorrangig pädagogische Ansätze, sondern zunehmend ordnungspolitische. Alle Norderstedter Schulen (selbst die Grundschulen) dürfen seit neuestem eine haus-eigene Polizistin oder einen Polizisten ihr eigen nennen. Während ErziehungswissenschaftlerInnen nicht erst seit der Pisa-Studie eine intensivere pädagogische und psychologische Betreuung der SchülerInnen fordern, und dies in anderen europäischen Ländern längst zum Standard gehört, setzt Norderstedt auf Law and order.
Anfang September berichtete die Norderstedter Zeitung in einem seitenfüllenden Artikel über die Arbeit einer Hauptkommissarin, die neuerdings die Betreuung der Realschule Fadens Tannen zu ihrem Aufgabengebiet zählen darf. Norderstedt, wurde den LeserInnen vermittelt, tut was gegen Jugendkriminalität. Nicht nur Uniformierte an jeder Schule, wie wir es sonst nur aus US-amerikanischen Spielfilmsequenzen gewöhnt sind, nein, auch der Kriminalpräventive Rat der Stadt engagiere sich ganz vorbildlich dafür, Norderstedt sicher zu machen.
Und das ist auch dringend nötig, wenn mensch den Veröffentlichungen des Kriminalpräventiven Rates Glauben schenken will. Auch wenn die Kriminalstatsitik für den Kreis Segeberg im Zehn-Jahres-Vergleich stabil bleibt und in der diesjährig erschienenen Veröffentlichung sogar einen Rückgang von 7 Prozent aufzuweisen hat, auch wenn die Jugendkriminalität laut Statistik im Kreis von 38,4 Prozent im Jahr 2001 auf 29,6 Prozent im vergangenen Jahr gesunken ist, missioniert der präventive Rat mit der Aussage, wir lebten "in einer Welt zunehmender Kriminalität". Ach so. Und so ein paar repressive Maßnahmen können nicht schaden, denken sich wohl die Hobbypädagogen des Kriminalpräventiven Rates unter der Schirmherrschaft von Oberbürgermeister Grote. Schon gar nicht in einer Stadt, in der die Jugendarbeit dank umfangreicher Sparmaßnahmen auf dem absteigenden Ast ist.
"Gründe für (...) Straftaten sind meistens Langeweile und Wut: Die Jugendlichen wissen oft nichts mit sich anzufangen", analysiert die Norderstedter Zeitung in ihrem Artikel über PolizistInnen in der Schule nicht gerade tiefsinnig und fragt nach: "Resultiert dies aus den mangelnden Freizeitangeboten in Norderstedt?" Schon lustig, auch auf den Homepageseiten des Kriminalpräventiven Rates findet sich die Erkenntnis, dass "Jugendliche einfach so rumhängen", was nicht gut sein kann, aber die Jungs vom Kriminalpräventiven Rat, allen voran OB Grote "tun was dagegen". Lustig deshalb, weil Grote eben nicht nur Schirmherr des Präventivrates ist, sondern zudem auch der größte Initiator der Kürzungen im Jugendbereich. Wenn jemand in Norderstedt dafür sorgt, dass Räume für Jugendliche weniger werden, und Jugendliche "rumhängen" müssen, dann ist dies Hans Joachim Grote. Das Jugendkulturcafé war erst der Anfang. Das Norderstedter Jugendkonzept verdeutlicht sich immer mehr: Freizeitangebote und pädagogische Begleitung wird weggekürzt, dafür aber Repression und Überwachung ausgebaut.
Initiativen wie der Kriminalpräventive Rat sind in den letzten Jahren in zahlreichen Städten und Gemeinden entstanden. Bereits vor zehn Jahren wurden die Kommunen durch einen Beschluss des Landes dazu aufgefordert, Gremien zur Verbrechensverhütung ins Leben zu rufen. In einem von der Landesregierung initiierten Papier, welches Hinweise gibt zur inhaltlichen Ausrichtung, Konzeption und Struktur solcher Gremien, wird eindeutig gewarnt: "Wenn sich kommunale Präventionsräte ausschließlich mit dem Thema »Jugendkriminalität« befassen, engen sie sich selber zu sehr ein, werden der tatsächlichen Kriminalitätslage selten gerecht, (...) und kriminalisieren die Jugend insgesamt in unzulässiger Weise..."
Tja, diesen Teil müssen die Verantwortlichen vom Kriminalpräventiven Rat in Norderstedt offensichtlich überlesen haben, oder wie kommt es sonst dazu, dass ausgerechnet Herr Struckmann, Leiter des Amtes für Junge Leute in Norderstedt, zuständig ist für den aktuell ausliegenden Fragebogen: "Sicherheit in Norderstedt". "Das ist Zufall", begründet Herr Banse von der Kriminalpolizei in Norderstedt und Mitarbeiter des Rates leichthin. Ist es auch Zufall, dass sich die Homepageverlinkung des Kriminalpräventives Rates auf der offiziellen Internetseite der Stadt Norderstedt lediglich unter dem Begriff "Jugend" anklicken lässt? Und dass sich die Themenschwerpunkte des Rates fast ausschließlich um Jugendkriminalität drehen? Häusliche Gewalt, rassistische Übergriffe, sexualisierte Gewalt oder auch das leidige Thema der Fahrraddiebstähle bleiben gänzlich unerwähnt. Dafür aber - mensch ahnt es schon - eine ausführliche Auseinandersetzung mit den "Gefahren" der Graffitischmierereien.
Aber zurück zu der netten Hauptkommissarin an der Realschule Fadens Tannen: Was genau tut eine uniformierte Beamtin denn so im Schulalltag? Drogenrazzien? Ermittlungen auf dem Schulklo? Natürlich nicht... Dazu die Hauptkommissarin in der Norderstedter Zeitung zu ihren Aufgaben: "Den Schülern bei jeder Frage zur Seite stehen." Ein seelsorgerisches Konzept also? Schön wär's... Vielmehr handelt es sich dabei um eine "Missachtung der pädagogischen Idee", wie Sabine Duggen, Sprecherin der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) des Kreises Segeberg vermutet. "Polizeipräsenz geht in die Richtung einer Kriminalisierung der gesamten Schülerschaft."
Nach ihrer Erfahrung ist es nicht die Gewaltbereitschaft der SchülerInnen, die in den letzten Jahren erstarkt wäre, aber es gibt in den Bildungseinrichtungen unter den PädagogInnen eine zunehmende Sensibilisierung und Auseinandersetzung mit diesem Thema. Konzepte zur Konfliktbewältigung und zum Umgang mit Gewalt gehören längst zum Selbstverständnis der meisten Schulen. Schlichtungsgruppen, "Inselstunden" und Klassengespräche - und Projekte zu diesem Thema helfen vielerorts, die Solidariät unter den SchülerInnen zu stärken und Ausgrenzungen zu vermeiden.
Diese positiven Tendenzen werden allerdings durch die unzureichende finanzielle und personelle Ausstattung der Schulen bundesweit torpediert. In den letzten Wochen war in den Medien immer wieder vom zunehmenden LehrerInnenmangel die Rede.
Seit Jahrzehnten fordert die GEW eine institutionalisierte Schulsozialarbeit, wie sie sich Deutschland im Gegensatz zu den europäischen Nachbarländern nach wie vor nicht leisten will. Immer noch fehlen in Deutschland PsychologInnen und PädagogInnen die den SchülerInnen bei persönlichen Problemen, Schulsorgen, Ärger mit den Eltern etc. zur Seite stehen und die bei Konflikten, Auffälligkeiten, struktureller Gewalt usw. adäquate fachliche Hilfen anbieten können. "Den Schülern bei jeder Frage zur Seite stehen...", wie es die Hauptkommissarin formuliert, ein löbliches Ziel, aber nicht gerade eines, welches sich mit den Kompetenzen und Ausbildungsinhalten eines Polizisten/einer Polizistin deckt.
"In der Fachdiskussion besteht eine hohe Übereinstimmung hinsichtlich der Mindeststandards für Schulsozialarbeit. Dennoch ist Schulsozialarbeit an vielen Orten immer noch unzureichend ausgestattet", kritisiert die GEW in einem im letzten Jahr erschienenen Positionspapier. Die Einrichtung von Schulsozialarbeit ist Aufgabe der Kommunen, die dieser Forderung nur in seltenen Fällen nachkommen. Was fehlt, sind nicht PolizistInnen, die wieder zur Schule gehen, sondern ausreichendes pädagogisches Personal in den Schulen, welches durch bezahlbare Fortbildungen gut geschult ist für Konfliktintervention, und welches neben der Wissensvermittlung Zeit hat für Einzelgespräche, für die Zusammenarbeit mit Eltern und Jugendhilfe. Bildungs- und Jugendpolitik muss weiterhin ein pädagogisches und nicht ein ordnungspolitisches Aufgabenfeld bleiben.
Matilda Nyman
Quellen: Norderstedter Zeitung, Kriminalstatistik Kreis Segeberg, GEW-Homepage