(Gegenwind 205, Oktober 2005)
Gegenwind:
Seit vier Monaten haben wir eine Regierung aus CDU und SPD. Es gab ja zwei Koalitionsverträge, die schnell hintereinander verhandelt und unterschrieben wurden. Wart ihr überrascht, wie wendig einige Kolleginnen und Kollegen im Landtag sind?
Anke Spoorendonk:
Wir waren schon etwas überrascht, wie schmerzlos dieser Übergang war. Nach meinem Eindruck hat sich die SPD jetzt in der großen Koalition zurechtgefunden. Manchmal wirkt es auch so, als gäbe es Kollegen, die recht froh darüber sind, dass sie sich jetzt ein bisschen zurücklehnen können. Wenn man sich die 120 Tage große Koalition insgesamt ansieht, dann ist es dem Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen vorerst gelungen, seinen Laden zusammen zu halten. Er versucht zu integrieren, und das halten wir ihm auch zu Gute. Mit diesem Ansatz hält er diejenigen zurück, für die das eigene Ego größer ist als die Gemeinsamkeit in der Regierung. Es wird sich zeigen, wie sich das weiter entwickelt. Aber wir haben jetzt diese erste Phase gehabt, mit öffentlichen Auftritten, Ankündigungen und Präsenz. Jetzt fängt die Arbeitsphase an. Wir haben die erste Lesung des Haushalts 2006 gehabt und den Nachtragshaushalt. Jetzt wird man nicht weitermachen wie bisher, wo ja alles ein bisschen Friede - Freude - Eierkuchen gewesen ist.
Lars Harms:
Du hast ja beide Koalitionsverträge angesprochen. Da ist festzustellen, dass der erste Koalitionsvertrag mitsamt Tolerierungsvertrag natürlich der bessere war. Das ist jetzt auch in der Politik regelmäßig zu sehen. Was beim politischen Handeln herauskommt, ist windelweich. Auch in Anträgen finden wir keine klaren Formulierungen von politischen Parteien, die sich im Ziel einig sind, sondern weiche Formulierungen, die noch alle Diskussionsmöglichkeiten für die nächsten Jahre offen lassen. So handelt die Regierung jetzt auch. Die Regierung agiert selbständig, ohne die sie stützenden Fraktionen im Parlament. Die 59 Herrschaften unterhalten sich miteinander und schmieden große Kompromisse, aber am Ende kommt nichts dabei raus. Das führt dazu, dass die Kontrolle, die man auch als regierungstragende Fraktion auszuführen hat, nicht funktioniert. Kontrollieren tun zur Zeit nur die drei Kleinen.
Gegenwind:
Was ist denn von der Diskussion über die Tolerierung übrig geblieben? Damals hörten wir, die Dänen sollten sich nicht einmischen, wie wir Deutsche regiert werden. Andererseits bekam der SSW dann auch volles Stimmrecht in den Ausschüssen, das ist ihm jetzt wieder weggenommen worden. Wie wirkt sich das Hin und Her jetzt aus?
Anke Spoorendonk:
Wir sehen im Landtag, dass die gute Stimmung zurückgekehrt ist. Der SSW spielt im Moment keine entscheidende Rolle, jetzt liebt man uns wieder. Gleichwohl rechne ich es dem neuen Landtagspräsidenten Martin Kayenburg hoch an, dass er sofort nach seiner Wahl die Minderheiten besucht hat. Er hat bei verschiedenen öffentlichen Veranstaltungen nicht nur deutlich gemacht, dass Minderheitenpolitik weiterhin ein Kernbereich schleswig-holsteinischer Politik ist. Er hat auch unterstrichen, dass der SSW ein vollgültiges politisches Mandat hat, und dass nach der Landtagswahl Dinge gesagt wurden, die Entgleisungen waren und die jetzt immer noch ein bisschen im Raum stehen. Das rechnen wir ihm wirklich hoch an. Auch der Ministerpräsident hat deutlich gemacht, dass Minderheitenpolitik weiterhin für Schleswig-Holstein ein wesentlicher Politikbereich ist, das sagte er erst gestern am 1. September bei der Haushaltsdebatte. Solche Aussagen sind gefallen, aber es gibt auch weiterhin eine unterschwellige Diskussion über die Befreiung des SSW von der 5-Prozent-Klausel, da ist jetzt nur erst mal ein Deckel drauf gekommen.
Gegenwind:
Und die Arbeit im Ausschuss ohne Stimmrecht? Gibt es auch Erleichterung, dass man jetzt doch nicht jahrelang in der Verantwortung steht?
Lars Harms:
Erleichterung gibt es nicht. Wir haben uns ja bewusst dafür entschieden. Wir haben schon vor der Wahl gesagt: Wenn es darauf ankommt, dass man unsere Stimmen für eine Regierungsbildung benötigt, dann stehen wir bereit. Wir wollten mit regieren durch tolerieren. Sonst brauche ich nicht an den Wahlen teilzunehmen, wenn ich nichts erreichen will. Was die Ausschusssitze angeht, ist es schon merkwürdig: Wenn es in die politische Situation passt, dann kriegt man die Ausschusssitze, und wenn es einem nicht passt, werden die Sitze zurückgezogen. Besonders merkwürdig ist das bei einer großen Koalition, die in den Ausschüssen eigentlich neben zwei Oppositionellen von FDP und Grünen mit Grundmandat auch noch einen SSW'ler mit Grundmandat ertragen könnte. Okay, ich nehme das so hin, aber ich denke, ein bisschen lockerer hätten die damit umgehen können. Das tun sie aber nicht, also machen wir unsere Arbeit weiter wie vorher. Wir haben immer die Ausschüsse nicht nur besucht, sondern mitgearbeitet. Wir haben dort auch Anträge gestellt und mit diskutiert. Außer dass wir kein Stimmrecht haben, sind wir dort immer als quasi vollgültige Mitglieder mit gelaufen und haben alles mitgemacht, das bleibt dabei. Es bereichert die Ausschussarbeit, wenn ab und zu ein vernünftiger Vorschlag vom SSW kommt, und der kommt oft genug.
Anke Spoorendonk:
Ich finde, man darf nicht vergessen: Wir wollten keine "Lex SSW". So ist es auch nicht gekommen. Was wir letztlich akzeptiert haben, ist eine Stärkung der Rechte des einzelnen Abgeordneten. Weder FDP noch die Grünen wären in den Ausschüssen vertreten, wenn es kein Grundmandat gäbe. Alle Fraktionen haben ein Grundmandat. Der SSW hat die gleichen Rechte wie eine Fraktion im Landtag, so steht es in der Geschäftsordnung, und das müsste sich in der Ausschussarbeit widerspiegeln. Wir haben eine Regelung akzeptiert, die unabhängig von der konkreten Situation hätte Bestand haben können. Und, wie Lars sagt, gerade die große Koalition hätte Grund gehabt, die Rechte der Opposition zu stärken. Das haben die beiden Großen so nicht gesehen, und von daher finde ich, dass sie in dieser Sache in ganz, ganz kleinen Schuhen gelaufen sind.
Gegenwind:
Gibt es denn jetzt eine Politik oder gibt es nur kein Geld?
Anke Spoorendonk:
Das ist eine ganz zentrale Frage. Es ist im Moment schwierig zu antworten. Ich sehe, dass man sich in erster Linie einig ist, dass gespart werden muss. Das ist im Moment die zentrale Botschaft der Politik. Davon ausgehend wird argumentiert, dass es unseren Kindern und Enkelkindern gegenüber nicht zumutbar ist, sie mit diesen Schulden zu belasten. Das ist natürlich auch richtig, das sieht der SSW auch so. Wir treten ja auch für die Haushaltskonsolidierung ein. Wir sehen aber im Moment keine Politik aus einem Guss. Das, worauf man sich einigt, ist das Sparen. Mit dem Gestalten und der Politik ist es im Moment eher vage.
Gegenwind:
Ein Politikfeld, wo theoretisch ganz viel eingespart werden könnte, ist die Kommunalreform, die Verwaltungsreform und die Gebietsreform. Da hat der Koalitionsvertrag einen ganz anderen Ansatz als ihr ihn damals hattet. Bringt das was, was jetzt geplant ist? Könnte eine große Koalition nicht eigentlich einen mutigeren Ansatz verfolgen als eine tolerierte Minderheitsregierung?
Anke Spoorendonk:
Grundsätzlich ist das natürlich so. Und das ist ja auch das, was die Leute im Land gehofft haben. Die beiden Großen sind zusammen, jetzt wird alles besser und jetzt kriegen wir den großen Wurf. Aber guckt man sich an, was zur Verwaltungsstrukturreform gesagt worden ist, dann wird deutlich, dass wir uns nur mit Verwaltung befassen. Mit den so genannten Dienstleistungszentren bekommen wir eine neue Ebene, die frei in der Luft schwebt. Wir wollen vom SSW einen anderen Ansatz. Wir wollten die kommunale Selbstverwaltung stärken, wir wollten die Kommunen stärken und eine Ebene wegschneiden, nämlich die Amtsverwaltungen. Wir wollten Ämter gleich Gemeinden haben, dann würde man eine Größe von Gebietskörperschaften mit rund 8000 Einwohnern haben. Das ist auch das, wovon der Landesrechnungshof ausgeht. Dann könnten die Kommunen besser gestalten und hätten über sich nur die Kreise. Der SSW hat sich bisher nicht mit einer Veränderung auf Kreisebene beschäftigt. Wir hatten im Tolerierungsvertrag mit den Koalitionären vereinbart, dass man erst einmal eine Expertenrunde drehen sollte. Unser Ansatz war: die Regierung gibt einen Auftrag, Experten müssen Lösungsansätze durchdeklinieren und dann entscheidet man sich politisch. So hätte man ein transparentes Verfahren gehabt. Aber das, was wir jetzt bekommen, ist ein Dienstleistungszentrum, das betrifft nur die Verwaltung. Wir wollten die politische kommunale Demokratie stärker, und das kriegen wir jetzt nicht. Dabei ist es völlig unklar, wohin die Reise gehen wird. Sicher ist nur, dass ausschließlich die Verwaltungen gestärkt werden. In der Landtagsdebatte wird von den beiden Großen immer gesagt: Keine Gebietsreform! Als wenn es der Untergang des Abendlandes wäre, aus diesen 1100 Gemeinden zukunftsweisende Größen zu machen.
Lars Harms:
Die einzige Sicherheit, die wir haben, ist: Was am Schluss dabei herauskommt, ist demokratisch nicht legitimiert. Für die Dienstleistungszentren und die Ämter mit Verwaltungskooperation gibt es keinen Amtsausschuss oder Gemeinderat oder Kreistag, der das kontrolliert. Wenn zwei Große sich treffen, gibt es eben keine Demokratie.
Anke Spoorendonk:
Man kann das noch weiter herunter brechen. Auf der einen Seite haben wir es mit der Verbindung zwischen Land und kommunaler Ebene zu tun. Gleichzeitig wird es so kommen, dass auf der kommunalen Ebene zu Zusammenschlüssen und Fusionen kommen wird. Ämter werden sich zusammenschließen. Und man wird sagen, da haben wir weiterhin die Amtsausschüsse. Aber in den Amtsausschüssen sind im Moment kraft Amtes die Bürgermeister vertreten und dann noch weitere Mitglieder, die in erster Linie von den beiden großen Parteien kommen. In den Amtsausschüssen spiegelt sich die politische Vielfalt der kommunalen Ebene überhaupt nicht wider. Das ist undemokratisch! Und je größer die Amtsverwaltungen werden, desto schwieriger wird es werden, dieses Problem in den Griff zu bekommen. Die Kommunen werden ausgehungert. Im Amt Husby im Kreis Schleswig-Flensburg hat man 90 Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker in den Gemeinden sitzen. Daran soll nicht gerüttelt werden. Aber die werden keine Aufgaben haben. Sie können sich darüber unterhalten, wo denn eine Parkbank aufgestellt werden darf, wie viele Straßenlaternen man haben will, aber sonst nichts. Die Amtsverwaltungen werden entscheiden, und die Amtsausschüsse werden noch tätig sein, aber wenn es drei verschiedene Amtsausschüsse gibt, weil sich drei Ämter zusammenlegen, wie soll denn da demokratische Kontrolle zustande kommen? Wir wollen einen Ansatz von unten, nicht etwas, was nur mit der Verwaltung zu tun hat.
Gegenwind:
In der Bildungspolitik habt ihr den Entwurf der Gemeinschaftsschulen eingebracht. Das war ja nicht nur ein Reformmodell, sondern auch ein Ansatz, trotz weniger Kinder Schulen zu erhalten. Im jetzigen Koalitionsvertrag steht, wir machen nur was, wenn sich alle einig sind. Das klingt so, als ob nichts passiert. Wird es in den nächsten fünf Jahren auch Schulschließungen geben, nun mangels Konzept?
Anke Spoorendonk:
Es wird eindeutig Schulschließungen geben. Der SSW vertritt zu Gemeinschaftsschulen die Auffassung, dass so etwas auch vor Ort wachsen muss. Wir haben nie gesagt, jetzt diktieren wir das mal. Aber das größte Problem sehe ich darin, dass wir jetzt CDU-Schulen und SPD-Schulen erhalten. Jetzt soll weiterhin Unterricht evaluiert werden, es sollen Tests durchgeführt werden, die Schulartempfehlung soll verbindlich sein. Man sagt jetzt, Zentralabitur und Abitur nach 12 Jahren. Alles das, diese Straffung ist das, wofür sich die CDU engagiert hat, und die SPD hat alles mit getragen. Was das Neue sein sollte, die Einführung von Gemeinschaftsschulen, da sagt man jetzt, wir wollen einen Innovationsfonds einrichten. Das heißt Geld statt Stellen: Wenn vor Ort was läuft, kann man sich aus diesem Fonds ein bisschen Geld holen. Aber wie man das machen will und welche Modell man will, da sehe ich nichts. Das wird eher als Alibi nebenher laufen, damit man sieht: Diese Idee, für die wir uns im Wahlkampf so hart eingesetzt haben, die haben wir nicht aufgegeben, zumindest als SPD. Aber in den kommen Jahren müssen wir uns hauptsächlich mit der anderen Seite beschäftigen. Gemeinschaftsschulen führen natürlich dazu, dass auch kleinere Schulen vor Ort erhalten bleiben können. Es kann sein, dass die Kommunalpolitiker das entdecken. Aber von Landesseite wird es nicht gepuscht werden.
Gegenwind:
Die Koalition hat einerseits beschlossen, die Hälfte der Frauenbeauftragten wird abgeschafft. Andererseits wurde das dann verschoben. Wie beurteilt der SSW das?
Anke Spoorendonk:
Es ist richtig, dass es erst mal verschoben worden ist. Das gibt uns etwas mehr Luft. Aber es läuft ja nichts. Diejenigen, die sich zu Wort gemeldet haben, das sind die Gleichstellungsbeauftragten, die Frauenbeauftragten. In den Kommunalen Spitzenverbänden sitzen ganz viele, die eigentlich lieber dieses Geld sparen wollen. Da muss aus unserer Sicht noch viel mehr gemacht werden. Es muss deutlich gemacht werden, dass diese Aufgabe eine Pflichtaufgabe sein muss. Auch dass Frauenbeauftragte weiterhin hauptamtlich zu beschäftigen sind. Und es muss deutlich gemacht werden, dass diese Freiwilligkeit eigentlich eine Rolle rückwärts ist - zu einem Zeitpunkt, wo man sich auf europäischer Ebene über Gender Mainstreaming unterhält. Aber ich befürchte, dass dieser Aufschub letztlich nicht dazu führen wird, dass der Vorschlag zurückgeholt wird. Ich bin da ziemlich pessimistisch. Es ist ganz wichtig, dass man jetzt in der öffentlichen Diskussion deutlich macht, was dadurch verloren gehen wird. Es ist ja im Moment eher eine defensive Diskussion. Ich hoffe wirklich, dass alle jetzt mal in die Offensive gehen.
Gegenwind:
In der Innenpolitik stehen Projekte im Koalitionsvertrag wie DNS-Test, Nummernschilderkennung, Videoüberwachung, wo wir früher schon den Eindruck hatten, Herr Buss hätte es auch gerne gemacht, wenn er nicht in der falschen Koalition gewesen wäre. Andererseits ist das ein Thema, bei dem die drei Oppositionsparteien sich am ehesten einig sein können. Wie wird das jetzt weiter gehen?
Anke Spoorendonk:
Richtig ist, dass die drei Oppositionsparteien sich in dieser Hinsicht sehr einig gewesen sind und auch einig sind. Das ist schon mal gut so. In Schleswig-Holstein hat es in den letzten zehn oder 15 Jahren eine liberale Innen- und Rechtspolitik gegeben. Zumindest die SPD ist in der Pflicht, diese Tradition weiterzuführen. Sie kriegt ein richtiges Problem, wenn sie alle Positionen aufgibt. Aber wir sehen ja auch, was auf Bundesebene gelaufen ist. Es ist ein schleichender Prozess, von daher müssen wir deutlich machen, dass das Verhältnis von Sicherheit und Bürgerrechten nur ein gleichwertiges Verhältnis sein kann. Letztlich gibt man auch die Grundsätze einer Demokratie auf, wenn man sagt, Sicherheit kommt vor allem anderen. Das ist ein Thema, wo ich noch nicht sehe, wo die Reise hin geht.
Gegenwind:
Wie geht es weiter mit dem Straßenbau? Jahrelang haben wir von der CDU gehört, man sollte alles viel schneller bauen, die Grünen bremsen alles. Jetzt sind die Grünen nicht mehr in der Regierung drin. Geht es jetzt schneller, oder hat das auch etwas mit Geld zu tun?
Lars Harms:
Das hat natürlich auch etwas mit Geld zu tun. Die Grünen sind wirklich nicht an allem schuld. Wenn man weiß, wie bestimmte Projekte eingeschätzt werden und die unterschiedlichen Parteien unterschiedlich dazu stehen, dann ist das okay so. Das ist Demokratie. Wir sind bekannt dafür, dass wir auch etwas für Straßenbauprojekte übrig haben, wenn sie Sinn machen und dadurch Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Verfahren, die bisher gelaufen sind, sind so schnell gelaufen wie in allen anderen europäischen Ländern auch. Das einzige Grundproblem, das wir hier in Schleswig-Holstein und in Deutschland haben, ist, dass man oftmals nicht den Mut hat, sich auch mit den Kritikern zusammen zu setzen und nach Konsenslösungen zu suchen. Das macht man in Dänemark anders. Dort guckt man sich einfach ein Projekt an, nimmt die Sorgen und Nöte der davon betroffenen Menschen ernst und versucht dann, aus dem Weg zu räumen, was man aus dem Weg räumen kann. Dann gibt es weniger Klagen und weniger Zeitverzug. Das ist auch im Interesse desjenigen, der ein solches Projekt durchziehen will. Insofern glaube ich, wenn man ein solches Verfahren macht, kriegt man sicherlich nicht jeden Bedenkenträger der A20 beruhigt. Da wird es immer Gegner geben, das ist auch okay so, das ist auch legitim. Aber bei anderen Infrastrukturprojekten, die nicht an sich hinterfragt werden, wie beispielsweise bei uns an der Westküste die B5, wo es darum geht, Naturschutzprojekte am Rande dieser Trassierung zu machen und die Trasse mal zu verschieben in der Nähe von Hattstedt, da muss man es hinkriegen. Das hat mit Gesprächen zu tun und mit gutem Willen, nicht mit Formalismen und Klagen oder Planfeststellungsverfahren.
Gegenwind:
Zur Infrastruktur gehören auch die Flughäfen. Das ist ein Thema, bei dem vielen Menschen sehr überraschend klar geworden ist, dass zwischen Wahlkampf und Realität doch ein Unterschied besteht, wenn man sich Lübeck anguckt. Wie geht es hier weiter? Ihr habt ja auch gerade im Landtag darüber diskutiert.
Lars Harms:
Da hat die alte Landesregierung beziehungsweise das Wirtschaftministerium einen gravierenden Fehler gemacht. Man hat nicht mit den Leuten geredet. Man meinte, wenn man sich einiger Tricks bedient, kann man so was einfach mal schnell durchziehen. Da schnippelt man mal aus einem möglichen Naturschutzgebiet eine Ecke raus - das wird schon keiner merken - und dann haben wir unsere Startbahn. Und das funktioniert eben nicht. Was unter Naturschutz fallen könnte, muss auch entsprechend behandelt werden, und man muss seine Verfahren danach ausrichten. Das hat man nicht gemacht, deshalb hat das Oberverwaltungsgericht zum Planfeststellungsverfahren gesagt, das war nicht okay. Das heißt 32 Monate Arbeit des Wirtschaftsministeriums sind umsonst gewesen. Um diese ungefähr 3 Jahre ist das Verfahren damit verzögert worden. Das ist aus wirtschaftlicher Sicht ein großer Nachteil. Das zweite ist, dass man auch nicht die Bedenken der Leute mit eingearbeitet hat. Das ist ein schwerwiegender Fehler. Naturschutz ist nicht zum Spaß oder nebenher, sondern Naturschutz sichert die existenziellen Grundlagen des menschlichen Lebens. So muss man das betrachten. Und dann nimmt man auch die Bedenken ernst, dann muss man sich mit den Naturschutzverbänden an einen Tisch setzen und diese Bedenken möglichst ausräumen. Dann kommt man zu dem, was man jetzt macht: ein neues Planfeststellungsverfahren, wo man vorher miteinander redet. Das musste die CDU-geführte Regierung jetzt lernen, Herr Austermann wollte ja auch erst nicht. Deswegen macht es jetzt auch seine Staatssekretärin.
Gegenwind:
Gibt es denn ein langfristiges Konzept? Den Flughafen Lübeck auszubauen hängt ja an einem einzigen Billigflieger, der nur von der Steuerfreiheit seines Benzins und Subventionen lebt und nur deshalb diese Flüge anbieten kann.
Lars Harms:
Die Steuerfreiheit gilt ja für alle Fluggesellschaften. Wenn ich von heute auf morgen die Steuern erhöhen würde, würde es alle treffen, und die Konkurrenzsituation wäre unter den Fluggesellschaften ungefähr dieselbe. Was man feststellen kann, ist, dass sich im Unterschied zu Kiel der Charterflugverkehr in Lübeck zumindest betriebswirtschaftlich rechnet. Das muss man eingestehen, das funktioniert. Und man ist jetzt dabei, den Flughafen zu privatisieren, also die Last des Betriebes von der öffentlichen Hand wegzunehmen. Das ist auch vernünftig. Es gibt ja auch eine breite Mehrheit in der Region, das Projekt durchzuziehen. Es gibt aber Probleme, die einzelne vor Ort haben, und die muss man lösen, so gut man kann. Aber wir haben vom SSW immer gesagt, dass wir diesem Ausbau eher positiv gegenüber stehen - im Gegensatz zu Kiel-Holtenau, wo es völlig wahnwitzig ist, da etwas auszubauen. Es ist nicht nur aus ökologischen Gründen völlig sinnlos, sondern auch aus menschlichen Gründen ist es nicht okay, mitten im Wohngebiet einen Flughafen auszubauen, wo Menschen leben und Kinder zur Schule gehen. Aber in Kiel rechnet es sich ja noch nicht einmal wirtschaftlich.
Gegenwind:
Hast du eine Prognose, wie die Regierung in zwei Jahren dazu steht?
Lars Harms:
Ich bin mir sicher, es gibt auch im Parlament außer den Grünen eine breite Mehrheit dafür, Lübeck auszubauen. Und es gibt im Parlament immer mehr Menschen, die der Meinung sind, dass das mit Kiel-Holtenau nicht so sinnvoll ist. Ich kann mich erinnern, als Rot-Grün regierte und die Grünen das noch so mehr oder weniger mit trugen, da waren wir drei SSWler die einzigen, die sagten: Das ist nicht in Ordnung, was ihr da macht. Dann sind jetzt die Grünen dazu gekommen, und in der Zwischenzeit haben wir auch Herrn Kubicki und seine Truppe überzeugen können, dass das Unsinn ist. Jetzt sind wir schon zu Zehnt, vorher waren es nur drei, und es werden täglich mehr. Ich glaube, die wirtschaftlichen Fakten werden auch jene Menschen von der Unsinnigkeit eines Ausbaus in Kiel-Holtenau überzeugen, die nichts für Ökologie übrig haben und die es kalt lässt, dass sich eine Schule dort in der Nähe befindet.
Gegenwind:
Lars, du kommst ja von Eiderstedt, und da gab es auch Wahlkampf. Wie geht es jetzt weiter mit der Natura 2000?
Lars Harms:
Die Parteien der neuen Landesregierung haben ja im Wahlkampf mehr oder weniger angekündigt, sie könnten alles, sie könnten auch alles zurücknehmen, sie könnten auch alles ändern. Aber die Regierung stellt jetzt fest, dass man das eben nicht kann. Es gibt europäische Gesetzgebung, die man nicht einfach nach Gusto für sich selber auslegen oder verbiegen kann, wie man gerade Lust hat. Man muss sich eingestehen, dass ein Vogelschutzgebiet auf Eiderstedt kommen wird. Wir haben vor der Wahl gesagt, und davon bin ich auch fest überzeugt, dass es ein sehr großes Gebiet sein wird. Das ist einfach so, das ist ein Faktum, damit muss man umgehen. Deshalb haben wir immer gesagt: Weist das aus, was ihr ausweisen müsst, und seht zu, dass ihr begleitende Maßnahmen für die Leute macht, die besonders betroffen sind. Das ist in der Tat die Landwirtschaft. Die alte rot-grüne Regierung hat mit unserer Unterstützung Programme aufgelegt, um gerade auch den Leuten auf Eiderstedt zu helfen, Stichwort sind die Weidemastverträge für die extensive Weidemast. Diese Vertragsmuster, die zur Notifizierung bei der EU vorlagen, sind nun von der Landesregierung zurückgezogen worden. Erst versprachen sie, wir nehmen alles zurück und ihr habt keinen Nachteil. Jetzt müssen sie zugeben, dass sie nicht alles zurücknehmen können und dass es Menschen mit Nachteilen geben wird. Aber trotzdem entzieht die Regierung diesen Menschen die wirtschaftliche Grundlage, indem sie ihnen die Naturschutzprogramme entzieht und damit Einkommensmöglichkeiten verhindern. Das ist für die Landwirte, die zum Teil fleißig CDU gewählt haben, natürlich fatal. Ich weiß auch, dass sehr viele Landwirte, die nicht Grünen, SSW oder SPD nahe stehen, sondern ihr Leben lang CDU gewählt haben, da sehr sauer drüber sind. Ich bin davon überzeugt, dass da noch was kommen muss. Wenn die CDU da nichts macht, kriegen die richtig Ärger auf Eiderstedt. Die Landesregierung verhält sich so, wie wir es schon immer geahnt haben. Mit Naturschutz haben sie nicht so viel am Hut, und der Umweltminister ist eher ein Agrarminister - und zwar eher ein Agrarlobbyminister. Wenn man Programme für Naturschutz in Natura-Gebieten streicht, dann zeigt das ja, dass man diese Gebiete nicht im Sinne der Natur entwickeln will. Das ist nicht das, was wir wollten, das stand im Koalitions- und Tolerierungsvertrag von SPD, Grünen und SSW anders. Die Menschen und die Natur hätten mehr davon gehabt, wenn wir regiert hätten.
Gegenwind:
Wie geht es denn weiter mit der Windenergie? Da hörte man vor den Wahlen von Austermann: Atomkraftwerke weiterlaufen lassen, während der Ministerpräsident früher ja selber Betreiber von Windenergieanlagen war. Für Schleswig-Holstein ist dieser Wirtschaftszweig sehr wichtig.
Lars Harms:
Es gibt sicherlich das verbale Bekenntnis der Landesregierung: Wir haben nichts gegen Windenergie. Jetzt füge ich hinzu, in Klammern: Aber wir fördern sie auch nicht. Und das ist schon daran merkbar, dass man eines der Leuchtturmprojekte - um bei der Wortwahl der Landesregierung zu bleiben - völlig schleifen wollte, nämlich den Ausbau des Husumer Hafens zum Offshore-Hafen. Da hätte eine Infrastruktur geschaffen werden können, und ich hoffe noch, dass sich die Landesregierung irgendwie besinnt. Den entsprechenden Druck machen wir jedenfalls. Es geht um eine Struktur, die wirklich auch tragfähig für die nächsten Jahre gewesen wäre, um Offshore-Windkraftanlagen versorgen zu können. Damit hätte der Standort Husum die Chance gehabt, sich zu entwickeln. Dort werden ja dann auch Gewerbegebiete ausgewiesen, wo sich wirklich Unternehmen aus dieser Branche hätten ansiedeln können. Man darf nicht vergessen, dass in Schleswig-Holstein vorwiegend an der Westküste über hundert Unternehmen in dieser Branche tätig sind. Es sind nicht immer nur Vestas und Repower, sondern viele viele andere Kleinunternehmen auch, die irgendwo zwischen drei und fünfzig Mitarbeiter haben. Und die müssen unterstützt werden. Wenn es eine Erfolgsgeschichte der letzten zehn Jahre gibt, dann ist es die der erneuerbaren Energie. Alle reden von Bayern und Laptop und Lederhose, wie toll sie das hingekriegt haben. Auch bei uns gibt es einen Bereich, das ist der der erneuerbaren Ener-gien, wo wir es gut hingekriegt haben. Was wir jetzt sehen, ist, dass die Landesregierung genau diesen Bereich nicht als was ganz Wichtiges ansieht, sondern aus ideologischen Gründen diesen Bereich sogar bekämpft und dafür dann lieber ein paar Großbauern ein bisschen mehr Ausgleichszahlungen zukommen lassen will. Das ist wirklich völliger Blödsinn. Es wird unsere Aufgabe sein, regelmäßig deutlich darauf hinzuweisen, dass die Zukunft des Landes Schleswig-Holstein nicht darin besteht, Leuten irgendwelche Subventionen zu zahlen, sondern zukunftsträchtige Unternehmen und zukunftsträchtige Wirtschaftszweige zu unterstützen. Und das ist eindeutig Windenergie, das ist erneuerbare Energie.
Anke Spoorendonk:
Vielleicht darf ich noch mal den Punkt grenzüberschreitende Zusammenarbeit in diesem Kontext einbringen. Ich bin sicher, wenn Husum nicht ausgebaut wird, dann wird Gewinner nicht Brunsbüttel sein, sondern Esbjerg. Und darum sage ich, wie Lars, wir müssen alles daran setzen, unseren Hafen hier in Husum auszubauen zu dem Service-Hafen, der geplant gewesen ist. Dadurch werden auch neue Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen. Ich habe letzte Woche von dem dänischen Unternehmer Jörgen Mads Clausen von Danfoss gehört, dass für die Weiterentwicklung Sönderjyllands und der Grenzregion Ausbildungszweige wie die Mechatronik zukunftsweisend sind. Da haben wir in unserem nördlichen Landesteil grenzüberschreitend sehr gute Möglichkeiten. Und das ist auch ein Grund dafür, dass es keine Alternative zum Ausbau des Husumer Hafens gibt.
Gegenwind:
Was erwartet ihr denn in den nächsten fünf Jahren von der Regierung? Was wird die Regierung schaffen? Und was können die drei Oppositionsparteien mit ihren zehn Abgeordneten leisten?
Anke Spoorendonk:
Es wäre sehr einfach, wenn man die Zukunft vorhersagen könnte. Wir werden abwarten müssen, wie die Bundestagswahl läuft (das Interview wurde Anfang September geführt, Anm. d. Red.). Vieles deutet darauf hin, dass die FDP nach einem Regierungswechsel in Berlin alles daran setzen wird, die große Koalition zu spalten. Sie wird versuchen deutlich zu machen, dass zwischen sie und die CDU kein Blatt Papier passt und dass die SPD dann doch für alles zuständig ist, was in den letzten zehn Jahren schief gelaufen ist. Dieser Spaltprozess wird uns weiter beschäftigen. Dann wird es darauf ankommen, ob die große Koalition selbst die Kraft hat, nicht nur zu sparen, sondern auch zu gestalten. Das sehen wir im Moment noch sehr durchwachsen. Der neue Finanzminister versucht ja rüberzubringen: wir müssen ehrlich sein, wir können nichts beschönigen, so katastrophal ist die Lage. Dabei wirkt er auch glaubwürdig, aber Ankündigungen alleine reichen nicht. Von daher bin ich mir noch nicht sicher, ob die große Koalition nun auch fünf Jahre durchhalten wird. Alle sagen, das wird sie. Aber ich denke, in den fünf Jahren wird es doch ein schärferes Klima geben, vielleicht schon zur Kommunalwahl. Da ist noch alles offen. Gerade weil man zum Beispiel im Bereich Verwaltungsstrukturreform nur draufsattelt - Stichwort Dienstleistungszentrum - und auf Freiwilligkeit setzt, bin ich nicht davon überzeugt, dass man weiterkommt.
Bei den drei Oppositionsparteien ist klar, es sind eigenständige Parteien. Man kann zusammenarbeiten, es gibt aber auch Unterschiede. Und die Unterschiede zwischen FDP und Grünen sind natürlich auch sehr deutlich. Und sie fühlen ja auch, dass sie sich in mancher Hinsicht um das gleiche Klientel bemühen. Jedenfalls gibt es eine sozialliberale Gruppe, die für beide attraktiv ist. Jetzt wird schon deutlich, dass die regierungstragenden Fraktionen dazu neigen abzuwarten, was von Seiten der Regierung kommt und das dann absegnen. Das wird sich eher noch verstärken und könnte zur Schwächung des Parlaments beitragen. Dies ist natürlich etwas, was es auch früher schon gab, aber mit solch einer großen Koalition führt das dazu, dass man sich als Parlament gar nicht mehr richtig ernst nimmt. Man sagt dann: Das schaffen wir ja auch in zwei Tagen, wir brauchen ja nicht drei Tage Landtagssitzung pro Monat. Ich bin da noch sehr skeptisch. Und der SSW hat ja von vorn herein gesagt, dass wir aus grundsätzlich Erwägungen heraus keine große Koalition wollen, sondern die offene Zusammenarbeit im Parlament. Es ist schon bemerkenswert, dass die beiden so unterschiedlichen großen Parteien - so haben sie sich im Wahlkampf dargestellt - so gut zusammenarbeiten können. Warum haben sie das denn nicht gekonnt, als es eine offene Zusammenarbeit hätte geben können? Jetzt sind sie dazu verdonnert worden, jetzt scheint es zu klappen. Aber als sie als gleichwertige Parteien im Parlament was hätten machen können, da kam dann die hohle Rhetorik.
Lars Harms:
Am Anfang konnte man feststellen, dass FDP, Grüne und SSW alle unterschiedlich strukturiert waren, unterschiedliche Schwerpunkte hatten, unterschiedliche Meinungen hatten. Aber es kristallisiert sich für mich immer mehr heraus, wo wir von der Grundtendenz her in die gleiche Richtung gehen. Wir sehen zunehmend über Nuancen hinweg und pulen nicht noch das letzte Stückchen heraus, um zu zeigen, wir sind unabhängig und eigenständig. Wir sagen dann: wir zehn Abgeordnete versuchen, diese Grundposition gegenüber den anderen deutlich zu machen. Das ist etwas Positives, denn es überbrückt manchen Gegensatz, der vorher bestanden hat, gerade zwischen unseren Kollegen aus den anderen beiden Parteien. Was man feststellt ist aber auch, dass das Schwergewicht auf der Regierung liegt. Sie handelt sehr eigenständig und einige handeln noch eigenständiger als eigenständig innerhalb der Regierung. Das führt auch dazu, dass die 59 Parlamentskolleginnen und -kollegen der Großen Koalition sich in ihrer Position schwächen. Sie werden nicht geschwächt, sie schwächen sich selber. Da kommt eine große Verantwortung auf diese Kollegen zu, nicht auf uns. Wir kriegen das mit der Oppositionsrolle gebacken. Aber die Kollegen müssen im Sinne der Demokratie darauf achten, dass sie die Regierung nicht alles machen lassen, dass sie zumindest mal eine Runde mitreden.
Interview: Reinhard Pohl