(Gegenwind 204, September 2005)

100 Tage Große Koalition: Interview mit Anne Lütkes und Klaus Müller von den Grünen

Anne Lütkes und Klaus Müller im Interview

"Carstensen wird sich kaum ein Dorffest entgehen lassen"

Anne Lütkes war in der rot-grünen Landesregierung von Schleswig-Holstein bis Anfang 2005 Frauen- und Justizministerin, Klaus Müller war Umweltminister. Jetzt sind beide Oppositionsabgeordnete im Landtag.

Gegenwind:

Anfang August waren die ersten 100 Tage der neuen Landesregierung um. Wie ist der Gesamteindruck? Ihr habt ja selbst mit der SPD Koalitionsverhandlungen geführt, und kurze Zeit später hat die SPD einen ganz anderen Koalitionsvertrag unterschrieben. Wart ihr über diese Flexibilität überrascht?

Anne Lütkes:

Was heißt überrascht? Die SPD hat sich sehr schnell in die politische Ehe mit der CDU eingefunden. Sie haben in dem Vertrag teilweise alte Grundsätze anklingen lassen. Aber sie haben von der rot-grünen Zusammenarbeit nichts stringent in den neuen Vertrag übernommen. In der großen Koalition ist die SPD bemerkenswert ruhig. Es gibt Ankündigungen und Eckpunkte, wie sie das nennen, aber materielle Politik ist schwer erkennbar.

Klaus Müller:

Bequemlichkeit siegt. Die SPD entscheidet sich immer für den einfacheren Weg. Wenn man sich das Kräfteverhältnis der Abgeordneten im Landtag anguckt, 59 zu 10, dann ist das ein leichteres Regieren als mit einer knappen Mehrheit. Und die zehn Abgeordneten von Grünen, FDP und SSW sind sich nicht mal einig, ein handfestes Problem für die Demokratie. In der schleswig-holsteinischen SPD hat eine Verschiebung stattgefunden: Weniger Heide Simonis und weniger Claus Möller, dafür mehr Uwe Döring und andere, die die Politik der großen Koalition auch richtig finden. Das spiegelt sich im Koalitionsvertrag und auch im Alltag der ersten 100 Tage wieder.

Kein Geld

Gegenwind:

Das beherrschende Thema der neuen Regierung ist "kein Geld". Das Problem ist ja von der rot-grünen Regierung übernommen. Gibt es unter diesen Voraussetzungen überhaupt eine Politik?

Klaus Müller:

Natürlich gibt es das. Kein Geld ist keine Entschuldigung für keine Politik oder eine schlechte Politik. Es ist auch kein schleswig-holsteinisches oder rot-grünes Problem. 14 von 16 Landeshaushalten sind im Jahre 2005 verfassungswidrig. Kleiner Exkurs auf die Bundesebene: Wer wie die CDU Jahr für Jahr den Subventionsabbau blockiert, darf sich nicht beschweren, wenn auch in den Länderkassen zu wenig ist. Trotzdem ist Schleswig-Holstein ein besonders schwieriger Fall. Das hat mit unserer Wirtschaftsstruktur zu tun. Interessant ist, dass die Union im Wahlkampf hier große Töne gespuckt hat. Davon ist jetzt in der Realität wenig zu erkennen. Sie kürzen: Der Eine-Welt-Bereich wird das hart erleben, der Umweltbereich wird das hart erleben, der Flüchtlingsbereich wird das hart erleben. Umgekehrt wird für Wirtschaftsförderung und Infrastrukturausbau weiterhin Geld auf Pump ausgegeben. Geld ist also immer noch da, es wird nur in vielen Bereichen falsch eingesetzt.

Kommunalreform

Gegenwind:

Die Regierung sagt, ihr wichtigstes Projekt ist die Aufgabenkritik und die Kommunalreform, weil dort große Beträge einzusparen sind. Die von dir genannten Politikfelder sind ja vom Finanzvolumen her nicht so groß. Funktioniert die Umsetzung solcher Pläne mit einer Großen Koalition besser? Ist sie durchsetzungsfähiger gegenüber Landräten als eine tolerierte Minderheitsregierung?

Klaus Müller:

In der Theorie ja. Eine Große Koalition hat es theoretisch definitiv leichter als eine knappe Mehrheit, eine schwierige Politik durchzusetzen, wenn sie denn wollen. Ich glaube aber, sie wollen das nicht. Wenn man sich den Koalitionsvertrag ansieht, ist gerade das Thema kommunale Verwaltungsstrukturreform schwächer, schlechter, komplizierter vorgesehen, als es bei Rot-Grün plus SSW der Fall war. Da war unser Modell einfach besser. Nun ist Herr Driftmann, Schleswig-Holsteins Unternehmer-Präsident, sicherlich nicht der große Freund von Rot-Grün. Aber dass selbst er das alte rot-grüne Konzept gelobt hat, ist etwas, was man ernst nehmen muss. Ich denke, es hat auch mit handelnden Personen zu tun. Peter Harry Carstensen ist keiner, der wirklich Konflikte eingehen will. Er möchte es gerne allen Recht machen. Das kann ich menschlich verstehen, hat aber nichts damit zu tun, womit man eine Große Koalition rechtfertigen könnte. Zur Deregulierung: Es ist richtig, sich zu bemühen, dass das Leben für alle einfacher wird. Ich kenne jede Menge Beispiele, wo unter Rot-Grün Dinge nicht angepackt wurden oder wo man sich nicht einig war. Aber wenn man eine andere Politik will, soll man das sagen, und nicht einfach den Deregulierungsstempel auf alles drücken, was einem nicht passt. Fragen wie die Erhaltung von Knicks, die Vogelvielfalt, das Dosenpfand und Ähnliches, wogegen Herr von Boetticher zu Felde zieht, haben nichts mit Deregulierung zu tun. Da möchte jemand eine andere Politik durchsetzen und kleidet sie in das Deckmäntelchen der Deregulierung.

Anne Lütkes:

Zur Verwaltungsstrukturreform: Einer der qualitativen Fortschritte, die wir im rot-grünen Vertrag ausgehandelt hatten, war ja eine wirkliche Reform der Verwaltungsstruktur. Wir hatten nicht, wie jetzt die Landesregierung propagiert, nur Dienstleistungszentren als Ziel vereinbart, sondern eine tatsächliche Veränderung in den Strukturen. Was Schwarz-Rot nun will, ist eine zusätzliche Verwaltungsebene. Das ist nur scheinbar ein Fortschritt, tatsächlich aber keine Vereinfachung, keine bessere bürgernahe Politik. Denn durch das Einschieben einer Ebene wird Fortschritt suggeriert, um als CDU und SPD die Kreisebene mitzunehmen. Das ist keine Verwaltungsstrukturreform, das ist Augenwischerei.

Klaus Müller:

Und es ist nicht demokratisch legitimiert. Wenn es vier, fünf oder sieben Kreise gegeben hätte, dann gäbe es da auch eine Ratsversammlung oder einen Kreistag, der dann sagen kann, das ist in Ordnung oder nicht in Ordnung. Jetzt gibt es irgendwo ein Dienstleistungszentrum, wobei noch nicht klar ist, wo die Aufgaben tatsächlich hängen bleiben werden. Aber es ist nicht absehbar, dass es irgendwo einen gewählten Menschen gibt, abgesehen von Landräten vielleicht, der tatsächlich auch die Verantwortung hat. Anne Lütkes:Da ist ein Blick nach Dänemark sehr interessant, auch für die jetzige Landesregierung.

Bildungspolitik

Gegenwind:

In der Bildungspolitik gab es große Pläne der rot-grünen Regierung. In Bezug auf die Gemeinschaftsschulen steht jetzt im Koalitionsvertrag "wenn alle das wollen", aber es sieht so aus, dass es immer so gedreht werden kann, dass es nicht klappt. Anne Lütkes:Ich glaube nicht, dass etwas gedreht werden muss. Ich glaube, dass große Teile der SPD sehr zufrieden mit der Großen Koalition sind, weil sie sich nicht mehr von den Grünen getrieben fühlen, zum Beispiel zu einer echten Bildungsreform. Gerade bei der Frage nach der anderen Schule zeigt sich, dass die Bildungsreform gestoppt ist. Ich glaube nicht, dass es zu einer echten Weiterentwicklung kommt. Die Bildungsministerin trägt zwar das SPD-Bildungsprogramm mit, aber in der Praxis kann man nichts davon erkennen. Eine andere Einschätzung erlaube ich mir für die frühkindliche Bildung. Da haben wir auch in den Landtagsdebatten herausarbeiten können, jetzt schon in der kurzen Zeit der grünen Opposition, dass da eine tatsächliche Bildungsreform kommen muss. Eine Reform der Kindertagesstätten, eine Stärkung des Bildungsanspruchs ist eine derartige gesellschaftliche Notwendigkeit, dass die große Koalition nicht drum herum kommen wird. Das wird aber für uns eine sehr intensive Arbeit sein, das wirklich nach vorne zu bringen.

Klaus Müller:

Aber bei der Schule ist es teilweise noch schlimmer. Es ist nicht nur so, dass in Teilen der SPD Erleichterung herrscht, nicht den steinigen Weg weitergehen zu müssen. Der Landtagswahlkampf war hier auch alles andere als schön, auch im grünen Klientel mit grünen Gymnasiallehrern war das nicht lustig. Wenn man sich anguckt, was nun passieren soll: Rücknahme des reformierten Kurssystems in der Oberstufe, der Blankoscheck in Sachen Studiengebühren, man macht sich abhängig von CDU-Regierungen in Hamburg und Niedersachsen, dann kann man nur feststellen: Rückschritt auf ganzer Linie. Und das gilt erst recht, solange die CDU in den Kommunen die Mehrheit hat. Lübeck ist das durchschlagende Beispiel. Da ist die SPD jetzt mehrfach gegen die Wand gelaufen, denn da sagt der Koalitionsvertrag, es gibt keine Gemeinschaftsschulen.

Anne Lütkes:

Sie werden die Spaltung der Bildung aufrecht erhalten. Eine Stärkung der Hauptschule in dieser Bildungssituation ist kontraproduktiv, der Zugang zu Bildungschancen wird gerade nicht verbessert.

Gegenwind:

Kann das denn funktionieren? Es gibt immer weniger Schülerinnen und Schüler, und Gemeinschaftsschulen hätten ja auch Standorte erhalten können. Andere konservative Regierungen schließen einfach Schulen, obwohl das ihrer Programmatik widerspricht. Kann die Große Koalition mit diesem Konzept, Gemeinschaftsschulen abzulehnen, aber Standorte zu erhalten, zurecht kommen?

Klaus Müller:

Wenn man sich die demographische Entwicklung anschaut: In den nächsten fünf Jahren ja. Bis auf ganz wenige Ausnahmen wie Fehmarn, CDU-regiert, aber mit Ansätzen zur Gemeinschaftsschule. Kellinghusen, CDU-Bürgermeister, aber im Wahlkampf zum Verdruss der CDU-Wahlkampfzentrale in diese Richtung. Trotzdem wird man mindestens in Holstein, aber auch in großen Teilen Schleswigs diesen Waffenstillstand in den nächsten fünf Jahren durchhalten. Aber man verschläft natürlich eine Entwicklung, man reagiert nicht rechtzeitig und bereitet die Menschen nicht vor. Man diskutiert nicht mit Lehrern und Eltern. Ich bin mir nicht sicher, ob Rot-Grün in den nächsten fünf Jahren viele Gemeinschaftsschulen eingerichtet hätte. Aber man hätte das Feld vorbereitet und 2010, wenn es dringend ist, nicht bei Null angefangen, sondern einen vorbereiteten Weg beschreiten können und Modelle gehabt. Modelle, die zeigen, dass die Gemeinschaftsschule nicht der Untergang des Abendlandes ist, sondern gut für stärkere und schwächere Schüler.

Anne Lütkes:

Das war auch in unserem Landtagswahlkampf Thema, wir haben nicht gesagt wir machen einen Tag X, an dem das gesamte Schulsystem verändert wird, sondern vorgeschlagen, die Umstrukturierung, die zur Entwicklung der Gemeinschaftsschule nötig ist, in Gang setzen. Das ist ein gesellschaftlicher Prozess der Bewusstseinsbildung, und der ist nun abgeschnitten. Die Große Koalition sagt: Wenn alle es wollen, lassen wir es zu. Aber die Landesregierung muss es nicht dulden, sondern als Ziel formulieren und vorantreiben, das ist der qualitative Unterschied.

Gegenwind:

Jetzt wird in Ostholstein diskutiert, ob Schüler vom Container ins Zelt umziehen müssen. Gehört das zu dieser Politik dazu? Es verwundert doch, dass die Bundeswehr in Bosnien oder Afghanistan ein Schulgebäude in wenigen Tagen errichten kann, aber in Schleswig-Holstein ist das nicht möglich.

Klaus Müller:

Das ist im Einstein-Jahr die Pervertierung des Bildungsauftrages, was wir in Pansdorf erleben. Man kann nicht große Sonntagsreden schwingen und sich dann in Ostholstein wegen reiner Ideologie gegenseitig blockieren - CDU und SPD, Landrat und Ministerium. Der Elternwille ist klar, die Anmeldezahlen sind deutlich, und die Absprachen waren auch klar. Landrat Sager kann nicht verschmerzen, dass Rot-Grün damals diese Schule auf den Weg gebracht hat. Es war sein Wahlversprechen, dies zurück zu drehen. Was jetzt passiert ist peinlich. Ich bin kein Experte in Sachen UNO-Kinderrechtskonvention, aber die würden sich die Haare raufen.

Anne Lütkes:

UNICEF hat die Schule aus der Kiste. Der Vorgang in Ostholstein ist nur noch peinlich.

Frauenbeauftragte

Gegenwind:

Wie entwickelt sich die Gleichstellungspolitik? Die CDU will die Hälfte der Gleichstellungsbeauftragten abschaffen, die SPD stimmt zu und verschiebt das.

Anne Lütkes:

Man muss deutlich sagen: Die CDU will es, und die SPD hat zugestimmt. Sie hat einen Gesetzentwurf eingebracht, der gegenwärtig lediglich vertagt ist. Der Gesetzentwurf trägt die Unterschrift des rechtspolitischen Sprechers der SPD. Da findet kein Diskussionsprozess statt. Das Einbringen eines Gesetzentwurfes ist der entscheidende Schritt. Deshalb ist das eine klare Ansage der Großen Koalition, die Gleichstellungspolitik vor Ort zu reduzieren. Sie soll nicht nur geschwächt werden, den hauptamtlichen Beauftragten wird die Basis entzogen. Wir haben in der Vergangenheit mit den hauptamtlichen Beauftragten klare Aufgabenanalysen gemacht. Wir haben einen guten ständigen Dialog geführt. Wenn man daran anknüpfen würde, wäre ich diskussionsbereit. Aber hinzugehen und die Stellen zu streichen, ohne die Auswirkungen vor Ort anzusehen, das ist mehr als eine atmosphärische Änderung.

Gegenwind:

Wir haben wenig Proteste gehört. Liegt das an der Sommerpause, oder suchen die Betroffenen lieber still eine andere Stelle in der Verwaltung?

Anne Lütkes:

Man darf den Gleichstellungsbeauftragten nicht Unrecht tun. Sie haben sehr gute Resolutionen verabschiedet, bis hin zur Bundesebene. Der Landesfrauenrat hat sich sehr scharf geäußert. Ich fand auch Zeitungsartikel des sh:z ganz hervorragend. Es hat Proteste gegeben, und nach der Sommerpause wird es im Landtag wieder auf die Tagesordnung zu setzen sein. Vor Ort ist es für die einzelnen Beauftragten schwierig, sich gegenüber einer schwarzen Mehrheit zu behaupten. Es gibt viele schwarze Bürgermeister, die begeistert sind, die unbequemen Mitarbeiterinnen los zu werden. Die Veränderung der Stellenzahl bringt nicht die Einsparung in der Verwaltung, das ist Unfug. Das ist ein gesellschaftspolitischer Angriff auf die Frauenpolitik vor Ort.

Innenpolitik

Gegenwind:

Wie entwickelt sich die Innenpolitik? Bei Themen wie Videoüberwachung oder DNS-Analyse hatten wir schon bei Klaus Buss das Gefühl, er würde gerne andere Politik machen, wenn er die Grünen los wäre. Andererseits ist ja hier auch eine große Übereinstimmung der drei Oppositionsparteien. Was wird jetzt passieren?

Anne Lütkes:

Der Koalitionsvertrag gibt eindeutige Signale. Modellversuch zur Videoüberwachung, Kennzeichenerfassung, das sind Ansätze zum Überwachungsstaat. Allerdings gibt es da auch Widersprüche innerhalb der Großen Koalition, hauptsächlich innerhalb der SPD. Die SPD Schleswig-Holstein ist sich in der Frage der rechtsstaatlichen Sicherheitspolitik nicht einig. Innenstaatssekretär Lorenz ist ein rechtsstaatlicher Innenpolitiker, der große Bedenken gegen Videoüberwachung und Kennzeichenerfassung hat und die auch öffentlich artikuliert, wenn auch sehr zurückhaltend. Insofern hat die Rechtsstaatlichkeit eine Chance durch die gegenseitige Blockade in der Großen Koalition. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass nach der Bundestagswahl, wenn es eine CDU-geführte Regierung geben sollte, die Weichen in Schleswig-Holstein auch auf Durchmarschieren gestellt werden. Dass der Innenminister manchmal kundtut, er müsste den Koalitionsvertrag nicht in jedem Punkt erfüllen, "ehrt" ihn. Aber ich glaube, er hält das nicht durch. Im Bundesrat rettet sich die Regierung in den letzten Wochen ständig in die Enthaltung, aber das ist im Kabinett nicht möglich, und im Koalitionsvertrag steht eindeutig, wo es hin geht.

Klaus Müller:

Die CDU hat andererseits einen strategischen Fehler gemacht, weil sie ihren schärfsten Kläffer in einen merkwürdigen Zwinger im Finanzministerium gesperrt hat. Momentan findet ja - aus bürgerrechtlicher Sicht zum Glück - in der CDU-Landtagsfraktion nicht mehr das ständige Gekläffe und Gebeiße und Gejohle eines Klaus Schlie statt, denn der ist jetzt Staatssekretär bei Herrn Wiegard. Das ist für die Bürgerrechte eine Chance zum Atemholen. Wenn die CDU das merkt und korrigiert, wird auch Herr Stegner merken, dass ein anderer Wind weht.

Anne Lütkes:

Das ist überhaupt eine spannende Frage: Wo ist Klaus -Schlie geblieben? Da ist ein Posten geschaffen worden, da wird eine Abteilung aufgebaut, aber man sieht und hört nichts.

Gegenwind:

Im Wahlkampf war der Fall Bogner ja noch ein großes Thema, noch im Januar wurde von der FDP ein Untersuchungsausschuss angekündigt. Jetzt hört man nichts mehr davon. War das nur Wahlkampf, oder wird es noch einen Untersuchungsausschuss geben?

Anne Lütkes:

Da sind die Grünen der falsche Ansprechpartner, ich persönlich auch. Ich habe ja, unmittelbar nachdem Bogner entflohen war, eine Gutachterkommission eingesetzt, mit Strafvollzugs-Fachleuten aus anderen Bundesländern, zum Teil aus CDU-Regierungen. Diese gutachterliche Stellungnahme liegt vor. Sie macht deutlich, dass es ein schwerwiegendes individuelles Versagen war, aber kein Systemfehler. Das war auch meine Einschätzung, und ich bin sehr froh, dass ich diese Kommission damals mit der Untersuchung beauftragt habe.

Straßenbau

Gegenwind:

In der Verkehrspolitik lasen wir im CDU-Wahlprogramm eine lange Liste von Projekten, die verwirklicht werden sollten, von der Fehmarnbelt-Querung über die A20 mit Elbquerung bis zur Westküstenautobahn nach Dänemark. Im Koalitionsvertrag steht viel weniger. Waren es die Grünen, die alles verhindert haben, und jetzt geht es endlich los? Wie sieht die Straße aus, wenn ich in fünf Jahren von Hamburg nach Husum fahre - merke ich etwas von der großen Koalition?

Anne Lütkes:

Du kannst ja mit dem Zug fahren.

Klaus Müller:

Vielleicht sind die Leitplanken dann rot-schwarz gestrichen. Aber im Ernst: Das war auch das schwerste Thema zwischen Rot und Grün. Das ist immer so. Und solange die Grünen nicht den Verkehrsminister stellen, wird es ein mühsames Geschäft bleiben. Wir mussten eine Menge Kompromisse schließen, an die jetzt nahtlos angeschlossen werden kann, zum Teil kann es sogar noch beschleunigt werden. Insofern wird man zwei Dinge merken: Es wird eine andere Rhetorik geben, es wird in der Landesregierung keine Stimme mehr für Umwelt- und Naturschutz geben, Lärm und Ähnliches werden nicht mehr als Problem gesehen, außer es hat gerade mal wieder ein Urteil gegeben. Das zweite ist: Man merkt jetzt schon beim Thema Alternativen, dass mit Austermann zum Beispiel bei der Bahnliberalisierung ein anderer Weg als bisher einschlagen wird. Ich hätte ja nie gedacht, dass wir mal die ordnungspolitische Stimme in der Verkehrspolitik sein müssen. Aber was sich Austermann hier leistet, ist schlicht eine Kumpelei mit seinem Freund Mehdorn von der Bahn-AG mit der Tendenz, bei einem Glas Rotwein auszuhandeln, wie in Zukunft die Strecken verlaufen sollen. Die Rabulistik beim Thema Verkehr und Beton, aber auch die Kehrtwende in der Bahnpolitik sind beides keine guten Zeichen.

Gegenwind:

Und was passiert dann tatsächlich? Zum Straßenbauen muss man ja nicht nur die Grünen aus der Regierung los werden, man braucht dann auch Geld.

Klaus Müller:

Ja, und das ist etwas, was im Land nicht entschieden wird. Das wird im Bundesverkehrswegeplan entschieden, auch der ist ein Kompromiss. In Berlin wird es nach dem 18. September davon abhängen, wie weit die LKW-Maut ausgeweitet wird. Wird sie auf Landstraßen ausgeweitet oder, wie man aus der CDU hört, auf PKWs? Dann sind mehr Mittel vorhanden, und die werden nicht in die Schiene oder Wasserwege gesteckt, nicht in den Öffentlichen Personenverkehr, sondern in den Straßenbau und in Flugplätze. Das merkt man nicht in den nächsten fünf Jahren, aber vielleicht in acht bis zehn Jahren. Im Land haben wir als grünes Umweltministerium entgegen mancher Gerüchte immer gesagt, wenn eine Entscheidung gefallen ist, zum Beispiel zur A20, haben wir die nicht blockiert. Wir haben gesagt, wir streiten für Naturschutz, aber wir streuen keinen Sand ins Getriebe, das ist ein schlechter Stil.

Flughäfen

Gegenwind:

Wenn wir uns zur Verkehrspolitik die Flughäfen ansehen, bleiben wir ja beim Geld und auch ein bisschen beim Umweltministerium. Die CDU hat jetzt bemerkt, dass es nicht so einfach geht wie sie im Wahlkampf versprochen haben.

Klaus Müller:

Nein, die CDU ist absolut vor die Wand gelaufen. Ich behaupte auch, eine Reihe von CDU-Politikern hat wider besseres Wissen Wahlkampf betrieben. Alles deutet darauf hin, dass es eine weitere Tranche Natura 2000 geben wird, nämlich die wenigen Restflächen, die SPD und CDU mit penetrantem Widerstand zu verhindern versucht haben. Ich habe gestern Abend in der August-Ausgabe vom Gegenwind gelesen: In der Tat, der BUND hätte weniger Erfolg gehabt, allerdings auch nicht "keinen Erfolg" gehabt, wenn man den ursprünglichen Vorschlägen des Umweltministeriums gefolgt wäre und tatsächlich die Grönauer Heide am Lübecker Flughafen komplett als Natura 2000-Gebiet ausgewiesen hätte. Das ist richtig. Meine These ist: Die Landesregierung wird das nachholen, und die CDU wird enorme Probleme haben zu erklären, warum sie bisher immer behauptet hat, es wurde zuviel angemeldet, obwohl sie jetzt noch mehr anmelden müssen.

Flughäfen muss man von Fall zu Fall beobachten. Ich glaube, Kiel-Holtenau wird mit seinen Erweiterungsplänen nicht das Jahr 2006 überstehen. Vieles spricht dafür, dass sich das auch in der CDU langsam herumspricht. Es gibt einfach keine Nachfrage, das muss selbst der letzte CDU-Wirtschaftsminister einsehen. Zur Zeit werden fast 150 Euro pro Flugticket von Stadt und Land zugeschossen, das ist unsinnig. Da sind wir in der Dimension von Opern und Konzerthäusern. In Lübeck haben wir auch immer gesagt, die Verlängerung der Startbahn wird durch Umweltrecht nicht tangiert. Da gibt es jetzt schon Schotter, und der Unterschied zwischen Schotter und Beton ist marginal. Wenn die Landesregierung jetzt erklärt, sie will die Ausgleichsflächen vervielfachen und auf den Taxiway verzichten, wäre das naturschutzfachlich eindeutig ein Fortschritt. Das ändert aber nichts an der Lärmbelastung von Groß-Grönau, und insofern war mein Widerstand zwar auch ein naturschutzfachlicher, aber eher ein ökonomischer und eine Frage nach der Belastung der Anwohner. Was hier helfen würde, Stichwort Nachtflugverbot, ist eine Unterstützung des Lärmschutzgesetzes von Minister Trittin, das von der CDU bisher boykottiert wird. Damit könnte man etwas für die Menschen verbessern, und das ist notwendig.

Gegenwind:

Aber für Lübeck ist ja auch die große Politik entscheidend. Dass ein Billigflieger sein Angebot so ausweitet, hängt ja damit zusammen, dass er unversteuertes Benzin tanken darf. Ist das nicht ein künstlicher Zustand, dass man von Lübeck billiger nach Italien kommt als nach Amrum?

Klaus Müller:

Absolut. Eine langfristig vorausschauende Wirtschaftspolitik ist das nicht. In fünf oder zehn Jahren wird auch die EU festgestellt haben: Diese Ausnahmen, diese Wettbewerbsverzerrung zwischen Schiene und Fliegern wird nicht aufrecht erhalten. Es gibt das Urteil gegen einen französischen Flughafen, angestrengt durch die großen Airlines, das besagt: Die Begünstigung ist so nicht haltbar. Die Lufthansa hat jetzt eine Studie herausgegeben. Danach gibt es vielleicht drei oder fünf Regionalflughäfen, die auch ökonomisch tragfähig sind, von der Klimaproblematik mal abgesehen. Aber die Vielzahl der Regionalflughäfen ist unsinnig. Wenn Austermann langfristige Politik betreiben würde, müsste er sich fragen, ob Ryanair ein Partner ist, der auch in zehn Jahren noch Arbeitsplätze sichert.

Natura 2000

Gegenwind:

Wie geht es denn generell mit den Natura 2000-Gebieten weiter? Wenn der Umweltminister im nächsten Frühjahr auf Eiderstedt ist, findet er dort noch so viele Freunde wie im Wahlkampf?

Klaus Müller:

Neunzig Prozent der vom grünen Umweltminister gemeldeten Flächen sind in Brüssel, und von Boetticher kann und will daran nichts ändern. Sie werden sogar mehr Flächen melden, nämlich die drei Bereiche, die noch ausstehen: bei Lübeck, die Ästuare und das Gebiet bei Brunsbüttel. Das sind alles Gebiete, die die SPD nicht wollte. Die große Koalition muss jetzt aber einsehen, dass sie das melden muss. Stichwort Eiderstedt: Wir haben eine naturschutzfachlich schlüssige Lösung gewählt. Die kann von Boetticher um 1000 Hektar, um 2000 Hektar, vielleicht um 3000 Hektar reduzieren, ohne Vertragsverletzungsverfahren aus Brüssel zu riskieren. Das ist aber nicht das, was er versprochen hat. Er hat versprochen, es gäbe eine Null-Lösung. Das ist verheerend für die Natur, europarechtswidrig und vor allem ein Danaergeschenk für die Landwirte vor Ort, weil ihnen damit die finanzielle Unterstützung für die nicht ganz einfache Bewirtschaftung verloren geht. Damit hat von Boetticher ja schon angefangen. Mehrere hunderttausend Euro Grünlandprämie, die es nicht mehr geben soll, fehlen insbesondere den Eiderstädter Landwirten. Wenn sich der eine oder andere abends mit seiner Frau über die Rechnungsbücher beugt, wird er feststellen, dass ein schwarzer Umwelt- oder, pardon, Agrarminister für ihn teurer kommt als ein grüner Umweltminister.

Gegenwind:

Wie geht es auf anderen Gebieten der Umweltpolitik weiter? Bei der Windenergie ist ja Peter Harry Carstensen einer, der schon sehr früh eine positive Haltung dazu hatte. Eigentlich muss ja auch ein schwarzer Wirtschaftsminister sagen, das sollte man in Schleswig-Holstein nicht ideologisch angehen, sondern ausrechnen. Im Koalitionsvertrag fehlen aber konkrete Zahlen, was geplant ist.

Klaus Müller:

Man kann Windenergie aus drei Gründen vorantreiben. Es ist ein Beitrag zum Klimaschutz. Dazu findet sich sehr, sehr wenig bei Schwarz-Rot. Ich kann bisher auch nicht erkennen, dass sich Herr von Boetticher um das Thema Klimaschutz kümmert. Man kann sagen: Windenergie ist eine andere Form von Energieerzeugung, sie macht unabhängig von Monopolen. Da ist Herr Austermann genau das Gegenteil von Rot-Grün, er ist ein Freund der großen Energieversorgungs-Unternehmen. Wenn jemand in die Windenergie einsteigt, sollen das aus seiner Sicht die Großen sein, Projekte wie Butendiek wird er torpedieren. Aber man kann auch ganz nüchtern sagen: Da entstehen Arbeitsplätze und Wertschöpfung. Das wird auch die Große Koalition unterschreiben. Und insofern werden sie sagen: Was es bisher gibt - 25 bis 30 Prozent des Verbrauchs wird durch Windenergie erzeugt -, das werden sie nicht zurückdrehen. Aber es wird eine starke Tendenz geben zu sagen: Das reicht auch. Weitere Schritte wie Offshore wird es mit dieser Regierung kaum geben. Siehe Husumer Hafen, wo die Entscheidung zum Ausbau zurückgenommen worden ist. Das ist das erste handfeste Zeichen, dass Austermann sagt, mehr im Bereich der erneuerbaren Energien wollen wir nicht.

Biomasse

Gegenwind:

Gilt das auch für die Bio-masse? Da liegt Schleswig-Holstein im Vergleich zu Dänemark ja weit zurück. Die dänischen Betreiber von Anlagen lästern ja auch gerne, dass sie in Deutschland billig einkaufen können, weil hier Biomasse nicht genutzt wird.

Klaus Müller:

Sie lästern zu Recht! Wir haben zwar viel auf den Weg gebracht, da ist viel entstanden bei Biomasse, Biogas, Raffinerien, das ist der Wachstumsmarkt schlechthin. Es gab sicherlich viele Landwirte, die die Chancen noch nicht entdeckt haben. Aber viele junge Landwirte sagen ganz unideologisch: Super. Der Weg zum Energiewirt ist klasse. Wir haben gesagt, die Landwirte können die Ölscheichs von morgen sein. Das war ambitioniert formuliert, und das hat Herr von Boetticher ausdrücklich zurück genommen. Er sagt, die Trauben soll man nicht zu hoch hängen. Ich glaube, er wird den Bereich weiter unterstützen, aber nur aus dem dritten Grund, ökonomisch begründet. Er sieht die Chance nicht im Bereich von Klimaschutz oder der Unabhängigkeit von großen Energieerzeugern. Das wird ein sehr gebremstes Engagement sein. Noch schlimmer: Er wird versuchen, das mit der Gentechnik zu kombinieren. Ich glaube, er wird die Biomasse nutzen als Türöffner für gentechnisch veränderte Produkte. Das ist ein trojanisches Pferd für die Biomasse.

Gegenwind:

Wie beurteilt ihr die neue Regierung insgesamt? Wird das ein starkes Rollback geben? Oder gibt es eher Stillstand? Sind die drei Oppositionsparteien in der Lage, etwas zu unternehmen, oder sind sie immer unterschiedlicher Meinung?

Anne Lütkes:

Ich bin überzeugt, dass auch die quantitativ kleinere Opposition in der Lage ist, der Großen Koalition Inhalte massiv entgegen zu setzen. Auch wenn wir gespalten sind, notwendig gespalten - gerade die Grünen und die FDP sind gesellschaftspolitisch konträr eingestellt -, so ist es dennoch keine Illusion, andere Alternativen, andere Konzepte und auch Kritik an dieser Regierung zu formulieren. Mit dem SSW werden wir intensiver zusammenarbeiten. Mit der FDP kann man bei parlamentarischen Minderheitenrechten auch zusammenarbeiten. Die FDP ist nicht nur ihr Fraktionschef, es gibt dort auch Menschen, die an der Zusammenarbeit im Verfahren interessiert sind. Eine Opposition braucht parlamentarische Minderheitenrechte, um die Kontrolle ausüben zu können. Es war einer unserer ersten Erfolge, diese Rechte zu sichern. Jetzt steht der Nachtragshaushalt an, dann die große Debatte um den Haushalt 2006. Es wird gelingen, unterschiedlich zur FDP landespolitische Schwerpunkte zu formulieren. Auch wenn wir "nur" vier sind - wir haben als Grüne die Konzepte in den letzten Jahren entwickelt und können das auch fortsetzen.

Klaus Müller:

Und die Regierung muss man von Minister zu Minister unterschiedlich betrachten. Hut ab vor Herrn von Boetticher. Er wird nüchtern und technokratisch jede fortschrittliche Naturschutz- und Umweltpolitik zurückfahren. Das tut er jetzt auf der Erlassebene, als nächstes im Haushalt, danach in den Gesetzen. Das ist Rollback. In der Bildungs- und Sozialpolitik gibt es einen Status Quo. Da wird ein gutes Niveau gehalten. Frau Erdsiek-Rave und Frau Trauernicht werden das, was da ist, weitestgehend verteidigen. Es wird aber nur wenig Fortschritt geben. Bei Herrn Stegner ist das noch ein wenig unklar. Man wird sehen, wie das in der Innen- und Rechtspolitik wird, hier ist auch die Opposition am handlungsfähigsten. In der Europapolitik entdeckt man bei Herr Döhring neue Töne. Da muss man schauen, spricht er für sich selbst, spricht er fürs Kabinett? Stichwort Türkei-Beitritt, da sieht er ja die Möglichkeit der privilegierten Partnerschaft à la Merkel. Und was Herrn Austermann angeht, da gibt es eine Menge Parallelen zu Herrn Clement. Beide sind extrem laut, auch vorlaut. Beide kündigen jede Menge an. Was da tatsächlich bei rumkommt, wird wesentlich weniger sein. Und Carstensen ist eine Mischung aus Ole von Beust, Henning Scherf und Johannes Rau. Es wird sich aus den Tiefen konkreter Politik heraushalten, präsidial regieren wie von Beust. Er wird jede zweite "Deern" in Schleswig-Holstein herzlich umarmen und schlimmstenfalls auch küssen. Kaum ein Hoffest oder Dorffest wird er sich entgehen lassen. Und er wird, das tut er heute schon mit Erfolg, eine landesväterliche Rolle wie Johannes Rau anstreben. Er ist kein Ideologe wie Roland Koch. Schmutzige Geschichten wie Unterschriften gegen Ausländer werden uns erspart also bleiben. Das ist auch ein Fortschritt. Aber er gefällt sich in der Rolle des Präsidenten, des Herrschers, und das ist für Schleswig-Holstein kein Fortschritt.

Anne Lütkes:

Wir haben vorhin über die Liberalität in der Innenpolitik gesprochen. Wir müssen aber auch feststellen, dass das Justizministerium jetzt anders konstruiert ist. Justiz ist ein Gebiet, das jetzt nebenher läuft. In den letzten fünf Jahren hatten wir im Land und im Bundesrat eine deutliche Justizpolitik, mit einer rechtsstaatlichen und verfassungsrechtlichen Position. Schleswig-Holstein war in der Justizminister-Konferenz das Land, das in der anstehenden großen Justizreform die rechtsstaatliche Variante vertreten hat. Das tut es nicht mehr. Diese Variante kommt in der fachöffentlichen Debatte nicht mehr vor, es sei denn, die Strafverteidiger-Verbände oder die Neue Richtervereinigung klagt es ein. Aber ich denke, es ist Aufgabe einer Landesregierung, die Rechtsstaatlichkeit nicht nur in der Verfassung stehen zu haben, sondern auch zu leben. Und da habe ich große Bedenken. Nicht weil Minister und Staatssekretär eine falsche Position haben, sondern weil Döring ausdrücklich erklärt hat, er sei kein Rechtspolitiker. Und der Staatssekretär ist nicht der, der die Position zu vertreten hat, er scheint es auch nicht zu tun. Das ist eine große Gefahr. Den liberalen Strafvollzug kann man nicht nur verwalten, man muss auch grundsätzliche Weichen stellen. Zur Jugend- und Sozialpolitik: Es gibt da ein Ministerium. Aber in der Jugendpolitik gibt es gesellschaftliche Entwicklungen. Ein Schwerpunkt der letzten fünf Jahre war die Beteiligungspolitik, demokratisches Lernen. In den letzten Monaten habe ich davon nichts mehr gehört. Die Sozialministerin ist eine sympathische Politikerin, aber Jugendpolitik kommt bei ihr nicht mehr vor.

Gegenwind:

Jetzt fehlte noch Herr Wiegard. Was ist die Rolle des Finanzministers? Nimmt er allen Ministern das Geld weg, um zu sparen?

Klaus Müller:

Ich traue mir zur Zeit noch kein Urteil zu. Es ist ein absolut billiger Trick, den Nachtragshaushalt um mehr als vier Prozentpunkte für 2005 zu erhöhen, um sich feiern zu lassen, dass man mit dem Haushalt 2006 wieder um 0,1 Prozent runter geht. Es ist ein Märchen, man habe mit dem Haushalt 2006 eine Trendwende eingeleitet. Wenn man sich das Stöckchen so niedrig legt, kann man problemlos darüber robben. Ob Herr Wiegard mehr zustande bringt - nun ja, es gibt Möglichkeiten, Personal einzusparen. Das hat Konsequenzen für die Arbeitslosigkeit, aber man kann dadurch Geld sparen. Ob er es schafft, mit Stegner zusammen ein gutes Konzept hinzukriegen, steht in den Sternen. Er ist angenehm leise, aber welche Rolle er spielt, erschließt sich mir noch nicht.

Interview: Reinhard Pohl

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum