(Gegenwind 203, August 2005)

Ein Rückblick auf die Mahnwache in Neumünster

Abschiebungen in den Blick der Öffentlichkeit gerückt

Bleiberecht für alle

Vom 30.5.2005 bis zum 9.6.2005 wurde in Neumünster eine Mahnwache zur Unterstützung der von Abschiebung bedrohten - und mittlerweile abgeschobenen - Eheleute Kocan abgehalten.

Es fanden sich auf einer Informationsveranstaltung des Vereins Grenzgänger e. V., die die Situation der Eheleute thematisierte, eine Reihe von BürgerInnen und Organisationen, die tief betroffen und teilweise entsetzt auf die Beschreibungen der Tochter Elvisa Kocan reagierten. Diese Menschen beschlossen, so darf staatliches Handeln nicht stattfinden, es muss diese Art der Verwaltungspraxis öffentlich werden.

Doch zunächst eine kurze Situationsbeschreibung der Familie. Seit 13 Jahren lebten die Eheleute Kocan in Neumünster, sie hatten hier Zuflucht gesucht vor den Repressalien, denen sie als bosnische Minderheit im Kosovo ausgesetzt waren, sie hatten hier ihre fünf Kinder großgezogen und nun sollten nur die Eltern abgeschoben werden. In ein Land in dem die Situation auch nach dem Krieg noch nicht friedlich ist. Die Eheleute scheiterten an der Härtefallkommission. Es ist zu vermuten, dass die Arbeitslosigkeit der Betroffenen für einen negativen Ausgang dieses Verfahrens sorgte. Die Eltern waren im Vergleich zu Ihren Kindern nicht in der Lage, ihre Integration nachzuweisen.

Vor diesem Hintergrund wurde ein Flugblatt entworfen und für den 18. Mai 2005 eine Kundgebung organisiert, an der ca. 100 Menschen teilnahmen. Durch die über die Kundgebung erreichte Öffentlichkeit wurde das erste Vorbereitungstreffen für die Mahnwache gut besucht.

Die Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Asyl Rendsburg, welches die Neumünsteraner Akteure mit wichtigen Tipps für die Durchführung einer Mahnwache versorgte, klappte ganz gut, konnten die Mahnwachen für die Kocans in Neumünster und die Rendsburger Mahnwache für die Familie Landu doch parallel stattfinden. Während teilweise die Neumünsteraner Mahnwache von einigen organisatorischen Kinderkrankheiten betroffen war, platzte wie eine Bombe der Antrag der Ausländerbehörde, die Eheleute Kocan ab sofort in Abschiebehaft zu nehmen.

Entschieden werden sollte darüber in einer richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht in Neumünster. Herr Kocan befand sich zu dieser Zeit im Krankenhaus, so dass "Fluchtgefahr" recht unwahrscheinlich war. Die Ausländerbehörde interessierte dies nicht, sie begründete ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass Kocans im Jahre 1996 nicht unterschrieben hätten, Deutschland im Falle einer abgelaufenen Duldung freiwillig zu verlassen. Wer auf diese Weise "Widerstand" gegen seine Abschiebung ankündigt, gehört aus der Sicht Neumünsteraner Abschiebebürokraten präventiv eingesperrt. Zwar ließ sich die Richterin von der Argumentation nicht überzeugen und die Abschiebehaft wurde nicht verhängt, aber der hiermit verübte psychische Terror der Ausländerbehörde sollte letztlich den Widerstandswillen der Familie zerstören.

Die nächsten Tage der Mahnwache waren nicht nur davon geprägt die Akteure bei der Stange zu halten und zu motivieren oder zu versuchen tägliche Treffen der Manöverkritik abzuhalten, sondern auch von einer sich solidarisierenden Bevölkerung. So erhielten die Mahnwachenden Essensspenden von verschiedenen Gastronomen der Stadt und vom Autonomen Frauenhaus. Die selbst mit eigenen Sorgen belasteten Frauen spendeten für die Nachtschicht. Auch fuhren nachts die TaxifahrerInnen Neumünsters vor, um zu unterschreiben oder um sich Unterschriftenlisten zu holen um selbst sammeln zu können. Auch dass der Zuckerbäcker Carsten Rühmann zwei unbefristete Vollzeitarbeitsplätze zur Verfügung stellte, brachte keine Wende in dem Fall Kocan, obwohl damit die Abhängigkeit der Eheleute von der öffentlichen Hand hätte beendet werden können und auch die Entscheidung der Härtefallkommission hätte revidiert werden können. Die entsprechenden Entscheidungsträger in Stadt und Land waren dazu nicht bereit.

Der wichtigste Erfolg der Mahnwache aber war die interkulturelle Kommunikation, die im Zelt stattgefunden hat. Elf Tage war das Zelt ein Eldorado der Integration, es wurden so viele Gespräche und Diskussionen zu den unterschiedlichsten Themen, die Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigen, von den verschiedenen Menschen geführt, dass andere Aktivisten, die im Rahmen der Integrationsarbeit tätig sind, vor Neid erblassen müssten. Manches Vorurteil dürfte inzwischen gefallen sein.

Immerhin gelang es innerhalb von 7 Tagen 2200 Unterschriften zusammenzutragen, die dann dem persönlichen Referenten des Innenministers des Landes Schleswig-Holstein, Heiner Volkers, am 7. Juni in Kiel übergeben werden konnten.

Ein Rahmenprogramm, das neben der Vermittlung von Inhalten auch neue und zusätzliche Leute an die Mahnwache hätte heranführen können, reduzierte sich zwar auf einige wenige Veranstaltungen, aber diejenigen die an diesen Veranstaltungen teilgenommen hatten, haben sicherlich einiges für sich mitnehmen können.

Sicher vielleicht auch bedingt durch die von der Ausländerbehörde aufgebaute, Drohkulisse schwand in der Familie Kocan immer mehr der Mut, die Abschiebung noch verhindern zu können. Ein Teil der Kocan-Kinder zog sich aus ihren Aufgaben rund um die Mahnwache zurück, um die verbleibenden Stunden noch mit den Eltern verbringen zu können. Auch verbat sich die Familie jede öffentliche Begleitung der nächtlichen Abschiebung am 09.06.2005 um 3.00 Uhr morgens am Landesamt in Neumünster. Die Mahnwachenaktivisten haben diesen Wunsch, wenn auch schweren Herzens respektiert und so zeitgleich mit der Abschiebung die Mahnwache aufgelöst.

Fazit

Es sicherlich falsch, die Mahnwache, trotz einiger Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten als einen Misserfolg zu werten. In einem Nachbereitungstreffen wurde von den Beteiligten als Erfolg angesehen, dass die Themen Abschiebung und der Umgang mit Flüchtlingen über einen längeren Zeitraum öffentlich thematisiert wurden. Die hohe Anzahl an gesammelten Unterschriften wurde ebenso positiv bewertet wie die überwiegend positiven Reaktionen von PassantInnen oder die uns entgegengebrachte Solidarität. Es gab keinen Stress mit Nazis, rassistische Pöbeleien blieben eher die Ausnahme. Direkte Unterstützung der Mahnwache, also selbst sich einzuplanen und Schichten zu übernehmen, blieb jedoch ebenfalls eher die Ausnahme, so dass der aktive Kern während der ganzen Mahnwache aus nicht mehr als 15 Personen bestand.

Als absolut positiv und in dieser Form in Neumünster bisher nicht da gewesen, war die ausführliche und durchweg positive Berichterstattung über die Mahnwache, insbesondere durch den Holsteiner Courier, aber auch durch die Kieler Nachrichten.

Als Fehler wurde im nachhinein der Standort der Mahnwache direkt an einer vielbefahrenen, und kopfsteinbepflasterten Straße gesehen, weil die dortige Lärmkulisse sowohl Veranstaltungen als auch Treffen schwierig machten.

Der fehlende Strom während der Mahnwache wurde ebenfalls als negativ bewertet.

Der größte organisatorische Fehler war die Einschätzung, dass es möglich sein würde, Familienmitglieder fest in den "Schichtplan" der Mahnwache einzubinden. Ohne die Übernahme von Doppel- und Dreifachschichten durch wenige einzelne Aktivisten wäre ein Auffangen der entstandenen Fehlzeiten nicht möglich gewesen.

"Folgeerscheinungen"

Während der Mahnwache wurden wir mit weiteren "Fällen" konfrontiert, in denen Familien in ähnlichen Situationen von Abschiebung bedroht waren. Bereits am zweiten Tag der Mahnwache fand sich am Zelt eine weitere Familie aus dem Kosovo ein, die in ähnlicher Art und Weise von Abschiebung bedroht waren: Die Eheleute Mirena mit ihrer 14-jährigen Tochter Fillojeta. In diesem Falle entwickelte sich hauptsächlich vorangetrieben durch MitschülerInnen und LehrerInnen von Fillojeta eine öffentliche Kampagne im Anschluss an die Mahnwache. Vor allem über eine sehr gute Internetseite www.fillojeta-muss-bleiben.de und eine Online-Unterschriftensammlung konnte eine große Öffentlichkeit hergestellt werden. Die hier gesammelten Unterschriften wurden zusammen mit denen für die, von Abschiebung bedrohten, Familien in Rendsburg und Kiel dem Innenminister übergeben (nicht ihm selbst, sondern seinem "persönlichen Referenten"). In diesem Fall ist noch nicht entschieden, ein ärztliches Attest über den Gesundheitszustand der Eltern verhinderte hier zunächst die Abschiebung.

Für Entsetzen sorgte der Fall der Familie Savas aus dem Kreis Segeberg, Murat Savas war bereits vor der Mahnwache auf einem Vorbereitungstreffen und schilderte seine Situation. Die kurdische Familie aus der Türkei sollte bereits Ende Mai abgeschoben werden. Der durch Folter in türkischer Haft schwer traumatisierte Murat Savas begab sich Ende Mai mit der Unterstützung von Mitgliedern des Alevitischen Kulturvereins und des Türkischen Arbeitervereins zur Behandlung in die psychiatrische Klinik in Rickling. Dort wurde er in der Nacht vom 27. auf den 28. Juni aus dem Krankenhaus heraus von einem Greiftrupp der Segeberger Ausländerbehörde verhaftet und bereits am 28. Juni allein in die Türkei abgeschoben (siehe hierzu auch kurz&knapp Segeberg in diesem Heft). Zum wiederholten Male zeichnete sich hiermit die Segeberger Ausländerbehörde durch besonders unmenschliches und rassistisches Handeln aus. Es wäre an der Zeit, das Treiben der Segeberger Ausländerbehörde stärker als bisher öffentlich anzugreifen.

Andrea Storke

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