(Gegenwind 193, Oktober 2004)

Hartz IV und die Folgen

10.000 "Arbeitsgelegenheiten" für Schleswig-Holstein

25 Millionen Euro aus dem Landesprogramm "Arbeit für Schleswig-Holstein" soll zur Flankierung der "Hartz IV"-Reformen eingesetzt werden. Das beschloss die Landesregierung am 31. August. Dieses Geld soll teilweise dazu dienen, sogenannte "Arbeitsgelegenheiten" zu schaffen.

Das sind "gemeinnützige" und "zusätzliche" Tätigkeiten, die EmpfängerInnen des neuen "Arbeitslosengeld II" ab dem 1. Januar übernehmen müssen. Sie bekommen dann ihr ALG II weiter, zusätzlich bekommen sie 1 oder 2 Euro "Mehraufwands-Entschädigung". Langzeitarbeitslose und arbeitsfähige bisherige SozialhilfebezieherInnen sollen zu 23 Prozent mit Arbeitsgelegenheiten versorgt werden, so will es die Bundesregierung. In Schleswig-Holstein soll dieser Anteil durch Landesmittel erhöht werden, außerdem sollen alle ALG II-BezieherInnen unter 25 Jahren zu 100 Prozent mit Arbeitsgelegenheiten versorgt werden.

Ein anderer Teil der 25 Millionen Euro soll für ein landesweites Kombilohn-Modell eingesetzt werden. ArbeitnehmerInnen erhalten bis zu 10 Monate lang einen Lohnkostenzuschuss von 250 Euro, wenn sie eine Stelle antreten. Der Arbeitgeber erhält ebenfalls 250 Euro monatlich als Beihilfe zu einer 10-monatigen Einarbeitungszeit.

Welcher Anteil der 25 Millionen Euro für Arbeitsgelegenheiten und welcher für den Kombi-Lohn verwendet wird, soll von den Anträgen der Wohlfahrtsverbände und der Arbeitgeber abhängen. Wirtschaftsminister Bernd Rohwer nannte auf einer Pressekonferenz die jeweils hälftige Verwendung der Mittel für beide Zwecke sein Wunschziel.

Um "Arbeitsgelegenheiten" zu schaffen, wurde im Sozialministerium eine "Ideenbörse" veranstaltet. Heraus kam eine lange Liste von Ideen, die von "Vorlesen für Behinderte" bis zum "Koffertragen für alte Menschen" auf den Bahnhöfen reicht. Träger sollen Wohlfahrtsverbände, aber auch z.B. die Deutsche Bahn sein. Ob diese aber auch wollen, weiß die Landesregierung bisher nicht. Der Paritätische Wohlfahrtsverband äußerte sich sehr kritisch dazu und merkte an, 100 Quadratmeter Grünfläche seien anders zu betreuen als zwei Senioren im Altersheim.

Denn wer angebotene Arbeitsgelegenheiten nicht wahrnimmt, wird mit einer 30-prozentigen Kürzung der Bezüge bestraft, Arbeitslose unter 25 Jahren verlieren alle Bezüge. Wie unter diesen Umständen das Vorlesen für Behinderte verläuft, bleibt abzuwarten.

1-Euro-Jobs?

Heftig wehrte sich Ministerpräsidentin Heide Simonis auf der Kabinettspressekonferenz am 31. August gegen den Ausdruck "1-Euro-Job". Sie will die 345 Euro, die die ALG II-BezieherInnen monatlich bekommen, mitgerechnet wissen und kommt dann mit der Stütze für Kinder und dem Geld für die Wohnung auf einen Stundenlohn von 8 bis 10 Euro.

Außer dem Paritätischen Wohlfahrtsverband haben auch Handwerkskammern Kritik angemeldet. Sie befürchten, dass Langzeitarbeitslose in öffentlichen Einrichtungen als Billiglohnarbeiter tariflich bezahlte Handwerker verdrängen. Angesichts der Ebbe in den öffentlichen Haushalten ist diese Befürchtung sicherlich realistisch. 2005 werden Bund, Länder und Gemeinden 64,5 Mrd. Euro weniger einnehmen als 2000. Das hat die PDS errechnet. Dabei entfallen 39 Mrd. Euro auf Steuergeschenke durch die Unternehmenssteuerreform, 3,5 Mrd. auf die Zinsabgeltungssteuer, 6 Mrd. Euro kostet die Senkung des Spitzensteuersatzes und 16 Mrd. Euro der Verzicht auf die Vermögensteuer.

So werden viele Kommunen auf die Idee kommen, das neue Klettergerüst im Kindergarten nicht vom örtlichen Tischler, sondern vom einem Langzeitarbeitslosen herstellen zu lassen - für einen Euro pro Stunde.

Klappt es überhaupt?

Ob die Zusammenlegung von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld zum 1. Januar 2005 überhaupt klappt, daran bestehen vielerorts noch Zweifel. Die Agentur für Arbeit klagt über einen schleppenden Rücklauf ausgefüllter Anträge, intern sprach man Anfang September von lediglich neun Prozent. Das bedeutet, dass der Arbeitsanfall im November/Dezember sehr viel höher sein wird als kalkuliert, für diesen Zeitraum werden jetzt Tausende von Aushilfskräften gesucht und geschult. Andererseits funktioniert die Software nicht, die Hersteller wollen alle Fehler bis zum Oktober eliminiert haben.

Sorgen machen sich vor allem die Landesregierungen von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen. Denn sie wollen im Februar bzw. im Mai 2005 wiedergewählt werden - für rot-grüne Koalitionen ist das nicht eben einfach. Wenn aber Tausende von Arbeitslosen im Januar kein Geld bekommen, können die beiden Landesregierungen alle Hoffnungen begraben.

Der SSW hat auf seinem Landesparteitag am 11. September in Husum die Verschiebung der gesamten "Reform" gefordert. Dabei ging es der Partei der dänischen und friesischen Minderheit aber nicht allein um die technischen Probleme der Umsetzung. Vielmehr will sie grundsätzliche Verbesserungen: Die gemeinnützigen Arbeitsgelegenheiten sollen tariflich bezahlt werden, BeraterInnen der Arbeitsagentur sollen für höchstens 60 Arbeitslose zuständig sein und das Arbeitslosengeld soll bei zuvor langjährig Beschäftigten länger als 12 Monate bezahlt werden.

Vorbereitung auf Abschaffung der Wehrpflicht?

Zur Zeit wird nur die Minderheit eines Jahrgangs Wehrpflichtiger tatsächlich eingezogen, weil der Bedarf der Bundeswehr stark zurückgegangen ist. Seit es nicht mehr um die Landesverteidigung geht, sondern um weltweite Interventionen zur Sicherung der Rohstoffquellen und Abwehr von Flüchtlingsströmen, sind Berufssoldaten und Spezialisten gefragt. Das führt aber auch dazu, dass es kaum noch Verweigerungen nach der Musterung gibt. Vielmehr warten die meisten Jugendlichen ab, ob sie überhaupt einberufen werden - erst dann schicken sie die Kriegsdienstverweigerung ab. Nur diese werden dann zum Zivildienst einberufen - mit der Folge, dass schon jetzt Tausende von Zivildienststellen nicht besetzt werden können.

Mit der "Hartz IV"-Reform wird jetzt den Wohlfahrtsverbänden die Möglichkeit gegeben, diese Plätze zwangsweise mit Langzeitarbeitslosen zu besetzen. Der "Mehrbedarfs-Aufwand" von 1 Euro pro Stunde wird von der Arbeitsagentur übernommen.

Sollte das System der zwangsweisen Verteilung von "Arbeitsgelegenheiten" funktionieren, kann die Wehrpflicht abgeschafft werden.

Reinhard Pohl

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