(Gegenwind 192, September 2004)

Beratungsstelle contra

Gegen Frauenhandel in Schleswig-Holstein - Rückblick, Analysen und Perspektiven

Seit fünf Jahren arbeitet contra, die Beratungs- und Koordinierungsstelle für Betroffene von Frauenhandel in Schleswig-Holstein. Vieles ist bisher erreicht worden, nach wie vor besteht jedoch gesellschaftspolitischer Handlungsbedarf, um die Situation betroffener Frauen zu verbessern.

Nach Schätzungen der UN werden weltweit etwa eine Million Frauen jährlich Opfer von Frauenhandel. Frauenhandel ist die Anwerbung mittels Täuschung und falscher Versprechungen und der Zwang in die Prostitution, in illegale ausbeuterische Arbeitsverhältnisse oder in die Ehe. Auch im Ostseeanrainerland Schleswig-Holstein sind Frauen von diesen Menschenrechtsverletzungen betroffen, denen konsequent entgegengewirkt werden muss. Impulsgebend für die Konzeptentwicklung eines Beratungsangebotes für betroffene Frauen in Schleswig-Holstein war der "Runde Tisch Frauenhandel", in dem seit 1996 Fachfrauen aus dem kirchlichen und nicht-kirchlichen Bereich zusammenarbeiteten. Als Ergebnis dieses gesellschaftspolitischen Engagements wurde 1999 durch die Landesregierung die Finanzierung eines Modellprojektes bewilligt und contra in der Trägerschaft des Nordelbischen Frauenwerkes eingerichtet.

Der Bedarf eines solchen Angebotes in Schleswig-Holstein hat sich in der Modellphase bestätigt. Kontinuierliche Aufklärung, Sensibilisierung und Vernetzung in Kooperation führten zu einem Anstieg der Beratungen - 1999 nahmen 11 Frauen Beratung in Anspruch, 2001 waren es bereits 70 Frauen. Dennoch war die Weiterführung von contra nach der Modellphase sehr gefährdet. Mit einer landesweiten Kampagne ist es gelungen, dass das Land die Arbeit von contra weiter unterstützt, wenngleich die Mittel drastisch gesenkt wurden. Das Nordelbische Frauenwerk musste deshalb ab 2002 den Eigenanteil erheblich erhöhen und trägt die Arbeit mit über der Hälfte der benötigten Mittel. Bei contra arbeiten zwei Mitarbeiterinnen mit jeweils 75%-Stellen und es steht ein begrenzter Sachkostenhaushalt zur Verfügung.

Situation betroffener Frauen

Die meisten der Klientinnen in der Beratung von contra waren von Zwangsprostitution betroffen. Deshalb fokussieren wir uns nachfolgend auf diesen Bereich.

Die Frauen werden - häufig in ihren Heimatländern - mit Versprechungen auf legale und sehr gut bezahlte Arbeit ermutigt, in die Bundesrepublik einzureisen. Für die Einreise und Vermittlung werden ihnen oftmals Schulden auferlegt, die sie abarbeiten sollen. Der Pass wird ihnen häufig abgenommen. Durch sexuelle, körperliche und psychische Gewalt werden sie zur Ausübung der Prostitution gezwungen.

Manche Frauen wussten, dass sie in der Prostitution arbeiten sollen und haben sich aus unterschiedlichen Gründen dafür entschieden zu migrieren, um in der Prostitution Geld zu verdienen und dadurch ihre Lebensperspektiven im Herkunftsland zu verbessern. Auch diese Frauen werden mittels der verschiedenen Formen von Gewalt zu sexuellen Praktiken gezwungen, die sie nicht anbieten wollen, finanziell ausgebeutet sowie an der Beendigung ihrer Tätigkeiten als auch an der Rückkehr ins Herkunftsland gehindert. Ihr Recht auf Selbstbestimmung wird massiv verletzt.

Betroffene Frauen werden durch die TäterInnen gedemütigt, eingeschüchtert, diszipliniert und instruiert. Eine Kontaktaufnahme zu Behörden, Polizei oder Beratungsstellen ist deshalb sehr erschwert. Wird eine Migrantin bei einer polizeilichen Kontrolle im Umfeld der Prostitution angetroffen, so kann sie selten zum Ausdruck bringen, wenn sie von Menschenhandel betroffen ist. Betroffene Frauen sind durch das Erlebte oftmals traumatisiert, ihr gesundheitlicher Zustand ist meist schlecht.

Erfahrungen aus der Beratungsarbeit

Seit Beginn der Arbeit haben 265 Frauen die Beratung von contra in Anspruch genommen, sie waren zum großen Teil Migrantinnen und in den meisten Fällen von Menschenhandel (Zuführung und/ oder Zwang zur Prostitution nach Strafgesetzbuch) betroffen. Weit über die Hälfte der Frauen waren zwischen 18 und 25 Jahren alt und stammten vornehmlich aus den Staaten Mittel- und Osteuropas. Besonders viele Frauen kamen aus Litauen, Polen, Russland, Bulgarien und Rumänien, aber auch aus Lateinamerika und Afrika.

In etwas über der Hälfte der Fälle wurde contra von polizeilichen Dienststellen über den Beratungsbedarf von Frauen informiert, meist nach Razzien und Kontrollen in Bordellen oder Modellwohnungen. In den letzten Jahren wurde contra zunehmend von Klientinnen selbst angefragt oder durch Privatpersonen und (Frauen-)Beratungsstellen Kontakte zu contra vermittelt. Ein großer Teil der Anfragen kam aus Kiel, aber auch aus vielen anderen Regionen wie z.B. aus dem Raum Itzehoe, Heide, Pinneberg, Rendsburg, Neumünster, Lübeck, Schleswig und Flensburg.

Etwa drei Viertel der Frauen entschieden sich nach dem Erstgespräch für eine weiterführende Beratung, die dann je nach Situation der Klientin Beratungszeiträume zwischen einer Woche bis zu zwei Jahren (z.B. bei Prozessen) umfasste. Bei der Beratung steht die Klientin mit ihrem Interessen und Bedürfnissen im Mittelpunkt. Die Klientin trifft die Entscheidungen, bei deren Umsetzung contra sie unterstützt. Um die muttersprachliche Kommunikation zu stützen, arbeiteten wir sehr viel mit Dolmetscherinnen zusammen. In fast jedem Fall waren ausländer- und sozialrechtliche Belange zu klären, viele der Frauen benötigten dringende medizinische Versorgung und eine schnelle Unterbringung an einem geeigneten, vom Tatort entfernten Ort. Dadurch entsteht ein Maß an Sicherheit, das die Grundvoraussetzung für die psychische Stabilisierung und Genesung der Klientin darstellt. In regelmäßigen Beratungskontakten wird über das weitere Vorgehen gesprochen, contra nimmt zu den relevanten Stellen im Interesse der Klientin Kontakt auf und übernimmt häufig auch die Begleitung zu Ämtern und Behörden.

Wichtig ist für die Klientin die Entscheidung, ob sie als Zeugin aussagen möchte. Knapp die Hälfte der Klientinnen waren Zeuginnen in Ermittlungs- und Strafverfahren, contra unterstützte sie dabei und stellte nach Bedarf Kontakt zu einer Rechtsanwältin her. Leider ist an dieser Stelle zu erwähnen, dass die Klientinnen in den seltensten Fällen die notwendige Bedenkzeit für diesen Schritt hatten und somit die Konsequenzen nicht in Ruhe abwägen konnten. 11 Klientinnen waren bisher Zeuginnen in insgesamt 12 Hauptverhandlungen, contra übernahm die Prozessvorbereitung und -begleitung. Meist wurde jedoch das Delikt Menschenhandel nicht in die Anklage aufgenommen, sondern auf andere Straftatbestände ausgewichen.

Fast alle der bisher beratenen Frauen mussten ausreisen, ein Daueraufenthalt aus humanitären Gründen oder wegen der Gefährdung im Herkunftsland ist jedenfalls noch nicht gestattet worden. contra unterstützte die Frauen bei der Organisation der Ausreise und stellte bei Bedarf Kontakte zu Nichtregierungsorganisationen in den Herkunftsländern her.

Koordinierung

Ein Schwerpunkt der Arbeit besteht für contra darin, tragfähige Netzwerke und funktionstüchtige Kooperationen aufzubauen, da diese eine wesentliche Voraussetzung bilden, um die Beratung herstellen und gestalten zu können. Je nach Fallkonstellation müssen verschiedene Stellen während eines Beratungsprozesses eingebunden werden:

Angesichts der Ausdehnung Schleswig-Holsteins nahm contra in verschiedenen Regionen Schleswig-Holsteins Kontakt zu den relevanten Stellen auf, initiierte Arbeitstreffen und interdisziplinäre Informations- und Koordinierungssitzungen, um zu informieren und Absprachen zur Zusammenarbeit herzustellen. Pools von Unterbringungsorten, Dolmetscherinnen und Rechtsanwältinnen wurden aufgebaut und weiter ausgebaut. Darüber hinaus ist eine bundesweite und internationale Vernetzung mit Nichtregierungsorganisationen und anderen Stellen unabdingbar.

contra sieht es auch als Aufgabe an, aus den Erfahrungen der Beratungspraxis auf die Entwicklung landesweiter Verbesserungen für Betroffene im rechtlichen und sozialen Bereich hinzuwirken. Hierzu arbeitet z.B. unter Federführung von contra der "FachArbeitskreis Frauenhandel" und leitet die Ergebnisse an die entsprechenden Stellen wie Behörden, Gremien oder die landespolitische Ebene weiter - im Jahre 2003 wurden Vorschläge zur Verbesserung der Erlasslage zum AuslG erarbeitet, die vom Innenministerium bei der Neufassung des Erlasses berücksichtigt wurden. Ein weiterer Schwerpunkt der Koordinierung ist die Aufklärung und Sensibilisierung zum Thema Frauenhandel durch Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit. Frauenhandel verletzt Menschenrechte

Handlungsbedarf für Schleswig-Holstein

Neben den vielen erfolgreichen Ergebnissen der fünfjährigen Arbeit besteht jedoch in verschiedenen Bereichen nach wie vor Handlungsbedarf.

Identifikation der Opfer

Problematisch war und ist es noch immer, dass Ermittlungen zum Straftatbestand Menschenhandel kein Schwerpunkt polizeilicher Arbeit in Schleswig-Holstein sind. Menschenhandel ist ein Kontrolldelikt. Betroffene Frauen wenden sich in aller Regel nicht selbst an die strafverfolgenden Behörden. Zielrichtung der Kontrollen der Polizei in Bordellen und Modellwohnungen war es meist, illegalen Aufenthalt festzustellen. Damit besteht die Gefahr, dass die Frauen nicht als Betroffene erkannt und anerkannt werden. Für das Erkennen der Anzeichen ist eine erhöhte Sensibilität der ermittelnden Beamten nötig, weshalb contra hierzu viele Kooperationsgespräche und Aufklärungsarbeit geleistet hat.

In der Praxis jedoch hatten wir immer wieder Kontakt zu Frauen, bei denen nach polizeilichen Maßnahmen Anzeichen für Menschenhandel nicht wahrgenommen wurden und die nicht auf contra hingewiesen worden sind. Diese Klientinnen lebten danach meist eine längere Zeit illegalisiert und waren häufig in einem besonders schlechten gesundheitlichen und psychischen Zustand, weil sie bei Inanspruchnahme von Hilfen eine Abschiebung befürchten mussten. contra hält unter vorgenannten Gesichtspunkten Fortbildungsangebote für Polizei und Justiz für erforderlich und regte dies auf Landesebene an.

Rechtliche Situation

Nach Bundesrecht und dem schleswig-holsteinischen Erlass zum Ausländerrecht erhalten Klientinnen, bei denen Anzeichen für Menschenhandel vermutet werden, aus humanitären Gründen eine vierwöchige Duldungsfrist, um z.B. Beratung in Anspruch nehmen zu können. In der Praxis wird diese Regelung zu selten angewandt. Zum Teil wird erwartet, dass die Frau bereits als Zeugin Angaben zu ihrer Situation gemacht hat, bevor eine Duldung erteilt wird. Aus unserer Sicht sollte aber gerade diese erste Frist der Frau als Bedenkzeit bezüglich einer Zeugenaussage zur Verfügung stehen. Mit einer Zeuginnenschaft sind Konsequenzen verbunden, die die Frau vorher abwägen können muss. Ferner ist problematisch, dass Frauen, die sich bereits entschieden haben, als Zeuginnen auszusagen, oftmals mit 4-wöchigen Duldungsfristen konfrontiert sind, die dann monatlich verlängert werden müssen. Dabei dauert ein Ermittlungsverfahren erfahrungsgemäß deutlich länger und deshalb ist auch im Erlass empfohlen worden, Duldungen in Halbjahres-Zeiträumen zu verfügen. Diese unzufrieden stellende Praxis wirkt auf die Frauen äußerst instabilisierend, außerdem können wichtige Maßnahmen (wie Sprachkurs, Therapie) nicht begonnen werden. Eine unumgehbare Restriktion des Ausländerrechts besteht darin, dass Zeuginnen nach Abschluss des Verfahrens oder wenn sie nicht mehr als Zeuginnen benötigt werden, grundsätzlich ausreisen müssen. Die Rückkehr ist häufig mit Ängsten verbunden, besonders dann, wenn die Frauen zwar als Zeuginnen aussagten, die Täter jedoch nicht gefasst wurden, das Ermittlungsverfahren eingestellt wurde oder die Täter mit milden Strafen (z.B. auf Bewährung) davongekommen sind. Im Sinne eines verbesserten Opferschutzes fordern Nichtregierungsorganisationen deshalb eine Verbesserung der Aufenthaltsrechte für Opfer von Menschenhandel.

Unterbringungssituation

Die Klientinnen benötigen Unterbringungsmöglichkeiten, die sicher und geeignet sein müssen, um die Stabilisierung der Klientinnen zu stützen. Die Unterbringungssituation ist besonders problematisch, da es sowohl an Finanzierungsmöglichkeiten mangelt als auch geeignete Unterbringungsorte in Schleswig-Holstein fehlen. Trotz verschiedener Maßnahmen konnte contra bisher keine Verbesserung erreichen, meist aufgrund der Finanzierungsproblematik. Dieser Umstand erschwert die Beratungsabläufe erheblich. Nach wie vor hält contra die Einrichtung einer Schutzwohnung für Betroffene von Menschenhandel für erforderlich, jedoch kann diese weder durch das Land noch durch die Kirche finanziert werden.

Kapazitäten und finanzielle Ausstattung

Für die landesweite Beratung und Koordinierung sind die Kapazitäten von contra zu knapp. Honorarkräfte können zur Unterstützung der Arbeit nicht eingestellt werden, da die Honorarmittel fast ausschließlich für die Arbeit mit Dolmetscherinnen benötigt werden. Mit der zunehmenden Bekanntheit von contra sind die Anfragen in Beratung gestiegen. Die knappen Ressourcen reichen oft nur für das Notwendigste und führten auch schon dazu, dass Kriseninterventionen nicht durchgeführt werden konnten. Dringend würde eine weitere Personalstelle für den Beratungsbereich benötigt.

Im Koordinierungsbereich arbeitet contra ebenfalls sehr fokussiert. Der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit musste stark eingeschränkt werden, vielen Anfragen hierzu konnten wir nicht mehr nachkommen. Auch für die Vernetzung, die Durchführung regionaler interdisziplinärer Arbeitstreffen und andere Bereiche der Koordinierungen mussten Zwischenlösungen gefunden werden. Bisher ist es trotz verschiedener Anstrengungen nicht gelungen, eine Erweiterung der Kapazitäten zu erreichen.

Perspektiven

Verschiedene Entwicklung werden die Gestaltung der Arbeit von contra zukünftig beeinflussen.

contra

contra
Beratungs- und Koordinierungsstelle für Betroffene von Frauenhandel in Schleswig- Holstein
Jozefa Paulsen, Claudia Franke
Postfach 35 20
24034 Kiel
Tel: 0431 / 55 77 9 -190 /-191; Fax: 0431 / 55 77 9 -150
E-mail: contra@ne-fw.de

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