(Gegenwind 189, Juni 2004)
Rechtsanwalt Carsten Heidemann aus Kiel vertritt seit Jahren Flüchtlinge im Asylverfahren und in ausländerrechtlichen Auseinandersetzungen. Aufgrund seiner Erfahrungen mit Flüchtlingen aus dem Iran und ihren Asylverfahren baten wir ihn, uns einige Fragen zu beantworten.
Gegenwind:
Welche Gründe führen bei Flüchtlingen aus dem Iran zu einer Anerkennung von Asylanträgen, wenn wir mal Anerkennungen nach Artikel 16 Grundgesetz und Abschiebeschutz nach Paragraph 51 des Ausländergesetzes zusammen nehmen?
Carsten Heidemann:
Nach meiner Erfahrung kommt es zu Anerkennungen ungefähr im gleichen Maße in Erst- und Folgeverfahren. In Folgeverfahren geht es selten um neue Beweise für das im Erstverfahren Vorgetragene, sondern um exilpolitische Aktivitäten in Deutschland. Dabei gibt es starke Schwankungen in der Beurteilung der Gerichte, welche politischen Aktivitäten relevant sind. Eine Zeitlang war es so, dass Aktivitäten für monarchistische Organisationen als unbeachtlich eingestuft wurden, aber das Engagement für die Volksmudjaheddin oft zur Feststellung von Abschiebehindernissen nach § 51 Ausländergesetz führten. Mittlerweile haben sich aber derart viele Iranerinnen und Iraner für die Volksmudjaheddin engagiert, dass diese Aktivitäten von den Gerichten häufig nicht mehr ernst genommen werden. Im Moment kann man beobachten, dass in Gutachten und einzelnen Gerichtsentscheidungen das Engagement für monarchistische Organisationen wieder als bedeutsamer für eine Gefährdung eingestuft wird.
Es gibt nicht wenige Asylbewerber, die den Abschiebeschutz nach § 51 AuslG nur wegen ihrer politischen Aktivität in Deutschland erhalten. Generell ist es bei Nachfluchtaktivitäten wichtig, dass das Engagement "ernsthaft" ist - also nicht nur erfolgt, um ein Bleiberecht zu erhalten - und dass man sich aus der Masse der politisch Engagierten heraushebt.
Gegenwind:
Und wie ist es bei Erstanträgen? Welche Fluchtgründe führen hier zu einer Anerkennung?
Carsten Heidemann:
Für Erstanträge lässt sich das nicht pauschal beantworten. Die meisten Ablehnungen erfolgen nicht deshalb, weil das Engagement oder die Verfolgung im Heimatland für eine Anerkennung nicht ausreichen, sondern deswegen, weil der entsprechende Vortrag vom Bundesamt oder Verwaltungsgericht nicht geglaubt wird. Wenn die Glaubwürdigkeit angenommen wird, kommt auch meistens eine Anerkennung heraus.
Ich habe bei iranischen Flüchtlingen oft den Eindruck, dass sie vor dem Bundesamt und vor dem Verwaltungsgericht mit einem "Malus" zu kämpfen haben. Es scheint dort manchmal eine widerlegliche Vermutung zu herrschen, dass sie die Unwahrheit sagen, und ihnen obliegt der Nachweis des Gegenteils. Das entspricht nicht der Rechtslage. Verlangt ist eigentlich eine wohlwollende Beurteilung des Vortrags, aber da haben Iraner mit Vorurteilen zu kämpfen.
Gegenwind:
Und was passiert mit iranischen Flüchtlingen, deren Asylantrag endgültig abgelehnt ist?
Carsten Heidemann:
Ein iranischer Flüchtling, der keinen Pass hat, kann auch nach Beendigung seines Asylverfahrens nicht abgeschoben werden. Die Passersatzbeschaffung ist für die Ausländerbehörde außerordentlich schwierig. Ich habe mich heute noch einmal bei einer großen Ausländerbehörde erkundigt. Man kennt dort keinen einzigen Fall aus den letzten Jahren, in dem ein Iraner, der dies nicht wollte, abgeschoben werden konnte. Das Hauptproblem aus Sicht der Ausländerbehörde ist die Praxis des iranischen Konsulats, der zufolge ein Passersatz nur ausgestellt wird, wenn eine "Freiwilligkeitserklärung" abgegeben wird. Die Leute müssen ausdrücklich erklären, dass sie auch tatsächlich freiwillig bereit sind, in den Iran zurück zu kehren. Das erklärt natürlich kaum einer, und entsprechend hat die Ausländerbehörde keine Möglichkeit, abgelehnte Asylbewerber zurück zu schicken.
Mir selbst ist auch kein einziger Fall bekannt, dass ein Iraner, der nicht zurück wollte, abgeschoben werden konnte.
Aber ein großes Problem besteht dann darin, dass abgelehnte Asylbewerber aus dem Iran oft jahrelang nur eine Duldung erhalten und unter menschenunwürdigen Bedingungen dahinvegetieren. Denn gesetzlich ist vorgeschrieben, dass Duldungsinhaber, die nicht an der Beseitigung des Abschiebehindernisses (hier: der Passlosigkeit) mitwirken, keine Aufenthaltsbefugnis erhalten können, nicht arbeiten dürfen und nur gekürzte Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten.
Gegenwind:
Nun sind abgelehnte Flüchtlinge ja nach dem Gesetz verpflichtet, Deutschland zu verlassen, und sie sind ja auch verpflichtet, an der Vorbereitung der Abschiebung mitzuwirken. Welche Pflichten sind mit dieser "Mitwirkungspflicht" denn im Einzelnen gemeint?
Carsten Heidemann:
Rechtlich ist nicht ganz klar, ob es eine zwangsweise durchsetzbare Pflicht gibt, an der eigenen Abschiebung mitzuwirken, und wie weit sie gegebenenfalls reicht. Teilweise wird diese Pflicht aus der Passpflicht hergeleitet. Ich habe aber gerade noch mal ein Urteil aus Düsseldorf herausgesucht. Das Gericht unterscheidet zwischen dem Pass und den Heimreisepapieren; es geht davon aus, dass es eine Pflicht gibt, an der Passbeschaffung mitzuwirken, nicht aber an der Beschaffung von Heimreisepapieren, welche die Ausländerbehörde für die Abschiebung benötigt.
Und im Falle des Iran gibt es eben den zusätzlichen Punkt, dass für die Passausstellung diese Freiwilligkeitserklärung verlangt wird. Deren Abgabe lässt sich kaum durch Zwang erreichen; das schließt sich ja schon begrifflich aus. Insofern lässt sich da von Seiten der Ausländerbehörde durch Zwang wenig machen. Ansatzpunkt sind vielmehr die indirekten Sanktionen: Wie gesagt, wer ausreisepflichtig ist und sich weigert, an seiner Abschiebung mitzuwirken, erhält extrem gekürzte Sozialleistungen und ein Arbeitsverbot und hat keine Chance auf eine Aufenthaltsbefugnis, deren Erteilung an Duldungsinhaber nach § 30 Absatz 4 des Ausländergesetzes eigentlich vorgesehen ist, wenn zwei Jahre vergangen sind, ohne dass eine Abschiebung erfolgen konnte.
Gegenwind:
Wie sieht denn die Mitwirkungspflicht für Frauen aus? Die Botschaft verlangt ja nicht nur die Freiwilligkeitserklärung, sie verlangt auch "islamische" Passbilder. Darf die Ausländerbehörde versuchen, diese Forderung durchzusetzen?
Carsten Heidemann:
Es ist, soweit ich es überblicke, in der Rechtsprechung nicht völlig geklärt, ob die Anfertigung von Passbildern mit einem Kopftuch zwangsweise durchsetzbar ist oder nicht. Die meisten Verwaltungsgerichte bejahen dies; ein Urteil aus Schleswig-Holstein ist mir noch nicht begegnet.
Letztlich würde die Vorlage des verlangten Passfotos wegen der zusätzlich erforderlichen Freiwilligkeitserklärung auch wenig bringen. Vielleicht auch deswegen ist mir kein Fall aus Schleswig-Holstein bekannt, in der Zwang eingesetzt wurde, um die Vorlage eines Passbildes mit Kopftuch zu erreichen.
Gegenwind:
Können iranische Flüchtlinge denn gegen Zwangsmittel wie Arbeitsverbot und Sozialhilfekürzungen Einspruch erheben? Denn es wird ja eine Mitwirkung gefordert, die auch bei Erfüllung nicht zum Ziel, der Abschiebung, führt.
Carsten Heidemann:
Richtig ist: Wenn es ausgeschlossen ist, dass eine bestimmte notwendige Mitwirkungshandlung des Betroffenen, wie die Freiwilligkeitserklärung, nicht durch Zwang durchgesetzt werden kann, dann ist es zwecklos und folglich wohl auch unzulässig, die anderen Handlungen per Zwang durchsetzen. Aber das Arbeitsverbot und die Kürzungen der Sozialleistungen sind rechtlich gesehen keine Zwangsmittel im eigentlichen Sinne, sondern gesetzlich vorgesehene Folgen einer Verweigerung von Mitwirkungshandlungen bei der Passersatzbeschaffung.
Die wichtigere Frage ist m.E. ohnehin eher, wie man aus der menschenunwürdigen Situation der "Dauerduldung" herauskommt. Wenn die langen Versuche, Passersatzpapiere zu beschaffen, gescheitert sind, zeigen nach meinen Erfahrungen viele Ausländerbehörden auch eine gewisse Kulanz - jedenfalls dann, wenn das Verhältnis einigermaßen gut ist und die Betroffenen gut integriert sind - eine eigene Arbeit haben (soweit rechtlich möglich), Deutsch sprechen, keine Ausweisungsgründe erfüllen etc. In solchen Fällen gibt es schon einige Ausländerbehörden, die dann sagen: Wir haben es ein paar Jahre vergeblich versucht; die jetzige Situation ist für alle Beteiligten unbefriedigend, also drücken wir ein Auge zu und akzeptieren förmlich seine oder ihre Bemühungen um Mitwirkung und erteilen die Befugnis. Die Möglichkeit solcher "Kulanzlösungen" ist aber eine Frage der zuständigen Ausländerbehörde und sogar des zuständigen Sachbearbeiters. Das Problem ist eben, dass man auf Kulanz hoffen muss; denn unser Ausländergesetz lässt eigentlich in solchen Fällen keine menschlich angemessenen Lösungen zu.
Interview: Mojdeh Maschhadi & Reinhard Pohl
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