(Gegenwind 187, April 2004)

Film:

Unser neuer Integrationsbeauftragter?

Fatih Akin hat mit Gegen die Wand einen tollen Film gemacht - nun muss er als Repräsentant und Erklärer der "deutschtürkischen Kultur" herhalten.

Der Siegerfilm der Berlinale sorgt für alles Mögliche: Er bringt "uns" die Lebensweise und Probleme "der Deutschtürken" nahe, prangert die Unterdrückung "der türkischen Frauen" an, erweist "den Türken" in Deutschland einen großen, beleidigt "die Türken" usw. usf. Man lese nur mal in den einschlägigen Rezensionen oder in den Forumsbeiträgen auf der Film-Website (www.gegendiewand.de) nach. Und da wird der Hamburger Regisseur in Talkshows mal eben zum quasi naturgegebenen Experten für den EU-Beitritt der Türkei. Welch eine Bürde für einen Film.


Gegen die Wand. BRD 2003. Buch und Regie: Fatih Akin. Mit Birol Ünel, Sibel Kekilli, Catrin Striebeck, Güven Kiraç. Kamera: Rainer Klausmann.

Im Traum Kino Kiel: Kino1: 1.-30. April, 22.15 Uhr. Kino 2: 1./2./5./7./13./14./19.-22.26.-29. April, 19 Uhr.

Dessen Held Cahit ist keineswegs "der Deutschtürke" - es sei denn, man hielte es für typisch für einen Türken in Deutschland um die 40, dass er ein verwahrloster Biergläsereinsammler in einem Altonaer Veranstaltungszentrum ist und auf "die Türken" und "die Kanaken" schimpft. Und natürlich ist Filmheldin Sibel nicht "die junge türkische Frau", zum Glück, denn sonst wäre - Pardon! - die Psychiatrie mit diesem Klientinnenansturm wohl hoffnungslos überfordert.

"Ey, das hier ist nur eine Geschichte", ruft Fatih Akin in einem taz-Interview aus. Und was für eine! Und wie erzählt! Die Geschichte zweiter Außenseiter, Beinahe-Selbstmörder, die der Zufall aneinander kettet und dann wieder auseinanderreißt, die weder sich noch einander richtig finden können. Teilweise schwer verdaulich, hart, hart an der Realität (trotz einiger unglaubwürdiger Stellen im Plot), sehr bewegend - aber eben immer eine Geschichte, eine kunstvolle Erzählung, deren Kapital durch die Darbietungen einer traditionellen türkischen Musikgruppe vor der Kulisse Istanbuls von einander getrennt/miteinander verbunden werden. Überhaupt die Musikauswahl: ein wüster Mix der Stile, und immer genau das Richtige.

Die Geschichte wäre aber nichts ohne die beiden Hauptfiguren und ohne ihre Darsteller: Birol Ünel und Sibel Kekilli bringen das Auf und Ab der Gefühlswelten von Cahit und Sibel, ihre Distanz und Verbundenheit, ihr Leben so dermaßen mit Wucht, mit Präsenz, authentisch und ohne dabei jedes Pathos auf die Leinwand, dass man nur sagen kann: die beiden sind wahre Stars.

Gegen die Wand beweist: auch eine Festival-Jury kann mal goldrichtig liegen. Fatih Akin hat mit seinem Film, glaube ich, einfach alles richtig gemacht. Als Alibiveranstaltung für mangelnde Integrationsbemühungen und rassistische "Ausländerpolitik" kann der Film keineswegs herhalten.

H.H.

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