(Gegenwind 187, April 2004)
Oft wird beklagt, dass Lehrerinnen und Lehrer Angebote zur Fortbildung nicht annehmen, insbesondere wenn die Termine außerhalb der Unterrichtszeit liegen. Das gilt insbesondere für Fortbildungsangebote, die die interkulturelle Kompetenz betreffen. Und woran erkennt man LehrerInnen, die noch auf dem Stand der Ausbildung von vorgestern sind? Richtig, sie verbieten Kindern, auf dem Schulhof miteinander Türkisch, Kroatisch oder Polnisch zu sprechen.
Zwei neue Bücher zur mehrsprachigen Erziehung von Kindern sind jetzt erschienen. Und wer auch die nächsten Fortbildungstermine verpasst, kann jedenfalls hier einige Grundlagen zum Thema bekommen.
Vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf e.V.) wurde ein Ratgeber herausgegeben, der sich zuerst an Eltern richtet. Beschrieben wird zunächst der Alltag innerhalb der binationalen Familie, das betrifft inzwischen jede sechste Familie in Deutschland und vermutlich einen weit höheren Anteil weltweit. Viele von ihnen sprechen sowieso schon zwei oder mehr Sprachen mit ihren Kindern. Der Ratgeber soll Eltern helfen, dabei eine Systematik zu entwickeln, die dem Kind hilft, alle gesprochenen Sprachen richtig zu lernen.
Dabei ist zunächst eine klare Trennung nötig. Das bedeutet zum Beispiel, die Mutter spricht immer Kurdisch mit den Kindern, der Vater immer Persisch. Und dass sollten sie durchhalten, auch wenn die Kinder irgendwann automatisch dazu übergehen, ihnen Deutsch zu antworten und untereinander Deutsch zu sprechen. Am besten ist es auch, wenn bewusst geregelt wird, welche Sprache die Eltern untereinander verwenden.
Der Ratgeber beschreibt dann, wie Eltern erkennen können, ob ihre Kinder in einer normalen Zeit Sprechen lernen. Denn früher sagten viele Ärzte und Lehrer, das Lernen von zwei Sprachen gleichzeitig würde die Kinder überfordern und die Sprachentwicklung verzögern. Heute ist klar, dass das Quatsch ist. Allerdings sind gerade Eltern, die zwei Sprachen in die Familie einführen, leichter zu verunsichern.
Problematisch kann dann der Übergang zum Kindergarten oder zur Schule werden, insbesondere wenn das Kind bis dahin nicht richtig Deutsch gelernt hat. Der Ratgeber sagt eindeutig, und da ist er sich mit allen Sprachlehrern, Kinderärzten und Pädagogen einig, dass Eltern, die selbst nicht richtig Deutsch sprechen können, auf keinen Fall versuchen sollen, es ihren Kindern beizubringen. Eltern sollten dem Kind immer die Sprache beibringen, die sie selbst am besten können.
Im Kindergarten oder der Schule besteht dann immer die Gefahr, dass ErzieherInnen oder LehrerInnen wissentlich oder unwissentlich den Sprachen eine Rangfolge geben. Wenn ein mehrsprachiges Kind Englisch kann, wird das eher als wertvoll, weil nützlich angesehen - Kurdisch oder Persisch ist dagegen eher unerwünscht, Türkisch oder Russisch wird häufig sogar bekämpft. Da müssen Eltern ernste Gespräche führen und sich durchsetzen.
Mehr von der theoretischen Seite kommt der zweite Ratgeber, den Vassilia Triarchi-Herrmann geschrieben hat. Sie ist Lehrerin und Sprachtherapeutin und arbeitet an einer Akademie für Lehrerfortbildung. Gleichzeitig hat sie aber auch eine Tochter zweisprachig großgezogen, und das garantiert, dass sich in diesem Ratgeber die sprachtheoretischen Erkenntnisse mit praktischen Tipps für den Alltag mischen.
Auch hier wird herausgestellt, dass Kinder sprechen lernen sollen und von den Eltern, später den ErzieherInnen und LehrerInnen Sprachunterricht benötigen. Und die Autorin stellt deutlich heraus, dass Sprachunterricht kein Deutschunterricht sein muss, sondern immer der Unterricht in der Sprache, den Mutter oder Vater, ErzieherIn oder LehrerIn am besten können.
Der Ratgeber liefert Eltern viel Rüstzeug an die Hand, um auch auf Elternabenden oder bei Gesprächen in der Schule bestehen zu können. Wer das Buch gelesen hat, kann zwischen "Muttersprache", "Vatersprache", "Familiensprache" und "Umgebungssprache" unterscheiden und bei Kindern, eigenen wie fremden, zwischen "starker" und "schwacher" Sprache unterscheiden - übrigens etwas, das sich bei Kindern durchaus auch innerhalb weniger Wochen ändern kann. Wer mit der Mutter und in der Umgebung Deutsch spricht und nur vom berufstätigen Vater Persisch lernt, wird als Kind kaum von sich aus auch Persisch sprechen. Aber zumindest bei kleinen Kindern kann schon eine vierwöchiger Ferienaufenthalt bei den persischsprachigen Großeltern dazu führen, dass das Kind fast nur noch Persisch spricht - und das eine Woche nach der Rückkehr nach Deutschland wieder ablegt.
Das Buch enthält einen ausführlichen Anhang, in dem nicht nur auf Fachbücher zum Thema hingewiesen wird, sondern auch mehrsprachige Kinderbücher vorgestellt werden.
Beide Ratgeber bestärken Eltern darin, auch solche Sprachwechsel bei Kindern nicht als Problem, sondern als Vorteil fürs spätere Leben zu erkennen und diese Erkenntnis auch in ihrer Umgebung und der Umgebung des Kindes durchzusetzen.
Reinhard Pohl
Kinder sprechen viele Sprachen - der Weg zur bilingualen Kindertageseinrichtung
In einem zusammenwachsendem Europa wird es zunehmend wichtig, neben der Muttersprache mindestens eine Fremdsprache zu beherrschen, besser sogar zwei. Kindertageseinrichtungen sind ein gut geeigneter Ort, an dem Kinder - spielerisch - Kenntnisse anderer Sprachen erwerben können. Dieser Fachtag will:
Zielgruppe: Mitarbeiter aus Kindertageseinrichtungen, Trägervertreter, interessierte Eltern, Lehrkräfte aus Fachschulen und Grundschulen, Fachberatungskräfte.
Referenten: Prof. Dr. Henning Wode, Uni Kiel / Eva Hammes- Di Bernado, MA phil., Saarbrücken / Anita Gruber, Institut für interkulturelles Training / Sabine Devich-Henningsen, Leiterin einer deutsch-englischen Kita / Thomas Garske, Leiter eines deutsch-französischen Kinderhauses / Ufa Fischer, Schulleiterin / Dr. Annette Lommel, Verein für frühe Mehrsprachigkeit an Kindertageseinrichtungen und Schulen (FMKS)
Donnerstag, 6. Mai 2004, 9 - 16.30 Uhr, Einzelgespräche bis 18 Uhr
Haus des Sports, Winterbeker Weg 49, 24114 Kiel Tel. 0431/642107
Kosten: 60 Euro (inkl. Mittagessen + Kaffee, Tee/Tagungsunterlagen), ermäßigter Beitrag für Elternvertreter, Schüler und Studenten 30 Euro.
Anmeldung: Schriftlich bis 14. April 2004 an: AWO Schleswig-Holstein e.V., Feldstr. 5, 24105 Kiel, Beate Müller-Czerwonka, Fax:0431/5114-108, e-Mail