(Gegenwind 187, April 2004)
Masomeh Akhbari ist 32 Jahre alt und lebt seit zehn Jahren in Deutschland, in Rendsburg. Ihr Mann arbeitet, sie selbst (bisher) auch, die 12-jährige Tochter besucht die Realschule, alle haben gut Deutsch gelernt. Eigentlich müssten sie nur noch die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen, könnte man denken, und aus einer iranischen wird dann eine deutsche Familie.
„Sie werden aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von vier Wochen zu verlassen”, steht dagegen in den Briefen, die deutsche Behörden der Familie schicken. Denn der Asylantrag wurde, wie mehrere Folgeanträge, abgelehnt. Das liegt nicht daran, dass die Familie ohne Grund geflohen ist. Vielmehr ist es so, dass diese Gründe dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge nicht reichten, um den Asylantrag anzuerkennen.
„Es war 1991”, erzählt Masomeh Akhbari. „Ich war damals 20 Jahre alt und im achten Monat schwanger. Mit ein paar Freundinnen war ich auf dem Weg zum Jahrmarkt. Es war im Sommer, furchtbar heiß. Trotzdem trugen wir alle einen langen Mantel und ein Kopftuch, wie es vorgeschrieben war im Iran. Denn wir wussten, dass auf dem Jahrmarkt die sogenannten Revolutionswächter Frauen kontrollierten. Ich wurde am Eingang zum Jahrmarkt gleich von diesen Revolutionswächtern angehalten. Was wollten sie? Sie hatten meine Socken gesehen, und die, so sagten sie mir, waren zu dünn. Sie zeigten auf einen Bus in der Nähe, dort hätten sie dickere Socken. Ich sollte in den Bus steigen und mich umziehen, meine Schwägerin, mit der ich zusammen unterwegs war, sollte gleich mitgehen. Im Bus entdeckten wir, dass es sich um einen Gefangenen-Bus handelte. Uns wurde gesagt, wir wären festgenommen. Wenn der Bus voll wäre, würden wir zum Gefängnis gefahren. Uns erwartete dort die Auspeitschung. Meine Schwägerin bot sofort an, die doppelte Strafe auf sich zu nehmen, wenn sie mich freiließen. Sie hatte genauso wie ich Angst, dass ich durch das Auspeitschen mein Kind verlieren würde. Zum Glück hatte mein Mann einen Freund bei den Pasdaran, den Revolutionswächtern. Er erfuhr, dass wir gefangen waren, und bezahlte diesem Freund 10.000 Toman (ca. 1200 Euro). Dafür wurden wir beide freigelassen.”
Ich frage Masomeh Akhbari, was sie denn im Iran erwartet, wenn sie jetzt zurückkehrt - nur bezogen auf ihre Kleidung. Sie sitzt mir im T-Shirt und Jeans gegenüber. „Dafür? Die Todesstrafe!” Gerade konnten wir im Fernsehen zuschauen, wie inmitten der Erdbeben-Katastrophe von Bam Revolutionswächter patrouillierten und die weiblichen Angehörigen der internationalen Hilfsorganisationen darauf hinwiesen, ihre Kopftücher gerade zu rücken. Dorthin, so wollen die Behörden, soll die Familie zurück.
1994 ging alles ganz schnell. Ihr Mann, so erzählt Masomeh Akhbari, hatte sich von einem Freund ein Video ausgeliehen. Was genau drauf war, weiß sie nicht, aber es waren wohl Informationen der Volksmudschaheddin, die bewaffnet gegen die islamische Regierung kämpften und kämpfen. Die Polizei erfuhr davon, eine Spezialeinheit des Revolutionsgerichtes, das für „politische Delikte” zuständig ist, durchsuchte die Wohnung und fand die Kassette. Zur Glück war die Familie nicht zu Hause, sonst hätten sich die bundesdeutschen Behörden nie mit einem Asylantrag auseinandersetzen müssen. Bei der Rückkehr erfuhren die Akhbaris von Nachbarn, dass die Polizei da war, und versteckten sich sofort getrennt bei Verwandten. Masomehs Familie organisierte falsche Papiere, und im April 1994 flog sie mit ihrer zweijährigen Tochter nach Deutschland. Sie meldete sich in Lübeck, beantragte Asyl und lebte dann für ein paar Monate erst in der dortigen Kaserne, dann in der Landesunterkunft in Eggebek, bis sie schließlich eine kleine Wohnung in einer Flüchtlingsunterkunft bei Rendsburg (Osterrönfeld) bekam.
Im Januar 1995 bekam sie endlich den ersehnten Anruf: Ihr Mann hatte es ebenfalls nach Deutschland geschafft. Meistens zu Fuß, manchmal per Anhalter im LKW oder im Bus war er auf einem langen und mühsamen Weg über die Türkei und den Balkan nach Deutschland gekommen und beantragte ebenfalls Asyl.
Hatte sich Masomeh Akhbari anfangs darauf berufen, bei ihrem Mann wären bei der Hausdurchsuchung verbotene Videos gefunden worden, blickt sie heute auch auf eine langjährige politische Aktivitäten zurück. Zunächst hat sie an Protestkundgebungen und Demonstrationen gegen die iranische Regierung nur teilgenommen, ist häufig nach Hamburg, manchmal auch nach Frankfurt oder Berlin gefahren. Meistens fanden die Kundgebungen vor iranischen Auslandsvertretungen statt. Inzwischen ist sie dazu übergegangen, eigene Aktivitäten zu organisieren. Sie gründete gemeinsam mit anderen iranischen Frauen die Vereinigung zur Unterstützung iranischer Frauen in Rendsburg, sie referierte auf der ersten öffentlichen Veranstaltung am 28. Januar in Rendsburg.
Die aktuelle Situation im Iran stand an diesem Abend auf dem Programm. Im gut besuchten „Internationalen Zentrum” referierte sie vor einem halb persisch-, halb deutschsprachigen Publikum über die aktuelle Situation im Iran und ging auch auf die Geschichte der letzten 25 Jahre, der Zeit der „Islamischen Republik” ein. Zahlreiche Fragen musste sie danach beantworten, wobei sie auch ihre eigenen Erlebnisse mit dem Regime und den „Revolutionswächtern” schilderte. Anschließend relativierte sie die zahlreichen Berichte in der deutschen Presse über eine „Liberalisierung”.
Dass sich die Verhältnisse im Iran nicht grundlegend geändert haben, machte sie an einem Beispiel klar, das sie gerade von einer Bekannten aus dem Iran erfahren hatte. Deren 14-jährige Tochter war im Sommer 2003 in einer drei-viertel langen Hose unterwegs. Sie wurde von Revolutionswächtern festgenommen, diese steckten ihre Beine in einen Karton voller Kakerlaken. Einen Monat lang lag sie nach den Misshandlungen im Koma.
Zum Zeitpunkt der Veranstaltung waren die iranischen Parlamentswahlen in Vorbereitung, und es war bereits klar, dass liberale Kandidaten zum größten Teil vom Wächterrat, einer Art religiöser Oberaufsicht über Regierung und Parlament, von den Wahlen ausgeschlossen worden waren. So begründete Masomeh Akhbari auch ihren Kampf um ihr Bleiberecht in Rendsburg, den sie nicht aufgibt.
Das sieht die Ausländerbehörde anders. Sie hält eine Rückkehr in den Iran für zumutbar. Dazu muss Masomeh Akhbari allerdings die entsprechenden Papiere beantragen, unter anderem muss sie durch ihr Passbild nachweisen, dass sie sich auch in Rendsburg an die „islamischen Bekleidungsvorschriften” des Iran hält. Das sagt die Ausländerbehörde zwar nicht offen. Aber um dem Nachdruck zu verleihen, sorgte sie im Februar dafür, dass Masomeh Akhbari ihre Arbeitserlaubnis verlor. Eigentlich wollte ihr Chef ihr gerade jetzt eine Volltagsstelle geben.
So muss die Familie jetzt mit den 400 Euro Monatsverdienst des Ehemannes und ergänzender Sozialhilfe leben. Denn Masomeh Akhbari hat keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, obwohl sie seit 1995 beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt war.
Reinhard Pohl